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NmiRWISSENSCH
WOCHENSCHRIFT
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I ! HERAUSGEGEBEN VON
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Naturwissenschaftliche
wochenschriet.
REDIGIERT
Prof. Dr. H. POTONIE,
VON
UND
Prof. Dr. F. KOERBER
KGL. LANDESGEOLOGEN KGL. OBERLEHRER
IN GROSSLICHTERFELDE bei BERLIN.
NEUE FOLGE Vlll. BAND
(DER GANZEN REIHE XXIV. BAND).
(JANUAR — DEZEMBER 1909.)
MIT 264 ABBILDUNGEN IM TEXT.
%4
JENA.
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1909.
Alle Rechte vorbehalten.
Allgemeines und Verschiedenes.
B r i 1 1 e n , Secreta oder verborgene geheime
Künste aus dem Jahre 1616 (Orig. mit
Abb.) 615.
Danz, Kunstwerke des Winters ^Orig.
mit Orig.-.'\bb.). 624.
Ehrlich, Züchtung von arzeneifesten
Stämmen von Trypanosomen. 762.
H e n n i g , R., Gerücht u. Wunder (Orig.) 42.
Hennig, R., Das Naturgefühl des .Alter-
tums (Orig.) 705.
K Gerber, Das Deutsche Museum von
Meisterwerken der Naturwissenschaft
und Technik (Orig. mit Abb.) 641.
Potonie, Äußerung über populäre Be-
rühmtheiten u. Verbreitung pop. Lit.
(Orig.) 463.
Potonie, Naturw. Wochenschr. u. d. all-
gem. deutsche Sprachverein (Orig.) 319.
Rothe, Zur Beantwortung der 2. Frage
des II. Einwandes gegen den Darwinis-
mus. Nach L. Plate. (Orig.) 174.
Simroth, Die physikalische Begrün-
dung der PendulatioD (Orig. m. Karten)
4S1.
Darwin'sche Lehre, zu ihrer Kritik. 702.
Herkunft der Organismen. 702.
Philosophie.
Adler, Einheit des physikalischen Welt-
bildes (Orig.) 817.
Angersbach , Neues aus der Philosophie
(Orig.) 129.
Baerwald, Selbsttätigkeit und Ichliebe
(Orig. mit Abb.) 305.
G o m p e r z , Willensfreiheit. 662.
Ites, Über den psychologischen Ursprung
der Raumvorstellung (Orig.) 273.
Pochhammer, Willensfreiheit. 661.
Potonie, Einwirkung des Psychischen
auf Körperliches (Orig.) 751.
Potonie, Über den Monismus (Orig.) 527.
Ziehen, Gehirn und Seele. 186.
Definitionen einiger philos. Begriffe. 128.
Determinismus od. Indeterminismus? 661.
Konformismus; Pragmatismus. Mythen-
bildung und Erkenntnis. 129.
Philosophie, Neues aus der. 661.
Anthropologie und Verwandtes.
A m m o n, Zum Neunkräftesegen (Orig.) 272.
Baglioni, Warum besitzen wir kein
elektrisches Sinnesorgan? (Orig.j 497
B e a n , Die Igoroten d. Prov. Benguet. 7 1 8.
V. Budkewicz, Kannibalismus bei Men-
schen und Tieren (Orig.) 48.
v. Bülow, Über Malayo-Polynesier. 718.
Dahl, Entwicklung der menschlichen
Psyche (Orig.) 528.
Dittler, Eisenmeier u. a., Nachbilder
kurzdauernder Reize. 744.
V. Ehrenfels, Monogame und polygyne
Sozialpolitik. 614.
Register.'^
Friboes, Ein Meerweibchen. 140.
Friedenthal, Behaarung des Menschen.
716.
Fritsch, Sehschärfe beim Menschen. 716.
Frizzi, Zur Anthropologie der alpinen
Rasse. 717.
G a s s n e r, Land u. Leute von Uruguay. 474.
Goldscheid, Entwickelungswerttheorie
etc. 615.
Guttmann, Kölner u. a., Farben-
pathologisches. 745.
Haenel, Himmelsgewölbe, seine schein-
bare Form. 745.
Hauser, Alteste bisher gefundene Men-
schenreste (mit Abb.) 323.
Heibig, Warum besitzen wir kein elek-
trisches Sinnesorgan? (Orig.) 766.
Hentschel, Die Malayenfrage. 7 19.
Kleinweg de Zwaan, Anthropolog.
Untersuch, in Mittel-Sumatra. 717,
Kowarzik, Osteologische Sammlungen
inihremVerhältnis Z.Paläontologie. 141
Kraepelin, Z. Entartungsproblem. 613.
Kries u. Eyster, Die zur Erregung des
Sehorgans erforderlichen Energie-
mengen. 202.
K r ü g e r u. a., Konsonanz u. Dissonanz. 746.
Lehmann-Nitsche, Homo sapiens u.
H. neogaeus aus der Argent. Pampas-
formation (Orig. mit Orig.-Abb.) 657.
Pearson, Rassenhygiene. 612.
Ploetz, Lebensdauer der Eltern und
Kindersterblichkeit. 611;.
Märze 11, Neunkräutersegen (Orig.) 368.
Nordenholz, Menschenökonomie. 615.
Rammstedt, Chemie im Dienste der
Archäologie (S.-R.) 209.
R a y 1 e i g h , Lokalisation von Tönen. 745.
Reuter, Bezieh, zw. Kopfform u. Bau
anderer Teile d. menschl. Körpers. 716.
Rivers, Sehschärfe und Farbensinn bei
farbigen Rassen. 424.
Roberts, Ursachen der körperlichen
Entartung der Bevölkerung Indiens. 213.
Schaefer, Wittmack, Kreidl, Ya-
nase etc., Z. Stud. d. Hörtheorien. 203.
Schallmayer, Eugenik etc. 615.
Schallmayer, Versicherungsgesetze u.
Erbqualitäten. 614.
S o f e r , Plastizität d. Menschenrassen. 234.
Stieda, Infibulation bei Griechen und
Römern. 536.
Thomson, Erblichkeit. 6 12.
Tschermak, Simultankontrast. 201.
Walther, Über den Verlauf organischer
Entwicklung. 410.
Werth, Der Mensch der Eiszeit im
Alpengebiete (Orig.) 395.
W e u 1 e , Zur Kenntnis der ostafrikanischen
Negervölker. 298, 534.
Winter, Lehmesser. 534.
Anthropographie, Neues von der. 715.
Atlasse von Menschen u. Affen (Orig.) 659.
Fovea centralis, Ihre Entwickelung. 744.
llörtheorien. 203.
Leichenerhaltung im Bleikeller zu Bremen.
240.
Meerweibchen. 256.
Pithecanthropus. 80.
Rassenhygiene, Neues von der. 612.
Schwelle des Lichtsinns. 202.
Simultankontrast. 200.
Sinnesphysiologie, Neues aus der. 200, 742.
Wollhaare des Embryo. 464.
Wollhaare im menschl. Embryodarm, ihre
Funktion. 701.
Zoologie und Verwandtes.
Bauer, Simullankontrast i. Tierreich. 202.
Berndt, Tierehe und Brutpflege. 185.
Breuer, Gehörorgan der Vögel. 203.
Brockmeier, Wie kriechen unsere
Wasserschnecken an der Wasserober-
fläche? (Orig.) 321.
Dahl, Eiszeitrelikte (Orig.) 766.
Eckstein, Ökonomische Bedeutung der
Vögel. 426.
Effenberger, Biologische Beobachtun-
gen an einem deutschen Myriapoden,
Polydesmus complanatus (Orig. mit
Orig.-Abb.) 26.
Elpatiewskyu. Swarczewsky, Fort-
pflanzung von Arcella vulgaris (mit
Abb.) 236.
v. F a b e r , Bekämpfung von Kakaowanzen
durch Ameisen. 360.
Gail, Austernzucht in norwegischen Pol-
lern (Orig. mit Diagramm) 830.
Grochmalicki, Linsenregeneration bei
den Knochenfischen (mit Abb.) 13.
Hescheler, Der Riesenhirsch. 238.
H e y k i n g , Widerstand von Karpfen gegen
Kälte. 222.
H 11 zh eimer , Equusequiferus(Orig.)8lo.
Jennings, Biologie des Seesterns Asterias
forreri (mit Abb.) 4S8.
Jonescu, Gehirn der Honigbiene (mit
Abb.) 631.
Kammerer, Bastardierung von Flul3-
barsch und Kaulbarsch. 153.
Keilhack, L., Über Simocephalus, eine
Kladocere (Orig.) 256.
Kiess, Filarienknoten in der Unterhaut
des Hirsches. 297.
Kolbe, Die Südpolarkontinenttheorie
nebst Bemerkungen über tiergeogra-
phische Verhältnisse auf der Südhemi-
sphäre (Orig.) 449.
Kowarzik, Der Moschusochs und seine
Rassen. 342.
Kürchhoff, Die Tsetse und ihre ver-
heerende Tätigkeit (Orig. mit Orig.-
Kärtchen.) 145.
Maassen, Ätiologie der sog. Faulbrut
der Honigbienen. 57.
Meisenheimer,J., Über d. Beziehungen
zwischen primären und sekundären Ge-
') Die Abkürzung S.-R. bedeutet Sammel-Referat. — Die Artikel „Neues aus . . ." sind ebenfalls Sanimel- Referate.
3S8:H
Register.
schlechlsmerkmalen bei den SchmeUer- \
lingen ("rig. mit Orig.-Abb.) 545.
Menzel, H., l'bcr das Vorkommca der
Weinbergsschnecke (Helix pomatia) in
Deutschland (^Orig.) 554.
Meyer, E. , Fleischfressende Schnecken
(Orig.) 384.
Meyer, Mäusefan gendc Hühner (Orig.) 1 60.
Moroff, Zur Physiologie des Zillkcrnes
(mit Abb.) 244.
Müller, R., Sekundäre Geschlechtsmerk-
male und ihre züchtungsbiologische
Bedeutung. 296.
Nord heim, Beobachtungen am Bienen-
stande (Orig. m.Orig.-Uiagrammen) 300.
i\ US bäum, Abhängigkeit der Regenera-
tion vom Nervensystem bei Nereis
diversicolor (mit Abb.) 61.
Otto, Die Beschuppung der Re|)tilicn
(mit Abb.) 118.
Paladine, Schwarze Kcplialopoden-
Tinte. 333.
Parker, Die Sinnesempfindungen des
Amphioxus. 76.
Plate, Symbiotisch lebender Fisch. 204.
Pütter, Die Ernährung der Wasserliere
u. der Stoffhaushalt des Meeres (S.-R.
von Friedrich v. Möller) I.
Rein ecke , Die sogen. Pferdesterbe. 281.
Reinhardt, R. , Pleiodaklylie beim
Pferde. 295.
Richters, Meer-Bärtiercheii (Orig. mit
Orig.-Abb.) 330.
Ross, Pflanzen u. Ameisen im tropischen
Mexiko lOrig. mit Orig.-Abb.) 822.
Schnitze, Arnold, Beobachtungen üb.
die Fauna u. Flora der Grashochländer
Kameruns (Orig. mit Orig.-Abb.) 513.
Schnitze, Ernst, Vogelschutz in den
Vereinigten Staaten (Orig.) 49.
Simroth s. Geophysik.
Sommer, Hydra benutzt die ( )berflächen-
spannung des Wassers (Orig.) 400.
Thienemann, Echte Höhlen- u. Grund-
wasserliere in oberirdischen Gewässern
180.
Tornier, Regeneration von Eidechsen-
schwänzen (mit Abb.) 607.
Versluys, Die Salamander und die ur-
sprünglichsten vierbeinigen Landwirbel-
tiere lOrig. mit Abb.) 33.
Vosseier, Myrmecophana (mit .Abb.) 2 15.
Wasmann, Zur Geschichte der Sklaverei
und des sozialen Parasitismus bei den
Ameisen (Orig. mit Orig.-Abb.) 401.
Weismann, Über die Trutzstellung des
Abendpfauenauges (Orig. mit Orig.-
Abb.) 721.
Winterer, Rückenmarksanästhesie. 297.
Z i c g 1 e r , Phylogenetische Entstehung des
Wirbeltierkopfes (mit .\bb.) 108.
Z i e p r e c h t , Zwitterbildung b. Schmetter-
lingen. 250.
Aalköderung. 700.
Albinismus bei Bienen. 671.
AnaldrUsen. 831.
Artbegriff in der Zoologie. 623.
Delphin, Atmungsapparat. 4S0.
Farbe u. Zeichnung in der Tierwelt. 638.
Giftigkeit von Salamandra maculosa. 464.
Die Hausmilbe Glycyphagus domesticus
(mit Abb.) 783.
Kribbelmilbe. 751.
Leben u. Vertilgung d. Kleidermotte. 464.
Milben auf Hummeln. 670.
Netzhautströme. 743.
Neues aus der Veterinär-Medizin. 295.
Rotzunge und Seehecht. 592, 639.
Rudimentäre Organe bei Tieren. 480.
Schlupfwespe Thalessa (mit Abb.) 784.
Schwalbenflug vor dem Regen. 672.
Schwarzdrossel, aus ihrem Leben. (139.
Schwimmblase der Fische. 543.
Sehpurpur. 742.
Singcicade Cicada septendecim. 784.
Verein für Vogelschutz in Bayern. 303.
Wanderratten-Einwanderung. 70I.
Wie fangen die Libellen ihre Beute? (mit
.■\bb.) 511.
Zool. Sammlungs- und Konservierungs-
methoden. 496.
I Botanik und Agrikultur.
B a u r , Wesen und Erblichkeitsverhältnisse
der Varietates albomarginatae von Pe-
largpnium zonale. 520.
Brenner, Tamus communis, eine fremd-
artige Erscheinung unserer Flora (< )rig.
mit Orig.-Abb.) 180.
Burri u. Kürsteiner, Zur Kenntnis d.
Bedeutung des SauerstoftVntzuges f. d.
Entwickl. obligat anaerober Bakt. 54.
Buscalioni, Zur Morphologie der As-
parageen und die Pericaulomtheorie
(Orig.) 569.
Coieman, Untersuchungen über .Nitri-
fikation. 54.
iFischer, Hugo, Neues aus der Bak-
teriologie (S.-R.) 53.
Focke, Über örtlich getrenntes oder ge-
selliges Vorkommen verwandter Pflan-
zenformcn (Orig.) Sl
Fröschel, Über ein allgemeines reiz-
physiologisches Gesetz (Orig. m. Dia-
grammen) 417-
Fuhrmann, Entwicklungszyklen bei Bak-
terien. 55.
Garbo wski, [''xtrem verkürzt. Entwick-
lungsgang bei 2 Bakterienspezies. 55.
Geisenheyner, Onosma der Mainzer
I Sandflora Adventivpflanze f (Orig.) 93.
Hansteen, Verhalten der Mineralsloffe
in der Pflanze. 602.
Harms, Marienpflanzen (Orig.) 447.
— , Parthenogenesis bei Blutenpflanzen
(S.-R.) 223.
— , Vergrünter Wegerich-Blütcnstand(Orig.)
702.
— , Verkannte Fremde unter den Pflanzen
(Orig.) 48.
— , Zur Einführung der Kapuzinerkresse
(Orig.) 272.
Hoogenraad, Sind die Blattformen der
männlichen und weiblichen Bryonia-
dioeca-Pflanzen verschieden? (Orig. mit
Orig.-Abb.) 266.
Klausener, Die Blutseen der Hoch-
alpen (Orig.) 397.
K i 1 1 e r m a n n, Zur ersten Einführung ame-
rikan. Pflanzen im 16. Jahrh. (Orig.
mit Abb.) 193.
K o 1 k w i t z und M a r s s o n , Ökologie der
pflanzlichen Saprobien. 119.
Krause, Ernst H. L., Saison-Dimorphis-
mus und Amphichronismus (Orig.) 301.
Küster, Über die experimentelle Erfor-
schung des Zellenlebens (Orig.) 433.
I, indau. Über Naturbilder mit bcsond.
Berücksichtigung von Pilzaufnahmen
(Orig. mit Abb.) 465.
Lindinger, Jahresringe bei den Mono-
cotylen der Drachenbaumform (Orig.
mit Orig.-Abb.) 491.
Makoschi, Alkaloide der chin. Cory-
dalisknollen. 103.
— , Das Protopin der Japan. Corydalis-
knoUen. 103.
Marzell, Über Zauberpflanzen in alter
und neuer Zeit (Orig.) 161.
Molisch, Einfaches Verfahren, Pflanzen
zu treiben (Warmbad-Methode). 282.
- , Hochgradige Selbsterwärmung lebend.
Laubblätter. 555.
— , Ultramikroorganismen. 53.
Müller, Herm., Bakterienblasen oder
Bacteriocysten. 56.
Ortmann, Eisgebilde an Pflanzen (Orig.)
816.
Potonie, Pflanzen der Eiszeit. 767.
— , Piatanthera bifolia angustifolia und
Plantage media dcntata (Orig. m. Orig.-
Abb.) 544. .^
R oh d e , Eigenartiger Doppelbaum (Über-
pflanze) (Orig.) 175.
Ross s. Zoologie.
R o t h e , Das fasrige Execarp der Ceces-
nuß (Orig.) 457.
Schiff ner. Die Nutzpflanzen unter den
Flechten (Orig. mit Orig.-Abb.) 6v
Schulze, Flora der Grashochfl. Kame-
runs (Orig. mit Orig.-.'\bb.) 513.
Senn tag. Die duktilen Pflanzenfasern
1 (Orig. mit Orig.-Abb.) 342.
! S o r a u e r , Nicht parasitäre Pflanzcnkrank-
heilen: Lohkrankheit (mit Abb.) 312.
ISpilger, Anemone nemoro.'^a plioca-
lymma (Orig mit Orig.-Abb.) 288.
S t i g e 1 1, Fortbewegungsgeschwindigkeit u.
Bewegungskurven emiger Bakterien. 53.
Stoklasar und Em est. Chemische
Natur des Wurzclsekretes. 425.
Volkens, Botanische Zentralstelle in
Berlin für die Kolonien. 141.
Werth, Ist die Cocespalme ein natür-
licher Bestandteil tropischer Strand-
formatiencn? (Orig.) 735.
Advenlivsprosse auf Kohlblättern. 144.
Anagallis arvensis u. caerulea. 208.
Aufruf zur Schonung der Pflanzenwelt. 216.
AzoUa gegen cie tdückenplage. 496.
Bataten-Kultur. 474.
Blütenkalender. 32.
Bedeutung verschiedenfarbig blühender
Stöcke derselben Pflanzenarten. 640.
Crin d'.-\frique. 832.
Deppelfrüchte. 544.
Durchwachsene Rosen. 4S0.
Filzgallen auf Buchenblättern. 704.
Geschlechtsumkehr bei diöcischen Pflanzen.
672.
Hypothesen über die Entstehung der
Pflanzensubstanz. 361.
Kaki-Früchte. 176.
Kautschuk liefernde Kemposite aus Mexiko.
176.
Kerk. 704.
Die Kolanuß. 473.
Kulturpflanzen für unsere Kolonien. 473.
Nährlösung ven der Crones für Pflanzen. 368.
Marienpflanzen. 736.
Parthenogenesis bei Blütenpflanzen. 320.
Pflanzenwasserkulturen. 240.
Physiologie der Diatomeen, Zur. 503.
Phytolacea electrica. 336.
Rotfärbung der Hölzer. 16, 128.
Salicaceen-Phylogenie. 688.
Stachellose Opuntien. 320.
Sternschnuppengallerte. 160, 240.
Transport lebender Pflanzen. 560.
Variationsstatistik der Pflanzen. 400.
Register.
III
Weiden, ihre Gesclileclilsänderung. 703.
Zwergfonnen von Pflan/en, ihre Züchtung.
815.
Paläontologie.
Brauer, Die neuesten Forschungen über
die fossilen Saurier (mit z. T. Orig.-
Abb.) 88.
Gothan, Die sogenannten ,, echten Ver-
steinerungen" (Intuskrustate) d. Pflan-
zen und die Konkretionen (Inkrustate)
(Orig.) 257-
Hundt, Monograptus turriculatus aus
unterem Obersilur (Orig.) 413.
Jäkel, Zur Phylogenie auf Grund palä-
ontologischer Daten. 40S.
Kiernik, Chilodon hexastichus, ein para-
sitisches Infusorium. 412.
Koken, Paläontologie und Deszendenz-
Ichre. 411.
Potonie, Paläobotan. Stoßseufzer (Orig.)
684.
S t e i n m a n n , Geologische Grundlage der
.\bstammungslehre. 408.
Stoller, Technik des Torfschlämraens
(Orig.) 64.
Stremme, Über vorwellliche Saurier. 504.
E.Npedition zur Ausbeutung von Dino-
saurierresten. 123.
Ovibos moschatus, Verbreitung als Fossil.
480, 640.
Paläozoologie, Neues aus der. 407.
Geologie und Mineralogie.
Benndorf, Physikalische Beschatfenheit
des Erdinnern. 30g.
Biltz u. Marcus, Ammoniak und Nitrat
in den Kalisalzlagerstätlen. 758.
Boeke, Rinneit, ein neues Salzmineral.
250.
Endeil, Erosionstäler in den spanischen
Pyrenäen (Orig. mit Orig.-Abb.) 283.
Förster, Tertiäre Kalisalzlager im Ober-
elsaß. 268.
Frech, Gebirgsbau der Alpen. 533.
Fürstenberg, Die Polarregiouen im
Lichte geologischer und Uterarischer
Forschung (Orig.) 369.
Gilbert, Der Meteorkrater von Canyon
Diablo in Arizona u. seine Bedeutung
f. d. Entstehung d. Mondkrater (mit
Abb.) Soi.
Gogarten, Terrainbewegungen i. d.
Schweiz (Orig.) 538.
H a n s t e e n , Mineralstoffe in Pflanzen. 604.
Hoehne, Das sächsische Erzgebirge und
Granulitgcbirge (S.-R.) 373.
Johnsen, Entstehung von Wasserstoff-
gas in Kalisalzlagern. 757.
Johnsen, Verwachsung von Carnallit u.
Eisenglanz. 757.
Kalkowsky, Oolith u. Stromatolith in
norddeutsch. Buntsandstein. 759.
Königsberger, Temperaturgradienten
der Erde bei Annahme radioaktiver
und chemischer Prozesse. 309.
Linck, Über die Bildung der Kalksteine
(Orig. mit Orig.-Abb.) 689.
Linck, Über die Bildung der Oolithe
und Rogensteine. 758, 761.
Philippi, Problem der Schichtung und
Schichtbildung am Meeresboden. 634.
Potter, Zersetzung amorpher Kohle durch
Mikroorganismen. 812.
Reinke, Küstenbildung u. Küstenzerstö-
rung. 521.
Sieberg, Erdbeben im mediterranen Ge-
birgssystem zu Anfang 1909 (Orig. mit
Kärtchen.) 205.
Schoen, Die Methoden der geologischen
Zeitbestimmung (Orig.) "jog.
Tammann, Kristallisieren u. Schmelzen.
309-
T h o m s , Unterscheid, v. Bernstein u. Kopal
(Orig.) 768.
Vorländer, Kristallinisch-flüssige Sub-
stanzen. 586.
Wahnschaffe, Die Bildung der Salz-
lager. 505.
Wehner, Inneres der Erde und der
Planeten. 309.
Weinberg, Kristallisationsformen des
unterkühlten Wassers. 172.
Wiechert, Massenverteilung im Innern
der Erde. 312.
von Wolff, Vulkanische Kraft und die
radioaktiven Vorgänge in der Erde. 309.
Zimmermann, Ernst, Neuere Beob-
achtungen über vulkanische Gasexhala-
tionen (Orig. mit Abb.) 337.
Deutsche Mineralogische Gesellschaft.
124.
Erdbeben von Messina. 532.
Geologie, Neues aus der. 7S7-
Größte Binnenseetiefe und tiefstes Bohr-
loch. 269.
Kalisalzlager Deutschlands. 757.
Neulandbildung im Wasser, ihre Fälle. 816.
Schlacken -GeröUe am Nordseestrande.
496, 592.
Geographie und Geophysik.
Amundsen, Nordpolarreise. 530.
Arldt, Zar Simroth'schen Pendulations-
hypothese (Orig.) 747.
Baschin, Die Wellen des Meeres (Orig.)
122.
Baschin, Erreichung des Nordpols (Orig.)
625, 753-
Behrmann, Glaciale Urstrom-Täler im
Westen der Unterweser. 581.
Boenecke, Herstellung von Reliefkarten
(Orig.) 432.
Charcot, Antarktische Expedition. 530.
Cook u. Peary, Erreichung des Nord-
pols. 625.
Eckert, Entwicklung der deutschen See-
karle. 584.
Fischer, H., Erdkundlicher Schulunter-
richt. 580.
Friedrich, Geologischer Aufbau von
Lübeck. 581.
Gasser, Luftschiff karten. 585.
Grüner, Island (Orig.) 154.
Halb faß, Nachtrag z. sein. Aufs, über
Temperaturmess. in tief. Seen (Orig.)
480.
Hahn, Primitive Schiffahrt. 458.
Hammer, E., Das Invar und seine
wichtigste Verwendung in der Geodäsie
(Orig.) 353-
Heck er, Schwerkraftmessungen. 533.
Hecker, Bestimmung der Schwerkraft
auf dem Indischen und Großen Ozean.
170.
V o n H e d i n , Entdeckungen in Tibet. 382.
H e n n i g , E d w. , Am Tendagura (Orig.)
593-
Hundeshagen, Analyse einiger ost-
afrikanischer Wässer. 652.
Karutz, Mpangwe-Expedition. 578.
Krümmel, Neuere Theorien der Meeres-
strömungen. 582.
Lehmann, P. , Probleme der Morpho-
logie Rügens. 581.
Liebmann, Russische Polarfahrt der
Sarja (Orig. mit Karte.) 648.
Merzbacher, Tian - schan - Expedition.
53°-
Nölke, Simroth's physikalische Begrün-
dung der Pendulation (Orig.) 651.
Ohnesorge, Lage und Entstehung Lü-
becks. 580.
Oppel, Wirtschaftsgeographische Schul-
wandkarte. 585.
Passarge, Verwitterungs-Verhältnisse in
den Hochsteppen und in der S,ahara
von Algier. 581.
Penck, Morphologie der Wüste. 582.
Potonie, Eine naturwiss. Exkursion durch
Süd-Canada (Orig. mit Orig.-Abb.) 225.
Richthofen, Vorlesungen zur Siedlungs-
und Verkehrs-Geographie. 535.
Sander, Irrlichter (Orig.) 23.
S a p p e r , Reise im Bismarck-Archipel. 578.
Sapper, Über Neu-Mecklenburg. 531.
Schott, Über Meeresströmungen. t;83.
Schwarz, Mathematisch - astronomischer
Unterricht in Schulen. 579.
Shackleton's Südpolarreise. 529.
Simroth, Bemerkungen zur Pendula-
tionstheorie (Orig.) 763.
Stein, Reise zum Lob-nor etc. 531.
Tafel, Studienreise in Tibet. 579.
T i t z e n t h a 1 e r , Auf alter Straße durch
Mittel- und Süd-Italien. 571.
Toll, Polarfahrt. 648.
Woeikow, Aralsee. 531.
Antarktische Expedition. 529.
Anthropogeographie. 5S3.
Arabien. 530.
Bahnbauten in fernen Ländern. 534,
Deutsche Landeskunde. 5S0.
Feststellung des Nordpols. 6S7.
Forschungsreisen. =;78.
Deutscher Geographentag zu Lübeck. 218,
577-
Geographie, Neues aus der. 529.
Geographische Karten. 584.
Geographischer Unterricht. 579.
Geophysik, Niues aus der. 309.
Irrlichter. 191.
Literatur und Bibliotheken über Geographie.
584.
Meereskunde. 582.
Morphologie der Wüsten. 58 1.
Nautik, Zur. 583.
Salzige See, Der. 304.
Physik.
Adler, Die Einheit des physikal. Welt-
bildes (Orig.) 817.
Bauer, Erdmagnetismus. 618.
Cords, Über die Erfolge der neueren
stereoskopischen Verfahren (Orig. mit
Abb.) 737.
Czudnochowski, Ionisierung von Luft
durch glühende Körper. 378.
bischer und Braehmer, Bildung von
Ozon durch ultraviolettes Licht. 597.
Hagen, Herwig etc. über Röntgen-
strahlen. 600.
Halb faß, Beeinflussung der Reflex, u.
.■Xbsorpt. der Lichtstrahlen durch ge-
löste Substanzen (Orig.) 768.
Heß, Wein hold, Rebenstorff,
Thermoskop-Substanzen. 37S.
Landau, Versuch zur Abbc'schen Bilder-
erzeugungslehre. 597.
IV
Register.
Lehmann, Absolut höchste Temperatur.
172.
Lehmann, O., L'ber flüssige Krist.ille.
586.
Levin u. Kuer, Kadioalttives. 694.
Marc, Über den Molekularzustand der
kristallisierten Maleric (Orig.) 561.
Martens, Akustische Versuche. 377.
M i e t h e und Lehmann, Ende des ultra-
violetten Spektrums. 597.
P e c k , Unterwasser-Schallsignale. 250.
Pfund, Eigenschaften des Selens. 599.
Rentschier, Brechungsquotienten ver-
schiedener Gase (mit Diagramm). 171.
Roschansky, Funkenwiderstand. 173.
Saeland und .-\ndersen, Ursache der
Photechie. 170.
Saeland, Sogen Metallstrahlung. 261.
Schaff er, Verhalten des elektrischen
Funkens im magnetischen Felde. 172.
Schaefer, Großmann und Harten-
stein, Beugungserscheinungen elek-
tromagnetischer Wellen. 600.
Scheel u. Heuse, Sättigungsdruck des
Wasserdampfes unter o". 596.
Scheel u. Schmidt, Brechungsindex
des Heliums. 171.
Schmidt, W., Fallgeschwindigkeit von
Regentropfen. 444.
Strom an n, Magnetisches Verhallen des
glühenden Eisens. 378.
Töpler'sche Schalleitung. 377-
Traubenberg, Leitfähigkeit von Gasen.
173-
Weiß, B., Energie (Orig.) 609,673,729.
Wiesner, J., In Sachen der Licht-
messung (Orig.) 556.
Wood, Reflexion an Quecksilberdampf.
597-
Physik. Neues aus der. 169, 596.
Physikalischer Unterricht, Neues aus d. 377.
Radiologisches Institut. 23g.
Telephon. Zeitsignal. 655.
Mathematik.
Mathematik eine Erfahrungswissenschaft.
Astronomie.
Abbot und Fowle, Temperatur der
Sonne. 439.
Adams, Sonnenrolaliun. 438.
.\ maf l ouns k y , Sonnentheorie. 438.
Barnard, Herkules-Sternhaufen. 442.
Barnard , Komet Morehouse (m Abb.) 7t;.
Curtiss, Die Bahnelemente des Algol. 75.
Frost, Parkhurst u. a., Spektrum d.
Kometen Morehouse. 439.
Haie, .Xufnahme von Wasserstoffwolken
(sog. Flocculi) in der Sonnenatmo-
sphäre. 72.
— , Spektralaufnahmen vonSonnenHecken.
74-
Hartwig, Antalgolsterne. 440.
K a p t e y n , Lichtabsorplion im Wellraum.
441.
Krebs, Aschgraues Mondlicht. 439.
Küstner, Spektrographische Durch-
musterung des Himmels in bezug auf
radiale Geschwindigkeiten. 71;.
L e b e d e w , Dispersion im Wellraum. 441.
Ludendorff, Sterne des großen Baren.
440.
.Martus, Mondkraler. 74.
Merrill, Mfteorkratcr. 77.
Messerschmidl, Die Wiederkehr des
Halley'schen Kometen (Orig. m. Orig.-
Darst!) 58.
Müller und Kempf, Sternfarben und
-Helligkeiten. 441.
Pickering, Himmelspholographie. 75.
Ritchey, Spiegelteleskop. 442.
Scheiner, Ergebnisse der Himmels-
pholographie und über die Temperatur
der Sonne (Orig.) 25 1, 439.
Wolf, Komet Morehouse. 440.
Wolf, Nebelspektra 442.
Wood, Neue Auffassung der Sonnen-
corona. 72.
Astronomie, Neues aus der. 72, 438.
Halley'scher Komet. 656.
Himmelserscheinungen. 78, 143, 208, 270,
348, 444. 493. 556, 619, 720, 765, 831.
Kometenbahnen. 608.
Marsbeobachlungen. 65b.
Meteorologie.
Berson und andere, Schicliten in tler
Atmosphäre. 695.
H a 1 b f a ß , Temperaturmessungen in liefen
Seen in ihrer Beziehung zur Klima-
tologie (Orig.) 385.
Leß, Weltermonatsübersicht (Orig. mit
Diagramm) 62, I2<), 1S4, 269, 334,
39S, 477. 539, 683, 695, 74S, 812.
Schubert, Jahresmittel von Luftdruck,
Temperatur, abs. Feuchtigkeit u. W'ind-
geschw. 695.
Wulf, In der Atmosphäre vorhandene
Strahlung. 600.
Meteorologie, Aus der praktischen. 696.
Meteorologie, Neues aus der. 694.
Studium der oberen Luftschichten. 532.
Chemie.
-Abderhalden u. Funk, Schwefel-
bestimmung im Urin. 681.
Böse, Richtungsgeordnete Zustände in
anisotropen Flüssigkeiten. 169.
Brauner, Stellung d. Elemente der seit.
Erden im period. System. 263.
Bruni, Feste Lösungen und Isomorjihis-
mus (mit Abb.) 364.
Buchner u. Klatte, Zucker- u. Zymase-
bildung. 601.
Le Chatelier, Chem. Untersuchung
antiker Tonwaren. 209.
Dolezalek, Zur Theorie der binären
Gemische und konzentrierten Lösungen
(mit Diagramm) 263.
Engeland, Nachweis organischer Basen
im Harn. lot^.
Fischer, Chemie eines antiken Blei-
rohrs. 210.
Fränkel u. Allers, Charakteristische
Adrenalin-Reaktion. 680.
Funk, Wert der Methoden zur Bestimmung
des Harnzuckers. 105.
Geibel, Das Platin. 569.
Herzog, Inhallsstoffe der Rhizoma Impe-
ratoriae. 104.
Herzog u. Ha neu. Über das Pimpinellin.
103.
Jolles, Neue Gallensäure-Reaktion. 105.
Kaßncr, Chemie römischer (antiker)
Tinte. 210.
Köhler, Petroselinsäure. 681.
Liebermann, Quantitav. Bestimm, der
Phosphorsäure im Harne u. in Alkali-
phosphatlösungen. 680.
Loew u. Bokorny, Natur der Fermente
(Orig.) 601.
Matthes u. Heintz, Unverseifb. Be-
standteile d. Petersilienöles. 682.
Matthes, Serger u. Fresenius,
Künstl. kristall. Karlsbader Salz. 107.
Mecklenburg, Die experimentellen
Grundlagen der Atomtheorie I (Orig.)
709.
Mitscherlich u. König, Neuere Me-
thoden in der chemischen Bodenanalyse .
332.
Neu mann, Analyse einer Bronze. 210.
Pfy 1 u. Schei tz. Im Safran vorkommende
Stoffe. 102.
Pfyl u. Scheitz, Verfahren zur Wert-
bestimmung des Safrans. 102.
Pringsheim, Stickstoff assimilierendes
Clostridium. 55.
Remele, Chemisch wirkende elektrische
Strahlen. 262.
Richards, Bernoulli etc., Atomgc-
wichtstabelle für das Jahr 1909. 265.
R o h 1 a n d , Die Farbe des Schwefels und
das Farb-Problem des Ultramarins
(Orig.) ]09.
Rohland, Verhalten von suspendierten
Stoffen im Kristalloid- und Kolloid-
zustand (Orig.) 121.
Rosenthaler, Spaltung des Amygdalins
unter dem Einfluß von Emulsin. 101.
Rühle, Nachweis von Saponin. 359.
S o d d y , Rutherford und Dewar, Umwand-
lung von Elementen. 173.
Stark, Elektronen-Tlieorie und chemische
Valenz. 345.
St räche, Erklärung des period. Systems
m. Hilfe d. Elektronentheorie. 263.
Takeuchi, Können Phosphate Chlorose
erzeugen ? 603.
Tamman, Wirkung des Drucks auf die
Erzeugung chemischer Modifikationen.
587.
Thoms, Französ. Petersilienöl mit einem
neuen Phenoläther. I07.
Tschirch u. Gauchmann, Glycyrrhicin-
säure. 107.
Vie tingh o ff-Sch e el, Benzoesäuie als
Konservierungs-Mittel. 360.
Weigert, Die photochemische Zersetzung
von Ozon. 261.
Weiß, Bruno, Pyrophore Legierungen.
263.
Aceton als Stoffwechsel-Produkt bei Dia-
betes i. Harn. 6S7.
Allgemeine Chemie, Neues aus der (S.-R.)
261.
Darstell, org. Verb, aus anorg. Verb. 527.
Eisenrost. 16.
Gewinnung von Burserazin. 576.
Grieß'sches Reagens auf salpetrige Säure.
720.
Hydrocellulose. 736.
Nahrungsmittelchemie s. unter Medizin etc.
Oxyburserazin. 80.
Radiumgewinnung aus Kolm. 683.
Über pflanzliche und tierische Fermente. 601.
Wärmetönung einer Reaktion. 352.
Unterricht.
Heß, Experimentell hergestellte Isother-
men. 379.
Lüdtke, Über das Farbenthermoskop.
379-
Zacharias, Ferienkurse in Hydrobio-
logie und Planktonkunde (Orig.) 270.
Register.
Deutsche Gesellschaft für volkstümliche
Naturkunde. 121, 158,185,251,426,
457. 474-
Ferienkurs für wissenschaftliche Mikro-
skopie. 94, 637.
Medizin, Hygiene, Pharmacia,
Nahrungsmittel u. Verwandtes-
Ackermann, Auftreten der Raupe von
AglossapinquinalisimDarm (Orig.) 43.
Borchardt, Diabetische Lävulosorie.
104.
Dragendorff, Verpflegung der röm.
Soldaten in Deutschland. 211.
Eber, Tuberkelbazillengehalt in Milch
und Molkereiprodukten. 297.
Emmerich, Cholera als Vergiftung durch
salpetrige Säure. 746.
Fi ehe, Unterscheidung von Kunst- und
Naturhonig. 358,
Fis ch er und Alpers, Zusammensetzung
von Beerenfrüchlen, besonders Alka-
lität ihrer .Aschen. 357.
Fischer und Alpers, Nachweis tieri-
scher Fette in Gemischen mit anderen
tier. Fetten. 355.
Großer, Verhalten des Chinins im
Organismus. 104.
Grotjahn, Heilstättenbewegung im
Lichte der sozialen Bewegung. 613.
Hübner, Eierteigwarenfrage. 356.
Krasser, Alkoholfreie Weine. 359.
Loew, Physiologische Wirkung des
Dicyandiamits. 601.
Loew, Zur Physiologie der Akklimati-
sierung. 433.
Lührich und Bürger, Zur Kenntnis
des Pflaumenmuses. 357.
Matthes, Arbeiterlungen. 618.
Matth es und .Ackermann, Zusammen-
setzung eines Gichtknotens. 61S.
Matthes und Streitberger, Verzinnte
Gebrauchsgegenstände und verzinkte
Kochgeschirre. 519.
Matthes und Streitberger, Wach-
holdcrmus. 106.
Matthiesen, Milchfettbestimmung mit-
tels Fahrrades. 502.
Meisner, Ciaassen und Aisberg,
Militäruntauglichkeit. 613.
Oberhummer, Medizinische Geogra-
phie. 5S3.
O p p e 1 , Totale Regeneration des Leber-
zellennetzes. 381.
Rosenthaler, Katalysierende Emulsin-
bestandteile. 67g.
Rosenthaler und Meyer, Glycosit-
haltige E.xtrakte. 678.
Siegfeld, Ziegenbutterfett. 356.
Svehla, Asepsis und Bügeln. 78 1.
Wagner, Benno, Zusammensetzung der
Eselinmilch. 356.
Weevers, Physiolog. Bedeutung des
Koffeins. 603.
Zernik, Wichtigste Arzneimittel von
1908. 677.
Chemische Konservierung von Nahrungs-
mitteln, Neues über die. 45^.
Leiden und Heilung derTuberkulösen. 393.
Margarine und Butter, ihr chemischer
Unterschied. 704.
Nahrungsmittel-Chemie, Neues aus der. 355.
Fbarmacie, Neues aus der. loi, 677.
Technisches,
Instrumentenkunde.
B c r g w i t z , Durch elektrostatische Kräfte
betriebenes Relais. 173.
Besselmeyer, Ballonvariometer. 170.
Busch, Stereovista, Apparat für stereosk.
Projektion. 598.
Ives, Lippraann's Farbenphotographie.
172.
Kolkwitz, Entnahme- und Beobach-
tungsinstrumente f. biologische Wasser-
untersuchungen (mit Abb.) 177.
Lehmann, H., Praxis der Interferenz-
farbenphotographie. 598.
— , Projektionsschirme. 598.
Lindner, Demonstration in der Aus-
stellungshalle des Instituts f. Gärungs-
gewerbe. 427.
— , Wissenschaftliche Grundlagen der
Gärungsgewerbe. 427.
V. Reden, Spirale- Vakuummeter. 596.
Rupp und Loose, Alkalihochempfind-
licher, zur Titration mit Hundertstel-
normallösungen geeigneter Indikator.
!o8.
Seddig, Neues Bolometer. 599.
Simon, Field,Cuttri6 u. Redding,
Neue Telephonformen. 599.
Smith u. Urban, Kinemacolor. 598.
Stuhr, Flimmerphotometer. 171.
Vignon, Entgiftung d. Leuchtgases. 154.
Walter, Photographische Solarisation.
171.
Wiechert, Seismometer (m. Abb.) 29.
Drahtlose Telegraphie, ihre Anwendung.
599-
Internat. Kongreß für angew. Photo-
graphie. 143.
Intern. Photographentag. 143.
Knochen zu bleichen und zu reinigen. 496.
KonservierungsflUssigk. f. Tiere. 8 15.
Lichtbilder, ihre billige Herstellung. 240.
Reinigung alter Metallgegenstände. 608.
Rotationskompaß. 504.
Turm-Teleskop. 74-
Zusammensetzung d. ,, Wunderkerzen". 288.
Biographisches.
Detmer, Charles Darwin als Botaniker
(Orig.) 113.
Plat e,Darwinals Mensch u. Forscher. 457.
Potonie, Charles Darwin zu seinem
hundertsten Geburtstage (Orig.) 97.
Schmidt, Ma.^ C. P., Franz Junghuhn
(Orig.) 628.
Cesare Lorabroso f. 720.
Firma Wilhelm Lambrecht's 50jähriges
Jubiläum. 507.
Über Linne. 525, 752, 832.
Moritzi, ein Vorgänger Darwin's. 656,
736.
Neumayer f. 444, 536.
Simon Newcomb f. 574.
Literatur.
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dem Gebiete der speziellen Eiweiß-
chemie. 176.
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Strahlung. 159.
Abromeit s. Wünsche.
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Arnold, Chemie. 606.
Arrhenius, Theorien der Chemie. 655.
Artus, Chemie. 431.
Auerbach, Taschenbuch für Mathema-
tiker u. Physiker. 510.
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schaft. 508.
Avenarius, Kritik der reinen Erfahrung.
335-
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v. Bardeleben, Anatomie d. Menschen.
218.
van Bebber, Wettervorhersagen. 526.
Beifiner, Nadelholzkunde. 336.
Bender, Laboratoriumstechnik. 43 1.
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Bernthsen, Organische Chemie. 175.
Bersch, Moorkultur. 303.
Berteis, Denkmittel der Physik. 508.
Berta, Welthsrmonie. 508.
Biedenkapp, Philosoph. Satiren. 508.
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seines Lebens und seiner Arbeit. 189.
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Brenning, Innere Kolonisation. 540.
B r i c k , Telegraphen-Fernsprech-Technik.
219.
Brieger-W^asservogel, Plato und
Aristoteles. 556.
Brode, Physikalische Chemie. 218.
Brunne mann. Deutsch. Höhenschichten-
Karte. 159.
Buesgen, Der deutsche Wald. 219.
Camerer, Philosophie und Naturwissen-
schaft. 508.
Chun, Valdivia-Expedition. 285.
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das zwölfte Gebot. 189.
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zug aus seinen Tagebüchern. Bearb.
u. übersetzt von Hennig. 127.
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Forscher. 348.
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lager. 15.
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pflanzen. 219.
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wissenschaften u. Technik. 348.
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Dennert, Weltanschauung des modernen
Naturforschers. 557.
Dennert, Weltbild" u. Weltanschauung.
557- , . ,
Detmer, Kleines pflanzenphysiologisches
Praktikum. 191.
Diels, Ludwig, Die Orchideen. 220.
Diels, Ludwig, Pflanzengeograph. 218,
Dittrich, Chemisches Praktikum. 782
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suchung von Wasser u. Abwasser. 368
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VI
Regisler.
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Wälder. 541.
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Fragen. 523
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mittel. 540.
Freundlich, Kapillarchemie. 69S.
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Mittelschulen. 765.
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bildungswesen. 541.
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Geikie, Physikal. Geographie. 221.
G e i s t b e c k , Mathemat. u. physikal. Geo-
graphie. 63, 221.
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Glafey, Rohstoffe d. Te.'itilindustrie. 541.
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445-
Gorgen, Machines-outils. 400.
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Grein ach er, Die neueren Strahlen. 782.
Grimsehl, Physik. 670.
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Günther, Vom Urtier z. Menschen. 125.
GuiU au me, Initiation älaMecanique 638.
Gutzeit, Bakterien. 219.
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Ges. d. Naturf. u. Ärzte. 208.
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Haecker, Tiefseeradiolarien. 286.
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Hegi, 111. Flora V. Mitteleuropa. 813.
Heller, Süßwasser- Aquarium. 220.
Hemmelmayer, Prakt.-chem. Übungen.
782.
Hempeimann, Der Frosch. 478.
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159, 782.
Hennings, Säugetiere Deutschi. 446.
Her ding, Beleuchtung u. Heizung. 220.
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Heyer, Waldbau. 525.
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Mangold, Sinnesorgane. 445.
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May, Auf Darwinspuren. 525.
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Mortensen, Die Echinoiden. 669.
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logie. 221, 367.
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Perry, Angewandte Mechanik. 175.
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Pilger, System der Blütenpflanzen. 218.
Plate, Die Scaphopoden. 253.
Pöschl, Härte der festen Körper. 750.
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Hertz'sche Schwingungen. Telegraphie
ohne Draht. 144.
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als Beitrag z einer Methodenpolitik. 619.
Popofsky, Radiolarien. 253.
P o t o n i e, Arbeiten üb. Kaustobiolithe.672.
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Pütz, Vergleich. Erdbeschreibung. 221.
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Romsay, Aus der Chemie. 542.
Ratzel, Raum und Zeit in Geographie
und Geologie. 220.
Richarz, Maxwell'sche Theorie. 527.
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Reinhardt, Vom Nebelfleck zum Mcn-
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ihre Bekämpfung. 541.
Register.
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Saal, Photographie in den Tropen. 431.
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Sattler, Traction electrique. 431.
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Seh m eil u. Seh mit! t. s. unter , ,Samm-
^"ng"•
Schmidt, J u 1 i u s , Svntetisch organisciie
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setz. 524.
Schmitt, Zeugnis der Versteinerungen.
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Schnee, Unsere Kolonien. 219.
von Schnehen, Energetische Weltan-
schauung. 556.
Schneider, Karl Camillo, Des-
zendenztheorie. 523.
Schoetensack, Unterkiefer des Homo
Hcidelbergensis. 143.
Schröder, O., Unbekannte treibende
Eier und Cysten. 253.
.Schröder, O., Slicholonche zanclea und
Wagnerelia borealis. 2^3.
Schumburg, Geschlechtskrankheiten.
445-
Schuster, Einfluß des Mondes auf unsere
Atmosphäre. 239.
Schwaiger. Regulierproblem in der
Elektrotechnik. 303.
Schwant es. Aus Deutschlands Urge-
schichte. 220.
Schwarze, Herbert Spencer. 445, 556.
Schwendener, Mechanische Probleme
der Botanik. 349.
Schwering, Kleinste Quadrate. 655.
Seber, Blutforschung und Abstammungs-
lehre. 591.
Sieberg, Der Erdball. 765.
Sigmund, Minerale N'iederösterreichs. 63.
Sinclair, Utilitarismus bei Sedgwick und
Spencer. 556.
Speiser, Ektoparasiten des Fregattvogels,
Milben der Antarktis. 667.
Strache, Einheit der Materie. 462.
Strand, Spinnentiere von Südafrika und
einigen Inseln. 667.
zur Strassen, Die neuere Tierpsycho-
logie. 3t.
Strauti, Nalurgeschichts - Skizzenbuch.
383-
Strecker, Kausalitätsprinzip derBiologie.
508.
Tanner y, Elemente der Mathematik.
495-
Taschenberg, Giftige Tiere. 271.
Tesar, Die Mechanik. 736.
Thiele, Arktische und subantarktische
Chitonen. 253.
Thieme, Geometrie. 495.
Thomson, Corpuskular - Theorie der
Materie. 350.
Thonner, Blütenpflanzen Afrikas. 430.
U 1 m e r , Trichoptera. 460.
Unger, Wie ein Buch entsteht. 445.
Unold, Organische und soziale Lebens-
gesetze. 508.
Vanh offen, Lucernariden u. Scyphome-
dusen. 253.
Vater, Dampf u. Dampfmaschine. 540.
V e r w o r n , Allgemeine Physiologie. 27 1 .
Vichmeyer, Bilder aus dem .\meisen-
leben. 541.
\' o r 1 ä n d e r , Geschichte der Philosopliie.
478.
Wagner, Percy, .\., Diamantführende
Gesteine Süd- Afrikas. 813.
Wah nsc h a f f e , Oherflächengestallung
des norddeutschen Flachlandes. 303.
W a 1 1 h e r , Geometrie. 399.
Wanderer, Tierversteinerungen aus der
Kreide .Sachsens. 462.
Wassermann, Kampf um das Ent-
wicklungsproblem in Berlin. 525.
Brunner v. Watten wyl, Die Insekten-
familie der Phasmiden. 78.
Weber, Technik des Tafelzeichnens. 814.
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die Kristalloptik. 127.
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nach Sage u. Wiss. 218.
Weiß, Berthold, Entwicklung. 508.
Weiß mann, Darwin. ^24.
Westermarck, Moralbegriffe. 429.
Wiener, Reflexionsbeobachtungen an
Metallen. 384.
Winkelmann, Akustik. 462.
Wirth, Experimentelle .-\nalyse der Be-
wußlseinsphänomene. 306.
Wü nsc h c- Abromeit, Pflanzen Deutsch-
lands. 494.
Ziegler, Zoologisches Wörterbuch. 446.
Ziegler u. Woltereck, Monographien
einheimischer Tiere. 478.
Zimmer, Die Bumaceen der deutschen
Tiefsee-Expedition. 285.
Zimmermann, Otto, Ohne Grenzen
und Enden. 508.
Zschimmer, Untersuchung über Raum,
Zeit und Begriffe vom Standpunkte des
Positivismus. 14.
Zschimmer, Glasindustrie in Jena. 022.
Aunuaire pour Fan 1910. 83 1.
Aquarien. 222, 701.
Archiv für die Geschichte der Naturwissen-
schaften und der Technik. 94.
Darwin, seine Bedeutung. 524.
Darwinistische Vorträge und Abh. 52^.
Deutsche Südpolarexpedition. 667.
Farbenanpassung d. Schmetterlingspuppen.
640.
Flechtenliteratur. 560.
Floren-Lit. der ital. Kolonie Erythräa. 768.
Floren der Schweiz. 704.
Fries'schen Schule, Abhandl. der. 574.
Herbarium. 399.
Histolog. Lehrbücher. 688.
Ideale und Probleme der Weltanschauung.
556.
Kiemenfüßer-Lit. 831.
Klassiker der Naturwissenschaften. 556.
Kulturpflanzen der Weltwirtschaft. 95.
Lagerstätten Deutschlands, Karte der nutz-
baren. 430.
Linne-Lit. 832.
Lit. zur Abstammungslehre. 304.
Lit. über Autotomie und Regeneration. 639.
Lit. über Biocönosen. 512.
Lit. über Blütenbiologie. 224.
Lit. über Blütenkalender. 32.
Lit. üb. elektrische Konvektionsströme. 384.
Lit. über die Flora der Schweiz. 544'
Lit. zur Forstzoologie. 688.
Lit. üb. Fremd- u. Selbstbestäubung. 576.
Lit. über Gartenbau. 144.
Lit., geologische , für Anfänger und geo-
logische Vereine. 16.
Lit. über Geologie der Eifel. 224. |
Lit. über geol. Karten von Tirol. 512.
Lit. über die Honigbiene. 639.
Lit. über llymenopleren-.\natomic etc. (140.
Lit. über Marienpflanzen. 447.
Lit. über Pflanzenbiologie. 32.
Lit. über physikalische Technik. 330.
Lit. üb. pontische Pflanzengenossenschatten
in Nord-Böhmen. 560.
Lit. über die Struktur der Metalle. 432.
Lit. betr. Urzeugung. 368.
Lit. zur Tiergeographie. 688.
Lycoperdon-Lit. 736.
Meteorologische Zeitschriften. 224.
Milben-Lit. 832, 751 (s. Zool.)
Mollusken-Lit. 815.
Moos-Lit. 752, 816.
Natur, Die. 220.
Natur und Geisteswelt 218, 445, 540,
541, 556-
Natur- und kulturphilosophische Bibliothek.
220.
Naturwiss. Bibliothek f Jugend u. Volk. 219.
Naturwissenschaftliche Wegweiser. 541.
Pilze, Lit. zu ihrer Präparalion und Be-
stimmung. 816.
Sammlung Göschen. 218, 446.
Sammlung naturwissenschaftlich -pädago-
gischer .Abhandlungen. 32.
Schäften und Schauen. 749.
Südpolar-Exped., Deutsche, 1901 — 1903.
253-
Süßwasserkrabbe-Lit. S32.
Tiere, wilde, i. d. Gefangensch. 700.
Schulgesundheitspflege, Verhandl. d. All-
gemein. Deutsch. Vcr. 494.
\'ogelflug, über seine Höhe. 700.
Wissenschaft, Die. 220.
Wissenschaft und Bildung. 2:9, 445, 54I.
Zeitschrift für Botanik. 143.
Zoologische-Lit. 6S8.
Abbildungen.
Aalmolch. 34.
Abendpfauenaugen (Orig.) 724.
Aggregata. 248, 249.
Aglossa pinquinalis l,Orig.) 44.
Aleuria aurantia. 472.
.\mphio.xus, Larve und Embryo. 109.
Anieisen und ihre Nachahmer. 217.
Amphiuma means. 34.
Anemone nemorosa pliocalymma (Orig.)
288.
Anergates atratulus (Orig.) 402.
Anguis- und Scincus-Schuppe. 119.
App. z. Demonstr. der Umwandlung v.
Arbeit in Wärme. 643.
Aragonitkristalle (Orig.) 691, 692.
Arcella vulgaris, Fortpflanzungsvorgänge.
236/237.
Armillaria mellea. 465.
Asterias forreri. 488/490.
Ausziehstock f. Wasseruntersuchungen. 178.
Becher für Wasseruntersuchungen. 178.
Bienengehirne. 632.
Blattschneider-Ameisen (Orig.) 823.
Blattschneider- Ameisen-Nester (Orig.) 824.
Blinkmikroskop. 738.
Branchiosaurus-Bauchpanzer. 35.
Bryonia dioica- Blätter von männlichen
und weiblichen Pflanzen (Orig.) 266.
Camponotus. 217.
Cecropia mexicana (Orig.) 828.
Clitocybe flaccida. 466.
Clitocybe fragrano. 466.
Cirque de Gavarnie (Orig.) 284.
Coelographis antarctica. 287.
VIII
Register.
Coprinus comatus. 467.
Diagraramc zur Aufzeichnung:; d. (ifwichts-
vcränderungen 1>. Bienenvölkern (Orig.l
300/301.
Diagramm der Brechungsexponenten der
wichtigsten Gase für verschiedene
Wellenlängen. 17].
Diagramme zur Wetter -Monatsübersicht
(Orig.) 62, 124, 184, 270, 334/335,
398, 477/47«, 540, 606, 683, 749,
Sj2, 813.
Digitalis purpurea (alte Abb.) 197.
Diplodocus. 92, 797.
Dretsche. 178.
Echiniscoides-Larve (Orig.') 331.
Echiniscoidcs Sigismundi (Orig.) 330.
Ehrensaal des Deu'.schcn Museums. 647.
Eichenblätter, von .Ameisen zerschnitten
(Orig.) 824.
Regenerierte Eidechsenschwänze. 607/60S.
Eisberg von der Belle-lsle-Straße (Orig.)
225.
Erbsenstein (Orig.) 692.
Enrycorypha. 216.
Kärtchen des Erdbebens von Norditalien,
Januar 1909 (Orig.) 206.
Exkursionsmikroskop. 178.
Kernie, eine abgebrannte .Stadt Canadas
(Orig.) 226.
Feuersteinwerkzeuge von Le Moustier
(Orig.) 328.
Flechten, nutzbare (Orig.) 67, 69.
Forellenauge, Horizontalschnitt, mit Linsen-
regeneration. 13.
Forellenauge, Frontalschnitt mit voll-
ständig regenerierter Linse. 14.
Formiconius. 217.
Formica sanguinea (Orig.) 401.
Frostkrebs an der Kiefer. 31=;.
Garten, sein Anfangsstadium im fernen
Westen (Orig.) 230.
Gasausbruch am Stromboli. 340.
Gcschlechtsapparate von Lymantria dispar
(Orig.) 546/552.
Glycyphagus domesticus. 767.
Grashochland Kameruns (Orig.) ^ 16/5 17.
Grotte von Le Moustier (Orig.) 324.
Halechiniscus-Bein (Orig.) 332.
Halcchiniscus Guiteli (Orig.) 331.
Halley'scher Komet, seine Bahn (Orig.) 60.
Hausmilbe. 783.
Heideboden-Kiefer. 315.
Holzdrift in Canada (Orig.) 246.
Ichthyosauren (Orig.) 89, 90.
Karten mit Isogonen, -klincn u. -dynamen
(Orig.) 484.
Ithyphalius impudicus. 471.
Jasminium officinale falte Abb.) 197.
Jüttner „Böcklins .Atelier" zum Artikel
Baerwald : Selbsttätigkeit u. Icliliebc.
305-
Kalkgestcine u. Kristalle (Orig.) 690/693.
Kalkspatkristalle (Orig.) 690.
Karte der russ. Polarfahrt der Sarja. 649.
Karte des nördl. Arizona. 801.
„Kohlrabi-Häufchen" aus dem Pilzgarten
der Blattschneiderameisen (Orig.) ^825.
Komet Morehouse. 73.
Kribbelmilbe (Laelaps marg.) 751/752.
Küche in einem Camp (Orig.) 2_'9.
Landschaft während eines vulkanischen
Aschenfalls. 340.
Libelle. 5JI.
Libellenlarve. 511.
Lichenes, nutzbare (Orig.) 67, 69.
Lichttelegraphie im 17. Jahrhundert. 616.
Lohkranke Wurzel, Anatomisches. 313.
Lohkranker Zweig. 313, 314.
Luftpumpe mit Motor. 642.
Lymantria dispar (Orig.) 545.
Mangoblätter, ganz und von Ameisen zer-
schnitten (Orig.) 823.
Menschenschädcl von Le Moustier in situ
(Orig.) 325/327-
Menschenschädclteile von Le Moustier
(Orig.) 325/328.
Meerweibchen. 140/141.
Meteorkrater in Arizona. 802/806.
Mirperus. 217.
Monocütylen der Drachenbaumform , ihre
Stamm-Anatomie (Orig.) 493.
Monograptus turriculatus (Orig.) 414.
Morley, ein Ort in Canada (Orig.) 226.
Le Moustier (Orig.) 324.
Muschelkalk (Orig.) 693.
Myrmecophana. 215/217.
Myrmica. 217.
Mystriosaurus (Orig.) 91.
Nereis. 61.
Nicotiana tabacum, alte Abb. 19:;.
Numulitenkalk (Orig.) 693.
Ohm's Elektrisiermaschine und Flaschen-
batterie. 643.
Pfahlkratzer. 178.
Pflanzenfasern, duktile (Orig.) 345.
Phyllocrania. 21 7
Plalanthcra bifolia (Orig.). 544.
Planktonkammer. 178.
Plantago media (Orig.) 544.
Plesiosaurus (Orig.) 89.
Polydesmus-Nest (Orig.) 28.
Polydesmus- Vulva u. -Fuß (Orig.) 26/27.
Polyergus rufesccns (Orig.) 401.
Polyporus versicolor. 409.
Posidonienschiefei'bruch (Lias f) in Holz-
maden (Orig.) 88.
Prärie in Canada (Orig.) 243.
Profil durch einen Mondkrater. 809.
Protil durch einen Schichtvulkan.'* 809.
Ricnodon copei, ein Stegocephale. 40.
Rogenstein (Orig.) 693.
Salamander, Arterienbogen der. 35.
Salticus. 217.
Sarracenia purpurea (Orig.) ^242/243.
Schädel von La Tigra (Orig.) 658.
Schema zum Artikel feste Lösg. u. Iso-
morphismus (Orig.) 364.
Schemat. Darstell, d. Entsteh, d. wichtigst.
Körper aus d. Rohstoffen. 645.
Schlafkrankheit, Kärtchen^von Afrika mit
Verbreitung der (Orig.) 148. j,
Schlafzclt in einem'^ Camp in Canada
(Orig.) 228.
Schlupfwespe Thalessa. 7S4.
Schomburgkia (Orig.) 827.
Seenprofile (Orig.) 388.
Seismometer-Pendel. 29.
Seismomcter und Seismograph. 30.
Singcikadenlarve. 784.
,, Speisesaal" in einem Camp [in Canada
(Orig.) 229.
Stereometrische Vermessung. 740.
Strongylognathus testaceus (Orig.) 401.
Tabak, alte Abb. 195.
Tamus (Orig.) 181/183.
Tamus-KnoUen (Orig.) 181/183.
Tamus-Samen und -Keimlinge (z. T. Orig.)
182.
Teleosaurus (Orig.) 91.
Telephon von Reis. 644.
Temperatur und Niederschlags-Diagramme
s. unter Diagr. Wetter-Monatsübersicht.
Tillandsia bulbosa (Orig.) 829.']
Tradescantia virginica, alte Abb. 197.
Terebratulakalk (Orig.) 693.
Tsetse-Fliege , Kärtchen von Afrika mit
Verbreitung der (Orig.) 148.
Typhlomolge rathbuni. 34.
Urwaldbilder aus Canada (Orig.) 241.
Valee d'Anisclo (Orig.) 283.
Vallee d'Arazas (Orig.) 283/284.
Wälder, abgebrannte in Canada (Orig.)
232/233-
Wasserharnisch aus dem 17. Jahrhundert.
617-
W'hceleriella Santschii (Orig.) 401.
Wirbeltierkopf, Schema seines ursprüng-
lichen Baues. 109.
Zelle, schematisch, zur Veranschaulichung
ihres Stoffwechsels. 247.
Zu Pferde durch den Kananaskis - Fluß
(Orig.) 228.
-*:-*I-<r>»:^- r*
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nene l-\.l};e Vlll. I'.aii,! ;
iler 5;:in/eii Reihe XXIV l'iaiul.
Sonntag, den 3. Januar igog.
Nummer 1.
„Die Ernährung der Wassertiere" und „der Stoffhaushalt des Meeres".
Zwei Referate über Prof. A. Pütter's gleichnamige Arbeiten (Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. VII, 1907, p. 283 — 368)
(Nachdruck vcrboten.l ^'OQ TJr. Friedrich von Möller, Schloß Sommerpahlen, Livland.
„Die Ernährung der VVassertiere" und „der
Stofthaushalt des Meeres" — unter dieser Bezeich-
nung hat Prof. Pütter in Göttingen im siebenten
Bande der Zeitschrift für allgemeine Physiologie
(1907, p. 283 — 368) zwei Arbeiten veröffentlicht,
die für die Planktonforschung und überhaupt für
die Biologie der Lebewesen des Meeres vom
größten Interesse sind. Sie begründen eine
meines Wissens gänzlich neue Ansicht über
die Nahrungsquellcn der Tiere und Pflanzen
des „Plankton", und wahrscheinlich auch aller
übrigen Meerestiere mit Ausnahme der P"isch-
säugetiere, Fische und Cephalopoden (Tintenfische
und Kraken). Da ich glaube, daß die Biologie
des Meeres durch diese beiden Arbeiten Prof.
Pütter's um einen großen Schritt vorwärtsgebracht
worden ist , und überzeugt bin , daß weiteres
Forschen in dieser Richtung auch der Süßwasser-
biologie von größtem Nutzen sein wird, so habe
ich es versucht über Prof. Pütter's Aufsätze aus-
führlich zu berichten, denn in diesem Falle er-
scheint mir die Kenntnis der Methoden des Ver-
fassers fast so bemerkenswert wie die seiner
Resultate. Es wird auffallen, daß ich mich so oft
der eigenen Worte des Verfassers bedient habe
— mir schienen aber die betreffenden Stellen zu
wichtig, um sie zu kürzen, auch hätte die ange-
strebte Klarheit der Darstellung darunter gelitten.
Das Referat wird hoffentlich viele zum .Studium
der Originalarbeit anregen.
I. Die Ernährung der Wassertiere.
I. Der Kohlenstoffgehalt des Seewassers.
F"ür das Meer nimmt man die ernährungsphysio-
logische Abhängigkeit der Tiere von den Pflanzen
und zwar hauptsächlich den .\lgen an, diese
„sollen in ihrer Körpersubstanz die gesamte Menge
der organischen Stofife bilden, die den Tieren des
Mikroplanktons, besonders den Copepoden als
Nahrung dient, welche dann ihrerseits die Nahrung
der Fische usw. abgeben. Man muß sich völlig
darüber klar werden, daß diese Annahme z. Z.
lediglich eine Hypothese ist, denn es liegen keine
Versuche vor, den Nahrungsbedarf der niederen
Tiere und die Größe der Produktion organischer
Substanz durch die Algen in der Zeiteinheit
experimentell zu ermitteln".
Die vorhandenen ausgedehnten Planktonstudien
zeigen nur den Zustand in bestimmten Zeit-
momenten an, aber weder die Zeit, welche nötig
war, um diesen Organismenbestand zu erneuern
(Baustoft'wechsel) noch die Stofl'menge, die in der
Zeiteinheit nötig war, um ihn zu ernähren und
damit zu erhalten (Belriebsstoffwechsel). — Bisher
hielt man die Organismenleiber für die einzige
Ouelle der Nahrung der Meerestiere — der Autor
will aber nachweisen, daß das Meer in beträcht-
licher Menge Nährstoffe in Lösung hält, welche,
im Gegensatz zu der bisher vertretenen Anschau-
ung, den größten Teil der Nahrung der Meeres-
tiere (ausgenommen P'ische und wahrscheinlich
auch Cephalopoden) ausmachen.
Durch Anwendung von Messinger's Me-
thode der C-Bestimmung auf nassem Wege,') die
generell alle komplexen C- Verbindungen als CO'-
der Bestimmung zugänglich macht, und die sich
auf Seewasser ohne jede Vorbehandlung anwenden
läßt, wies Verf. nach, daß ein Liter Seewasser
aus dem Golf von Neapel, an solchen Stellen ent-
nommen, wo Verunreinigungen der Stadt schon
unwirksam sind, 92 mg Gesamtkohlenstoff enthält.
Davon sind 27 mg (kaum 30 "/g) in Form von
CO'- nachgewiesen, so daß 65 mg (70 '7o) kom-
plexer C -Verbindung im Liter, oder 65 g
im Kubikmeter im Seewasser in Lösung sind.
(Die Lösung hat also 0,0065 "l^. D. Ref.)
Die chemische Natur dieser komplexen C- Ver-
bindungen wurde nur insoweit aufgeklärt, als ge-
zeigt werden konnte, daß die flüchtigen Säuren
etwa 23 mg von diesen 65 mg C enthalten, also
enthalten die flüchtigen Säuren im Seewasser fast
ebensoviel C wie die Kohlensäure. Natterer ge-
lang der Nachweis von höheren Fettsäuren
(Palmitinsäure, Stearinsäure), und aus Proben, die
dicht über dem Meeresboden entnommen waren,
konnten Kohlenwasserstoffe schon durch den
petroleumartigen Geruch des Wassers nachge-
wiesen werden. Auch Glyzerin glaubte Natterer
identifizieren zu können. Pütter vermutet auch
noch die Möglichkeit des \"orkommens von
Huminsubstanzen.
Es ergibt sich als Sauerstoffkapazität der kom-
plexen C-Verbindungen eines Liters Meerwasser
180 mg O'-, während aus 12 Proben ein Sauer-
stoffgehalt von durchschnittlich nur 7,6 mg im
Liter hervorgeht (0,00076%), also ca. V-ii des
Sauerstoffes, der nötig wäre, um allen C zu CO'-,
') Eine Publikation über die Art der .\nwendung der
Methode und ihre Fehlergrenzen will der Verfasser in den
Publikationen d. Kgl. Ges.. der V/issensch. in (löttingen er-
s-heinrn lassf-n.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII Nr. I
allen II zu H'-'O zu oxydieren. Das Meer ist also
relativ sehr sauerstoffarm, dafür sehr kohlen-
stoffreich.
2. Der K ohlenstoffgehal t der Plankton-
organisme n.
Um nun den C-Gehalt der Planktonorganismen
festzustellen, verwendet Verf. die Angaben Loh-
mann's über das Plankton von Syrakus: Es ent-
hielten looo 1 filtriertes Seewasser 53,63 cbmm
an sog. „dichtem Volumen", d. h. bei einem spez.
Gew. von 1,030 — 55,60 mg. Nach Brandt ent-
halten 66 ccm gut abgesetzte Planktonfänge 0,57 g
Trockensubstanz. Die „dichten" Volumina
sind ca. 25 mal kleiner, so daß wir rechnen
müssen: = 2,64 ccm dichtes Volumen, das sind
25
2,64 1,030 = 2,7192 g Lebendgewicht —
geben 0,57 g Trockensubstanz, was 20,9 "/^ ent-
spricht.') Der Kohlenstoffgehalt der Trocken-
substanz beträgt im Mittel aus 10 Analysen, nach
Brandt 33,39",,, so daß die Menge Kohlenstoff,
die, nach Lohmann's Untersuchungen bei Syrakus,
in P'orm von Organismen in 1000 1 enthalten ist,
sich folgendermaßen verteilt:
Protophyten: 1,22 mg
Protozoen : 0,08 ,,
Metazoen : 2,48 „
Bakterien : 0,06 „
Zusammen : 3,84 mg
Der Stickstoftgehalt beträgt im Mittel
also \|(| der Kohlenstoffmenge, so daß in
Meerwasser 0,39 mg Stickstoff in Organismen ge-
bunden sind. Da im Eiweiß 3,3 mal soviel C
als N enthalten ist, so stammen von dem Ge-
samtkohlenstoff der Organismen 1,29 mg aus
Pliweiß (3,3 • 0,39= 1,29), folglich 3,84 — 1,29
= 2,55 mg aus Kohlehydraten und P'etten.
Ein Liter Seewasser enthält also
in Organismen
1. in Form von
Eiweiß 0,00 1 29 mg C
2. in Form von
Kohlehydra-
ten u. Fetten 0,00255 „ ,
C im ganzen
3.4'',,,
1000 1
0,00384 mg C
0,00039 „ N
dagegen in Lösung
aller C
davon CO'-
92 mg
27,,
also an komplexen
C-Verbindungen
65 mg
Stickstoff'-') 0,74 „
Also 17000 mal soviel komplexe C-Verbin-
dungen sind in Lösung wie in Organismen (und
1900 mal soviel ist N in Lösung wie in Organismen.
D. Ref.)
„Durch diese Gegenüberstellung wird schon
'1 \'erf. gibt an = 2,()3 : und 2,"q anstatt 2,7192 g
Lebendgewicht, daraus 20,7 "/q. D. Ref.
") Der Slofflianshalt des Meeres, vom gleichen Verfasser.
Ebenda S. 329.
ein gerechter Zweifel gegen die Annahme be-
gründet, daß die Organismen selbst, in letzter
Linie also die Algen, die einzige Quelle der
Nahrung für die Wassertiere seien, aber der Nach-
weis, daß die gelösten Stoft'e eine weit ausgiebigere
Quelle der Nahrung für eine große Menge von
Tieren sind, als jene, die in Organismen gebunden
sind, läßt sich nur erbringen, sobald man quan-
titative Daten über den Nahrungsbedarf der
Tiere hat."
3. Der Na h r u n gs b e d a r f der Tiere.
,,Eine exakte Kenntnis des Bedarfs an aus-
nutzbaren Nährstoffen in der Zeiteinheit ist nur
durch vollständige Stoffwechselversuche zu er-
langen, und solche liegen zurzeit nur für zwei
Tiere vor, für Suberites domuncula und Cucu-
maria grubei." (Suberites ist ein Schwamm,
Cucumaria — eine Holothurie. D. Ref.)
Bei Suberites beträgt der Kohlenstoffumsatz
eines mittelgroßen Exemplares von ca. 6o g
Lebendgewicht in einer Stunde 0,92 mg. Ein
Liter Wasser enthält in Form von Organismen
0,00384 mg C. Suberites müßte also in einer
Stunde — „ = 239 1, d. h. annähernd das
0,00384 ^^
40000 fache seines Volumens vollkommen durch-
fischen, um den Bedarf seines Betriebsstoftwechsels
zu decken, und zwar unter der nicht sehr wahr-
scheinlichen Voraussetzung, daß er den C der er-
beuteten Organismen restlos auszunutzen im-
stande sei. Verf. meint, in Wirklichkeit könne
der Schwamm höchstens das Fünffache des
eigenen Volumens, also 300 ccm in einer Stunde
durch sein Kanalsystem pumpen, wobei der
schwache und langsame Wasserstrom größere
Organismen, etwa Copepoden, mitzureißen gar
nicht imstande sei, so daß das durchgepumpte
Wasser wesentlich nur Diatomeen, Protozoen und
Bakterien enthalte, mit 35 "/o des C der Plankton-
organismen, so daß der Wasserstrom dem Schwamm
2300 mal weniger (ca. 0,05 %) Kohlenstoff') in ge-
formter Nahrung zuführen würde, wie er in der
Zeiteinheit verbraucht.
,, Nehmen wir dagegen an, daß die komplexen
Verbindungen, die im Seewasser gelöst sind, die
Nahrung des Schwammes darstellen, so erhalten
bereits 14,2 ccm (m. G. schon 13,3 ccm. D. Ref.) die
für eine Stunde notwendigen 0,92 mg Kohlenstoff.
Wenn auch viele dieser Kohlenstoffverbindungen
für Suberites nicht ausnutzbar sein sollten, so ent-
halten doch schon die 300 ccm bereits 19,5 mg C,
also 21 mal soviel wie der Schwamm braucht, er
würde also auskommen, wenn er auch kaum 5 %
der gebotenen C-Verbindung ausnutzen könnte.
Außerdem sind die Bedingungen für Aufnahme
gelöster Nährstoffe weit günstiger als solche für
den Fang geformter Nahrung. Ohne Bewegungen
zu machen und Wasserströme zu erzeugen, kann
') M. E. 1965 mal weniger = ca. 0,05 "/„. I). Ref.
N. F. VIII Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
3
ein Tier an geformter Nahrung nur das erhalten,
was seine Oberfläche zufällig berijhrt, und das
wäre sehr wenig, denn trotz der Menge der
Planktonorganismen wären in i ccm kaum zwei
Diatomeen zu finden. Für die Aufnahme gelöster
Nahrung liegen die Bedingungen viel günstiger —
ständig mit der Oberfläche der Organismen in
Berührung, herandift'undierend wenn resorbiert,
fließt sie als ununterbrochener Stoffstrom dem
Tiere zu. — Es nähren sich also wohl auch alle
übrigen Schwämme von gelöster Nahrung ohne
nennenswerten Anteil der geformten, „für Sube-
rites domuncula ist jedenfalls der Nachweis er-
bracht, daß auch unter den günstigsten Annahmen
die geformte Nahrung, die ihm zugänglich ist,
weniger als 0,05",, des gesamten Nahrungs-
bedarfes zu decken imstande ist." ,,P'ür Cucu-
maria grubei beträgt bei einem frisch gefangenen
Tiere von ca. 14 g Lebendgewicht der Kohlen-
stoffbedarf pro Stunde etwa 0,40 mg. Diese
Menge C ist enthalten in den Planktonorganismen
von 100 1, dagegen in Lösung in 6,2 ccm." —
Cucumaria fängt freilich lebende Organismen auf
seinen Tentakelbäumchen, auch nimmt sie Sand,
der ja nicht ohne organischen Detritus sein wird,
in den Darm auf, doch ergab auch hier der Stoff-
wechselversuch eine starke Beteiligung gelöster
Nährstoffe.
Vernon's Untersuchungen haben für viele
niedere Tiere den Sauerstoffverbrauch genügend
genau festgestellt. Oxydationen machen aber nur
einen Teil des gesamten Stoffwechsels aus, auch
sind sie vielfach unvollständig. Wenn wir also
ansetzen :
.■\ller O, der verbraucht wurde, hat bestimmte
Verbindungen vollständig oxydiert, andere Prozesse
außer dieser Oxydation sind im Stoffwechsel
nicht abgelaufen, so haben wir den Stoffbedarf
jedenfalls nicht zu hoch, sondern vielmehr zu
niedrig angeschlagen.
Eine Reihe von Erfahrungen lehrt, daß die
umgesetzten Stoffe hauptsächlich Kohlehydrate
sind. Ihre Sauerstoffkapazität ist 1,23, d. h.
A-Gramm Sauerstoff sind imstande ' s Zucker
1,23 ^
zu verbrennen, der Zucker hat 40% Kohlenstoff.
Berechnet man aus dem Sauerstoffbedarf pro
Tier und Stunde die minimale Menge des umge-
setzten Zuckers, also auch den minimalen Kohlen-
stoffbedarf, so „zeigen sich deutlich die Unmög-
lichkeiten, auf die man geführt wird, wenn man
an der Annahme festhalten will, daß für die Er-
nährung der Wassertiere nur geformte Nahrung
in Betracht käme". Von 10 der untersuchten
Tiere, die zu vier verschiedenen Tierstämmen
(7 verschiedenen Klassen) gehören, müßte ein
jedes das Mehrhundertfache bis Mehrtausendfache
seines Volumens an Meerwasser auf Piankton-
wesen abfischen, um seinen Nahrungsbedarf in
einer Stunde zu decken, während der nötige C
in Gestalt komplexer Verbindungen in vielen
Fällen in ' ,„ des Volumens des Tieres im Meer-
wasser enthalten ist. (Tabelle III und IV des
Originales.)
4. Der mindeste stündliche Lebensraum
der Wassertiere.
Das Volumen, Meerwasser, welches den für
ein Tier pro Stunde notwendigen Sauerstoff ent-
hält, ist sein „minimaler, stündlicher Lebensraum"
in bezug auf Sauerstoff. Es zeigte sich, daß die
gefundenen Werte hierfür zwischen 0,26 (Salpa
tilesii) und 3,18 (Ciona intestinalis) des Tier-
volumens schwanken, aber meist ein- oder zwei-
mal das Volumen des Tieres betragen. „Es ent-
steht die Frage, ob der Lebensraum, wie wir ihn
bisher definiert haben, also das Volumen (an Meer-
wasser. D. Ref) , das den Sauerstoffbedarf einer
Stunde zu decken imstande ist, auch hinreicht, um
den übrigen Stoff bedarf des Tieres zu decken." Diese
Frage beantwortet Verf seinen Untersuchungen
gemäß dahin, daß in dem auf Sauerstoff bezüg-
lichen minimalen Lebensraum fast 30 mal mehr
komplexe C-Verbindungen in Lösung sind, „als
jene, die wir als Kohlenstoffbedarf der Tiere aus
ihrem Sauerstoffbedarf berechneten." „Nur für
zwei Tiere, für Suberites und Cucumaria können
wir auf Grund der Untersuchung des Gesamt-
stoffwechsels zeigen, um wieviel zu gering die
Annahmen über den Kohlenstoffbedarf der Tiere
waren, die oben gemacht wurden, wie sehr also
alle Argumente, die dort vorgebracht wurden,"
hier um so mehr Geltung haben. „Für Suberites
würden wir auf Grund seines Sauerstoffbedarfes
von 0,67 mg pro Tier und Stunde einen C-Bedarf
von 0,22 mg berechnen, während die direkte Be-
stimmung einen Umsatz von 0,92 mg, also mehr
als viermal soviel ergab. Bei Cucumaria würde
aus dem Sauerstoffverbrauch von 0,14 mg pro
Tier und Stunde auf 0,05 mg C-Bedarf geschlossen
werden, während er in Wirklichkeit 0,4 mg be-
trug, also sogar das Achtfache des angesetzten
Wertes." „Nehmen wir aber auch für die übrigen
Tiere an, daß ihr C-Bedarf um das Fünf- bis Sechs-
fache höher wäre als wir angesetzt hatten, so
bliebe trotzdem die im „Lebensraum" gebotene
C-Menge noch fünf- bis sechsmal größer als nötig,
d. h. schon wenn nur 17 — 20"(| der gebotenen
Verbindungen von einem bestimmten Tier aus-
genutzt werden können, reicht die Kohlenstoff-
nienge zur Ernährung hin."
5. Beobachtungen über die geformte
Nahrung der Tiere.
Die Mehrzahl der nicht parasitisch lebenden
Meerestiere nimmt sicherlich bei Gelegenheit ge-
formte Nahrung auf — ob diese aber hinreicht,
läßt sich mit Sicherheit nur durch Stoff-
wechseluntersuchungen zeigen, wie sie für die in
dieser Arbeit genannten Tiere vorliegen.') Die
') Es siml die außer den vom \"crr. .iiif ( )- und C-Ver-
biauch untersuchten Suberites domuncula und Cucumaria
(Jrubei noch folgende von \'erno)i iThe respiratory cxchange
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. I
im folgenden angeführten Beobachtungen weisen
aber darauf hin, daß die Beispiele dafür, daß die
geformte Nahrung zur Deckung des Stoffbedarfes
nicht ausreicht, sich noch in den verschiedensten
Gruppen des Tierreiches werden vermehren lassen.
Bei allen untersuchten Polykladen (mit Ausnahme
von Prosthiostomum) fand Lang weder im Haupt-
darm noch in den Darmästen Nahrungsstofte, deren
Natur hätte erkannt werden können. Bürger
fand im Darme der Nemertinen äußerst selten
Nahrungsmassen oder Reste, nur einige Male Teile
von Krusten (soll wohl heißen : Krustern. D. Ref.).
„Am erstaunlichsten sind aber Dohrn's ^) Beob-
achtungen am Darme der Pycnogoniden (Panto-
poden)". „Im Inneren dieses Darmes, der seine
langen Divertikel in die Extremitäten hineinsendet,
schwimmen in großer Zahl eigenartige Körper,
die nicht von außen aufgenommen sind, sondern
offenbar in einer noch nicht ganz aufgeklärten
Weise sich vom Darmepithel ableiten. Durch die
Kontraktionen der Darmschläuche werden sie in
beständigen unregelmäßigen Bewegungen erhalten."
S. 57: „Was aber die Verhältnisse vollends sehr
schwer verständlich macht, ist die Abwesenheit
jedweder Fäkalmasse. Trotz der tausendfachen
Beobachtung lebender Pyknogoniden unter dem
Mikroskop habe ich nie den Austritt geformter
Bestandteile aus dem After gesehen, auch nie ge-
färbte Flüssigkeiten im Afterdarme bemerkt." Die
Pantopoden haben nun einen ungemein dichten
Reusenapparat, der geformten Bestandteilen den
Eintritt in den Darm überhaupt verwehrt, so daß
Dohrn zur Interpretation seiner Befunde sagt, S. 57 '■
„Es bleibt da eben nur die Vermutung übrig, daß
feste Teile überhaupt nicht in den Darm gelangen,
sondern von dem Reusenapparat entweder in
solcher Weise zerkleinert werden, daß sie für die
Verdauungssäfte ohne Rückstand auflösbar werden,
oder aber schon vorher wieder entleert werden.
Vielleicht auch dienen die Haare und Borsten der
Lippen dazu, schon von vornherein derlei Stofte
auszusondern." Bei den Wurmmollusken Chaeto-
derma wird nach Simroth der Darm oft leer
gefunden oder nur mit geringem Inhalt, und es
scheinen keine Tatsachen dafür zu sprechen, daß
er sich, etwa wie bei einem Seeigel, mit Schlick
füllt. Bei den Chitonen fanden sich nur mikro-
skopische Algen, besonders Diatomeen, im Darm.
Diatomeen enthalten aber nur sehr wenig Nähr-
stoffe. Auch im Darme von Dentalium fanden
sich hauptsächlich P^oraminiferen und Infusorien.
Rauschenplat fand bei nur wenigen Exem-
of the lower marine Invertebratcs. Journ. of Physiology
\'ol. 19, 1895 — 9ö' P- 18—70') allerdings nur auf iliren Sauer-
stoiTverbrauch — aus dem Fütter aber ihren minimalen C-Ver-
braucli berechnet — untersuchten Tiere: CoUozoum inernie,
Adamsia rondeletii, Khizostoma pulmo, Carmarina hastata,
Cestus veneris, Pterotrachea mutica, Tethys leporina, Ciona
intestinalis, Salpa pinnata, Salpa tilesii. Also im ganzen liegen
StolTwechseluntersuchungcn für zwölf niedere marine Wirbel-
tiere vor, die zu sechs Tic-rstämmen gehören. D. Ref.
^) Dohrn, Pantopoden, in ,, Fauna imd Flora des (iolfes
von Xeapel", Pd. 3, Leipzig t88i.
plaren von Aurelia aurita aus der Kieler
Bucht in den Radialkanälen kleine Klumpen, die
von Ceratien und anderen Planktonorganismen
gebildet waren. Bei sehr vielen Aurelia war die
Untersuchung ergebnislos. Bei den Hydroidpolypen
CordylophoralacustrisundGonohtyraea
lovenii ist die Untersuchung ganz erfolglos ge-
wesen. Ebenso bei dem Schwamm Amorphina
panicea. „Gerade für diesen Schwamm zeigen die
Stoffwechseluntersuchungen (an Subcrites domun-
cula, d. Ref) völlig einwandfrei die Bedeutung
der gelösten Stoffe für die Ernährung."
6. DieErnährungderTiefseeorganismen.
Die Ernährung der überraschend reichen Tier-
welt der Tiefsee glaubte man dem gewaltigen,
von den Algen der Lichtzone produzierten Über-
schuß von organischer Substanz zuschreiben zu
müssen. Die absterbenden Algen sollten zur Er-
nährung der Tiere der Dunkelzone ausreichen. Nun
„ist zunächst durchaus nicht bewiesen, ja nicht einmal
wahrscheinlich gemacht, daß die Algen der Licht-
zone mehr organische Substanz produzieren, wie
die Tiere des Bezirkes brauchen, vielmehr zeigen
die vorangegangenen Kapitel, daß die Algen bei
weitem nicht ausreichen, um auch nur einen ge-
ringen Teil des Nahrungsbedarfes der Tiere ihres
Lebensbezirkes durch ihre Leibessubstanz direkt
oder indirekt auf dem Umwege über pflanzen-
fressende Tiere zu decken." Außerdem würden
diese absterbenden Organismen überhaupt in
keine sehr große Tiefen kommen, da sie, als
mikroskopische Wesen, nur äußerst langsam
sinken, und unterwegs längst von Spaltpilzen (und
Sproßpilzen), von denen in einem Kubikzentimeter
Meerwasser durchschnittlich lOOO Keime sich
finden, überwuchert und gelöst sein würden.')
Viel plausibler erscheint die Annahme, daß auch
die Tiefseeorganismen von gelösten C-Verbindunge'j
leben.
7. Die Organe zur Aufnahme gelöster
Stoffe.
Besondere Organe zur Aufnahme gelöster
Nahrung sind offenbar nicht nötig. „Die Fähig-
keit gelöste Stofte aufzunehmen und im Stoff-
wechsel zu verwerten, ist ja eine ganz allgemeine,
die auch den höchst dift'erenzierten Zellen, z. B.
im Nervensystem und den Sinnesorganen der
Säugetiere ebenso zukommt, wie den primitiven
Protozoen oder Bakterien. Freilich entnehmen
die ersteren der genannten Zellen ihre Nahrung
') Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. VII, 190S, S. 95 heißt es in
F. Römer's Referat über Karsten, das indische Pliyto-
plankton, folgendermaßen: „Über die vertikale Verbreitung
im Indischen Ozean ergaben die zahlreichen Schließnetzfänge,
daß die Hauptmasse in den oberen 200 m enthalten ist;
unterhalb von 400 m sind überall nur noch vereinzelt lebende
Zellen zu finden, z. B. farblose Peridineen, und schließlicli
bleibt nur noch der ständige, nach unten langsam
dünner werdende (von mir gesperrt, d. Ref.) Regen von
abgestorbenen, zu Boden fallenden Teilen aus der lebenden
Pflanzemlerke der oberflächlichen Schichten übrig." I'. Ref.
F. N. VIII. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
5
nur aus den umgebenden Körperflüssigkeiten,
während Protozoen und Bakterien direkt aus dem
umgebenden Medium die Nahrung schöpfen. In
dieser letzteren primitiven Weise nehmen ja auch,
wie im vorhergehenden gezeigt ist, eine große
Menge von Tieren ihre gesamte Nahrung, oder
doch deren überwiegenden Teil auf, es bildet für
diese Wesen gewissermaßen das Meer die Lymphe,
von der sie leben." Von der .Annahme, ,,daß die
Aufnahme des Sauerstoftes von der Aufnahme
anderer gelöster Stoffe stets getrennt sein müßte,
wie es bei den Säugetieren in dem funktionellen
Unterschied zwischen Darm- und Lungenresorp-
tion der Fall ist, müssen wir uns gründlich frei
machen" ') — wenn eine Fläche überhaupt resor-
bieren kann, so steht physiologisch nichts im
Wege, daß sie sowohl Sauerstoff als auch gelöste
Nährstoft'e resorbiert. Solche Flächen müssen
zwei Bedingungen erfüllen, erstens: „die Zellen,
die in direkter Berührung mit dem Medium stehen,
dürfen nicht durch kutikulare Bildungen bedeckt
sein, sondern müssen freie, resorptionsfähige Ober-
flächen haben," zweitens, ,,die Oberflächen müssen
mit einem Wasserstrom in Berührung kommen,
der dafür sorgt, daß immer neue Nährlösung zu-
geführt wird". Bei den Schwämmen sorgen hier-
für die Geißeln der Kragenzellen. Bei der Oktoko-
ratte Alcyonium bleibt ,,bei sonst geschlossenem
Ingestionsrohr" „dorsal und ventral je eine Öffnung,
in denen durch Streifen von Flimmerepithel
Strömungen erzeugt werden, deren eine in das
Innere gerichtet ist, während die andere Wasser
nach außen zurückbefördert." Actinien nehmen
bedeutende Wassermengen in ihren Darm auf und
entleeren sie bei Reizung. Bei den Rhizostomen
können sicher nur wenig geformte Bestandteile
die Mündungen des Gastrovaskularapparates
passieren, dafür bietet aber die besonders durch
die Mundkrause außerordentlich vergrößerte Ober-
fläche hinreichend Gelegenheit zur Resorption ge-
löster Nahrung. Bei jeder Strobilation der
akraspeden Medusen, „wo die dauernde Produktion
einer Menge Ephyren sicher sehr große Anforde-
rungen an die Stoffzufuhr stellt, wird die sog.
,, Verdauungshöhle" verklebt und durchschnürt, um
die Qualle abstoßen zu können. Wie könnte die
Strobila sich in dieser Zeit durch Aufnahme ge-
formter Nahrung erhalten und die geforderten
Mengen organischer Substanz neu bilden, die ihre
ursprüngliche Masse wohl um das Mehrfache über-
treffen ?"
„Bei Polykladen hat Lang im Gastro vaskular-
system lebhaften Wasserwechsel beobachtet." „Bei
Yungia und Cykloporus fand Lang, daß im Be-
reiche des Netzwerkes der Darmäste eine große
Anzahl von Darmdivertikeln gegen die Körper-
oberfläche treten, wo sie sich frei öffnen" . . .
„weshalb auch Lang (wie v. Graff für Rhabdo-
') Einij;c MitgliedL-r der Gruppe der ('ubitis-^Üartgruiidcl-)
äliulichen Fische atmen durch Darm und Kiemen. Ilabak
und Dedek, lüol. Cbl. 1907, p. 697 ff. D. Ref.
coeliden) bei den Polykladen eine ,, respiratorische
Funktion" des Darmes annimmt, was ja nur in
anderen Worten dasselbe ist wie: der Darm ist
hier dazu geeignet, gelöste Stoffe aus dem See-
wasser aufzunehmen."
Bei Capitella gibt es ein Kanalsystem am
Darm, welches durch rhythmische Kontraktionen
des Hinterdarmes mit Meerwasser gefüllt wird, so
daß im Darm und Nebendarm Strömungen ent-
stehen (Eisig). Ahnliche Einrichtungen sieht
Eisig bei Gephyreen und Seeigeln. Bei Denta-
lium beschreibt Simroth ein Organ am Enddarm,
die sog. „Rektaldrüse", das keine Drüse ist, son-
dern aus Schläuchen mit Flimmerepithel besteht,
,,das also gute Bedingungen zur Durchströmung
mit Wasser bietet." Das verwickelte Kanalsystem
des Schneckenfußes, welches z. B. bei Natica etwa
das dreifache Volumen dieser Schnecke in wenigen
Minuten aufnehmen kann (Schiemenz), könnte
vermuten lassen, daß auch hier Resorption einer
Nährlösung stattfindet. — Auch Kiemen brauchen
natürlich nicht nur Sauerstoft" zu resorbieren. Die
Ascidie Ciona, mit enorm entwickelter Kieme,
braucht weniger Sauerstoff als die annähernd
gleich schwere Ctenophore Forskalia, „die
keine besonderen Kiemeneinrichtungen besitzt".
„Die Größe des Sauerstoffbedarfes steht bei den
Ascidien in gar keinem Verhältnis zu der ge-
waltigen Entwicklung der Kiemen dieser Tiere."
„Dasselbe gilt für den Vergleich zwischen Rhizo-
stoma und Salpa tilesii." „Der Gehalt an
Trockensubstanz stimmt bei beiden Tieren sehr
nahe überein, und auch hier hat die Qualle ohne
Kiemen mit 0,808 mg Sauerstoffverbrauch pro Tier
ein wesentlich höheres O Bedürfnis als Salpa
tilesii mit 0,159 ^^S O - Verbrauch pro Tier
und Stunde." „Wenn wir aber Kiemen" oder
kiemenartige Gebilde als Organe der Aufnahme
gelöster Nährstoffe ansehen, so ist uns für viele
Tiere verständlich, wie sie ihren hohen Stoff-
bedarf decken, denn da die Menge gelöster or-
ganischer Verbindungen in der Volumeneinheit
des Meeres jene des gelösten Sauerstoffes so be-
deutend übertrifft ('s. o.), so wird bei genügender
Sauerstoffversorgung stets auch die genügende
Menge gelöster Nahrung in der Natur geboten
werden."
8. Die Bedeutung der geformten
Nahrung und der Därme.
Für die Ernährung derjenigen Wassertiere, die
im allgemeinen von in Wasser gelöster Nahrung
leben, könnte doch die Aufnahme geformter
Nahrung, wenn auch in geringer Menge, von
großer Bedeutung sein, da hierin vielleicht Stoffe
in hoher Konzentration enthalten sind, die sich
im Meerwasser sonst nur spärlich finden, z. B. N.
(Man könnte auch an die Aufnahme von Enzymen
denken, die wohl sicherlich in vielen Organismen des
Meeres enthalten sind. D. Ref.) Die Därme der
Wirbellosen, die vonMikroplankton leben, haben bei
der Verdauung dieser Nahrung offenbar nur wenig
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VHI. Nr. i
Arbeit, so daß Verf. vermutet, daß die Oberfläche
der Därme nicht nur bestimmte Nährstoffe auf-
nimmt, sondern auch Stoft'wechselprodukte aus-
scheidet.
9. Die Ernährung aus Nährlösungen.
Die Behauptung, daß viele wirbellose Tiere
sich von den im Wasser des Meeres gelösten
Stoften ernähren, verliert viel von ihrem Unge-
wohnten, wenn wir uns erinnern, daß „bei den
meisten Zellgattungen der Metazoen die Fähig-
keit, geformte Nahrung aufzunehmen, überhaupt
völlig verloren gegangen" ist und sie von den
Nährlösungen der Körperfiüssigkeiten leben,
während wir gewohnt sind den Organismus als
Ganzes nur geformte Nahrung aufnehmen zu sehen.
Aber die große und in den verschiedensten Tier-
stämmen vertretene Gruppe der Parasiten hat die
geformte Nahrung zugunsten der gelösten aufge-
geben. Nahe Verwandte vieler dieser Parasiten
leben frei. Sie zeigen, daß der Unterschied der
Ernährung mehr graduell als fundamental ist,
„indem die Parasiten aus einer konzentrierten, die
freilebenden Formen aus einer verdünnten Nähr-
lösung leben" . . . ,, womit wohl die außerordent-
lich intensive Produktion von Leibessubstanz in
Beziehung steht, die bei den Parasiten allgemein
zu beobachten ist, und die sich teils in raschem
Wachstum, teils in äußerst abundanter Produktion
von Geschlechtszellen äußert."
„Das Meer stellt also für sehr viele Tiere eine
Nährlösung dar, aus deren unerschöpflichem
Reservoir sie beständig ihre Nahrung entnehmen."
,.Die Frage, woher die großen Mengen ge-
löster Stoft'e im Meere stammen . . . läßt sich
nur im Zusammenhange mit der allgemeinen
Lehre vom Stoft'haushalt des Meeres erörtern,
was in der folgenden Abhandlung geschehen soll."
Sammelreferate und Übersichten
über die Fortschritte in
Neues aus der organischen Chemie. ') —
I. Die Zerlegung hoch komplizierter
chemischer Verbindungen im schwan-
kenden magnetischen Kraft felde. Bei
Betrachtungen über das Wesen der enzj'matischen
Wirkungen war J. Rose nthal - Erlangen zu der
Ansicht gelangt, daß zwischen diesen Wirkungen
und den photochemischen Prozessen Beziehungen
beständen und daß es ferner möglich sein müsse,
die durch Enzyme zerlegbaren hochkomplizierten
organischen Stoffe wie die Proteine, die Glukoside
und die Saccharosen, die bekanntlich, da sie alle
asymmetrische Kohlenstoffatome enthalten, die
Ebene des polarisierten Lichtes drehen, auch mit
Hilfe von elektromagnetischen Schwingungen zu
spalten. Er brachte daher die zu prüfenden Stoffe
entweder in wäßriger Lösung, oder, falls sie in
Wasser unlöslich waren, hierin aufgeschlämmt in
ein Solenoid und leitete durch dessen Windungen
elektrische Ströme. Wie zu erwarten war, blieben
die Stoft'e, solange die Ströme kontinuierlich
waren, unverändert; wurden aber die kontinuier-
lichen Ströme fortwährend und regelmäßig unter-
brochen oder wurden Wechselströme angewandt,
so traten Spaltungen ein, und zwar erwiesen sich
die Spaltungsprodukte als identisch mit denen, die
durch die Tätigkeit der Enzyme erhalten werden.
„Hauptbedingung für die Erzielung eines positiven
Erfolges ist unter allen Umständen eine ganz
bestimmte Zahl der Unterbrechungen
oder Rieh tungs Wechsel. Ist diese nicht
getroffen, so bleibt der Erfolg aus. Statt dessen
tritt als Folge der Absorption der Schwingungen
nur Erwärmung ein. Hat man aber die richtige
') Vgl. .\atu] w. Wnchijusclirill, N. F., )!il. \U, S. 27S, l'joS.
den einzelnen Disziplinen.
Frequenz getroft'en, so fällt bei gleicher Stärke
des benutzten Stromes die Erwärmung auffallend
gering aus . . . und es wird der größte Teil der
zugeführten Energie in diejenige geordnete Be-
wegung übergeführt, welche den Effekt hat, die
Substanz zu zerlegen . . ." Eine Folge der un-
vermeidlichen schwachen Erwärmung kann die
Zerlegung, wie Kontrollversuche gezeigt haben,
nicht sein; auch primäre oder sekundäre elektro-
lytische Vorgänge können zur Erklärung der Er-
scheinung nicht herangezogen werden, da „die
Zerlegung eben nur bei einer ganz bestimmten
Frequenz eintritt". Die aus Mangel an theore-
tischen Anhaltspunkten nur experimentell, durch
Probieren, festgestellten wirksamen Schwingungs-
zahlen lagen bei den Proteinen zwischen 320 und
360, bei der Stärke zwischen 440 und 480 Wechseln
in der Sekunde; alle anderen Stoft'e erforderten
viel höhere Frequenzen. Die Stromstärken
schwankten zwischen 5 und 10 Ampere. Die
F"ortsetzung dieser Lhitersuchungen dürfte noch
zu wertvollen Ergebnissen führen. (J. Rosenthal,
Sitzungsberichte der Königl. Preuß. Akademie der
Wissenschaften, 1908, S. 20—26. Die Abhand-
lung ist auch als Separatabdruck zum Preise von
0,50 Mk. käuflich.)
2. DerThioindigounddie indigoiden
P'arbstoffe. Als indigoide P^arbstoffe bezeichnet
P. Friedlaender Substanzen mit dem für den
Indigo I und das Indirubin II
CO.
I
^co
\
/C=a I I
NIF ^NH^X/
Indigo
N. F. VIII. Nr. 1
NatLirwisscnschartliiiic Wochenschrift.
./
CO
xo.
^c = c
MI
Indirubin
\ _ /
charaktcrisüscheü .Atomkomplex
CO
\
C = C
CO
der unter anderem auch in dem vor einigen Jah-
ren von I.. Knorr entdeckten Pyrazolblau III und
dem von Friedländer vor kurzem aufoefundenen
Thioindigo IV vorkommt.
,CO, III CO.
c,,n.-, -n;
c = c
I
c = c-=
I
CH3 CH,
Pyrazolblau
N
C„H,
,CO
IV
~c=c
co^
y \
'\s
Tliioiiuligu
'\/
Die Zahl der indigoiden Farbstoffe , die in
ihrem physikalischen und chemischen \'erhalten
dem Indigo nahestehen , ist in neuerer Zeit, dank
den .Arbeiten von Friedlaender und seinen Schü-
lern sehr wesentlich vermehrt worden , und da
manche von ihnen auch technische Bedeutung
haben, so ist ein kurzer Bericht über den wichtig-
sten Vertreter der (iruppe, den Thioindigo, an
dieser Stelle wohl gerechtfertigt.
WieFriedländerin Gemeinschaft mit A.C h w a 1 a
gefunden hat , vereinigen sich die aromatischen
Diazoverbindungen ArN.jCl mit Thioglykolsäure
CH.j(SH)-COOH in verdünnter wäßriger Lösung
zu Verbindungen von der Zusammensetzung
ArN., • S ■ CH.,COOH, die sich beim Erwärmen quan-
titativ unter Stickstoffahspaltung in die entsprechen-
den Arylthioglykolsäuren Ar-S-CH.j -COOH ver-
wandeln. Aus der Anthranilsäure V, dem be-
kannten Ausgangspunkt für die Indigogewinnung
wird man also durch Diazotierung und Kuppelung
mit der Thioglykolsäure die Phenylthioglykol-o-
carbonsäure VI erhalten:
CODII / ^COOH
V -!- VI
\ /NH2 \ y— S — CHj — COOH
.-\ntliranilsäuie Phcnj'Uhioglykol-o-caibonsäurc.
Durch Wasserentziehung geht die Phenylthio-
glykol o-carbonsäure VI leicht in die Oxythio-
naphtencarbonsäure VII und diese durch Abspal-
tung von Kohlensäure in das Oxythionaphten ')
VIII über;
') Das Oxythiunaphteii leitet sich vom Tliionaplileu ab,
einem Stoffe, der zum Naplitalin in derselben Bezieliung stellt
wie das Thiophen zum Benzol.
I I
\/
Benzol
I 1
\s/
Thiophen
I 1 I
Naphtalin
I I I
\/\s/
Thionaplitcn
/
CO OH
CH.,
VI
\ ' et
liienylthioglykol-o-carbonsäure
-COQH
— ILO
VII
C(OH)
%
"^C— COOK
- Ci.i.,
/ \.
Oxythionaphtencarbonsäurc
VIII "^CH
\s/
O.sythionaiihtcii.
Das Oxythionaphten VIII ist ganz analog dem tion in Indigo XI übergeht, so liefert jenes den
Indoxyl X gebaut, und wie dieses durch Oxyda- Thioindigo IX.
VI 11
CO.
,CII.,
Oxvthiona]ihten
.CIL, -^1
NU
Indoxyl
Die Synthese des Thioindigos verläuft also,
wie das Vorstehende zeigt, in ganz ähnlicher
Weise wie die des Indigos aus demselben Aus-
gangsmaterial, der Anthranilsäure. — Von den
Kigenschaften des Thioindigos sei hier nur die
Echtheit und Beständigkeit erwähnt, die er mit
dem Indigo selbst teilt. Seine l'^arbe ist auffallendcr-
co.
l.\
^ \
Thioindigo
XI
CO
\/
,Co
.CO
\
C = C,
SS37"
Indigo,
weise rot, während man sonst in der Regel be-
obachtet hat, daß bei Ersatz von Ringsauerstoff
durch Schwefel eine Verschiebung nach dem
violetten Ende des Spektrums hin erfolgt. (Bcr.
d. D. Chem. Gesellsch., 39, 1060 1906:; Liebig's
Annalen, 351, 390 1906:: Ber. d. D. Chem. Ge-
sellsch., 41, 772 1I907]; IVIonatshefte f. Chemie,
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. I
29, 285 [1907]; man vgl. auch Schmidt „Jahrbuch
der organischen Chemie", I. Jahrgang, S. 285
[1908].)
3. Die Sabatier'schen Reaktionen.
Die hohe Bedeutung katalytischer Reaktionen ist
jedem Chemiker wohlbekannt, und doch ist die
Zahl der auf katalytischen Vorgängen beruhenden
Verfahren, die in mehr oder minder großem Maß-
stabe zur Gewinnung von Stoffen praktische Ver-
wendung finden, nicht allzu groß. Es ist daher
von großem Interesse, daß neben die bereits be-
kannten katalytischen Methoden, von denen vor
allen Dingen die wichtigen Sandmeyer'schen Re-
aktionen hier genannt sein mögen, in neuerer
Zeit ein von Sabatier in Gemeinschaft mit Sen-
derens und Maiihe ausgearbeitetes Verfahren ge-
treten ist, das bereits jetzt dank seiner leichten
und bequemen Durchführbarkeit und dank den
schönen Ergebnissen, zu denen seine Anwendung
bisher schon geführt hat, eine außerordentlich
wichtige Stelle in der Methodik des organischen
Chemikers einnimmt.
Sabatier und seine Mitarbeiter haben gefunden,
daß gewisse Metalle, in erster Linie das (durch
Reduktion aus seinem Oxyd mittels Wasserstoff
erhaltene, also sehr fein verteilte) Nickel die
Addition von Wasserstoff an ungesättigte Ver-
bindungen zu katalysieren imstande sind. So
gehen Äthylen, Propylen, Trimethyläthylen usw.,
wenn man ein Gemisch ihrer Dämpfe mit Wasser-
stoff bei nicht zu hohen Temperaturen über den
Katalysator leitet, in die entsprechenden gesättigten
Kohlenwasserstoffe über, eine bequeme Dar-
stellungsmethode dieser Substanzen in reinstem
Zustande :
I. CH. ; CH., + H., = CH3 -CHg
2. CH.2 : CH — CH; -f H; = CH, • CH, • CH3.
Der Allylalkohol liefert den Propylalkohol , ein
wichtiger Übergang, der sich vorher nicht hatte
verwirklichen lassen :
CH., : CH . CH,OH + H, = CH, • CH,CH,OH.
Das Benzol, ein Stoff, der nach der Formulierung
von Kekule drei doppelte Bindungen hat, addiert
sechs Wasserstoffatome unter Bildung von Hexa-
methylen oder Cyklohexan :
H
lieh und vielleicht auch technisch wichtiges Er-
gebnis. Die Hydroxylderivate des Benzols führen,
sofern sie flüchtig genug sind, um die Leitung
ihrer Dämpfe über das erhitzte Nickel zu gestatten,
ebenfalls zu den entsprechenden Additionspro-
dukten. So ergibt das Phenol I das zu ihm gehörige
Cyklohexanol II, aber gleichzeitig entsteht neben
dem Alkohol Cyklohexanol noch das Keton
Cyklohexanon III
H H., Hj
^\.
II
H.OH
\ /
lt.
H»
n/\u
H'
H
H
H..I
,Hj,
Ih.,
H,
Viele Benzolabkömmlinge, z. B. Toluol und
Xylol verhalten sich analog, und es ist daher
möglich gewesen, eine große Reihe der redu-
zierten Produkte, zu deren Gewinnung man bis-
her auf den mühsamen Weg der fraktionierten
Destillation aus der kaukasischen Naphta ange-
wiesen war und deren Reindarstellung früher viel-
fach auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß,
ohne große Schwierigkeiten im Zustande voll-
kommener Reinheit zu erlangen, ein wissenschaft-
H-
H
•OH
H.,l
^H.,
Ho
H,
111
vH,
,0
H
H,.
Um diesen Übergang zu verstehen, müssen wir
uns einen Augenblick dem Verhalten der Alkohole
bei der Sabatier'schen Reaktion zuwenden.
Daß sich die Alkohole bei höherer Tempe-
ratur teils mit, teils ohne katalytische Beteiligung
von Metallen (z. B. Zinkstaub, Eisen, Platin usw.)
zersetzen, ist eine seit langem bekannte Tatsache.
Über den Einfluß feinverteilten Nickels stellten
Sabatier und seine Mitarbeiter folgendes fest:
Leitet man die Dämpfe eines primären Alkohols,
z. B. des Äthylalkohols, bei einer unterhalb 230"
gelegenen Temperatur über feinverteiltes Nickel,
so findet eine doppelte Reaktion statt: Zunächst
wird der Alkohol in Aldehyd und Wasserstoff
gespalten :
CH, -CH, OH = CH3CHO + H,,
und dann wird der Aldehyd weiter in einen ge-
sättigten Kohlenwasserstoff und Kohlenoxyd
zerlegt : ')
CH3.CH0 = CH, +C0.
Die anderen primären Alkohole verhalten sich
ebenso wie der Äthylalkohol, nur nimmt mit
steigendem Molekulargewicht die Leichtigkeit der
Wasserstoffabspaltung ab und die der Kohlen-
säureabspaltung aus dem Keton zu.
Die sekundären Alkohole liefern unter Verlust
von Wasserstoff Ketone
CH, ■ CH(OH) . CH, = CH, ■ CO • CH, -f- H„
jedoch tritt insofern noch eine Nebenreaktion ein,
als der frei werdende Wasserstoff einen Teil des
noch nicht verbrauchten Alkohols spaltet, z. B. :
CH,-CH(OH).CH3 + 2H2
= CH3.CH, + H,0 + CH,.
Die Umwandlung des sekundären Alkohols
Methylcyklohexanol in das Keton Methylcyklo-
hexanon ist also eine ganz normale Reaktion.
Das Verhalten der primären und sekundären
Alkohole und noch mehr das der tertiären, welche
von Nickel vollkommen zerstört werden, zeigt
uns Beispiele für die andere Wirkungsweise des
Katalysators, für seine zersetzenden Kräfte. Das
') Oberhalb 230" verwandelt sich bei Anwesenheit von
Nickel das Kohlenoxyd unter Abscheidung von Kohle in
l-voblensäure :
2CO = C + COj.
N. F. VIll. Nr. 1
Niiturwissenschaftlichc Wochenschrift.
Nickel kann chemische Stoffe aufbauen und auch
zerstören , und welche Reaktion in einem be-
stimmten Falle eintritt, hängt von der Temperatur
ab. So wird das Äthan, das sich, wie wir wissen,
unterhalb 230" aus Wasserstofi' und Äthylen bildet,
oberhalb 325" in Methan und Kohlenstoff
2CH,-CH3 = C + 3CH,
und bei noch höherer Temperatur das Methan in
ähnlicher Weise in Wasserstofif und Kohlenstoff
gespalten ;
CH, = C + 2H.,.
Das Anilin, das sich bei Anwesenheit von
Nickel durch Reduktion von Nitrobenzol mit
Wasserstoff bei 200" bildet, wird bei 300" bereits
in Ammoniak und Benzol — dieses wird unter
den Versuchsbedingungen natürlich z. T. hydriert
— übergeführt. In diesem F"alle sind also die
Bildungs- und die Zersetzungstemperatur noch
durch ein Intervall von 100" getrennt; es sind
aber auch Fälle bekannt, wo die beiden Tempe-
raturen einander sehr viel näher kommen, ja sogar
praktisch zusammenfallen, d. h. die in Betracht
kommenden Substanzen können nur als labile
Zwischenprodukte auftreten. Hin Beispiel für das
Gesagte stellen die Nitrile dar. Sie liefern bei
der Reduktion, wie ja zu erwarten ist, primäre
Amine
R.C.N->R.CH..-NHj,
aber diese werden unter dem Einflüsse des Kataly-
sators sofort weiter umgesetzt, indem unter
Ammoniakabspaltung teils sekundäre und tertiäre
Amine, teils sogar die Kohlenwasserstoffe selbst
entstehen :
RCH., • NH., ->(R- CH.,)., NH -> (R • CH,)., N
-vR-CHg.
Die Reduktion der halogenhaltigen Stoffe nach
dem Sabatier'schen Verfahren bietet Schwierig-
keiten, da der Katalysator bei niedrigen Tempe-
raturen durch Übergang des Nickels in seine
Halogenide „vergiftet" wird und bei höheren
Temperaturen, wo das Nickelhalogenid wieder
zum Metall reduziert wird, in der Regel Zer-
setzungen eintreten.
Die anderen Metalle, von denen Sabatier und
seine Mitarbeiter besonders das Kupfer und das
Kobalt in den Kreis ihrer Untersuchungen gezogen
haben, wirken im allgemeinen ähnlich , aber
schwächer als das Nickel, aber gerade der Umstand,
daß sie schwächer wirken, macht ihre Anwen-
dung manchmal besonders zweckmäßig; jedoch
sei der Leser wegen dieser und aller weiteren
Einzelheiten auf die Originalliteratur (Comptes
Rendus, von Bd. 124 an) sowie auf die recht
vollständige Zusammenstellung von A. Mailhe
(Chem. Zeitung, 1907, S. 1083, 1096, 11 17, 1146
und 1158, und 1908, S. 229 und 244) verwiesen.
4. Das Burserazin. Daß das Myrrhenharz
im .^Itertume vielfache Verwendung zur Wund-
heilung fand und daß es ferner auch bei der Ein-
balsamierung der Leichen zur Veriiütung der
Fäulnis, also als Sterilisierungsmittel gebraucht
wurde, ist bekannt. Der Bestandteil des Harzes,
dem diese wertvollen Eigenschaften zukommen,
das „Burserazin", das im Myrrhenharz zu 1,5 — 2"',,
enthalten ist, ist neuerdings von Werner von
Bolton isoliert und genauer untersucht worden.
Das Burserazin, ein bei 78" schmelzendes, hell
gräulich-braunes, in heißem Wasser ziemlich leicht
lösliches Pulver, selbst ein äußerst merkwürdiger
Stoff, liefert bei der Oxydation mit Wasserstoff-
superoxyd einen rein weißen , im Laufe von
Wochen gelb werdenden, an feuchter Luft zer-
fließlichen Körper von eigentümlichem Geruch
und ohne bestimmten Schmelzpunkt, das Oxy-
burserazin, das die sonderbaren Eigenschaften der
Muttersubstanz in noch sehr erhöhtem Maße be-
sitzt : ') Das Oxyburserazin und , wenn auch
schwächer, das Burserazin sind radioaktiv;') beide
zeigen rJ- und y-Stralilung. Nach neun Monaten
geht das Oxyburserazin in einen anderen Stoff
über, der nicht mehr radioaktiv ist, ,,es ist also
während etwa •' j Jahren ein Körper mit gewisser-
maßen künstlich erzeugter Radioaktivität" (?);
Metallfolie wird, so weit bis jetzt bekannt ist, von
den Oxyburserazinstrahlen nicht durchdrungen.
Wird eine wäßrige Oxyburserazinlösung mit ver-
dünntem, frischem Schweineblut vermischt und die
Mischung auf Körperwärme gebracht, „so scheiden
sich aus dem Blut braune Flocken aus, die, auf
einem Filter gesammelt und einige Male ausge-
waschen, beim Trocknen an der Luft eine völlig
zusammenhängende elastische, durchsichtige, in
Wasser unlösliche Membran hinterlassen , die
durchaus wie eine porenlose Haut aussieht. Viel-
leicht ist das eine besondere Koagulationsform
des Eiweiß. Mit keinem anderen koagulierenden
Mittel, wie verdünnten Säuren, Wasserstoffsuper-
oxyd und Formaldehyd, war ein gleiches Resultat
zu erzielen : es schieden sich allerdings stets ähn-
liche Plocken, wie durch das Oxyburserazin, aus,
sie bildeten aber nach dem Trocknen niemals eine
Membran, sondern nur spröde, pulverisierbare
Krusten. Ein Stückchen solch einer Haut wurde
auf eine kleine Fingerwunde transplantiert und
verwuchs vollkommen mit der Haut des Fingers."
Bei Abschluß von Luft erzeugt das Oxyburserazin
im Blute keine Flockenbildung; Anwesenheit von
Luft ist für diesen Vorgang erforderlich. Wird
also in den Blutkreislauf Oxyburserazin eingeführt,
das bei der subkutanen Injektion keine giftige
Wirkung erkennen läßt, so muß es, sowie es auf
seinem Wege durch den Körper an eine offene
Wunde gelangt, die beschriebene Haut bilden,
was besonders bei inneren Wunden, etwa bei der
') Die Gewinnung des Oxyburserazins aus dem Burserazin
muß mit größter Vorsicht geschehen, da sonst leicht äußerst
heftige E.xplosionen auftreten können.
-) Ob und inwieweit es sich hier um wirkliclie Radio-
aktivität handelt, mag dahingestellt bleiben, Stralilung allein
ist noch keine Radioaktivität, vielmehr haben wir nach Stark
nur solche Phänomene als radioaktiv zu bezeichnen, die mit
dem Zerfall von Atomen kausal verknüpft sind.
lO
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. I
Lungentuberkulose, von großer Wichtigkeit werden
kann. Flechtenerkrankungen werden, wenn die
erkrankten Stellen mit Oxyburserazinlösung ge-
waschen werden, in kurzer Zeit vollkommen be-
hoben. Vielleicht hängen diese medizinischen
Eigenschaften des Oxyburserazins mit seiner
„Radioaktivität" zusammen (Zeitschr. f. Elektro-
chem., Bd. 14, S. 211, 1908).
5. Über kristallisiertes Chlorophyll.
Das eingehende Studium des grünen Fflanzenfarb-
stoffes, des Chlorophylls, hat Richard Willstätter
in Zürich zu seiner Aufgabe gemacht. Einen be-
sonders schönen Erfolg hat er nun neuerdings auf
diesem Gebiete errungen, indem es ihm, Angaben
von J. Borodin und N. A. Monteverde folgend, in
Gemeinschaft mit Max Benz gelungen ist, aus ge-
trockneten Blättern in einer Ausbeute von 2 bis 2,4 g
auf ein Kilogramm des genannten Ausgangs-
materials reines Chlorophyll in kristallisiertem Zu-
stande zu gewinnen und zu analysieren. Das
reine Chlorophyll, das der Formel C.;^Hj.,0;N,Mg
entspricht, bildet gewöhnlich scharfbegrenzte,
sechseckige und gleichseitig dreieckige Täfelchen
von 0,1 bis 0,2 mm Durchmesser. Die Kristalle
zeigen blauschwarze oder, bei kleinerer Ausbil-
dung, grünschwarze Farbe; im durchfallenden
Lichte sind sie grün, jedoch sind nur sehr dünne
Blättchen überhaupt durchsichtig. Beim Erhitzen
zersetzt sich das Chlorophyll, wobei schwer ver-
brennliche Kohle entsteht; beim Glühen hinter-
bleibt reine, weiße Magnesia. Es zeigt schwach
basische Eigenschaften. Beim Verseifen mit
Alkalien bilden sich die Alkahsalze zweier „Chloro-
phylline"; ^j ob ein Säureanhydrid oder die Ester
eines niedrigen, wasserlöslichen Alkohols vorliegen,
ist noch nicht ermittelt. Bei der Einwirkung von
Oxalsäure wird das Magnesium eliminiert, und es
entsteht ein vollkommen aschefreies, gut kristalli-
sierendes Produkt, das Phaeophorbin.
Das kristallisierende Chlorophyll ist keineswegs
das einzige in den Pflanzen vorkommende grüne
Pigment. Von den anderen Komponenten des
Gemisches von grünen Pigmenten ist besonders
noch eine amorphe Substanz zu nennen , das
Phytoleslerchlorophyll, das sich früher von dem
kristallisierten Chlorophyll nicht hatte trennen
lassen und daher zu der irrigen Ansicht geführt
hatte, daß „das Chlorophyll" bei der Verseifung
einen Alkohol C.,„II,„0, das Phytol, liefere,
während das kristallisierte Chlorophyll, worauf
besonders hinzuweisen ist, mit diesem Alkohol
nichts zu tun hat (R. Willstätter und Max Benz,
Liebig's Annalen, Bd. 358, S. 267; eine gute
Übersicht über die äUeren Arbeiten findet sich in
Schmidt's „Jahrbuch der organischen Chemie"
Bd. I, S. 359 u. f.).
6. Die Waiden 'sehe Umkehrung. Im
Jahre 1897 hat I'- Waiden die wichtige Beobach-
') Mit ilcr Kiidunj; „phyllin" worden die magncsiiim-
haltigen Produkte der alkalischen Hydrolyse des ChlorciphylN
bezeichnet, z. B. Chlorophyllin, (ilaukophyllin usw.
tung gemacht, daß es möglich ist, optisch-aktive
Substanzen, ohne den Umweg über den Razem-
körper einzuschlagen, direkt in ihre optischen
Antipoden zu verwandeln. Geht man z. B. von
der 1 - Chlorbernsteinsäure aus und behandelt
sie mit Silberoxyd, so gelangt man zur 1-Äpfel-
säure; diese bildet bei der Einwirkung von Phos-
phorpentachlorid wieder Chlorbernsteinsäure, aber
nicht die links, sondern die rechtsdrehende F"orm.
Die d-Clilorbernsteinsäure liefert ihrerseits mit
.Silberoxyd d-Apfelsäure und diese läßt sich mit
Phosphorpentachlorid wieder in die als Ausgangs-
material des Kreises von Reaktionen dienende
1-Chlorbernsteinsäure überführen. Eliminiert man
hingegen das Chlor der 1-Chlorberiisteinsäure an-
statt mit Silberoxyd mit Kalilauge, so kommt
man zur Rechtsform und in analoger Weise von
der d-Chlorbernsteinsäure zur Linksform der
Äpfelsäure; es besteht also ein vollkommener
Gegensatz in der Wirkung von Silberoxyd und
Kalilauge. Das nebenstehende Schema I läßt das
Gesagte deutlich hervortreten. (Vgl. Ber. d.
Deutsch. Chem. Gesellsch., 30, S151 [1897^ ""^ 32,
1833 u. 1855^1899].)
Das Studium dieser eigentümlichen Erschei-
nungen, der „Walden'schcn Umkehrung", hat Emil
I""ischer neuerdings wiederaufgenommen. Erfand
zunächst das nebenstehende Beispiel II der Be-
ziehungen zwischen dem Alanin und der Brom-
propionsäure.
Der Wechsel in derKonfiguration konnte entweder
bei der Einwirkung von Ammoniak auf die Brom-
fettsäure oder bei der von Nitrosylbromid auf das
Alanin erfolgen. Der Versuch entschied zugunsten
des Nitrosylbromids. Während nämlich Fischer
aus dem Alanin selbst durch Nitrosylbromid die
1-Brompropionsäure erhielt, entstand bei der Ein-
wirkung desselben Reagens auf den Ester des
Alanins der Ester der d -Brom Propionsäure. In
einem Pralle muß also unbedingt eine Umkehrung
der Konfiguration eintreten, d. h. dasselbe Reagens
kann bei Stoffen, die sich so nahe stehen
wie eine Säure und ihr Ester, einmal optisch
normal, das andere Mal optisch anomal wirken.
Die Umkehrung, die P'ischer ^in analoger
Weise auch beim 1-Leucin, beim 1-Phenylalanin
und bei der 1-Asparaginsäure beobachtet hat,
findet vermutlich bei der freien Säure statt. Je-
doch spielt sich die Kreisreaktion nicht bei allen
«■Aminosäuren in gleichem Sinne ab. Wird das
aktive ,,Valin" (((-Aminoisovaleriansäure) in die ent-
sprechende Bromvaleriansäure und diese mit Hilfe
von Ammoniak wieder in «-Aminoisovaleriansäure
verwandelt, so erhält man nicht den optischen Anti-
poden des Valins, sondern dieses selbst. Nach den
neuesten Untersuchungen dürfte in diesem Pralle
eine doppelte Umkehriing vorliegen (Ber. d.
Deutsch. Chem. Gesellsch., 40, 489 [\<)0J\ 41, 889
und 2891 [1908] ; man vgl. auch Schmidt's ,, Jahr-
buch der organischen Chemie", Bd. I, S. 7 u. f.).
7. Über A 1 k y 1 i e r u n g s g e s c h w i n d i g -
keiten sprach Prof. H. Goldschmidt-Christiania
N. F. VIII Nr. 1
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
1 1
I
> (KOH)
I-Chlorbcrnstcinsäurc
A
y
(pn ) -t
d-A[)felsäurc
A
(Ag,0)
V (PC\ )
(Ag,0)
A
lAptelsäurc
Y
d Chlorbernstein
(KOH) <
W'alden'sche Umkehrung.
II
d-.Alaiiin -<
(NOBr)
Y
1-Bronipropionsäure
(NH,) ^-
> (NH3)
VValden'sche Umkehrung.
d-Brompropionsäure
(NOBr)
Y
— >■ r-Alanin
auf der diesjährigen Hauptversammlung der Deut-
schen Bunsengesellschaft in Wien. Goldschmidts
Versuche, die sich hauptsächlich auf die beiden
Klassen der stereoisomeren aromatischen Aldoxime,
die fetten i\ldoxime, die Ketoxime sowie auf eine
Reihe von Thioverbindungen erstrecken, haben zu
recht interessanten Ergebnissen geführt. Die
.■\lkylierung geschieht bekanntlich durch Behand-
lung des betreffenden Stoffes in alkoholischer
Lösung mit Natriumalkoholat und Halogenalkyl,
z. B. nach der Gleichung
QH5CH ; NOH + NaOCoH, + CH-,I
= CaHäCH : NOQH5 -f Nal '+ C,H,ÖH.
Eine Lösung zur Alkylierung von Benzaldoxim,
um bei dem gewählten Beispiele zu bleiben, ent-
hält nun das O.vim in drei Formen, als freies
Benzaldoxim, als Natriumsalz C|;H-,CH :X0 Na und
als Ion C,;H-CH:NO , und es entsteht daher die
Frage, welche von diesen drei Formen der rea-
gierende Stoff ist. Diese F~rage läßt sich durch
Messung der Reaktionsgeschwindigkeit mit syste-
matischer \^eränderung der Konzentration des
Oxims und des Alkoholats dahin beantworten,
daß das Ion der eigentlich wirksame Bestandteil
ist. Man könnte sich nun den Alkylicrungsvor-
gang so denken, daß das Oximion sich direkt
mit dem C.jH-.-Ion des zum kleinen Teile zer-
fallenen Jodäthyls vereinige. Diese Auffassung ist
iedoch nicht richtig, da die Alkylierungsgeschwin-
digkeit der Konzentration des Jodäthyls direkt
proportional ist; entspräche nämlich die ange-
deutete Hypothese der Wirklichkeit, so müßte die
Geschwindigkeit anfänglich der Quadratwurzel der
Konzentration und erst nach der Abscheidung
von Jodnatrium der Konzentration des Jodäthyls
selbst direkt und ferner der Jodionen-Konzentra-
tion umgekehrt proi>ortional sein, was nicht der
F^all ist. Es muß also zunächst ein Additions-
produkt des Oximions und des neutralen Jod-
äthylmoleküls, also ein Komplexion entstehen,
welches schließlich durch Abspaltung von Jodion
das Produkt der Alkylierung liefert. Die Addi-
tion des Jodäthyls erfolgt bei den Antialdoximen
am Sauerstoff i., bei den Synoximen am Stick-
stoff 2., da jene Sauerstoff-, diese Stickstoffestcr
liefern.
I. C,.H-, CH .
■ II /
NO-
C,H,
2. C,,H-, CH
' II
NO-
/\
C,R I
Die Alkylierungsgeschwindigkeit, die man bei den
Versuchen wirklich mißt, kommt vermutlich dem
Zerfall des Komplexions zu, da im allgemeinen
die Bildung von Komplexionen mit sehr großer
Geschwindigkeit zu verlaufen pflegt. Die Ge-
schwindigkeitskonstanten sind für die Stoffgruppen,
aber nicht für die einzelnen Glieder charakte-
ristisch. Alle Synaldoxime z. B. haben, unter
gleichen Bedingungen beobachtet, annähernd die-
selbe Konstante, welche von der gemeinsamen
Konstante der Antialdoxime beträchtlich abweicht.
Analoges gilt für die fetten Aldoxime, die
Ketoxime und die Thioverbindungen. (Zeitschrift
für Elektrochemie, Bd. 14, S. 581 jiQoS].)
8. F'luoreszenz und Konstitution der
organischen Stoffe. Unter Fluoreszenz ver-
steht man bekanntlich die Erscheinung, daß ge-
wisse Stoffe bei und während der Belichtung ge-
wissermaßen selbstleuchtend werden, indem sie
das absorbierte Licht nicht vollständig in Wärme
umwandeln, sondern zum Teil als Licht anderer
Brechbarkeit wieder abgeben. Von der Phospho-
reszenz unterscheidet sich die Fluoreszenz dadurch,
daß sie nur so lange dauert, wie belichtet wird,
während bei jener das Leuchten nach der Be-
lichtung auch im Dunkeln noch fortdauert. Bei-
12
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. I
spiele für F'luoreszenz bietet das farblose oder
fast farblose Petroleum, das mit blauem, das gelbe
Uranglas, das mit grünem, und ein alkoholischer
Auszug grüner, d. h. chlorophyllhaltiger Blätter,
der mit blutrotem Fluoreszenzlichte leuchtet. Die
Beziehungen zwischen dem erregenden und dem
Fluoreszenzlicht folgen im allgemeinen der bereits
seit mehr als einem halben Jalirhundert bekannten,
jedoch nicht in aller Strenge gültigen Stokes'schen
Regel, nach der die Wellenlänge des Fluoreszenz-
lichtes größer als die des erregenden Lichtes ist.
Die Fluoreszenz, die im sichtbaren oder im un-
sichtbaren Teile des Spektrums auftreten kann,
setzt ähnlich wie jede photochemische Wirkung
vorangehende Absorption des erregenden Lichtes
voraus, und zwar besitzt, wie Stark gezeigt hat
(Physik. Zeitschrift VIII, 8i \\90f) jeder fluores-
zierende Stoff Absorpt ion sbande n. Die ein-
fachste mögliche Erklärung des Mechanismus der
Fluoreszenz, nach der diese auf eine direkte Über-
tragung der Energie der erregenden Strahlung auf
die fluoreszenzfähigen Moleküle zurückzuführen und
somit als einfache Resonanzerscheinung aufzufassen
wäre, hat sich bei näherer Untersuchung nicht
aufrecht erhalten lassen, da die Wellenlänge maxi-
maler Intensität beim Fluoreszenzlicht entgegen
den Forderungen der Theorie von der Schwingungs-
zahl des erregenden Lichtes unabhängig ist (Ni-
chols und Merritt, Phys. Review, 19, 18 [1904]).
Die Wirkung des erregenden Lichtes muß somit
eine indirekte sein , indem durch das erregende
Licht zunächst eine chemische Substanz erzeugt
wird, die spontan unter Abgabe der empfangenen
Energie in Form von Fluoreszenzlicht unter
Rückbildung des Ausgangsstofi'es wieder zerfällt.
Für die Fluoreszenz würde also dasselbe Schema
gelten, das Luther und Percy Waentig (Zeitschr. f
physikal. Chemie, 51, 435, oder Percy Waentig, Zum
Chemismus phosphoreszierender Erdalkalisnlfide,
Dissertation, Leipzig 1905J für die Erscheinungen
der Phosphoreszenz aufgestellt haben :
Stoff A -j- erregendes Licht = StoffB
Stoff B = Stoff A -\- Phosphoreszenz od. Fluoreszenz,
und in der Tat hat Wiedemann (Wiedem. .^nna-
len, 34, 448) durch Einbettung fluoreszierender
Stoffe in Gelatine die Abgabe des Fluoreszenz-
lichtes so verlangsamen können, daß das Leuch-
ten, auch nachdem die Wirkung des erregenden
Lichtes aufgehört hatte, noch sichtbar war, d. h.
er hat die Fluoreszenz in Phosphoreszenz verwan-
delt und damit die prinzipielle Gleicliheit beider
Erscheinungen dargetan.
Unsere Kenntnisse über die Beziehungen zwi-
schen der Fluoreszenz und der chemischen Kon-
stitution der organischen Verbindungen ist durch
eine Reihe von neueren Untersuchungen, von
denen in erster Linie diejenigen von J o h. Stark
zu nennen sind, beträchtlich erweitert und vertieft
worden. Stark hat gezeigt, daß (sichtbare oder
unsichtbare) Muoreszenz besonders bei dem Benzol
und allen seinen Derivaten mit nichtreduziertem
Kern auftritt. Das Benzol selbst besitzt kräftige
Fluoreszenz im Ultraviolett; durch Kondensation
mehrerer Benzolkerne wird die Fluoreszenz immer
mehr in der Richtung zum sichtbaren Teile des
Spektrums hin verschoben. Diese Verschiebung
kann auch durch Einführung von auxofloren, d. h. von
gewissen substituierenden Gruppen in den Benzolkern
bewirkt werden. ,,Die Verschiebung wächst mit
der Zahl der Substitutionen , aber langsamer, als
die Proportionalität ergeben würde. Die ver-
schiebende Wirkung verschiedener substituierender
Atome oder Atomgruppen ist ungleich groß. Von
den untersuchten Gruppen verschiebt am wenig-
sten die Methylgruppe, am meisten die Amido-
gruppe, in der Mitte zwischen beiden steht die
Hydroxylgruppe. Die drei Halogene Cl, Br und J
verschieben das Fluoreszenzspektrum des Benzol-
ringes um so weiter, je größer ihr .«Atomgewicht
ist". Außer den auxofloren kennt man auch
,,hypsoflore" Gruppen, durch die die Fluoreszenz
geschwächt oder vernichtet werden kann ; hypsoflor
wirken z. B. die Nitro- und die Acylgruppen.
.Auch hängt die Fluoreszenz, wie leicht begreiflich,
von der Natur des Lösungsmittels sowie von der
Temperatur ab.
Die Absorptionsbanden der fluoreszenzfähigen
aromatischen Verbindungen sind ausnahmslos ,,in
der Richtung von kürzeren nach längeren Wellen
abschattiert". Stark hat nun gefunden, daß auch
Stoffe, die den Benzolkern nicht enthalten, fluores-
zenzfähig sind, sobald sie einen Chromophor ent-
halten und ihre Absorptionsbanden ebenfalls nach
den längeren Wellen hin abschattiert sind. So
fluoreszieren Aceton, Methyläthylketon und Kam-
pher blau- violett, Brenztraubensäure, Kampher-
chinon,Diacetyl u.a. blaugrün bisgelbgrün. Enthalten
Stoffe gleichzeitig den Benzolring und einen frem-
den Chromophor, so treten je nach der relativen
Lage der .Absorptions- und der Fluoreszenzbanden
verschiedene Erscheinungen ein.
„Schon seit ziemlich langer Zeit," schreibt Stark
am Schlüsse seines Berichtes über den von ihm
auf der diesjährigen Naturforscherversammlung
gehaltenen Vortrages „Über die Fluoreszenz orga-
nischer Substanzen" (Chem.-Zcit. 1908, S. 953 —
954), „nimmt man an, daß die Chromophore und
auch der Benzolring ungesättigte Valenzen ent-
halten. Die Valenzkräfte des Chemikers sind nun
als identisch mit den elektrischen Kraftlinien an-
zusehen, welche von negativen Elektronen an der
Atomoberflächc ausgehen. Andererseits hat man
heutzutage erkannt, daß die Zentren der Absorp-
tion und Emission des Lichtes negative Elektronen
sind. Beide Anschauungen kombinierend, kann
man theoretisch folgern, daß die Lichtwellen,
wenn sie die ungesättigten oder gelockerten
Valenzelektronen der Chromophore zum syn-
chronen Mitschwingen veranlassen und an sie
Energie abgeben, sie zum Teil von ihrem Molekül
lossprengen und in P'orm langsamer Kathoden-
strahlen aus der belichteten fluoreszierenden Sub-
stanz herausschleudern werden. Die Theorie for-
N. F. VIII. Nr. I
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
13
dert also, daß die Fluoreszenz organischer Sub-
stanzen von einem lichtelektrischen Eftekt be-
gleitet sei, denn dieser besteht ja in der Emission
langsamer Kathodenstrahlen. In der Tat zeigten
nun alle Substanzen, welche den Benzolring ent-
halten und somit entweder nachweisbar oder
latent fluoreszieren, den lichtelektrischcn Eftekt in
einer Stärke, die annähernd parallel geht der
Intensität der Fluoreszenz".
Diesem kurzen Bericht ist im wesentlichen die
Stark'sche Theorie (I.e.) zugrunde gelegt. Wegen
alles Weiteren seien unsere Leser auf die ausge-
zeichnete Übersicht von H. Ley Leipzig „Beziehun-
gen zwischen Fluoreszenz und organischer Chemie"
(Zcitschr. (. angew. Chemie 1908, S. 2027 — 2038),
sowie auf die Abhandlung von Kauffmann „Die
Beziehungen zwischen Fluoreszenz und chemischer
Konstitution" (Ahrens' Sammlung chemischer und
chemisch-technischer Vorträge, Stuttgart 1902)
hingewiesen. Werner Mecklenburg.
Kleinere Mitteilungen.
Jan G r och m a 1 ic k i , Über die Linsen-
regeneration bei den Knochenfischen. (Zeitschr.
f wiss. Zoologie Bd. 89, Heft i, ausführl. poln.
Archivum naukowe 1908). — Das Problem der
Linsenregeneration ist von so großem theoreti-
schem Interesse, daß v. Kupffer als Vorsitzen-
der auf der X. X'ersammlung der anatomischen
Gesellschaft im Jahre 1896 die Ergebnisse von
G.Wolf für die bedeutsamste auf experimentellem
Wege gewonnene Entdeckung bezeichnete. Die
Versuche Wolfs sowie zahlreicher anderer For-
scher beziehen sich fast ausschließlich auf Triton-
und Salamandralarven, zum Teile auf erwachsene
Tritonen und Kaulquappen. Über die Regenera-
tion der Linse bei den Plschen , die in entwick-
lungsgeschichtlicher Hinsicht von den Tritonen und
Salamandern niedriger stehen , sind bisher keine
überzeugenden Beweise erbracht worden. Es
liegen nur sehr unbefriedigende Resultate von
Röthig vor, da R. nur in einem F'alle „ein kleines
linsenförmiges Gebilde bemerkte". Seine Befunde
machen, wie er sich selbst ausdrückt, ,,die Rege-
neration der Linse (bei den Fischen) zwar wahr-
scheinlich, aber nicht sicher".
In der vorliegenden Arbeit von G. haben wir
daher eigentlich den ersten Beweis, daß die exstir-
pierte Linse auch bei den Fischen wieder ansetzt
und im Bau sowie im Aussehen der bei normalem
Entwicklungsgang entstandenen Linse gleicht. Die
Versuche hat Verf an 500 Forellen 5 — 15 Tage
nach dem Ausschlüpfen aus der Eihülle angestellt.
„Durch einen Linearschnitt an der Cornea wurde
das Auge geöffnet und durch einen leichten seit-
lichen Druck auf den Bulbus die Linse hervor-
zugleiten gezwungen." Die mikroskopische Unter-
suchung von Zeit zu Zeit fixierter Tiere ergab,
daß der Regenerationsprozeß der Linse bei den
r'ischen dem bei anderen Tieren konstatierten
sehr ähnlich ist; schon am 5. — 7. Tage nach der
Operation trat die Wundheilung ein und erst am
20. — 30. Tage erschienen die ersten Anzeichen
der Regeneration: die Entpigmentierung der Iris
durch Leukocyten, Spaltung ihrer beiden Lamellen
und Wucherung ihrer Zellen am Pupillarrande.
An einer Stelle des Pupillarrandes ordnen sich
die Zellen der Iris faltenförmig und bilden eine
in die Pupille hineinragende Verdickung (Fig. i).
Diese knospenförmige Verdickung entsteht meisten-
teils wie bei anderen Tieren am oberen Irisrande,
manchmal aber, was der Verfasser besonders her-
vorhebt, ,,auch irgendwo seitlich am Pupillarrande".
In manchen Fällen bilden sich die Linsenanlagen
weit von der Pupillaröfifnung, ja selbst aus den
Zellen der Basis der Pars ciliaris, wenn die Iris
gänzlich ausgerissen wurde, was schon Fischel
in seinen Arbeiten beschrieben hat. Die ver-
schiedenen Arten der Entstehung der Linsen-
anlage werden sehr genau vom Verf beschrieben
und durch photographischc Aufnahmen mikro-
skopischer Präparate illustriert. Unter den bei-
liegenden Bildern der regenerierten Linse fällt be-
sonders ein Gebilde auf, welches an die Zwillings-
linse der Salamanderlarve von Fischel erinnert;
neben der regenerierten Linse ist eine in Verbin-
dung mit derselben stehende Zellmasse von
spindelförmigen Zellen durch(]uert zu sehen, wel-
che G. aber wegen des Mangels der Linsenkapsel
als eine Ansammlung in Degeneration begriffener
Zellen deutet.
Fig. 1. Ein Horizontalschnitt durch ein Forellenauge 6S Tage
nach der Operation. Photographische /Vufnahme.
(Nach Grochmalicki.) L Linsenanlage.
Nach größerer Beschädigung des Auges ent-
stehen auch in der Netzhaut kugelförmige oder
ovale Gebilde von konzentrisch gelagerten Zellen,
welche der Verf im Anhange der polnischen
Arbeit sehr genau beschreibt. Diese Neubildungen
erinnern an die Lentomen oder Lentoiden
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VKI. Nr. i
F"ischel's, da sie auch von der verwundeten
Retina stammen, weisen aber im Bau keine Über-
gänge von Zellen in I'^asern auf. Ein anderes
cystenartiges Gebilde in der vorderen Kammer
des .Auges, welches allseits von der Cornea um-
schlossen war, betrachtet der Verf. für ein patho-
logisches Gebilde, das durch eine Gruppe von
der Cornea abgelöster Zellen entstanden ist. Eine
vollständig regenerierte Linse hat G. in drei
l'^ällen , in sehr verschiedenen Zeitabständen 70,
106, 187 Tage nach der Operation erhalten. Die
Linse erreichte gegen -',\j der normalen Größe,
sonst wies sie keine Unterschiede im Bau auf
(Fipr- 2).
Kig. 2. Frontalschuilt durch ein Auge mit vollständig regene-
rierter Linse nach 1S7 Tagen. Photographische Aufnahme.
(Nach Grochmalicki.)
Den langsamen Verlauf des Regenerations-
prozesses der Linse bei den Fischen erklärt der
Verf. durch die geringe Regenerationsfähigkeit
der Fische im allgemeinen und das Verweilen
der Fische im Wasser, welches der Wundheilung
im Wege steht.
Wie aus dem Vorausgegangenen zu ersehen
ist, bildet sich die Linse während der Regenera-
tion aus der Iris, also aus einem Gewebe, aus
welchem sie embr\-onal nicht entsteht, da sie in
der Ontogenie aus dem ektodermalen Teile der
Haut sich bildet. Zahlreiche Forscher haben
diese merkwürdige Erscheinung zu erklären ver-
sucht, wie uns G. im geschichtlichen Teile am
Anfang seiner Arbeit schildert. Wolf, auf dem
teleologischen Standpunkt stehend, sieht in der
Linsenregeneration den Beweis, daß der Organis-
mus auf eine künstliche Veränderung imstande
ist, in zweckmäßiger Weise zu reagieren. R e i n k e
und Schimke witsch sehen in der Linsenregene-
ration nur eine atavistische Rückkehr zum blasen-
förmigen Auge, wo die Linse sich \om Rande
der Augenblase bildet. Fisch el und andere
Forscher, denen sich auch der Verf. anschließt,
halten die Reizung der Irisränder für die Haupt-
ursache der Linsenregeneration, da in allen Fällen
die Entfärbung der Iris und eine Wucherung ihrer
Zellen zu beobachten ist. Karoline Reis.
Speisezettel des Frosches. — Gelegentlich
einer Sektionsübung fiel mir der ungemein
stark und straff gefüllte Magen eines über
9 cm großen Exemplares des Seefrosches
(Varietät vom grünen Teichfrosche, Rana escu-
lenta) auf. Als auf mein Geheiß der Magen ge-
öffnet wurde, zog der betreffende Schüler eine
Maus hervor, die ausgestreckt rund 8 cm lang
(ohne Schwanz) war. Es ist mir beinahe uner-
klärlich, wie der Frosch diesen gewalligen Bissen
hat hinunterwürgen können. Die Maus war noch
sehr wenig verändert, also wohl kurz vor dem
Fang am Nachmittage vom Frosche aufgenommen.
Ob er sie lebend verspeist hat, läßt sich natürlich
nicht entscheiden , obgleich gerade diese F"rage
sehr interessant ist, doch erinnere ich mich noch
nirgends gelesen zu haben, daß ein Frosch Mäuse
fängt oder auch nur frißt. \'erdächtigend für
ähnliche Räubereien ist aber noch der Befund in
einem anderen F"roschmagen , der einige Vogel-
federn betrifft. — Eine weitere Revision der übri-
gen Froschmagen ergab noch eine bunte Folge
von Kerbtieren und Schnecken, nämlich: Spanner-
raupen, Wasserskorpione, Wespen, Libellen, Flie-
gen, Blattkäfer, 2 Nacktschnecken. Alle diese
Tiere waren vollständig verschluckt, auch die
ziemlich großen, langbauchigen Libellen.
Magdeburg. Dr. O. Rabes.
Bücherbesprechungen.
E. Zschimmer, Eine Untersuchung über
Raum, Zeit und Begriffe vom Stand-
punkte des Positivismus. Leipzig, Verlag
von W. Engelmann, 1906. 54 S. — Preis 1,20 Mk.
Es ist erfreulich , daß sich die Versuche , die
Dinge und Vorgänge von positivistischem Standpunkte
aus zu betrachten und das Vorgefundene eingehend
zu beschreiben, trotz starker Gegenströmungen mehren.
Auch die vorliegende Schrift ist in kritisch - empiri-
schem Sinne gehalten und behandelt das Wesentliche
des Gestalt- und des Zeittatsächlichen, insbesondere
den Begrifl^ der Zeit und der .\nderung, hebt die
Eigentümlichkeiten von Sinnlichkeit, Erinnerung und
Vorstellung und deren Verknüpfungen hervor, um
zum Schlüsse das Charakteristische des Begriffes und
der Begriffsbildung zu untersuchen.
Im Gegensatze zu F. Dreyer, der die drei-
dimensionale Gestalttatsächlichkeit durch eine zwei-
fach-mannigfaltige Gesichtstatsächlichkeit und durch
eine hinzutretende hypothetische, metageometrische
Auffassung zustande kommen läßt, sucht Zschimmer
nachzuweisen, daß man auch direkt zum Begrift'
einer Dreidimensionalität geführt werde. Indes dürfte
der Verfasser die Dreyer'sche Auffassung nicht wider-
legt haben. Auch mit der Einteilung der Tatsäch-
lichkeit als eines Ganzen in das , .gegebene Sein", das
„Neue" und die „.Änderung" wird man schwerlich sich
befreunden.
Der zweite Teil des Werkchens, der sich auf
Sinnlichkeit, Erinnerung, Vorstellung und deren Ver-
N. F. VHI. Nr. i
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
15
knUpfung, sowie auf das Eigentümliche des liegriffes
und der Hegriftsbildung bezieht, verdient volle An-
crkenninig. Gut sind ferner die eingeflochtenen kri-
tischen Bemerkungen, in denen sich Z schimnuM-
rait Kant auseinandersetzt. .^ngersbacll.
Dannenberg, (". eologie der Steinkohlen-
lager. ]. Teil. Gebr. Bornträger in IIlmIIu. kioS.
— Preis 6,50 Mk.
Es ist sehr verdienstlich, daß sich Verfasser der
Mühe unterzogen hat, eine Geologie der Steinkohlen-
lager zu sclirelben, und zwar sei gleich von
vornherein betont , daß es sich im wesentlichen um
eine rein stratigraphische Steinkohlengeologie handelt.
In bciiuemer und zuverlässiger Weise findet man dies-
bezüglich alles zusammengestellt, und zwar werden in
dem vorliegenden I. Teil besprochen : das Ruhrkohlen-
revier, die .Ablagerungen von Ibbenbüren und Osna-
brück, das Aachener Revier 1 natürlich mit Einschluß
der neuerdings bekannt gewordenen Fortsetzungen
desselben z. B. bei Limburg), das Pfalz-Saarbrücken-
i,othringer Revier, das niederschlesisch- böhmische
Revier und das oberschlesisch - mährisch - polnische
Revier. Verfasser hat sich bei der Fülle von Tat-
sachen, die in Frage kommen und bei der auch hier,
wie in den meisten anderen Disziplinen unermeßlichen
Literatur, eine ganz gewaltige Aufgabe gestellt und,
wie gesagt, hinsichtlich der rein stratigraphischen Dar-
stellung ist das Buch, soweit es bis jetzt vorliegt,
sehr wertvoll. Es ist für den Einzelnen gar nicht mehr
möglich alles das, was für die Behandlung einer
Geologie der Steinkohlenlager in Betracht kommt,
vollständig zu beherrschen. Das zeigt sich namentlich
in der Einleitung des Buches, die sich mit der
Klassifikation der Steinkohlen und ihrer Bildung und
mit damit Zusammenhängendem beschäftigt. Die
Paleobotanik, die hierbei mit in Rücksicht zu ziehen
ist, ist eine dermaßen schreibfreudige Disziplin, daß
es da wahrhaftig kein Wunder ist, wenn selbst ein
gewissenhafter .Autor wie Dannenberg hier gelegentlich
die wichtigsten und wertvollsten Literaturerscheinungen
nicht kennt, die ja auch leicht in der Fülle der wert-
losen Masse untergehen, jedoch äußerlich bemerkens-
werterere Erscheinungen von Dilettanten auf paleo-
botanischem Gebiet zitiert, vor denen man geradezu
warnen müßte. Wir befinden uns jetzt in der Periode
der Kompendien, d. h. der Zusammenfassung wichtiger
Wissensgebiete, und wer ein solches Kompendium
hefert, wie dies Dannenberg durch seine Geologie
der Steinkohlenlager tut, der erwirbt sich den Dank
derjenigen, die diese Disziplin zu berücksichtigen haben
und dadurch viele Zeit, die beim Studium von Spezial-
literatur darauf gehen würde , ersparen. Ich glaube
aber, daß wir in einer späteren Zukunft doch bei der
Bearbeitung solcher Kompendien, soweit es sich um
so schwierige Gebiete handelt wie das vorliegende,
dazu kommen werden, eine gemeinsame Bearbeitung
verschiedener in Betracht kommender Fachleute zu
erreichen. Da hierbei eine sehr kenntnisreiche, ver-
ständige, ausfeilende Redaktion notwendig wird, be-
gegnet solch ein Plan allerdings recht großen Schwierig-
keiten, und vorläufig wird es d.iher wohl noch lange
dabei bleiben, daß Einzelne sich der Mühe unterziehen
und das Wagnis unternehmen, die Gesamtgegenstände
in zusammenfassender Form zu behandeln. Was da-
bei einem Einzelnen möglich ist, das hat Dannenberg
in dem ersten Teile seines Werkes erreicht. P.
Prof Dr. Konrad Keilhack, Lehrbuch der prak-
tisch e n Geologie. .Arbeits- und Untersuchungs-
nuthoden auf dem Gebiete der Geologie, Minera-
logie und Paläontologie. 2. völlig neu bearbeitete
.Auflage. Mit 2 Doppeltafeln und 348 Abbildungen
im Text. Stuttgart, Ferdinand Encke, 1908. —
Preis 20 Mk.
Die zweite Auflage enthält Beiträge verschiedener
anderer Autoren, so von E. v. Drygalski, E. Kaiser,
P. Krusch, S. Passarge, Ä. Rothpletz, K.
Sapper und A. Sieberg.
Das Werk ist inhaltlich um etwa die Hälfte um-
fangreicher geworden als die erste Auflage. Wir
haben seinerzeit auf das Buch hingewiesen und die
Wichtigkeit desselben für jeden , der mit der Praxis
der Geologie zu tun hat, hervorgehoben ; aber auch
derjenige, den wesentlich nur die theoretische Geo-
logie interessiert, muß in dem Falle, daß er sich ein
Urteil über die Zuverlässigkeit gewonnener Resultate
bilden will , von der Methodik , durch welche die
Resultate gewonnen wurden, Kenntnis nehmen. Auch
nach dieser Richtung hin hat das vorliegende Buch
einen Wert. Es ist so ausführlich und umfassend,
daß derjenige, der in ihm einen Rat sucht, sich wohl
kaum vergebens an das Buch wenden wird. Es zer-
fällt in 3 große Teile, nämlich in I. Arbeiten im
Felde, II. Arbeiten im Hause, III. Paläontologische
Methoden. Jeder dieser Abschnitte zerfällt in eine
Anzahl Kapitel, die in den beiden ersten Abschnitten
unter folgende Gruppen zusammengefaßt sind : I. A.
Die geologische Kartenaufnahme , B. Besondere geo-
logische Beobachtungen , C. Aufsuchung und Unter-
suchung technisch nutzbarer Ablagerungen, D. Unter-
suchungsmethoden das Wasser betreftend. Der II. Ab-
schnitt zerfällt in : A. Methoden der Bodenunter-
suchung, und B. Mineralogisch-petrographische Me-
thoden.
i) Prof H. Klingelhöffer, Leitfaden der Phy-
sik. 187 Seiten mit 334 Abbildgn. Gießen, E.
Roth, 1908. — Preis geb. 2 Mk.
2) K. Fufs und G. Hensold, Lehrbuch der
Physik. 55S S. mit 448 .Abbild, und Spektral-
tafel. Freiburg i. B., Herder, 1908. — Preis 5,30 Mk.,
geb. 6 Mk.
3) Prof Dr. Breitfeld, L e i t f a d e n für den Unter-
richt in der Xat urlehre. 128 Seiten. Dazu
I Heft mit Abbildungen (29 Seiten). Leipzig,
Degener, 1908. — Preis 1,50 Mk. -|- i Mk.
i) Dieser Leitfaden enthält nur das Wichtigste,
er ist für die Unterstufe bestimmt. Die Figuren sind
vielfach nicht ganz einwandfrei. So fehlt bei der
Feuerspritze der Stützpunkt des Hebels, ebenso der
Scheibe der Elektrisiermaschine das Achsenlager, bei
den Thermometern sind die Lumina der Röhren fast
so dick wie die Kugeln, der gezeichnete Phonograph
i6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. vin. N. I
könnte nie funktionieren, die perspektivischen Ellipsen
sind durchgängig viel zu spitz gezeichnet. Im Text
sind uns keine Stellen aufgefallen, die zu beanstanden
wären.
2 ) Das klar und elementar geschriebene Buch
von Fuß und Hensold ist sehr reichhaltig und eignet
sich namentlich für Seminare und höhere Töchter-
schulen. Die neue Auflage tragt dem Fortschritt der
Wissenschaft im allgemeinen Rechnung, doch sollte
unseres F.rachtens die Radioaktivität ausführlicher be-
sprochen werden.
3) Der kurze I-eitfaden von Breitfeld faßt die
wichtigsten Unterrichtsergebnisse der Physik und
Chemie mit wenigen Worten zusammen und ist daher
für Wiederholungen seitens des Schülers "gut geeignet.
Ursprünglich war diese Ausarbeitung für die Bau-
gewerkschule in .Münster bestimmt, demgemäß ist die
Auswahl den Bedürfnissen dieser Schulgattung ange-
paßt. So wird z. B. die Spektralanalyse nicht er-
wähnt. In dem Leitfaden befinden sich keine Ab-
bildungen. Das die Abbildungen enthaltende Heft
gibt eine Reihe von Vorlagen zu Tafelzeichnungen,
die zumeist von Oberlehrer Wohlgeboren stammen.
Auch diese geschickt entworfenen Zeichnungen können
dem Schüler einen guten Anhalt für Wiederholungen
bieten. Kbr.
Anregungen und Ant\vorten.
Zur Nachricht an die Leser. — Um mehr Platz zu
gewinnen, wurde der Titelkopl' des redaktionellen Teiles
durch VVeglassung der Vignette usw. wesentlich verkleinert,
während der Umschlag diesbezüglich seine bisherige Form
bewahrt liat. — Red.
Herrn Seh. in Kr. — Rotfärbung der Hölzer
kommt wiederholt vor. Unter unseren einheimischen Hölzern
zeichnet sich das Erlenholz (von Aliiiis glutiiwsn L.) da-
durch aus, daß es im frischen Zustande gelbrot, nach dem
'i'rocknen hell rostrot wird. Auch das Kirschbaumholz
zeigt im Splint eine rötliche Färbung. — In den Tropen gibt
es eine ganze Reihe von Rothölzern, die eine mehr oder
minder intensive rötliche Farbe zeigen. Sic stammen gröl3ten-
leils von Arten der Leguminosen-Gattung Caesalpinia ab, und
dienen zum Färben, zur Fabrikation von Lack und Tinte oder
werden in der Kunsttischlerei verwendet. Solche Hölzer sind
z.B. das Fe r nam b uk-H olz (von C ifc/(/»(7.'rt aus Brasilien),
das Sappan-Holz (von C. sappan L, aus dem tropischen
Asien), von hellroter Farbe. Die Rotfärbung rührt in diesem .
Falle von dem sogenannten Brasil in her, das sich in dem
inneren älteren Teile des HolzUörpers (dem Kernholz) ab-
lagert.
Außer Caesalpinia gibt es noch einige andere Gattungen
der Leguminosen , die rote Hölzer liefern. So besonders
.■\rten der Gattung Pterocat pus ; Pt. lialbcrgioides Ro.\b. von
den -Xndamanen liefert das sog. Andaman-Rotholz (oder
An da man Padouk). Mehrere afrikanische Arten der
Gattung besitzen rotes Holz. Von Bapliia nitida , einer in
Westafrika (Sierra Leone) heimischen Leguminose, stammt das
Cam-Wood (afrikanisches Rotholz); es soll ursprüng-
lich weiß sein und erst an der Luft die rote Färbung anneh-
men. Es ist eine weit verbeitete Erscheinung, daß die Fär-
bungen bei Einwirkung von Licht und Luft sich verliefen
oder überhaupt erst dann auftreten. 11. Harms.
Herrn H. — Geologische Anfänger-
Literatur und geologische Vereine. —
Ein sehr empfehlenswertes Buch, das wohl allen lliren
.Ansprüchen genügen dürfte, ist die , .Vorschule der Geologie"
von Joh. Wallher, die kürzlich in 3. Auflage (Jena 190S)
zum Preise von 2,50 Mk. erschienen ist. Dort finden Sie
auch eine Zusammenstellung aller guten geologischen Führer
und Karten. Eine wesentliche Förderung in Ihrem geologi-
schen Interesse würden Sie sicherlich durch den Anschluß an
einen der bestehenden geologischen \'ereine gewinnen. Es
sind deren im Deutschen Reiche zurzeit vier vorhanden :
I)ic Deutsche geologische Gesellschaft, der Oberrheinische
geologische Verein, der iN'iederrheinische geologische Verein,
der Niedersächsische geologische Verein. A^on allen vier
Gesellschaften werden namentlich die geologischen Exkur-
sionen lebhaft gepflegt. Die Deutsche geologische Gesell-
schaft mit dem Sitze in Berlin , eine Vereinigung aller deut-
schen Fachgenossen , hält regelmäßige Monalsversanmilungen
in Berlin und jährlich eine große allgemeine Versammlung an
wechselnden Orten ab. An die letztere schließen sich etwa
14 Tage dauernde Exkursionen an. Jedes Mitglied erhält die
wissenschaftlich bedeutende Zeitschrift, jährlich einen starken
Band. Die drei anderen V'ereine besitzen entsprechend ihrem
wesentlich geringeren Jahresbeiträge kleinere Publikations-
organe. Alle il>re jährlich niehrfacli wiederholten Tagungen
wechseln mit dem Orte und sind stets mit ein- oder mehr-
tägigen E.\kursionen unter fachmännischer Leitung verbunden.
Die derzeitigen Vorsitzenden der vier Vereine sind der Reihe
nach : Prof. Dr. H. Rauff, Berlin (Bergakademie) ; Geh. Ober-
bergrat Prof. Dr. Lepsius, Darmstadt ; Geheimrat Prof. Dr.
Seinmann, Bonn ; Prof Dr. H. Stille, Hannover.
Str.
Herrn K. L., llalver i. W. — Ihr Ofenrohr ist in diesem
Sommer stark gerostet. Sie schreiben, durch den Lack seien
viele mehr oder weniger große, rotbraune Tropfen durchge-
brochen. Es scheint sich, soweit man dies nach Ihren Schil-
derungen zu beurteilen vermag, lediglich um eigentümliche
Kosterscheinungen zu handeln. Ist der Lacküberzug an einer
Stelle, die nicht größer zu sein braucht, als eine Stecknadel-
spitze, beschädigt, sei es nun infolge ungenügenden Anstrichs
oder durch Abspringen — stets wird sich unter den hierzu
günstigen Bedingungen (Luft und Feuchtigkeit) Rost bilden.
Nach der Gleichung Fe. -f O3 + HjO = Fe2(OH)„ ent-
stehen aus 56 g Eisen 107 g Oxydhydrat (Rost), also
rund das doppelle Gewicht Rost. Da nun außerdem
das spezifische Volumen der letzteren größer ist als das
des Eisens, so nimmt der aus einer gewissen Menge Eisen
entstehende Rost einen viel größeren Raum ein. Nun kann
sich diese entstehende Rostmasse nur rückwärts durch die
kleine Öffnung hindurch ausbreiten , wächst also hier heraus
und setzt sich an der Oberfläche des Lacks rund um die
Öffnung in Form eines Tropfens an. Hat die Einwirkung
lange genug stattgefunden, ist das Eisen an der betreffenden
Stelle durchgefressen , so bricht natürlich auch der Rost im
Inneren des Ofenrohrs durch.
Von einer Einwirkung im Heizstoff enthaltenen Schwefels
kann nicht die Rede sein, da nur glühendes Metall Gase
diffundieren läßt, und der Angriff, wie Sie schreiben, von außen
vor sich geht. Je nach dem Grade der Luftfeuchtigkeit ent-
hält der Rost natürlich mehr oder weniger Wasser. Heizen
Sie also den Ofen, so verdampft dieses und der Rost
bäckt fest an. Wenn Sie die Tropfen mit einem feuchten
Lappen abwischen, werden Sie ebenfalls die schadhafte Stelle
im Lacküberzug sehen. Sie haben beobachtet, daß der An-
griff dann wieder beginnt, wenn Sie das Rohr einsetzten. Das
ist ganz richtig. Durch den Zug wird durch bereits schad-
hafte Stellen des Eisens die Luft angesaugt, und mit ihr
Feuchtigkeit, und so geht die Rosterscheinung weiter. Auch
wenn das Rohr unten nicht verstopft war, findet dies statt,
weil dann besonders innen viel Feuchtigkeit mitgerissen wird.
Lb.
Inhalt: Prof .\. Pütt er: ,,Die Ernährung der Wasserticre" und ,,der Stoffhaushall des Meeres". — Sammelreferate
und Übersichten: Werner Mecklenburg: Neues aus der organischen Chemie. — Kleinere Mitteilungen:
Jan G r o r h ra ali c ki: Über die Linsenregeneration bei den Knochenfischen. — Dr. O. Rabcs: Speisezettel des
Frosches. — Bücherbesprecbungen : E. Zschimmer; Eine LTntersuchung über Raum, Zeit und Begriffe vom Stand-
punkte des Positivisnius. — fiannenberg; Geologie der Steinkohlenlager. — Prof. Dr. Konrad Keilhark: Lehr-
IukIi der praktischen Geologie. — Sammel-Referat über physikalische Lehrbücher. — Anregungen und Antworten.
Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Polo nie, Groß-LichterfeldeWest b. Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pälz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Nene h'uli;e VIII. Hau,!;
der gan/eii Reihe XXIV li.md.
Sonntag, den lo. Januar igog.
Nummer 3.
,,Die Ernährung der Wassertiere" und „der Stoffhaushalt des Meeres".
Zwei Referate über Prof. A. Püttei's gleichnamige Arbeiten (Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. VlI, 1907, p. 283—368)
[Nachdruck veiboten.] von Dr. Friedrich von Möller, Schlofl Sommerpahlen, Livland.
nämlich die im Meervvasser gelösten komplexen
C- Verbindungen, von denen bereits in Pütter's
„Ernährung der Wassertiere" (a. a. O.) die Rede
war, und die hier sehr ausführlich behandelt wer-
den, nachdem zuvor die chemische Zusammen-
II. Der Stoffhaushalt des Meeres.
Vom „Haushalt der Natur", von dem so oft
in der biologischen Literatur die Rede ist, können
uns nur quantitative Untersuchungen einen rich-
tigen Begriff verschaffen. Mensen und seiner
Schule verdanken wir eine generelle Orientierung
über den Organismenbestand der verschiedensten
Meere zu den verschiedensten Jahreszeiten. ,,Was
dagegen noch vollständig fehlt, ist die Kenntnis
des Stoffumsatzes dieser Organismen in der
Z e i t e i n h e i t."
I. Der Stoffbestand des Meeres.
Über die geformten Stoffe der Meere haben
wir also eine zur allgemeinen Übersicht genügende
Kunde, über eine Reihe der gelösten Stoffe
gleichfalls, aber eine höchst wichtige Stoffgruppe
ist der Bestimmung bisher völlig entgangen,
Setzung der Meeresorganismen erörtert worden ist.
a) Die Meeresorganismen.
Die folgenden Angaben sind umgerechnet aus
Lohmann's Zahlen für das Plankton von
Syrakus, welche, da L o h m a n n das Wasser durch
Papier oder Seide filtrierte, auch die dem Plank-
tonnetz entgehenden winzigen Organismen be-
treffen. „Von dem Volumen ist auf das Lebend-
gewicht geschlossen unter Annahme eines spezifi-
schen Gewichtes von 1,030." Die (aschehaltige
d. Ref.) Trockensubstanz wurde zu 20,7"/,, des
Lebendgewichtes angesetzt.
„Tabelle I (auf 1000 1 Meerwasser bezogen d. Ref.)
Zalil der
Volumen
Lebendgewicht
Trockensubstanz
mg
Individuen
cmm
mg
(aschehaltig d. Ref.)
Diatomeen
i,ioo,;oo
10,2
10,60
2,20
i Pyrocysteen
65
0,9
0,93
0,19
Peridineen Gymnodineen
404,250
0,66
0,68
0,14
Peridiniaceen
37,450
0,7
0,72
0,1.5
.andere Flagellaten
38,680
0,04
0,04
0,08
0,00828 d. Ref.)
Halosphacra
7,760
0,7
0,72
0,15
Protophyten unsiclicrer Stellung
494,100
3,8
3,92
0,81
Rhizopoden
5.9S5
0,8
0,83
0,17
Flagellaten
264,400
0,27
0,28
0,06
( Tintinnen
Cihaten [
[ andere Ciliaten
19,830
0,06
0,06
0,01
35.295
)
—
—
-Metazoen
17,325
34,7
36,00
7,50
(7,45 d. Ref.)
Bakterien
785,000,000
0,8
0,83
0,17"
„Es beträgt dann die Menge der Trockensubstanz
(aschehaltig d. Ref.) in 1000 1
aus Protophyten 3,70 mg ( 3,648 mg d. Ref.)
,, Protozoen 0,24 ,, ( 0,24 ,, ,, ,, )
,, Bakterien o, 17 ,, (0,17 ,, ,, ,, )
,, Metazoen 7,48 ,, ( 7,45 ,, ,, ,, j
Summa: 11,59 mg (11,508 mg d. Ref.)"
„Für die Hauptvertreter der großen Gruppen
der Planktonorganismen gibt" Brandt ,, zusammen-
fassend den Gehalt der Trockensubstanz an Eiweiß,
Kohlehydraten, Fetten, Chitin und Asche. Von
Diatomeen wurde Chaetoceras, von den
Peridineen Ceratium tripos untersucht, als
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 2
Vertreter der Metazoen gelangten Copepoden
zur Analyse."
„Tabelle II. ■)
Zusammensetzung der häufigsten Planktonorga-
nismen nach Brandt.
a) auf loo Teile (aschehaltige d. Ref.) Trockensubstanz
Diatomeae I'eridineae Copepoda
Chaetoceras Ceratium Iripos spec.
Eiweiß 10,7 '3.° 59'°
Kohlehydrate 21,5 So,6 20,o
Fette 7,0 1,5 7i7
Chitin — — 5>3
Asche 6^,3 5,0 9,3
Summa: 100,0
100,0
100,0
bl auf 100 Teile aschefreie Trockensubstanz
C ; N = I : 9,5 C : N = I ; 20,0 C : N ^ i : 4,8
(N : C = I : 9,6 (N : C = I : 20,5 (N : C = I : 4,8
d. Ref) d. Ref.) d. Ref.)
Eiweiß 31,0 13,5 65,0
Kohle-
hydrate 62,0 85,0 22,0
Fette 7,0 1,5 7,7
Chitin -— — 5,3
Summa: 100,0 100,0 100,0"
Aus Tabelle II und der vorhin angegebenen
Menge der aschehaltigen Trockensubstanz in 1000 1
berechnet Verf. annähernd die Zusammensetzung
der aschefreien Trockensubstanz aus 1000 1 Meer-
wasser und ihre Verteilung auf die Gruppen des
Plankton und erhält :
„Tabelle III.-)
Die Flanktonorganismen aus 1000 Litern ent-
halten :
') Am Kopfe der Tabelle IIb, wie auch auf p. 330 und
331, sind m. E. die Symbole C und N verwechselt worden,
ich erhalte außerdem bei Diatomeen und Peridineen ein etwas
anderes Verhältnis von N und C. Bei dieser Kontrollberech-
nung ergab sich folgende prozentische Zusammensetzung der
aschefreien Trockensubstanz der
Diatomeen Peridineen Copepoden
C SP °/o C 47,2 o/„ c 53,8 «/„
H 6,7 „ H 6,2 „ H 7,1 „
N i;,2 „ N 2,3 „ N 11,4 ,,
O 38.9 .. O 45,5 „ O 29,5 ,.
S 0,7 ,, S 0,3 „ S 1,6 „
101,5 »/o 101,5 7o 103,4 "/o
Die Fehler in der Prozentberechnung sind absichtlich
nicht ausgeglichen.
Zugrunde gelegt wurden dieser Berechnung folgende Werte
und Formeln : Eiweiß enthält 55 »/„ C, 7 »/„ H, 17 »/„ N, 24% O,
2,4 <•/„ S (Summa: 105,4) (Landois Physiologie, 9. Aufl., 1896,
p. 12) mit Fortlassung der ersten Dezimalstelle bei H
und N.) — Die Kolilehydrate von der Zusammensetzung
CoHioOs enthalten: 45.5% C, 6% H, 49,5"/,, O (Summa:
101,0). — Die Fette enthalten 76,5 "/„ C, 12,0% H, 11,5% O
(Summa: 100,0) (Landois, a. a. O.). — Das Chitin, ein N-
haltiges Glykosid von der Formel C,5 Hog N.^ 0,„ enthält
45,6 »/„ C, 6,5''/„ H, 7,3 7o N, 40,6 o/„ O" (Summa: 100,0.)
(Landois, a. a. O. p. 491). D. Ref.
^) Ich bemerke hierzu, dali die Summe der in Tabelle 111
verteilten Stoffe 9,84 mg beträgt, während vorhin für die Menge
der aschehaltigen Trockensubstanz aus looo 1 11,59 mg an-
gegeben war. Die Differenz beträgt 1,75 mg und stellt
offenbar den Aschengehalt dar. Davon haben dann die Pro-
tophyten 1,03 mg, Protozoen und Bakterien 0,01 mg und die
Metazoen 0,71 mg .Aschengehalt. D. Ref.
mg
mg
mg
mg
Protophylen
0,40
2,20
0,07
—
Protozoen u.
Bakterien
0,05
0,34
0,01
—
Metazoen
4.40
1,50
0,52
0,35
Summa
4,^5
4,04
0,60
0,35'
... ... Kühle- „ ,, ,,,.,. C:N(N:C
Liweiß , , . Fette Lhitin , „ /■%
hvdrate d. Ref.)
1:4,6
b) Die gelösten Stoffe.
I. Der Sauerstoffgehalt.
DerSauerstoft'gehaltdesMeerwassersimGolfvon
Neapel unterliegt sehr bedeutenden Schwankungen.
,,Bei gleicher Temperatur wurden an derselben Stelle
im Meere zu gleicher Tageszeit an verschiedenen
Tagen" folgende Werte beobachtet (im Liter): bei
12,8" — 6,8 mg; 7,0 mg; 8,0 mg, „also Unterschiede
von 17— iS^n des ganzen Wertes. Bei 13,1"
fanden sich folgende Zahlen: 5,8; 7,3; 7,8; 7,8;
also noch bedeutendere Schwankungen (34 "/^ !)"
,,Es wurde stets Oberflächenwasser untersucht."
(Mittelzahlen ,
Der Kohlenstoffgehalt.
„Tabelle VI.
pro Liter Meerwasser.
D. Ref.)
Kohlensäure
flüchtige Säuren
andere höhere
Säuren, Kohlen-
wasserstoffe usw.
Menge Kolilenstoff- Sauerstoffkapazität
gehalt
in mg in mg in mg
99 27 o
36 23 43
70
4-'
137
(Summa : 205
92
iSod. Ref.y
3. Der Stickstoffgehalt.
,,Bei den geringen Mengen, in denen der
Stickstoff im Meerwasser enthalten ist, liegen
die Werte, die man erhält, gerade an der Grenze
des Bestimmbaren und können daher nur die
Kenntnis der Größenordnung vermitteln, während
der prozentuale Fehler sehr hoch ist." Es beträgt
in einem Liter Meerwasser der Stickstoffgehalt:
Kjeldahl-Stickstoff . 0,56 mg
Nitrit- und Xitrat-Stickstoff 0,1 !S mg
Gesamtstickstoff 0,74 mg
Es kann aber nach Ansicht des Verf dieser
Wert um etwa die Hälfte zu niedrig sein.
4. Das Verhältnis von Kohlenstoff, Stickstoff und
Sauerstoff im Meerwasser.
Im Liter Meerwasser ist das Verhältnis von
N: C :0 ^ 0,74 : 92 : 7,6 (= i : 125 : 10,25 d. Ref.).
Dagegen ist im Plankton C : N (N : C d. Ref.)
= I : 10 (bei Diatomeen i :9,6, bei Peridineen
1:20,5, bei Copepoden 1:4,8, vgl. Tabelle IIb
d. Ref). „In höchst auffälligem Mißverhältnis zur
Menge des Kohlenstoffs steht jene des gelösten
Sauerstoffs, der im Mittel der Bestimmungen
7,6 mg beträgt (pro Liter d. Ref)." Die Zahlen
der angeführten Tabelle VI zeigen, „daß die
Mengen Sauerstoff, die die organischen Verbin-
dungen eines Liters zur vollständigen Oxydation
N. F. VIII. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
19
verbrauchen würden , viel größer sind als der
disponible Sauerstoff". „Die Sauerstoffkapazität der
unvollständig oxydierten Verbindungen beträgt
pro I 1 180 mg, während nur 7,6 mg oder nur
wenig über 4 "'„ dieser Menge verfügbar sind."
c) Vergleich dergelösten und geformten
Stoffe im Meere.
„Kin Vergleich der Stoffmengen, die im Meere
gelöst sind, mit jenen, die in Form von Organis-
men darin leben, zeigt, wie außerordentlich ge-
ring die Masse der geformten Stoffe denen der
ungeformten gegenüber ist." „In looo 1 sind an
gelöstem C 92,000 mg, an gebundenem in Orga-
nismen nur 4 mg, d. h. in Lösung befindet sich
23,000 mal mehr wie in den Leibern der Plankton-
wcsen. Für den .Stickstoff beträgt die Menge in
Lösung, 740 mg, in Organismen 0,4 (ca. ' jq der
C-Menge d. Ref.), so daß 1850 mal mehr" im
Meerwasser gelöst ist als in den Organismen vor-
handen.
„Es wird also auch für C und N nicht be-
hauptet werden können, daß sie im gewöhnlichen
Sinne ,im Minimum' vorhanden wären, und damit
wird die Frage von den Grenzen der Produktion
im Meere von neuem einer Diskussion bedürftig,
nachdem Brandt sie dadurch zu lösen versuchte,
daß er annahm, der Stickstoff wäre im Minimum
vorhanden." „Die Planktonmengen, mit denen
hier gerechnet wird, beziehen sich auf einen
relativ sehr planktonarmen Meeresteil, die Fänge
der Ostsee sind um das Vielfache reicher, und
hier würden die Zahlen des Überschusses der
gelösten über die geformten Stoffe sehr viel ge-
ringer ausfallen, aber auch hier würden die Plank-
tonorganismen insgesamt immer noch viel weniger
Stickstoff enthalten, als in Form von NH., und
Nitrat (im Meerwasser d. Ref) vorhanden ist.
Die Menge des Kjeldahl -Stickstoffes ist für die
Ostsee unbekannt, und ebenso jene des komplex
gebundenen Kohlenstoffs. Es ist- daher nicht
zweckmäßig , die Planktonmengen der Kieler
Bucht mit den Mengen gelöster Stoffe im Golf
von Neapel zu vergleichen, während das Plankton
von Syrakus als gut zum Vergleich brauchbar
erscheint."
II. Der Stoffumsatz im Meere.
„Die bisher gegebenen Daten bezogen sich
nur auf den Stoffbestand in einem gegebenen
Augenblick, oder auf die Änderung von Tag zu
Tag oder mit den Jahreszeiten bei ungehindertem
Stoffaiistausch des untersuchten Wasservolumens
mit dem übrigen Meerwasser und mit der Atmo-
sphäre. Was wir auf diesem Wege kennen
lernen", „sind die Schwankungen um einen Gleich-
gewichtszustand", „in dem die Summe' aller Prozesse,
die im entgegengesetzten Sinne verlaufen, etwa
gleich Null wird, oder doch nur sehr gering und
zwar periodisch wechselnd, bald positiv bald
negativ ist, so daß der Zustand in einem gegebenen
Moment sich nur wenig ändert." Bei Erhaltung dieser
natürlichen Bedingungen des Gleichgewichtes lassen
sich Schlüsse nur auf das Verhältnis der einzelnen
Partialprozesse ziehen, nicht aber auf die absolute
Intensität eines jeden von ihnen. Um nun einen
Einblick in die Umsatzgeschwindigkeit zu erhalten,
muß man die Bedingungen für das Gleichgewicht
stören, „und nun die Änderung des Zustandes in
der Zeiteinheit beobachten", „wobei für das unter-
suchte Wasserquantum der Austausch mit der
Umgebung ausgeschlossen werden muß".
Nachl, ohmann kann man durch ein Papier-
filter, das von den Bakterien fast quantitativ
passiert wird, diese vom übrigen Plankton trennen.
„In einer mit dem Glase von der Oberfläche ge-
schöpften Wasserprobe sind Metazoen meist über-
haupt nicht vorhanden, so daß der Organismen-
bestand zusammengesetzt ist aus Algen, Protozoen
und Bakterien. Da die Protozoen, wie gezeigt
werden wird, nur einen sehr geringen Anteil am
Gesamtumsatz nehmen, so können wir sagen: In
den beiden Proben haben wir
1. unfiltriert: Algen -}- Bakterien
2. filtriert: Bakterien."
„Von jeder Probe werden zwei Versuche an-
gesetzt um den Sauerstoffverbrauch zu ermitteln,
von denen der eine im Dunkeln, der andere im
Licht gehalten wird."
„Während in der Probe, die unfiltriert im Licht
aufgehoben wird, die Bedingungen für ein Gleich-
gewicht nicht prinzipiell gestört sind, ist in den
beiden filtrierten Proben durch Entfernung der
Algen die Hauptbedingung des Gleichgewichtes
aufgehoben. In der unfiltrierten Probe im Dunkeln
ist durch den Lichtabschluß ein zweifellos für das
Stoffwechselgleichgewicht im Meere sehr bedeu-
tungsvoller Faktor ausgeschaltet."
a) Die Größe der Sauerstoffzehrung
im Meerwasser.
I. Sauerstoffverbrauch der Planktonbakterien.
Aus 12 Beobachtungen erhält Verf. folgende
Werte für den Sauerstoffverbrauch der Bakterien
in einem Liter Meerwasser in 24 Stunden im
Dunkeln:
bei 11,0° (Mittel aus 0,15 mg bis 1,20 mg, fünf Bestimmungen)
— 0,87 mg
bei 13,2" (^Mittel aus 0,30 mg bis 1,42 mg, fünf Bestimmungen)
— 1,38 mg
bei 14,1" (Mittel aus 1,24 mg bis 2,15 mg, zwei Bestimmungen)
— I.7S "lg (1.695 d. Ref.).
Trotz großer Schwankungen ergibt sich also
hier eine bedeutende Steigerung des Sauerstoff-
verbrauches mit der Temperatur. Die Wirkung
des Bakterienstoffwechsels in den Tropen wird
also bedeutend größer sein als in kühleren oder
gar kalten Meeren. Im Lichte beträgt der Sauer-
stoffverbrauch der Bakterien weniger. — Verf. fand
schließlich folgende Werte für den 0-Verbrauch
der Bakterien unabhängig vom Licht:
20
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 2
bei 11,6° - 0,78 mg
„ 12,2« — 1,17 „
„ 13,2° — 1,22 „
also im Mittel: bei 13,1
verbrauch.
bei 13,3» — 1,23 mg
„ I3>9" — i>74 ..
„ 14,1° — i,5.S „
1,29 mg- Sauerstoff-
2. Der Sauerstoffumsatz der Planktonalgen.
.,Um die Größe der Sauerstoffproduktion der
Planktonalgen kennen zu lernen, muß man die
Sauerstoffzehrung (m. E. wäre Sauerstoff u m s a t z
richtiger d. Ref) des unfiltrierten Wassers im
Licht untersuchen, und mit dem gleichzeitigen
Sauerstoff konsum der Planktonbakterien vergleichen.
Es ist in allen Fällen eine deutliche Sauerstofif-
produktion zu konstatieren, die mit steigender
Temperatur steigt." „Die Werte schwanken zu
sehr, als daß es Zweck hätte, die Einzelheiten zu
verfolgen, es ist vielmehr das Beste, lediglich den
Mittelwert aus allen vierzehn Bestimmungen zu
ziehen und zu sagen: bei 13,0" beträgt die Pro-
duktion von Sauerstoff pro Liter und Tag 0,98 mg."
„Es stellt diese Sauerstoffmenge das Maß für die
Überproduktion der Algen dar, denn sie (und die
Bakterien d. Ref.) verbrauchen in ihrem Stoff-
wechsel Sauerstoff, decken nicht nur diesen ganzen
Bedarf, sondern liefern noch die angegebene
Menge mehr." Aber auch „im Dunkeln haben
die Planktonalgen nicht nur ihren Sauerstoffbedarf
gedeckt", sondern es sind pro Liter in 24 Stunden
noch 0,18 mg freigemacht worden. Dieser Prozeß
ist seiner Natur nach unbekannt, ist aber wahr-
scheinlich auf die zahlreichen Bakterien zurück-
zuführen, welche in der Schleimhülle der Diato-
meen ihren Sitz haben, und auf keine Art von
den Diatomeen getrennt werden können. Es ist
ja bekannt, daß z. B. Nitrobakterien CO'- im Dun-
keln zu spalten vermögen.
3. Methodische Fehler in der Bestimmung des
Sauerstoffumsatzes.
Die der Titrationsmethode zur Last zu legen-
den Fehler sind sehr gering, etwa i "/„. Trotzdem
ist der Sauerstoffgehalt bei gleicher Temperatur
an verschiedenen Stellen sehr verschieden, z. B.
betrug der Sauerstoff verbrauch der Bak-
terien im Dunkeln am 1 8. F'eb. 06 — 1,24 mg,
am 28. nur 0,30 mg — im Licht am 18. 0,94 mg,
am 28. 0,53 mg; die Sauerstoffproduktion
der Algen im Licht am 18. 0,19 mg, am 28.
0,87 mg — im Dunkeln am 18. 0,75 mg, am 28.
nur 0,04 mg. Solche bedeutende Unterschiede
können mit der Verschiedenheit der Zusammen-
setzung des Plankton an diesen Tagen zusammen-
hängen, ,, besonders die Menge der Bakterien, die
einen so bedeutenden Anteil am Stoffumsatz im
Meere nehmen, kann sicher in kurzer Zeit enormen
Schwankungen unterliegen, wenn aus irgend-
welchen Gründen die Vermehrung plötzlich an-
steigt oder absinkt." „Es ist aber auch gar nicht
notwendig, daß der Planktonbestand eines be-
stimmten Raumteiles des Meeres sich derart ver-
ändert hat, denn infolge der permanenten Meeres-
strömungen untersucht man je an zwei aufein-
anderfolgenden Tagen niemals Proben aus dem-
selben Kubikmeter Wasser, sondern es sind stets
Proben von anderen Stellen, die am nächsten Tage
schon wieder irgendwo andershin transportiert sind."
„Den vollen Nutzen wird man aus derartigen Be-
stimmungen des Stoffwechsels erst ziehen können,
wenn stets gleichzeitig die Menge und Art der
Planktonorganismen gezählt, und vor allem auch
der Bakteriengehalt festgestellt wird, eine Aufgabe,
die allerdings die Kräfte eines einzelnen über-
steigt."
b) Die Intensität des Stoffumsatzes der
einzelnen Komponenten des Planktons.
Bei 13, 1 " verbrauchen die Bakterien aus einem
Liter am Tage (innerhalb 24 Stunden) 1,29 mg
Sauerstoff. Diese Leistung vollbringen etwa
1,000,000,000 Bakterien, welche 0,00016 mg asche-
freie Trockensubstanz besitzen. In 24 Stunden
wird 1,29 mg Sauerstoff verbraucht von 0,00016 mg
aschefreier organischer Trockensubstanz, um also
in einer Stunde die gleiche Menge Sauerstoff
(1,29 mg) zu verbrauchen, dazu gehören
0,00016 X 24 =^ 0,0039 nig aschefreier organischer
Trockensubstanz. Die aschefreie organische
Trockensubstanz der Bakterien verbraucht also in
einer Stunde mehr als das 300 fache ihres eigenen
Gewichtes für ihren Stoffwechsel und zwar ist das
nur ihr Sauerstoffverbrauch. Das heißt pro kg
aschefreier organischer Trockensubstanz und Stunde
mehr wie 300,000,000 mg. Der Mensch ver-
braucht für I kg aschefreier organischer Trocken-
substanz und Stunde ca. 1400 mg, d. h. die Bak-
terien verbrauchen relativ 200,000 mal mehr. Dies
erscheint nicht mehr so sehr erstaunlich, wenn
wir nicht nach Gewichtseinheiten, sondern nach
Oberflächeneinheiten vergleichen. „Die Oberfläche,
mit der ein Organismus an sein umgebendes
Medium grenzt, nimmt bei abnehmender Größe
mit dem Quadrat des Radius ab, während die
Masse nach der dritten Potenz (des Radius d. Ref)
abnimmt, so daß das Verhältnis von Oberfläche
zur Masse" sich mit abnehmendem Radius immer
mehr zugunsten der Oberfläche verschiebt. „Es
r'^ I
handelt sich ja um das Verhältnis von -^ = - ."
Wenn die Oberfläche eines einzelnen (als
kugelförmig mit 0,282 /( Radius angenommenen
d. Ref.) Bakteriums zu 10 ,<('' gesetzt wird, so be-
trägt die Oberfläche der Bakterieimienge, deren
aschefreie organische Trockensubstanz gleich 1 kg
ist, 62,500 qml I^eini Menschen kommt auf 1 kg
aschefreie organische Trockensubstanz eine Ober-
fläche von 0,168 qm, d. h. die Oberflächenent-
wicklung der Bakterien ist eine 370,000 mal so
starke als die des Menschen.')
') Der Referent möclite hierzu bemerlien, daß es ihm
richtiger erscheint, nicht nur die Flächenentwicklung der
äußeren Haut des Menschen (ca. 1,59 qm) hier zum Vergleiche
heranzuziehen, sondern auch seine sonstigen, Gase und Nähr-
N. F. VIII. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
21
In gewissem Sinne ist also die Intensität des
Stoffwechsels der Oberfläche proportional. „Eine
derartige Erkenntnis ist, wie ohne weiteres ein-
zusehen, von grundlegender Bedeutung bei der
Beurteilung des Anteils, den irgendwelche Organis-
men am Gesamtumsatz einer Biocönose nehmen.
Wenn wirklich die Intensität des Stoffwechsels
nicht der Masse, sondern der Oberfläche propor-
tional ist, so liegt gerade in der Erforschung der
winzigsten und meist in größler Menge vorhan-
denen Organismen die Hauptaufgabe der Plankton-
forschung, da diese vermöge ihrer immensen
Oberfläche viel mehr bedeuten, als die größeren,
der Erforschung leichter zugänglichen Wesen, deren
Oberfläche sehr viel geringer ist." Immerhin ist maß-
gebend für die Intensität des Umsatzes stets die
spezifische Eigenart der untersuchten Organismen.
Nach welchem Gesetz ändert sich nun die Zu-
nahme der Intensität des Stoffwechsels (d. h.
die in der Zeiteinheit von der Flächeneinheit ver-
brauchte Menge von Nährstoffen) bei abnehmender
Masse, oder, was dasselbe ist, bei zunehmender
relativer Größe der Oberfläche? Theoretisch be-
trachtet wahrscheinlich proportional der Abnahme
des Radius, d. h. also : nur soviel mal wie der
zweite Radius kleiner ist als der erste, um soviel
mehr Masse des Organismus kommt mit dessen
Oberfläche in Berührung und um soviel mal ist
daher die zweite Intensität des Stoffwechsels
größer als die erste. Die Erfahrungen, welche
Driesch mit isolierten Blastomeren von Seeigeln
machte, deutet Verf. in diesem Sinne. „Die zwei
Halbblastomeren liefern zwei Blastulae, die zu-
sammen nicht das Volumen der Vollblastula haben,
sondern kleiner sind (Driesch). Es ist also bei
den Halbblastomeren, die eine relativ größere
freie Oberfläche haben, mehr Material in gleicher
Zeit umgesetzt worden." ,,Man kann sich nach
den Zahlen, die Driesch gibt, leicht überzeugen,
daß das Mehr an Substanz, das die kleineren
Blastomeren verarbeitet haben, proportional der
Abnahme des Radius ist, was Driesch auch ge-
funden, aber nicht in dieser Weise ausgedrückt
hat." ,,Daß in diesem Falle die Steigerung des
Umsatzes gerade so groß ist, wie wir theoretisch
postulieren müssen , nämlich umgekehrt propor-
tional dem Radius, gibt uns einen sicheren Hin-
weis, daß wir mit der Annahme auf dem richtigen
Wege sind, und daß für die Vergleichung der
lösungen resorbierenden Oberflächen, vor allem die Oberfläche
der Lungenbläschen (ca. 8l qm, Landois, Physiol., 9. Aufl.,
1896, p. 206) und des Darmes; für letztere nehme ich, da
mir Angaben fehlen, nur I qm an. Es ergeben sich dann
83,5 qm resorbierender Oberflächen. Das macht (bei 8,9 kg
aschefreier organischer Trockensubstanz) 9,38 qm auf das kg
aschefreier organischer Trockensubstanz — anstatt 0,168 qm
wie der Verf. will. Die Oberflächenentwicklung der Bakterien,
bezogen auf das Kilogramm aschefreier organischer Trocken-
substanz, wäre dann nicht mehr 370000 mal stärker als die
des Menschen, sondern nur 6663 mal. Es will mir aber
scheinen, daß auch dieses Größenverhältnis schon vollkommen
ausreicht, um die furchtbaren Wirkungen der winzigen patho-
genen Bakterien auf den Menschen dem Verständnis näher zu
rücken. D. Ref.
Stoffwechselintensitäten verschiedener Organismen
als Maß der Umsatz pro Flächeneinheit gewählt
werden muß." ,, Unter der ersten rohen Voraus-
setzung", daß alle Planktonorganismen Kugel-
gestalt hätten, berechnet Verf die Gesamtober-
fläche aller in looo 1 enthaltenen Glieder der
Schwebefauna zu 9030 qmm, also pro Liter 9 qmm.
Die einzelnen Gruppen des Plankton zeigen nun
folgende Anteile an der Oberflächenentwicklung,
also nach unserer Annahme auch am Stoffumsatz:
„Tabelle X.
Volumen
Oberfläche
\'olunien , '" |? Oberfläche in "/„ der
des Gc- . „ "•
in cmm , m qmm Gesamt-
samt- ' i, j- u
, obernache
Volumens
in
Prulophyla
17,0
31.8
3>^2"
42,3
Protozoa
1,1
2,1
263
2,9
Bakteria
0,8
I■^
3600
40,0
Metazoa
34,7
64,6
1340
14,8
Summa: 53,6 100,0
9030
100,0"
„Das ist eine ganz andere Verteilung der Be-
deutung, als diesen Gruppen auf Grund der
Volumbestimmung zuerkannt werden konnte."
„Die Bakterien machen nur etwa 1,5 "/(, des Ge
Samtvolumens, aber 40"/,, der Gesamtoberfläche
aus, dagegen beträgt das Volumen der Metazoen
64,6 "/ij des Gesamtvolumens, die Oberfläche nur
14,8%!
III. Der Stoffwechsel des Plankton in den
Seewasseraquarien der Zoologischen Station
zu Neapel.
Die Seewasseraquarien haben 120 mg Gesamt-
kohlenstoff im Liter (gegen 92 mg C des Wassers
im Golfl. Davon sind 38 mg CO'- (27 mg im
Golf), 10 mg flüchtige Säuren (23 mg im Golf),
und ganze 72 mg Kohlenstoffe in anderen Bin-
dungen (gegen 42 im Golf). Das „Mehr an
organischen Stoffen kommt vor allem in der Frak-
tion jener Kohlenstoffverbindungen zum Ausdruck,
die nicht CO^ und nicht flüchtige Säuren, also
höhere Säuren und wohl Huminsubstanzen usw.
sind, d. h. typische Fäulnisprodukte." „In bezug
auf den Sauerstoffgehalt war kein Unterschied des
Wassers im Aquarium und im Golf festzustellen,
woraus allerdings bei den geringen Werten und
hohen Fehlern der Bestimmung nichts geschlossen
werden kann. Infolge der guten Durchlüftungs-
einrichtungen ist das Aquarienwasser stets sehr
reich an Sauerstoff, bei 10,9" betrug der Gehalt
pro Liter etwa 8,5 mg, also jedenfalls nicht weniger
wie im Golf." „Wir haben also eine mit Sauer-
stoff stets sehr reichlich versehene Wassermenge,
die in bezug auf Licht wohl einer Probe aus 50
oder mehr Metern Tiefe entspricht und reich an
Fäulnisprodukten ist." ,,Der Sauerstoffumsatz
dieser Biocönose ergänzt in interessanter Weise
das Bild vom Umsatz im Meere, das wir uns auf
Grund von Studien am Wasser des Golfes ge-
macht haben." Die Sauerstoffzehrung der Bak-
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 2
terien betrug im Mittel aus 8 Bestimmungen —
im Licht bei 10,9" — 0,79 mg, im Dunkeln bei
11,0" — 0,87 mg, also durchschnittlich bei 11,0"
pro Tag und Liter , .unabhängig vom Licht ge-
dacht" 0,83 mg. „Für den Golf betrug bei 11,6"
der entsprechende Wert 0,78 mg und wenn man
mit den Werten für Temperaturein Wirkung, die
oben ermittelt wurden, von 1 1,6" auf 11, o" extra-
poliert beträgt der Verbrauch etwa 0,53 g. Die
Sauerstoffzehrung der Bakterien ist also im
Aquarium um ".^ höher (öo"/,,) als im Golf" Die
Algen des Aquariums produzierten im Licht bei
10,9'^ im Mittel 0,33 mg Sauerstoff und im Dunkeln
bei 11,0 im Mittel 0,13 mg. Merkwürdigerweise
produzieren die Algen des Golfes (ebenfalls auf
11" umgerechnet) im Lichte 0,66 mg, also doppelt
soviel wie die des Aquariums, während sie im
Dunkeln gleichfalls 0,13 mg produzieren.')
IV. Die Sauerstoffzehrung bei längerem
Verweilen im Dunkeln.
Trotz der bedeutenden Sauerstoffzehrung in
den ersten 24 Stunden der Verdunkelung gelingt
es nicht einmal mit dem Wasser des Aquariums
ein wirkliches Ausfaulen zu erzielen. In einem
Falle wurden nach 16 Tagen 5,8 mg Sauerstoff
gefunden, während die Anfangsmenge 8,5 mg
betrug, „und daß noch Prozesse abliefen, die
Sauerstoff ohne Beihilfe des Lichtes freimachten,
zeigten die Veränderungen zwischen dem 12. und
14. Tage, wo der Sauerstoffgehalt von 5,6 mg
auf 6,3 mg zunahm." Auch im filtrierten Golfwasser
trat nach dem Sauerstoffminimum des dritten Tages
wieder ein steigender Sauerstoffgehalt auf. Es
kommen also Prozesse vor, „die ohne Hilfe von
Licht Sauerstoff freimachen, Prozesse, für die wir
Bakterien verantwortlich machen müssen." Diese
Prozesse sind aber offenbar sehr verwickelt und
es zeigt sich, „daß eine große Zahl von Variabein
zusammenwirken, die man durch einen Indikator",
den Sauerstoff, „nicht voneinander differenzieren
kann". Übrigens ergab sich das für die Versuchs-
technik wichtige Resultat, daß es einerlei ist, ob
man 2 1 oder 250 ccm Wasser untersucht, die
Werte für den Sauerstoffumsatz, die man erhält,
sind in beiden Fällen dieselben, nämlich gute
Mittelwerte, wie auch Loh mann es für die Er-
mittlung der Zahl der Planktonorganismen betonte.
V. Die Herkunft der gelösten organischen
Stoffe im Meere.
„Die Entdeckung der erstaunlichen Kohlenstoff-
mengen, die gelöst im Meere vorhanden sind und
durch Messin ger's Kohlenstoffbestimmung auf
nassem Wege der Untersuchung zugänglich wurden,
hat das ganze Bild, das wir uns von den Stoffwechsel-
prozessen im Meere zu machen gewohnt waren, in
fundamentaler Weise umgestaltet." Diese gelösten
') Der Versuch einer Erklärung hierfür ist im Original
nachzulesen (S. 352). D. Ref.
komplexen C-Verbindungen wurden vom Verfasser
als Nahrungsquelle der Wassertiere erkannt und nach-
gewiesen („Die Ernährung der Wassertiere").
„Aber es blieb die F"rage offen, woher die große
Masse der bezeichneten Nährstoffe stammt." „Man
kann nun einmal nicht über die Tatsache hinweg,
daß für die Verluste an verwertbarer Energie, die
bei jedem Lebensbetrieb unvermeidlich sind, in
letzter Linie nur die Sonnenenergie genügenden
Ersatz schaffen kann" und „daß nicht mehr or-
ganische Verbindungen umgesetzt werden können,
als in photosynthetischen Prozessen entstehen".
Eine ausschlaggebende Rolle bei der Photosyn-
these organischer Verbindungen spielen im Meere
jedenfalls nur die Planktonalgen.
Die Planktonforschung nahm bisher an, daß
,,die Leibessubstanz der Plankton-
pflanzen, die in der Zeiteinheit produ-
ziert wird, denselben (oder einen
höheren) Nährwert repräsentieren müsse,
wie die Leibessubstanz der sämtlichen
Konsumenten." (Vom Ref gesperrt.) Verf.
dagegen weist diese übermäßige Betonung des
Baustoffwechsels, als prinzipiell jeder Begründung
entbehrend zurück, und stellt seinerseits folgendes
Postulat auf: ,,Daß in der Zeiteinheit (Zeitiichkeit
ist wohl ein Druckfehler d. Ref) im Stoffwechsel
der Produzenten soviel organische Verbindungen
(gelöst oder in Organismen gebunden)
produziert werden sollen, wie die Konsumenten
brauchen, um einerseits ihren Bedarf an Nahrung
zu decken (Betriebsstoffwechsel) und anderer-
seits ihre Leibessubstanz aufzubauen (Bau Stoff-
wechsel)" (vgl. Pütter's „Ernährung der Wasser-
tiere" d. Ref.).
Die Planktonalgen liefern im Licht 0,8 mg
Sauerstoffüberschuß pro Tag und Liter, was der
Zerlegung von 1,1 mg CO., mit 0,3 mg C entspricht
(p. 384 des Originales). Ihre aschefreie organische
Trockensubstanz beträgt pro Liter 0,003 mg, mit
etwa 4270 C- Gehalt = 0,0013 ^S Kohlenstoff.
Aus dem Sauerstoffüberschuß von 0,8 mg pro
Tag und Liter entsprechend der Zerlegung von
03 nig C ist also auf einen Betriebsstoffwechsel
0,3
zu schließen von — ' =230 mal so groß wie
0,0013 '
die Leibessubstanz, soweit sie aus Kohlenstoff besteht.
Nehmen wir als Teilungsgeschwindigkeit 12 Stun-
den an, also vervierfachte Algenmasse am Ende
der 24. Stunde (d. h. 4 >, 0,0013 mg C = 0,0052
mg C), so bleibt der Betriebsstoffwechsel immer
noch ca. 60 mal größer als der Baustoffwechsel.
(Für diesen haben wir aber hiermit stillschweigend
die ganz unwahrscheinliche Annahme gemacht,
daß ihm von einer Teilung bis zur anderen die
gesamte Leibessubstanz der Algen unterliegt. D. Ref.)
Für die Bakterien erhält Verfasser bei Annahme
noch größerer Teilungsgeschwindigkeit, 8 Stun-
den von einer Teilung bis zur nächsten, also in
24 Stunden 3 Generationen (d. h. 2'' = 8 fache
Massenvermehrung) und bei gleich unwahrschein-
N. F. VIII. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
23
lieh hoch antrenommenem Bausloffwechsel sogar
den Wert : Betriebsstoffwechsel = Baustoffwechsel
X 780. Nun ist aber der Betriebsstoffwechsel
auch noch aus dem Grunde viel zu niedrig an-
gesetzt, weil nur der Sauerstoffverbrauch als
Maß für den Stoffumsatz verwertet worden
ist. Der vorhandene Sauerstoff (7,6 mg im
Liter) steht aber einer Sauerstoffkapazität der
noch oxydierbaren Substanzen von 180 mg im
Liter gegenüber. Wenn also wirklich, wie an-
genommen wird, alle Stoffe sich am Stoffumsatz
beteiligen, „so muß dieser ca. 24 mal so groß sein
wie er aus dem Sauerstoffverbrauch erschlossen
wurde". Verf gelangt schließlich dazu, das mittlere
Verhältnis von Bau- und Betriebsstoffwechsel im
Meere auf i : 6000 bis i : 27000 zu schätzen, und er
schließt diesen Abschnitt mit den folgenden Worten :
„Wenn wir berücksichtigen, daß der Betriebsstoff-
wechsel (im Meere d. Ref.) als mehrtausendmal
intensiver wie der Baustofifwechsel angesehen
werden muß ... so können wir die Frage, wo-
her die gelösten organischen Stoffe im Meere
stammen, mit großer Wahrscheinlichkeit dahin
beantworten : die gelösten Kohlenstoffverbindungen
des Meeres sind die Produkte des Betriebsstoff-
wechsels der Meeresorganismen, speziell der Algen
und Bakterien."
VI. Die Grenzen der Produktion des Meeres
an Organismen.
Für die Grenze der Produktion der Erde an
Pflanzen fand Liebig im sogenannten Gesetz des
Minimum den folgenden Ausdruck: die Produktion
an Pfianzensubstanz kann nur bis zu dem Punkt
gehen, an dem irgendein notwendiger Stoff völlig
aufgebraucht ist, d. h. völlig in Verbindungen im Pflan-
zenkörper übergeführt ist. Hierbei ist das Material des
Betriebsstoffwechsels der Pflanze, nämlich der CO.,
der Luft, nicht berücksichtigt. Brandt versucht
dieses Gesetz des Minimum auch auf die Produk-
tion von Meeresorganismen anzuwenden und zu
zeigen, daß der Stickstoff, als im Minimum vor-
handen, die Produktion regele. Aber abgesehen
davon, daß er den sogenannten Kjeldahl-Stickstoff
(außer NH.;) unberücksichtigt läßt und daher die
Menge Stickstoff im Meerwasser prinzipiell unter-
schätzt, geht nach Ansicht des Verf auch aus
Brand t 's eigenen Zahlen hervor, „daß noch mehr
Stickstoff im Wasser gelöst enthalten, wie in
Form von Organismen gebunden ist." Verf. gibt
nun nach seinen Untersuchungen das Verhältnis
von dem im Meere gelösten Stickstoff zu dem in
den Meeresorganismen gebundenen als 1850: i an,
(auf 740 mg gelösten Stickstoff in looo 1 Meer-
wasser nur etwa 0,4 mg Stickstoff in Organismen)
— der Stickstoff ist also nicht in Brandts Sinne
im Minimum vorhanden. Verf. stellt nun den
Satz auf, daß „alle Fragen des Stoffhaushaltes im
Meere in erster Linie als Fragen des Betriebs-
stoffwechsels behandelt werden" müssen. Er
findet, daß das 1850 fache der Stickstoffmenge und
das 20,000 fache der Kohlenstoffmenge der Or-
ganismen im Meerwasser gelöst sind, und zeigte
ferner, daß höchstwahrscheinlich die Plankton-
organismen diese gelösten Kohlenstofifverbindungen
und Stickstoffverbindungen produzieren „da ihr
Betriebsstofifwechsel auf etwa das 16,000 fache
(6000—27,000) des Baustoffwechsels angeschlagen
werden mußte". „So unsicher diese Zahlen sind,
zeigen sie doch die Möglichkeit, daß der Betriebs-
stofifwechsel so außerordentlich den Baustofif-
wechsel an Intensität übertrifft, wie es der Fall
sein müßte, wenn das Verhältnis von gelösten
zu geformten Stoffen im Meere einen Ausdruck für
einen Gleichgewichtszustand darstellt."
Dieser Gleichgewichtszustand regelt den Anteil
,,der in Form von Organismen gebunden werden
kann , während der Rest für den Betriebsstofif-
wechsel übrig bleiben muß" — mit der Er-
reichung dieses Gleichgewichtszu-
standes ist also zugleich auch die
Grenze der Produktionsfähigkeit des
Meeres erreicht.^)
VII. Zusammenfassung.
,,Nach allem dem gestaltet sich das Bild der
Stoffumsetzungen im Meere folgendermaßen: Im
Stoffwechsel der Algen werden in großer Menge
lösliche Kohlenstofifverbindungen gebildet und an
das Meerwasser abgegeben, vielleicht nachdem ein
erheblicher Teil schon durch die den Algen an-
haftenden Bakterien Veränderungen erfahren hat.
Bedeutende Mengen Sauerstoff werden hierbei im
Lichte frei, während die Bakterien (vielleicht Nitro-
bakterien) auch im Dunkeln Sauerstoff entbinden
können. Von den gelösten Kohlenstofifverbin-
dungen, sowie zum sehr geringen Teil von den
Leibern der Planktonalgen lebt die ganze Masse
der Meerestiere, d. h. sie baut einerseits ihre ge-
samte Körpersubstanz aus diesen Stoffen auf, und
verwendet sie außerdem als Nahrung im Betriebs-
stofifwechsel, und diese letztere Verwendung stellt
vieltausendmal höhere Anforderungen an die Stofif-
zufuhr als der Baustofifwechsel."
') Was die Frage nach der Ursache der Armut der
'l'ropenmeere an Planktonorganismen anlangt, will Verf. zu
ihrer Erklärung annehmen, daß mit steigender Temperatur der
Betriebsstofl'wechsel eine stärkere Zunahme erfährt wie der
Baustoffwechsel, für diesen also weniger Material verfügbar
bleibt.
Kleinere Mitteilungen.
Irrlichter. — Das „närrische F'euer", der
„ignis fatuus", wie die mittelalterlichen Physiker
das Irrlicht nannten, hat seinem Namen alle Ehre
gemacht. Man hätte in der Tat keinen besseren
lateinischen Ausdruck wählen können. Hat doch
jahrhundertelang dieses ,, einfältige" Licht höhn-
24
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 2
lachend sein Spiel mit dem Menschen getrieben.
Im Volke waren diese gespensterhaften ,, Tücke-
boten" nicht wenig gefürchtet. Für verwünschte
oder unselige Seelen hielt man sie, die weder im
Himmel noch in der Hölle ihren Platz finden
könnten, weil sie eines unnatürlichen Todes ge-
storben wären. Hier und da erblickte man auch
in ihnen höllische Geister, tückische Abgesandte
des Teufels (wie noch Daniel Sennertus um 1650
in seiner „Fpitome Naturalis Scientiae", Bd. 14,
Kap. 2). Solche Unholde suchte man dann nicht
etwa durch Gebete, wie die anderen Geister, son-
dern durch dreistes Fluchen und Schimpfen zu
vertreiben: „denn der Donner der Flüche treibt
die Luft ungemein schnell vom Munde fort und
bringt die Irrlichter so zum Erlischen", wie die
drastische Erklärung der ,, ökonomischen Ency-
klopädie" (von Dr. Krünitz, Berlin 1784) hierfür
lautet. Auch in vielen gruseligen Spukgeschichten,
die den Irrlichtern so manche Schandtaten nach-
sagten, bekundet sich deutlich die Furcht des
Volkes vor dieser geheimnisvollen Lichterscheinung.
Und wie ist es heute? Nichts von alledem.
Es scheint, als wollten die Irrlichter dem Men-
schen zum Ärger von der Erde gänzlich ver-
schwinden, bevor man noch mit Bestimmtheit
über ihre wahre Natur etwas erfahren hat; und
durch ihr immer selteneres und spärlicheres Auf-
treten haben sie es verstanden, den Menschen von
neuem in die Irre zu führen — diesmal aber
nicht den müden Wanderer, sondern so manchen
eifrigen Forscher, der da glaubt, es hätte „eigent-
liche" Irrlichter niemals gegeben.
Nun ist freilich nicht zu leugnen, daß das
Wort ,, Irrlicht" im Laufe der Zeit zu einem
Sammelbegriff für die verschiedenartigsten nächt-
lichen Leuchtphänomene geworden ist. Die zahl-
reichen Berichte über Irrlichter-Beobachtungen
(H. Steinvorth bringt ein sehr umfangreiches
Material in den ,, Jahresheften des naturwissen-
schaftlichen Vereins für das Fürstentum Lüne-
burg", Heft 13 u. 14) beweisen deutlich, daß viel-
fach nur eine Verwechslung mit bekannten Er-
scheinungen der Luftelektrizität vorliegt, so
namentlich mit dem St. Elmsfeuer, bisweilen auch
wohl mit dem Kugelblitz, dessen Entstehungs-
weise freilich bis auf den heutigen Tag nicht mit
Sicherheit aufgeklärt ist. Sehr oft waren auch die
„Irrlichter" nichts anderes als eine Phosphores-
zenzerscheinung an verwesenden organischen
Stoffen, an Fleisch- oder Fischüberresten, an
faulenden Pflanzen oder Baumstämmen u. dgl.
Ebenso häufig entpuppten sich auch die selt-
samen „Elflichter" als harmlose Insekten mit
Leuchtorganen, wie die bekannten Johannis-
würmchen (Lampyris noctiluca u. splendidula).
Wie oft mag auch das Irrlicht, die „Trugfackel"
nur ein „Trugbild" einer allzu leicht erregbaren
Phantasie, eines allzu furchtsamen oder aber-
gläubischen Gemüts gewesen sein !
All dies muß ohne weiteres zugegeben werden.
Nur darf man nicht so weit gehen, daß man die
Existenz aller anderen sog. Irrlichter, die nicht
auf die eben angeführten oder andere bekannte
Tatsachen zurückzuführen sind, schlechthin be-
streitet. Obwohl die Zahl derer nicht gering ist,
denen es trotz wiederholter, sorgfältiger Nach-
forschungen niemals gelungen ist, ein Irrlicht zu
beobachten, so muß es doch heute als ganz
sicher erwiesen gelten und es ist hinreichend
verbürgt, daß es neben diesen ,,Pseudoirrlichtern"
auch ,, eigentliche" Irrlichter gibt, die eine beson-
dere, für sich bestehende Gruppe der nächtlichen
Lichterscheinungen bilden.
Wenn man das kurz zusammenfaßt, worin die
Aussagen glaubwürdiger und urteilsfähiger Zeugen
(so in erster Linie des Astronomen Fr. Wilhelm
Bessel in Poggendorfs Annalen Bd. 44, pag 366)
übereinstimmen, so ergibt sich folgendes Bild.
Irrlichter sind kleine, etwa der Größe einer
Kerzenflamme entsprechende Flämmchen von
relativ niedriger Temperatur und geringer Licht-
stärke. Ihre Farbe wird — zum Teil wohl wegen
der verschiedenen Beleuchtung und des verschie-
denen Hintergrundes bei den einzelnen Beob-
achtungen — verschieden angegeben: meist er-
scheint sie bläulich rot, selten grünlichgelb, aber
nie rein weiß. Sie schweben in einiger Entfer-
nung über dem Erdboden (bzw. der Wasserfläche),
scheinen auf jeden Lufthauch zu reagieren und
zeigen in der Regel eine unruhige, hüpfende Be-
wegung. Es ist aber anzunehmen, daß diese
Ortsveränderung nur eine scheinbare ist, daß in
Wahrheit das plötzliche Erlöschen eines Irrlichts
und das gleichzeitige Aufleuchten eines anderen
in nächster Nähe jenen Eindruck der Bewegung
hervorruft (dies stimmt u. a. mit Vogel's Beob-
achtung überein, Pogg. Ann., Bd. 82, pag. 595).
Der eigentliche ,, Tanzplatz", die eigentliche Heim-
stätte des Irrlichts ist jedes an stehenden Wassern
reiches, modriges Sumpfgeläiide, vornehmlich das
teilweise abgetorfte, aber noch nicht entwässerte
Hochmoor. Nicht selten zeigen sie sich auch auf
feuchten Wiesen oder bruchigem Waldboden.
Hier und da sollen sie auch auf Kirchhöfen zum
Vorschein kommen, doch bleibt es sehr zweifel-
haft, ob die hier wahrgenommenen Irrlichter nicht
durchweg mit Eimslichteiitladungen zu identifi-
zieren sind, was keineswegs unwahrscheinlich ist,
da sich hier an den vielen eisernen Grabum-
zäunungen und Grabkreuzen die Spitzenaus-
strahlung in hohem Grade geltend machen kann.
Zu allen Jahreszeiten hat man Irrlichter beob-
achtet : am häufigsten im Spätsommer und Herbst,
auch im Winter hat man sie oft gesehen, dagegen
treten sie im I'rühjahr in Deutschland so gut wie
gar nicht in die Erscheinung. Daß man sie nur
zur Dämmerungs- oder, wie meistens, zur Nacht-
zeit aufleuchten sieht, ist leicht erklärlich, da sie
eben nur schwaches Licht aussenden. Voll-
kommene oder doch annähernd vollkommene
Windstille scheint in allen Fällen die conditio
sine qua non zu sein. Außerdem pflegen sie
nebliges, und vor allem schwüles Wetter zu be-
N. F. Viri. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
25
Vorzügen. Hiermit dürfte die Hesclireibung der
charakteristischen Merkmale der eigentlichen Irr-
lichter erschöpft sein. Eine solche war vielleicht
um so mehr am Platze, da die allgemeinen An-
sichten über das Irrlicht sich oft in den wesent-
lichsten Punkten nicht wenig widerstreiten, was
einer definitiven Lösung der ganzen heikleti Frage
natürlich sehr im Wege war.
Nun existiert aber noch eine zweite, viel
seltenere Gruppe von Irrlichtern, die bisher ab-
sichtlich unerwähnt blieb, die „großen Irrlichter",
wie wir sie nennen wollen. Von ihnen gilt ganz
das nämliche wie von den oben beschriebenen,
nur durch ihre Größe sind sie von ihnen unter-
schieden. Denn haben jene annähernd die Größe
einer Kerzenflamme, so sind diese etwa manns-
hoch. Von glaubwürdiger Seite werden sogar
einige von ihnen erwähnt (vgl. H. Steinvorth a.a.O.,
Heft 13, S. 32, 36, 47), deren Höhe durchschnitt-
lich gar auf 4 — 5 m geschätzt wird. Diese
„großen Irrlichter" sind es, die im Volke „Irr-
wische", ,,gleunige Keerls", ,, feurige Männer",
„Lüchtemänneken" und ähnlich genannt werden,
was aus der oben genannten Krünitz'schen Ency-
klopädie hervorgeht. Hier heißt es (30. Teil,
pag. 792) ;,,... Daher nimmt man sehr oft sehr
große F"lammen auf den Wiesen wahr, welche
zuweilen die Größe einer Schütte Stroh und eines
Mannes erreichen. Ein solches großes Licht
nennt der gemeine Mann den großen Leuchter,
die brennende Schütte, den Feuermann usw. . . ."
Es sind demnach alle diese Namen nicht, wie
man gewöhnlich liest, Bezeichnungen für das Irr-
licht y.aT lt,oyJ]Y. Heutzutage gehört diese Art
von Irrlichtern zu den größten Seltenheiten.
Früher ist sie jedenfalls häufiger gewesen; zu
Musschenbroek's Zeiten (um 1750) soll der
Bolonnais, das steinkohlenreiche Gebiet in der
Nähe von Boulogne surMer (der ehemalige pagus
Bononiensis) an diesen „großen Irrlichtern" so
reich gewesen sein, daß sie das ganze Jahr hin-
durch in jeder dunklen Nacht sichtbar gewesen
sind (vgl. M.'s „Introductio ad Philos. nat." Vol. 2,
pag. 1061, Leyden 1762).
Musschenbroek war wohl der erste Natur-
forscher, der eine wissenschaftliche, heute aller-
dings nicht mehr haltbare, Erklärung des Irrlicht-
phänomens zu geben versuchte, die sich frei hielt
von den abergläubischen Vorstellungen jener Zeit.
Viele Theorien sind seitdem über die Entstehung
der Irrlichter aufgestellt, aber noch heute ver-
mögen wir keine befriedigende Antwort auf die
Frage zu geben. Die Erscheinung ist eben so
selten; und Zeit, Ort und Umstände lassen in den
meisten Fällen eine eingehende wissenschaftliche
Untersuchung nicht zu.
Zwei Ansichten stehen sich heute gegenüber.
Nach der einen liegt eine elektrische Lichterschei-
nung vor, die andere behauptet, man hätte es hier
mit irgendeinem Gase oder Gasgemisch zu tun.
Für die letzte Annahme spricht die Wahrschein-
lichkeit in hohem Maße. Denn die Irrlichter
sind, wie schon erwähnt, stets auf solchem Boden
beobachtet worden, in dem viele organische Sub-
stanzen aufgespeichert sind. Wenn diese nun
durch die Vermittlung von Mikroorganismen in
Fäulnis übergehen, finden die verschiedensten
chemischen Reaktionen statt, bei denen nachweis-
lich mehrere Gase entstehen, z. B. Wasserstoff,
Schwefelwasserstoff und andere. Man hat hier
aber vor allem an zwei Gase gedacht : an das
brennbare Sumpfgas (Methan, CH,) und den
selbstentzündlichen flüssigen Phosphorwasserstoft'
(P2H4). Doch wie es einerseits rätselhaft ist, wo-
durch das Sumpfgas sollte entzündet werden,
müßte andererseits bei der Verbrennung von
Phosphorwasserstoff ein weißer, meist ringförmiger
Rauch, sowie ein widriger, an faule Fische er-
innernder Geruch entstehen, was man jedoch bei
Irrlichtern niemals wahrgenommen hat. Auch
kennen wir bisher keinen, in der Natur sich ab-
spielenden, chemischen Vorgang, bei dem der in
Frage kommende Phosphorwasserstoff gebildet
wird.
Die zweite, neuere Ansicht, daß das Irrlicht
eine besondere Erscheinungsform der Luftelektri-
zität ist, wird dadurch gerechtfertigt, daß es mit
Vorliebe sich zeigt, wenn die Luft mit Elektri-
zität außergewöhnlich stark geschwängert ist, so
vor allem bei nebligem Wetter oder an schwülen
Abenden vor Gewitterausbrüchen. Im übrigen ist
die elektrische Natur der Irrlichter noch zu wenig
erwiesen, als daß man berechtigt wäre, sichere
Schlüsse daraus zu ziehen. Einstweilen hat sicher-
lich die „Gastheorie" den größeren Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit, auch aus folgendem Grunde.
Bekanntlich hat die fortgesetzt in großem Maß-
stabe betriebene Drainage und Moordammkultur
des Sumpf- und Moorgeländes, des Haupttummel-
platzes der Irrlichter, bewirkt, daß diese von Jahr
zu Jahr seltener werden. Der tiefere Grund hier-
für ist nun darin zu suchen, daß infolge der Ur-
barmachung entweder die chemischen oder die
elektrischen Bedingungen für die Entstehung des
Irrlichts nicht mehr in dem Maße wie früher vor-
handen sind. Das erstere ist aber weit einleuchten-
der, denn es ist nicht recht einzusehen, inwiefern
eine Änderung der Bodenbeschaft'enheit die Luft-
elektrizität so empfindlich beeinflussen könnte.
Und daß die Lufielektrizität als solche nicht im
Abnehmen begriffen ist, beweist die jährliche Zu-
nahme der Gewitter. Mehr Aussicht auf Be-
stätigung hätte vielleicht noch eine Vereinigung
beider Theorien. Danach hätte man sich die
Entstehung des Irrlichts so vorzustellen, daß das
erfahrungsmäßig sich bildende Sumpfgas durch
eine dem St. Elmsfeuer verwandte elektrische Er-
scheinung zur Entzündung gebracht wird. Immer-
hin ist es fraglich, ob bei der, unseres Wissens
noch nicht festgestellten, aber allem Anscheine
nach sehr niedrigen Normaltemperatur des Elms-
lichtes eine solche Entzündung möglich ist.
Es mangelt nicht an Vorschlägen für Irrlicht-
Untersuchungen: man solle die Lichtstärke, sowie
26
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 2
den Wärmezustand bestimmen, man solle die
etwaigen, das Licht ausstrahlenden Gase in
Reagenzgläsern aufsammeln, man solle versuchen,
das Irrlicht auf die photographische Platte zu
bannen; doch alle diese Untersuchungsmethoden
dürften — falls sie überhaupt zu einwandfreien
Resultaten führen — wenig aussichtsvoll sein.
Ein anderer, so nahe liegender Weg, auf den
merkwürdigerweise nur selten hingewiesen worden
ist, könnte schon eher zum Ziele führen : die
spektroskopische Untersuchung. Jener Wunder-
apparat, dem die Wissenschaft schon soviele
wichtige Entdeckungen verdankt, das Spektroskop,
würde auch hier vortreftliche Dienste leisten.
Dureh eine einzige exakte Analyse des Irrlicht-
spektrums würde die Streitfrage so gut wie ge-
löst sein. Und eine solche wäre um so mehr zu
wünschen, als man schon heute mit Gewißheit
sagen kann, daß, wenn die nächsten Jahrzehnte
keine wissenschaftlich unwiderlegbare Erklärung
des Irrlichts bringen, auch der Glaube an ihre
jemalige Existenz gänzlich dahinschwinden wird.
Und wenn der alte Kampf mit dieser Niederlage
der Wissenschaft endigen sollte, dann hätte der
„ignis fatuus" seine Narrenrolle wahrlich vortreft-
lich ausgespielt. Hjalmae Sander.
Biologische Beobachtungen an einem
deutschen Myriapoden, Polydesmus com-
planatus. — Die Lebensgeschichte der deutschen
Myriapoden ist bisher nur sehr wenig zum Gegen-
stande eingehenderer Untersuchungen gemacht
worden. Es liegen zwar eine Reihe von Beob-
achtungen vor, so die von Fahre (1855),
vomRath, Verhoeff, von Schlecht endal
u. a., aber eine systematische Durcharbeitung ist
bisher noch nicht geliefert worden. Vielleicht
regen diese Zeilen zu weiteren Studien in dieser
Richtung an. Ich habe mich selbst längere Zeit
mit vorwiegend anatomisch-histologischen Unter-
suchungen an Polydesmus befaßt, dabei aber
auch vielfach biologische Beobachtungen gemacht,
von denen hier einige mitgeteilt seien.
Die Gattung Polydesmus gehört zu den
Diplopoden, ist also verwandt mit den be-
kanntesten Tausendfüßern lul us und Gl omeris
(= Rollassel); auch der merkwürdige kleine
Polyxenus gehört hierher. Polydesmus er-
reicht im erwachsenen Zustande eine Länge von
ungefähr 2 cm. Sein Körper besteht aus dem
Kopfe und 20 hintereinander liegenden Segmenten,
von denen die mittleren, vom 5. bis zum iS. Seg-
ment, sich fast vollkommen gleichen und sich
durch den Besitz von je zwei Beinpaaren aus-
zeichnen, während die vier vorderen und die
beiden letzten Segmente von ihnen mehr oder
weniger verschieden sind. Während wir am
I. Segment ein Beinpaar vorfinden, ist das 2.
Segment ein einfacher beinloser Ring. Am
3. und 4. Segment finden wir dann wieder nur
je ein Beinpaar angebracht. Das 3. Segment trägt
in beiden Geschlechtern die Genitalöfifnung. Beim
Männchen sind es zwei Löcher, die an der Unter-
seite der Coxen der Beine liegen. Beim Weibchen
finden wir einen sehr komplizierten Apparat vor,
die paarigen sog. ,, Vulven", die in einer tiefen
Grube des 3. Segmentes liegen. Sie können weit
über die Körperoberfläche vorgestreckt werden
und dienen bei der Kopulation zur Aufnahme
der männlichen Begattungsorgane und weiterhin
auch zur Eiablage (s. Fig. i). Neben den weib-
lichen .'\usführungsgängen befinden sich in den
Vulven auch noch je ein Receptaculum seminis.
cht'
Fig. I. Polydesmus spcc. Vulva in der Ansicht von vorn-
oben. (Original.^ chl = Chilinleisten, recs = Receptaculum
seminis.
Die Männchen besitzen besondere Kopulations-
organe am 7. Segment ihres Körpers und zwar
sind dies umgewandelte Beine, die aus zwei Ästen
an einem gemeinsamen Stamm bestehen. Daran
befindet sich auch ein kleines Bläschen, dessen
Eingang von zarten Borsten umstellt ist. Das
Bläschen dient zur Aufnahme des Spermas (s. Fig. 2).
Erwähnt sei, daß die Spermatozoen nicht die all-
bekannte Form haben, sondern einfache, kugelige
Zellen sind. — Es wurde schon gesagt, daß die
beiden letzten Segmente des Körpers, das 19.
und 20., abweichend gebaut sind. Das 19. Seg-
ment nämlich ist ein beinloser Ring und das 20.
ebenfalls beinlose „Analsegment" ist durch zwei
Klappen ausgezeichnet, die den After seitlich be-
grenzen, die „Analklappen". Bemerkenswert ist
am Analsegment noch ein mit feinen Sinnesborsten
versehenes Schwänzchen. — Nach dieser kurzen
anatomischen Einleitung können wir zu den
Lebenserscheinungen übergehen.
Polydesmus complanatus führt einsehr
verstecktes Leben. Man findet das blinde Tier-
chen unter feuchtem Laub, Steinchen, Holz, in
alten hohlen Weiden usf Hauptbedingungen für
F. N. VIII. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
27
sein Gedeihen sind Dunkelheit und kühle, feuchte
Beschaffenheit seines Wohnortes. Vor hellem
Lichte zieht sich das Tierchen sofort zurück, in-
dem es lebhaft rückwärts kriecht. Dabei machen
die 31 (resp. 30 beim S) Beinpaare eine wellen-
förmige Bewegung-, indem sie nacheinander in
Tätigkeit treten. Gelingt es dem Tierchen nicht,
sich aus dem Bereiche der Sonnenstrahlen zu
retten oder hält man es so in Gefangenschaft,
daß es der Besonnung ausgesetzt bleibt, so geht
es in sehr kurzer Zeit zugrunde und zwar an voll-
ständiger Austrocknung des Körpers. Kälte und
Feuchtigkeit sind unserem Polydesmus sehr
zuträglich, sogar im Winter kann man die Tier-
chen an geschützten Stellen unter altem, modern-
den Laube usf. mit ziemlicher Sicherheit finden
iy-^^--,- nha
Fig. 2. Polydesmus spec. Kopuhitioiisfuß. (Origioal.) m =
Muskulatur, hk = Chitinliakcn, hpt = Hauptast, nba =
Nebenast, sbl = Samenblase, cisbl = Eingang zur Samcnblase.
Der Myriapode kann weiter nur an solchen Stellen
sein Leben fristen, wo sich kohlensaurer Kalk
in reichlichen Mengen findet. Die chemische
Untersuchung des Chitinpanzers gibt uns die Er-
klärung dafür, er enthält nämlich ganz beträcht-
liche Mengen von Kalksalz eingelagert.
Die Nahrung des Poly desmiden ist rein
vegetarisch. Wenn man den Darminhalt einer
mikroskopischen Untersuchung unterzieht, so
findet man darin neben zahlreichen feinen Erd-
teilchen Reste von allerhand pflanzlichen Produkten
— Blättern, Holzstückchen usf.
Die versteckte Lebensweise der Poly des-
miden sichert sie in hohem Maße vor Nach-
stellungen vonseiten größerer Tiere, ja, man weiß
noch gar nicht einmal, ob sie überhaupt von
irgendwelchen Tieren gefressen werden. Wenn
man auf den Fang von Polydesmus ausgeht
und das feuchte Laub umwendet, unter dem er
lebt, so sieht man ihn sich fluchtartig in dunklere
Regionen zurückziehen. Und wenn man das
Tierchen mit den Plngern fassen will, so rollt es
sich meist spiralig zusammen und verbleibt längere
Zeit in dieser Stellung, die man als Totstellen
auffassen kann. Aber noch eine andere Einrich-
tung sichert die Polydesmiden vor Feinden. Wir
finden nämlich in einer Anzahl von Segmenten
in den Seitenkielen Drüsen, die sog. Stink- oder
Wehrdrüsen, Glandulae odoriferae, die einen übel-
riechenden Saft ausscheiden, der wahrscheinlich
ein wirksames Schreckmittel ist. Die Drüsen
selbst habe ich genau untersucht und fand sie
aus einem ansehnlichen Säckchen bestehend, das
sich nach der Peripherie des Körpers zu flaschen-
halsförmig verengt. Der Hals ist von ganz zarten
Muskelchen sphinkterartig umgeben und mündet
dann in einen Vorraum, in dem das Sekret, be-
vor es durch die Saftlöcher (Foramina repugna-
toria) ausfließt, gesammelt wird. Die chemische
Untersuchung des Saftes ergab bei Paradesmus
gracilis, daß es sich dort um Blausäure handelt
(Guldensteeden-Egeling).
Während man, wie erwähnt, von äußeren
Feinden von Polydesmus nichts Bestimmtes
weiß, kennt man hingegen eine Reihe von Para-
siten, die ihn befallen. Von Ektoparasiten sei
eine kleine Milbe erwähnt, die nicht einmal die
Größe der Kuppe einer Insektennadel erreicht.
Das Tierchen klammert sich an die Beine seines
Wirtes fest und erscheint bei der Betrachtung als
Beulchen. Von Entoparasiten kennt man beson-
ders G r e g a r i n e n , die im Darmkanal schmarotzen,
einige Nematoden und endlich Mer'mis (vom
Rath). Pflanzliche Parasiten, die das befallene Tier
fast stets zugrunde richten, sind die Schimmelpilze.
Besonders interessant sind die Fortpflanzungs-
erscheinungen, die ich mehrfach zu beobachten
Gelegenheit hatte, wenn auch nicht lückenlos in
ihrem ganzen Verlaufe. Es liegen aber mehrfach
Beobachtungen der Autoren vor, so daß sich un-
gefähr folgendes Bild ergibt. — Zweimal im Jahre
findet die Begattung statt, im Frühling und im
Herbste. Auch dieser Vorgang spielt sich wie
das ganze Leben des Tieres überhaupt im Dunkeln
ab. — Wie wir erwähnten, münden die männ-
lichen Geschlechtsdrüsen an der Basis der Beine
des 3. Segmentes nach außen ohne einen Penis
zu bilden. Dagegen finden wir am 7. Segment
die merkwürdigen Kopulationsfüße, deren Samen-
bläschen vor der Begattung mit Sperma gefüllt
werden müssen. Diesen Vorgang und die darauf
folgende Kopulation schildert uns Fabre mit
folgenden Worten: „Bevor das Männchen zu einer
Paarung schreitet, erhebt es den vorderen Teil
seines Körpers und indem es ihn S-förmig krümmt,
nähert es das 2. Segment (das 3. Segment! —
d. Verf.) dem 7., d. h. es stellt eine Verbindung
her zwischen seinen Geschlechtsöffnungen und
dem Kopulationsorgane. Ich habe sogar bei
Polydesmus, wo die Beobachtung leichter ist.
28
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 2
den Augenblick erfassen können , in dem ein
Spermatröpfchen aus jeder Geschlechtsöft'nung
austrat und alsbald von den Chitinpinselchen auf-
genommen wurde, welche die inneren Aste der
Kopulationsfüße tragen. Alsdann dringt ohne
Zweifel das durch das Kürstchen festgehaltene
Tröpfchen durch die in der Mitte des Haarkranzes
liegende Öffnung und gelangt so in den darunter-
liegenden bläschenförmigen Hohlraum. Dieser
Hohlraum spielt also die Rolle eines Recepta-
culum seminis. Nach diesen unerläßlichen Vor-
bereitungen begibt sich das Männchen auf die
Suche nach einem Weibchen. Die Vorbereitungen
werden wahrscheinlich nicht 7,u jeder Paarung
von neuem getroffen. Nach mehreren vergeh
liehen Versuchen des Männchens, auf den Rücken
des Weibchens zu steigen, gelingt dies schließlich
doch. Das Männchen ergreift das Weibchen mit
seinen Kiefern beim Nacken. Es kippt dann seit-
lich um und läßt sich so herabgleiten, daß es
Bauch gegen Bauch mit dem Weibchen zu liegen
kommt. In dieser Stellung ragt es dann ein
wenig über das Weibchen hervor, sein Mund liegt
über dem Nacken des Weibchens, während dieses
das Männchen mit seinen Kiefern erfaßt. Der
Zwischenraum zwischen dem 6. und 7. Segment
des Männchens schwillt dann an, läßt den Apparat,
den es birgt, hervortreten und stellt ihn den
Vulven gegenüber, die endlich die Kopulations-
füße aufnehmen. Während dieses Aktes ist das
Hinterende des Körpers in vollständiger Ruhe,
während die Antennen und die den Kopulations-
organen benachbarten Beine in fortwährender Be-
wegung sich befinden, so daß man sich über die
Wichtigkeit des Vorganges, der sich da abspielt,
nicht täuschen kann." — Über die Dauer der
Kopulation gehen die Beobachtungen auseinander.
Während vom Rath angibt, sie dauere zwei
Tage, sagt Fahre, sie sei schon nach einer
Viertelstunde beendet. Fr fügt noch hinzu : ,,Peu
apres la Separation le male se met ä la recherche
d'une autre femelle, en meme temps sa premiere
compagne est loin d'etre insensible aux caresses
d'un second male."
Nach etwa 30 Tagen legt das Weibchen seine
Fier ab und zwar in ein eigens zu diesem Zwecke
verfertigtes kunstvolles Nestchen, dessen Bau ich
in diesem Frühjahr beobachtet habe. Das Nest
hat etwa die Gestalt eines Kohlenmeilers, dem
oben ein zierlicher Hohlzj'linder aufgesetzt ist,
durch den der Luftwechsel stattfinden kann
(s. Fig. 3). Kurz vor der Eiablage beginnt das
Weibchen mit dem Bau. Es fertigt zunächst
einen feinen Ringwall an, auf dem es zusammen-
gerollt liegt so, daß der Kopf das Hinterende be-
rührt. Der Umfang des Ringwalles entspricht also
der Länge des Tierchens, d. h. beträgt ungefähr
2 cm. Wenn man sich Zeit und Mühe nimmt,
das Bauen weiter zu verfolgen, so macht man
eine merkwürdige Entdeckung. Das Hinterende
des Tierchens bleibt beständig auf dem Ringwall,
während Kopf und Vorderkörper die Umgebung
des Nestchens absuchen. Das Weibchen befühlt
dabei mit seinen Antennen lebhaft das Material
und man kann deutlich wahrnehmen, wie es davon
mit dem Munde aufnimmt. Wenn es sich ge-
nügende Mengen von Erde usf. einverleibt hat,
so steigt es wieder vollständig auf sein Nestchen
und haut weiter. Man sieht dann ab und zu, wie
der Endahschnitt des Enddarmes zwischen den
chitinigen Analklappen ausgestülpt wird und wie
kugelige Kotbailen aus ihm austreten, untermischt
mit einem glashellen Sekret. Die Kotballen
dienen zum Nestbau, während das Sekret den
Mörtel darstellt, der das Baumaterial, die Erd-
und Holzteilchen in den Kotballen, bindet. Mit
der Lupe kann man deutlich sehen, wie Stück für
Stück dem Rande der Glocke angefügt wird, wie
das Tierchen die Stelle des Bauens mit dem aus-
gestülpten Enddarm betupft, wie es diesen dann
wieder zurückzieht, einige Male auf dem Nestchen
herumkreist und das Fertige mit den Antennen
befühlt, wie um die Güte des Nestes zu prüfen.
Das genannte Sekret wird aus einer Drüse ab-
geschieden, die im Hinterende des Tieres über
und zu den Seiten des Enddarmes sich ausdehnt
und vermittels paariger Gänge in die Afterhöhle
mündet. Meine Beobachtungen stimmen mit
denen überein, die von Schlechtendal über
den Nestbau veröffentlicht hat. — Wenn das Nest
eine gewisse Größe, etwa 7.. der Höhe erreicht
hat, legt das Weibchen seine Eier hinein, etwa
100 an der Zahl, was ^ ^ Stunden dauert. Die
Fig- 3- ^cst von Polydesmus complanatus. (Originat)
Eier treten durch die Vulven nach außen und
werden durch ein klebriges Sekret zusammen-
gehalten, das wahrscheinlich einer drüsigen Masse
in den Vulven entstammt. Sicherheit darüber
konnte ich leider nicht erzielen. Wenn die Eier
abgelegt sind, wird das Häuschen geschlossen und
durch den schon genannten Schornstein gekrönt.
Den Bau dieses zierlichen Gebildes konnte ich
nicht beobachten. Wird das Tierchen beim Nest-
hau oder der Eiablage gestört, so zieht es sich
zurück, um bald darauf wieder zur Stelle seiner
Tätigkeit zurückzukehren und das unterbrochene
Werk fortzuführen. Sicherlich wird es dabei
durch seinen Geruchssinn geleitet, der an die
Antennen gebunden ist. Eine Zeitlang nach der
Fertigstellung des Nestes hält das Weibchen hei
N. F. VIII. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
29
diesem Wache, um es dann seinem Schicksale zu
überlassen. Nach etwa 12 — 15 Tagen schUipfen
die jungen Polydesmiden aus. Es sind kleine
weiße Larven mit nur drei Beinpaaren und
7 Segmenten. Wenn sie die Eihüllen durchbrochen
haben, so fressen sie sich vermöge ihrer kräftigen
Mandibeln durch die Wand des Nestchens durch,
um eine Zeillang sich in seiner Nähe aufzuhalten
und dann ihre eigenen Pfade zu wandeln. Bis
zum ausgebildeten Zustande durchlaufen die Tiere
sieben vorbereitende Stadien, während welcher
die Zahl der Segmente und Reinpaare allmählich
ergänzt wird. Die Kopulationsfüße kommen erst
mit der letzten Häutung zum Vorschein. Die
neugebildeten Ringe schieben sich stets zwischen
dem vorletzten (19.) und dem Analsegment (20.)
ein. — Wenn Polydesmus sich zur Häutung
anschickt, so verkriecht er sich in die Erde, macht
sich dort ein kunstloses Nestchen und verharrt
darin lo— 12 Tage mit starr abstehenden Beinen
und vorne umgeschlagenem Kopfe Endlich wird
die Haut abgestreift. An der Exuvie kann man
alle Chitiiiteile erkennen: die Ringe, Beine, An-
tennen, Mundwerkzeuge, Kopulationsfüße, Vulven,
die Auskleidungen von Vorder- und Enddarm usw.
Pliysiologische Angaben über den Häutungsvor-
gang verdanken wir Verhoefif. Es sei nur sein
Autoreferat darüber wiedergegeben (Zool. Cen-
tralblatt 1901, 89): „Betrachten wir eine abgelegte
Exuvie mikroskopisch, so zeigt sie sich verdünnt
im Verhältnis zum gewöhnlichen Hautskelett und
dicht besetzt mit Körnern verschiedener Größe.
Diese Körner sind ein Salz, das durch die Wirkung
der Harnsäure erzeugt wird, indem dieselbe,
auf das Hautskelett wirkend, das Chitin nicht,
wohl aber den Kalk aufzulösen vermochte. Dieser
Kalk bildet die Innenschicht, die Säure macht
dieselbe verschwinden und erzeugt die Salzkörner.
Das Hautskelett wird aber dadurch so geschmeidig
gemacht, daß es von dem häutungsbedürftigen
Tiere verlassen werden kann. Aus dem starren
Panzer wird ein geschmeidiges Hemd."
Dr. phil. W. Effenberger, Jena.
Die Seismometer. — Einem aus dem Leser-
kreise geäußerten Wunsche nachkommend geben
wir heute in Ergänzung zu dem Aufsatz von A.
Sieberg über Erdbeben (Bd. VI, Seite 785) eine
Beschreibung der Prinzipien, welche dem Bau der
Seismometer zugrunde liegen, wobei wir uns den
lichtvollen Auseinandersetzungen anschließen, wel-
che Prof Wiechert auf der Dresdener Natur-
forscherversammlung 1907 zu diesem Thema ge-
geben hat.
„Die vollständige Bestimmung der Erdboden-
bewegungen verlangt die Kenntnis von drei Kom-
ponenten: zweier horizontaler (etwa Nord-Süd und
Ost-West) und der vertikalen Komponente. So
ergibt sich eine natürliche Scheidung der Seismo-
graphen in Horizontal- und in Vertikal-Seismo-
grapheii.
Die Seismologen pflegen die schwere Masse,
deren Relativbewegungen gegen das Gestell durch
das Schreibwerk aufgezeichnet werden, die „sta-
tionäre Masse" zu nennen. — Bei den Horizontal-
seismometern sind zur Aufhängung der sta-
tionären Masse vornehmlich drei Prinzipien in
Gebrauch (Fig. l): i. Das Prinzip des verti-
kalen Pendels. Die stationäre Masse bildet
dann den Körper eines gewöhnlichen, herabhängen-
den Pendels. Je länger das Pendel gemacht wird,
Vertikales HoiizonUilpendel. Verkehrtes Pendel.
Pendel.
Fig. 1. Horizontalseismometer.
um SO empfindlicher wird die Aufhängung, denn
um SO geringer wird die Kraft, welche die statio-
näre Masse bei Ablenkungen in die Ruhelage zu-
rückführt; man merkt die wachsende Empfindlich-
keit an dem Größerwerden der Eigenperiode. —
2. Das Prinzip des Horizontalpendels. Den-
ken Sie sich, um dessen Wesen einzusehen, ein
gewöhnliches Pendel mit recht kräftiger, zunächst
horizontal gelagerter Achse. Nun werde die
Achse aufgerichtet. Je steiler man sie stellt, um
so geringer wird die Kraft, mit der die Pendelmasse
in die Ruhelage zurückgeführt wird, um so größer
wird damit auch die Schwingungsperiode. Schließ-
lich, wenn man die Achse hinten überneigt, kann
man das Pendel sogar labil machen. In der Praxis
der Erdbebenpendel wird die Achse nahezu ver-
tikal gestellt, um die Empfindlichkeit recht hoch
zu machen , so daß das Pendel in einer nahezu
horizontalen Ebene schwingt; so erklärt sich der
Name „Horizontalpendel". — 3. Das Prinzip des
„umgekehrten Pendels". Hier ist das Pen-
del sozusagen auf den Kopf gestellt, so daß es
zunächst labil ist. Durch passend angebrachte
Paedem wird es dann stabil gemacht. Indem man
die Federkraft reguliert, hat man es in der Hand,
die Eigenperiode, also die Empfindlichkeit, mehr
oder weniger hoch zu legen.
Bei Vertikalseismometern muß man
die stationäre Masse von Federn tragen lassen,
um die vertikale Beweglichkeit zu erzielen (Fig. 2).
Da man die p-edern in der Regel nicht nachgiebig
genug machen kann , um den Anforderungen an
Empfindlichkeit der Aufhängung zu genügen, so
sieht man sich genötigt, irgend einen Kunstgriff
30
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vni. Nr. 2
anzuwenden, um die Empfindlichkeit zu erhöhen,
man muß ,,as lasieren". Das geschieht z. B.,
wenn man die stationäre Masse von der Feder
nicht direkt, sondern durch Vermittlung eines hori-
zontalen Hebels tragen läßt. Die Achse des Hebels
sitzt dann an einem Ende des Hebels, das andere
trägt die stationäre Masse; die Feder greift da-
zwischen an. Noch mehr und beliebig hoch läßt
sich die Empfindlichkeit steigern, wenn der An-
griffspunkt der Feder nach unten, unter die Ebene
durch Achse und Schwerpunkt gerückt wird. Es
gibt noch eine Reihe anderer Methoden der Asta-
sierung, doch ist es nicht nötig und nicht angäng-
lich, hier näher darauf einzugehen.
Für die Empfindlichkeit des Seismo-
met ers ist die Empfindlichkeit der Aufhängung,
die sich an der Höhe der Eigenperiode beurteilen
Direkte
Aufhängung.
Einfacher Hebel. Hebel mit tiefgelegenem
Angriffspunkt.
Fig. 2. Vertikalseismometer.
läßt, noch nicht allein entscheidend. Offenbar
kommt es noch darauf an, in welcher Vergröße-
rung die Bewegungen der stationären Masse auf-
gezeichnet werden. Dies hat zur Folge, daß für
die Empfindlichkeit eines Seismometers 2 Größen
maßgebend sind. Als eine davon können wir die
Vergrößerung annehmen, in der der Apparat Erd-
erschütterungen aufzeichnet, die im Verhältnis zu
seiner Eigenperiode sehr schnell verlaufen. Ich
nenne sie die „I n d i k a t o r v e r g r ö ß e r u n g" und
will sie mit V bezeichnen. Bei Erdbebenbewegun-
gen, die langsam gegenüber der Eigenperiode
verlaufen, kommt es auch auf diese Eigenperiode
an, und zwar ergibt die mathematische Theorie,
daß bei sehr langsamen Erdbodenbewegungen
die Größe der Aufzeichnungen proportional mit
dem Produkt VT'- ist, wenn 7" die Eigenperiode
kennzeichnet. Statt T- kann man auch die Länge
L eines mathematischen Pendels nehmen, welches
die gleiche Eigenperiode haben würde, denn die
Länge eines solchen Pendels ist proportional mit
T-. Es gilt nämlich die P'ormel :
/.:
47r-
7'-,
in der g die F"allbeschleunigung bedeutet. Als
Maß für die Empfindlichkeit bei sehr langsamen
Bodenbewegungen hätten wir hiernach auch das
Produkt VL. Es bedeutet eine Länge — ich will
sie mit / bezeichnen :
T-=VL
und „In d i ka t o r 1 ä n ge" nennen — , die bei
Horizontalseismometern eine sehr anschauliche
Bedeutung hat: sie gibt die Länge eines einfach
herabhängenden Zeigers an , der bei Neigungen
des Gestelles eben dieselben Ausschläge geben
würde wie das Seismometer. Demgemäß ist
7?= 1/206000 / der Ausschlag des Instrumentes
für eine Bogensekunde Neigung.
Ich möchte hier noch die Bemerkung einschal-
ten , daß ein jedes Horizontalseismo-
meter, wie kompliziert immer auch
seine Ko nstrukt ion sein mag, sichdoch
den Erdbodenbewegungen gegenüber
geradeso wie ein einfaches Pendel von
der Länge L verhält, das einen Zeiger
von der Länge / besitzt (Fig. 3). — Sie
werden vielleicht fragen, warum man dann die
= Pendellänge.
y I ^= Indikatorlänge.
^ = V ^ Indikatorvergrößerung.
Achse, vom Uhrwerk gedreht und
verschoben.
Papierband für die Registrierung.
Spannrolle.
^n^
Fig. 3. .Schema der Horizontalseismographen.
komplizierten Konstruktionen überhaupt anwendet
und nicht stets ein einfaches Pendel als Vorbild
nimmt. Darauf ist zu antworten, daß dieses aus
praktischen Gründen nicht angeht. Mein Hori-
zontalseismograph mit einer stationären Masse
von 1000 kg entspricht in der gewöhnlichen Re-
gulierung einem einfachen Pendel von 36 Meter
Länge mit einem Pendelkörper von lOOO kg und
einem Zeiger von 7200 Meter Länge. Sie werden
leicht begreifen, daß es unmöglich wäre, ein sol-
ches Instrument herzustellen und mit ihm zu
arbeiten, so einfach auch der zugrunde liegende
mathematische Gedanke ist. Das Einfache ist
eben nicht in allen Fällen auch das Praktische.
Sind V und 7 oder — was auf dasselbe hin-
ausläuft — V und /, oder V und E bekannt, und
weiß man , wie groß die Reibung im Gehänge
und wie groß die Dämpfung der Schwingungen
ist, so sind alle Daten beisammen, um aus den
Ausschlägen des Instrumentes durch die Rechnung
auf die Bewegung des Bodens zu schließen. Der
Zusammenhang wird durch eine Differential-
gleichung 2. Ordnung vermittelt. Nach dem Ge-
N. F. VIII. Nr. 2
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
31
sagten werden Sie erkennen, daß für sehr schnell
verlaufende Bodenbewegungen die Indikatorver-
größerung F, bei sehr langsamem Verlauf die
Indikatorlänge / entscheidend ist; dazwischen
kommen beide Größen zur Geltung. „Schnell"
und „langsam" sind hier gegenüber der Eigen-
periode des Instrumentes zu beurteilen. So wird
verständlich , daß je nach der Lage der Eigen-
periode das Instrument mehr die kleinen Perioden
in dem Erdbeben oder mehr die großen bevor-
zugt. Schwingt das Instrument ungedämpft, und
liegt seine Eigenperiode im Bereich der Perioden
bei dem Erdbeben, so wird es durch Resonanz
besonders stark auf seine Eigenperiode reagieren.
Das erhöht zwar unter Umständen sehr seine
Empfindlichkeit, ist aber höchst störend, wenn ein
klares Urteil über den Verlauf der Erderschütte-
rungen gewünscht wird, denn das übermächtige
Auftreten der Eigenperiode läßt nichts anderes
deutlich zur Geltung kommen. Die Instrumente,
welche zum Studium der Erdbebenwellen
dienen sollen, müssen daher eine starke Dämpfung
erhalten, wenn man nicht die Periode sehr hoch
(i Minute und darüber) oder sehr niedrig (i Se-
kunde und darunter) legen kann, was meist aus
technischen Schwierigkeiten nicht angängig ist. —
Ich sagte vorhin, daß die Registrierung der
Erdbebenwellen sehr hohe instrumentelle Anfor-
derungen stellt. Dies wird hervortreten, wenn
ich nun einige Angaben über die Empfindlichkeit
der Instrumente mache, die für den praktischen
Gebrauch in Betracht kommen.
Handelt es sich um die Aufzeichnung der
großen V\' eltbeben, so ist eine Neigungsempfind-
lichkeit £ = 1 mm für I Bogensekunde , ent-
sprechend einer Indikatorlänge / von 200 Meter,
nur noch in besonderen F"ällen hinreichend, man
muß i; :=: 5 — 50 mm, entsprechend / ^= 1000
bis 10 000 Meter erstreben. Eine Indikatorver-
größerung V von nur 10 ist nur noch bei ganz
großen oder verhältnismäßig nahen Beben zu-
reichend, man muß 50 oder lOO oder 200 erstre-
ben. In den kleinen Erdbeben, wie sie in Mittel-
europa auftreten, zeigen sich hauptsächlich sehr
kurze Perioden (höchstens ein paar Sekunden) und
sehr geringe Bewegungen. Will man diese in
einigen Hundert Kilometer Entfernung noch re-
gistrieren, so findet man, daß selbst eine 200 fache
Vergrößerung noch wenig befriedigend oder ganz
ungenügend ist. Ich habe deshalb in Göttingen
für diese Erdbeben noch ein besonderes Instrument
aufgestellt, das 2100 mal vergrößert."
Natürlich ist bei photographischer Registrierung
die Erzielung hoher Empfindlichkeit sehr viel
leichter zu erreichen, als bei mechanischer, da der
Lichtstrahl, auch wenn er noch so lang ist, nichts
wiegt und beim Auftreffen auf photographisches
Papier keine Reibung erzeugt. Ein photographieren-
des Horizontalpendel kann daher in kleinen Di-
mensionen und im Gewicht von 20 — lOO Gramm
hergestellt werden; nur stellt sich der Betrieb sehr
teuer und daher bleibt man auf den meisten
Stationen auf die mechanische Registrierung an-
gewiesen, bei der zur sicheren Überwindung der
Reibungen die stationäre Masse sehr groß gemacht
werden muß. Die Wiechert'schen Pendel haben
Massen von 1000 kg bzw. 17000 kg. Die letztere,
gewaltige Masse, welche durch einen mit Schwer-
spat gefüllten Eisenzylinder von 2 m Höhe und
2 m Durchmesser dargestellt wird, gehört zu dem
oben erwähnten Instrument mit 2 100 maliger Ver-
größerung. Mit diesem Instrument konnte aber
auch z. B. am 16. September 1906 die Explosion
eines Forts in Besangon zu Göttingen deutlich
wahrgenommen werden und die Maschinen des
Göttinger Elektrizitätswerkes , das 2 V2 ^^ von
der Erdbebenwarte entfernt liegt, bedingen eine
feine Wellung der Seismogramme, vermöge deren
der Betrieb des Elektrizitätswerkes genau kontrol-
liert werden kann. Selbst in den unterirdischen
Befestigungen der Insel Helgoland, wo das Instru-
ment zeitweilig aufgestellt war und eine sonst
nirgends erreichbare Ruhe zeigte, traten doch hin
und wieder nervöse Zuckungen des Lichtpunktes
und fortwährende leichte Bewegungen auf.
Bis Mitte 1907 gab es auf der Erde im ganzen
126 Stationen mit registrierenden Erdbebenmessern.
Fast die Hälfte davon entfällt auf das über die
ganze Erde ausgedehnte englische Netz. Deutsch-
land hat 15 inländische Stationen, denen sich
neuerdings je eine in Apia (Samoa-Inseln), Dar-
es - salam und Kiautschau zugesellt hat. Die
meisten Stationen sind mit Horizontalpendeln aus-
gestattet, während die Zahl der Vertikalseismo-
meter noch sehr gering ist. — Mit Hilfe der
Potsdamer, in 25 m Tiefe unter dem Erdboden
aufgestellten Horizontalpendel hat O. Heck er
kürzlich auch die Deformationen des Erdkörpers
unter dem Einfluß von Sonne und Mond sehr
deutlich nachweisen können. Aus dem Betrage
dieser Gezeitenerscheinung am festen Erdkörper
ergibt sich, daß diesem etwa die Starrheit des
Stahles zukommt. Kbr.
Bücherbesprechungen.
Otto zur Strassen, Die neuere Tierpsycho-
logie. Vortrag in der zweiten allgemeinen Sitzung
der 79. Versammlung deutscher Naturforscher und
Ärzte zu Dresden. Druck und Verlag von B. G.
Teubner, Leipzig und Berlin, 1908.
Der Verfasser macht uns in geschickter Weise
mit den verbreitetLten Anschauungen der modernen
Tierpsychologie bekannt. Als Vertreter des psycho-
physischen Parallelismus behandelt er in erster Linie
das rein ins Gebiet der Physik und Chemie fallende
Problem des tierischen Bewegungsmechanismus, erst
ganz am Schlüsse spricht er sich über die Zuordnung
des Psychischen aus. Das für alle Wissenschaft
obligatorische Prinzip der Ökonomie veranlaßt ihn,
nicht nur dem Menschen, sondern auch den Tieren
ein Bewußtsein zuzuschreiben. Bis zu welcher Stufe
N.itur\vissonsoluirtlk"ho WooluMischrift.
\. K. VUI Nr
iti der Tierreihe er die F.iiilegung des Psychischen
ausgodohnt wissen will, erfahren wir nicht.
Ansicrsbach.
Sammlung naturwissenschaftlich pädagogischer
Abhandlungen. Hor.iusgegeben von Trof. Dr.
l\ Sohnicil in M.irlnirg ;\. l,. und Trof. Or. W.
B. Schmidt in l.eip/ig, /.weiter Hand. Mit .\b-
hildungen im Texte. Leiprig und Berlin. Druck
und Verlag von B. G. Teubner, looS. — Preis
13 Mk.
Der umfangreiche Rmd, der eine reiche (Quelle
nicht nur fvir die Methodik des Unterrichts ist. son-
dern auch viel .tweckdienliches L'nterrichtsniaterial
bringt. enthSlt die folgenden Abhandlungen :
1. Die Bedeutung des F.xpcr:mentes tiir den Ihiter-
richt in der Chemie (von M. Wehner"!, 11. Sind Tiere
und rtlan^en beseelt? Lehrstort" für den Unterricht
in Prima im Anschluß an die philosophische Propä-
deutik (^F. HiiokK 111. Beiträge lur Metliodik des
botanischen l'nterrichts ^F. Schleichertl, IV. Der dy-
niuuologische 1 ehrg-ang. Versuch einer geschlossenen
Naturkunde ^K.. Renuisl, V. Beiträge zur Geschichte
und Methode des chemischen Unterrichts in der
Volksschule ^^R. Böttgert. VI. Die meteorologischen
Elemente und ihre Beobachtung mit Ausblicken auf
Witterungskunde und Klimalehre. Unterlagen tür
schulgemäiSe Behandlung sowie nun Selbstunterricht
l^O. Meit.Mier\ Vll. Der Lehrplan tur den Unterricht
in Xaturkur.de, historisch und kritisch betrachtet
(^P. HenklerK \"1U. Ph\-siologie und Anatomie des
Menschen nüt Ausblicken auf den ganzen Kreis der
Wirbeltiere in methodischer Behandlung (^F. Kienitz-
Gerloftl
Anregungen und Antworten.
Herrn W. Z. u\ B. — i. Oie wicliügslen Werke über
Pflantenbiologie siuJ folgende. .-Vn erster S'.cUe muli
Siels das kUissische Werk A. von Kerner"s genannt »erden:
Ptlantcnicben : 1 Bde. Leipiig iSoo — ot (antiq, clw.i 15 Mk.V —
Zur F.inluhrung in d»s Studium dieses Wissenscliatlsiweiges
sind folgende Lehrbüelier craptehlenswerl : Fr. Ludwig,
Lelirbuoh der Biologie der Prtanien (Stuttgart 1805); und
J. Wiesner, Biologie der Pflanien ^W\en 1SS9 und 1902,
2, .-Kutl. ; bildet Bd. HI von desselben Verf. Elemente der
\vissenscliat\liolien Botanik ; mit vielen l.iter.itunitalenl ; ferner
W. M i g u 1 a, riUnienbiologie 1 t^uelle v"ic Meyer, Leipzig ; S Mk.).
— Ein g.mt ausgeicichneles Werk über Biologie der Blüten ist:
E, L o e w . Einführung in die Blütenbiologie auf historischer
Grundlage ^Berlin, K. Dümmlers Verl. lS95'>; dieses ist un-
entbehrlich tvir jeden, der speziell in dieses reich entwickelte
Gebiet eindringen will. Derselbe Verl", tchrivb: Blütenbio-
logische Kloristik d, miulcrcn und nördlichen Eurojxx ^Stult-
gatt 18041, und in IVlonio's Naturvv. Wochenschrift iSSo eine
„.Vnleitnng «u bliitenbiologischen Beobachtungen", die jeder
lesen muB. der selbst solche Studien treiben will. Ein
kleineres Werk über Blütenbiologie ist: R. Knulh, Grund-
rifi der Blütenbiologie (Kiel und Leipzig, l.ipsius u, Tischer,
1S94I. K. Knuth begrüiulele das umt'angreiche, verdienstvoUo
Handbuch der Blütenbiologie (4 Bde., W. Engelmann, Leiptig,
iSoS — tooö), das nach seinem Tode von O. .\ppel und E.
U o e w vollendet wurde. Ein gutei .\bschnilt über Blüten-
biologie tindet sich in W. 1. Behrens, l.ehibuch der .Mlg.
Botanik, 5. .Xutl. iSo4. Hie Beziehungen »wischen Blumen
und Insekten wird behandeln: O. Kirchner, Blumen und
Insekten ^wird 1000 bei reubner-l.eiprig erscheinen!. — Es
gibt natürlich wahllose -Vbhandhingeu über biologische The-
mata ; von wichtigeren seien hier noch genannt ; (.>. K i r c h -
ner, Bestäubungseinrichtungen der Blüten (Stuttgart, 1900 —
IftOl) ; viele .\rbeiten von K, G oebel, besonders seine Pflanzen-
biologischen Schilderungen (Marburg, iSSo— o,;; 3 Peile;
etwa 15 Mk. antiii V — Die Beziehungen der Pflanzen Mittel-
europas in ihrer l'mgebung behandelt das großangelegte, im
Erscheinen begritVene Werk : Kirchner, L o e w und
Schröter, Lcbensgcschichle der Blütenpflanien Mitteleuropas
(Stuttgart, E. l'lmerV
i. Da die Blütezeit tur jeden Ort eines größeren Gebietes
wie Deutschland sehr verschieden ist. so ist es schwierig,
tur ein so großes llebict einen sog, B 1 ü t e n k a 1 e n d e r auf-
zustellen, d. h. ein chronologisches Verzeichnis, in dem die
Pflanzen nach ihrer BUihperiode, dem Beginn und l'nde ihres
Blühens angeordnet sind (E. Beiche, Blütenkaleuder der
deutschen Phaaerogamenllora, J Bde., 1S73. 3Mk.l Dagegen
kann man recht wohl für einen einzelnen Bezirk die verschie-
denen Phasen des Blühens durch jahrelange Beobachtungen
ermitteln und einen gewissen konstanten .Mi ttel t ermin lur
einen bestimmten Beobaehtungsort festlegen. Der Blüten-
kalender wird lur jeden Ort ein anderer sein (z. B. L.
Beisse nberger, Beitrag tu einem Kalender der Elora von
llermannsladt, in .\rohiv för Siebenbürgische Landeskunde, N.
K. XXVI, 1S95. ^- 57^^- "• Hoffmann hat liir Gießen die
Mittelwerte der Hauptphasen von über lioo Prtanzenarten
in alphabetischer .\nordnung der .Vrten mitgeteilt (Berichte
der Deutsch. Bot. Gesellschalt IV iiSSo] p. JiSo— 300I. E.
Gohn schildert ^Dic Pflanze, 1SS2, S. 142) einen Pflanzen-
kalender liir Breslau (vgl. Ludwig, Lehrbuch der Biologie
der Pflanze, S. 147V — Man bezeichnet die Wissenschaft, die
sieh mit der zeitliehen Entwicklung des Pflanzenlebens im
Laufe eines Jahres (vornehiulich mit der Belaubung, dem .\uf-
blühen, der Eruchtreife, der Laubvert^rbung, dem Laubfall^
und ihrer Beziehung zum Klima beschäftigt, als P h ä n o 1 o g i e.
Untersuchungen dieser .\rt gehen bis auf Linne zurück. In
seiner ,,Philosophia botanica" 1,1751! findet man p. 2'2 einen
Blütenkaleuder für l'psala (beginnt mit 17 -Vpril: Hepatica).
Ein eifriger Förderer phänologischer Bcoliachtungen aus
neuerer Zeit ist besonders 11. Hoffmann in Gießen gewesen
(vgl, seine ,,Phänologischen Mitteilungen" in den „Berichten
der Oberhessischen Gesellschaft lur Xatur- und Heilkunde"
und von 1000 an in den „.Abhandlungen der Naturforschen-
den Gesellschall in Nürnberg"!. Seine Studien wurden auf-
genommen und fortge>etzt von Ihne (vgl, dessen Geschichte
der phänologischen Beobachtungen, in H o f f m a n n und Ihne,
Beitr;ige zur Phänologie. Gießen 1SS4!. Drude (Deutschlands
Pflanzengeographie. Stuttgart 1S95!, Knuth (für Holstein)
u. a. Ihne l<at tur bestmimte Gebiete Kärtchen entwott'en,
die sich auf Fragen der klimatographischen Phänologie be-
ziehen, so z. B. eine des Frühlingseinzugs in Europa (in Peter-
maim's Mitteilungen 1905; abgedruckt .luch in .Meyer's Kon-
vcisatiouslexikon 6. .\ui',. X\ . 11. Ilarms.
Inhaltt Prof, .\, P ü 1 1 e r ; „Die Ernährung der Wassertiere" und „der Sloffhaushalt des Meeres". — Kleinere Mitteilungen:
ll'almac Sander; Irrlichter. — Dr. phil. W. E ffenbergcr; Biologische Beobachtungen ;ui einem deutschen Myria-
poden, Polydesmus complanatus. — Prof. Wiechert; Seismomeier. — Büclierbesprechungen : Otto zi:r Strassen:
Die neuere Tierpsychologie, — S;immlung n.Uurwissenschaftlich-pädagogischer .Abhandlungen. — Anregungen und
Antworten.
Verantwortlicher Redakteur :
Prot'. Dr. 11. Potonie, Groß-Lachtetielde-West b. Berlin. VcrUig von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. ^G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neur l-olif Vlir. l;uw\
Tr a^n/rii K«llic XXIV. I
Sonntag, den 17. Januar 1909.
Nur/irfjer li.
Die Salamander und die ursprünglichsten vierbeinigen Landwirbeltiere.
! Naclidruck verboten, j
Von Vr. J. Vemluy», l'fivatrlozirtit a. 'J. Univcrtilät <ii>-li<-ii.
Noch nicht ganz fünfzig Jahre sind vergangen,
seit Darwin und Wallacc uns ihre Begrün-
dung der Abstammungslehre gegeben haben.
Jetzt erst fing diese Lehre an unsere Anschauungen
über die lebende Welt zu beherrschen. Sic lehrte
uns, daß jeder Organismus seine an Umbildungen
oft reiche Stammesgeschichtc hat. So wie die
Gesamtheit der Gesetze eines Staates sich erst
verstehen und würdigen läßt, wenn man sich auf
geschichtlichen Hoden stellt und die Verhältnisse
und Bedürfnisse der Zeit berücksichtigt, in welcher
jedes Gesetz entstanden i.st, so wird auch der
Körperbau eines Tieres uns erst verständlich sein
können, wenn wir seine Bildungsgcschichtc in den
1 lauptzügen ermittelt haben. Vieles im Bau der
ricre, was uns sonst befremdend erscheinen
müßte, hat schon dadurch eine Krklärung gefunden.
h.s hat sich denn auch seit der .Mitte des
vorigen Jahrhunderts eine Keihc hervorragender
Forscher darum bemüht, den Bau des men.sch-
lichen Körpers, seine F!,ntwicklung und seine
individuellen Abweichungen aus der Vergangen-
heit zu erklären. Dieses Streben führte zur Auf-
stellung einer Reihe von hypothetischen .Stamm-
formen, deren Bau sich demjenigen bekannter
Tiere mehr oder weniger genau anschloß. Man
hat versucht, den Bau unserer Stammformen bis
in die weiteste Vergangenheit zu rekonstruieren.
Schien auch die Lösung dieses Problems im
.Anfang nicht sehr schwierig, so hat doch eine
mehr eingehende I'rüfung gezeigt, daß wir von
der endgültigen Beantwortung vieler Fragen noch
weit entfernt sind, (jar zu viele wichtige Tier-
formen sind ausgestorben und uns entweder nicht
oder nur unvollständig als I""ossiIien bekannt. F^s
bleiben große Lücken im Stammbaum der Wirbel-
tiere, zu deren Ausfüllung die Tatsachen nicht
ausreichen. Da kann man vorläufig nur durch
hypothetische F'ormen den .Stammbaum ergänzen,
dadurch die verschiedenen Möglichkeiten be-
leuchten und Anhaltspunkte finden für neue
Untersuchungen.
Es hat nun in der Entstehungsgeschichte der
höheren Wirbeltiere eine sehr wichtige Zeit ge-
geben, da unsere Stammformen vom Wasserleben
zum Leben auf dem Lande übergegangen sind.
Da wurde der Bauplan ausgebildet, der den Aus-
gang gegeben hat für die Organisation aller
höheren Landwirbeltiere. Manches schwierige
Problem würde bei Kenntnis dieses Bauplans
seiner Lösung näher gebracht werden. Es ist
eine unserer wichtigsten Aufgaben den Bau dieser
ersten vierbeinigen I^ndwirbeltiere , der ersten
Tetrapoden, zu ermitteln.
Vergleichende Anatomen, F^mbryologen und
Zoologen haben sich denn auch vielfach dem
.Studium jener lebenden 'I'icrc zugewendet, welche
den ersten Ictrapoden am näch-Stcn stehen. Das
sind die Amphibien.
Dabei hat man im Anfang bei stammes-
gcschichtlichen Untersuchungen ziemlich allgemein
angenommen, daß unter den lebenden Amphibien
die Salamander oder Sc;hwanzlurche jenen ältesten
Tetrapoden so nahe ständen, daß sie selbst wohl
als Ausgangspunkt für den Bau aller anderen
Land Wirbeltiere, besonders auch der Säugetiere,
gelten dürften. Dieser Standpunkt hat viele
Untersuchungen beherrscht. Ist er nicht richtig,
dann ist Nachprüfung in mancher FVage erwünscht.
Darin liegt die große Bedeutung einer richtigen
Beurteilung der Organisation der Schwanzlurche.
Ihre Ähnlichkeit mit den ersten Tetrapoden abzu-
wägen, ihren Charakter als ursprüngliche Tiere zu
prüfen, das ist eine wichtige Aufgabe.
.Meine eigene Meinung geht dahin, daß die
.Salamander in mancher Hin.sicht umgebildete
Tiere sind, die weder den ersten 'Tetrapoden noch
den .Stammformen der Reptilien und Säugetiere
in jeder Hinsicht nahe stehen. Bei ihnen auf-
tretende Organisationszustände dürfen erst nach
sorgfältiger Prüfung als Ausgangspunkt für die
Zustände höherer Wirbeltiere verwertet werden.
Von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich hier
einige Betrachtungen über die Organisation der
Schwanzlurche oder Salamander geben. Dabei
gliedert sich das 'Thema in zwei Abschnitte.
F,rstens gibt es unter den .Salamandern einige
Arten, die F'Lschlurche, welche so vollständig
Wassertiere sind und einen so einfachen Bau auf-
weisen, daß sie namentlich früher als sehr ur-
sprüngliche Tiere betrachtet wurden, welche den
Fischen noch sehr nahe ständen. Dies muß erst
geprüft werden, denn wäre es richtig, so brauchten
wir den Grundplan der ersten I^ndwirbeltiere
nicht weiter zu suchen; er wäre uns in jenen
Arten gegeben.
Wir werden sehen, daß diese Ansicht nicht
richtig ist. Die zweite Aufgabe meiner Aus-
führungen wird es sein, darzulegen, daß auch die
typischen Salamander, die Salamandrinen, in
mancher Hinsicht umgebildete 'Tetrapoden sind.
F'angen wir mit den Fischlurchen an,
.Man unterscheidet dabei zwei kleine Gruppen
von Arten, die Kiemenlurche oder Perenni-
branchiata und die JJerotremen. Erstere ver-
danken ihren Namen dem Besitze von äußeren
Kiemen, welche in einem Büschel auf beiden
-Seiten hinter dem Kopfe hervorragen ^Fig. i;. Es
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 3
gehört dazu der ziemlich bekannte 01m oder
Proteus, der in einigen Höhlenseen Östeireichs
lebt, dann Necturus und die Armmolche S i r e n
und Pseudobranchus, alle aus Nord- Amerika.
Erst 1894 wurde dann in Texas noch eine fünfte
Gattung der Kiemenmolche entdeckt, Typhlo-
molge rathbuni, die wie der 01m unterirdisch
lebt. Alle bekannten Exemplare der Typhlo-
molge, etwa ein Dutzend, wurden merkwürdiger-
weise mit dem Wasser eines 188 Fuß tiefen
artesischen Brunnens lebend heraufbefördert. Die
Figur 1 bringt eine Abbildung dieser noch nicht
allgemein bekannten Art.
Fig. I. 'I'y p h lo m olge rathbuni, nach Black ford
,,Nature": ^j^ nat. Größe.
Fig. 2. Amphiuma means, Aalmolch, nach Brehm's
Tierleben; '/a nat. Größe. Der dunkle Fleck etwas nach
vorne vom Vorderbeine ist der Kicmenspalt, der hier zeit-
lebens offen bleibt.
Den typischen Salamandern oder Salamandrinen
etwas ähnlicher sind die Derotremen. Dazu ge-
hören der japanische Riesensalamander (Mega-
lobatrachus), der Hellbender (Crypto-
branchus oder Menopoma) und der in
Figur 2 abgebildete Aalmolch (Amphiuma).
Es seien nun zuerst einige Merkmale der
Kiemenlurche und Derotremen hervorgehoben,
welche als ursprünglich gedeutet worden sind,
indem diese Tiere hierin eine von den Fischen
zu den Salamandrinen hinüberleitende Organisation
zeigen sollten.
Erstens besitzen alle Fischlurche, mit alleiniger
Ausnahme des Riesensalamanders, zeitlebens offene
Kiemenspalten wie die Fische (vgl. Fig. 2). Bei
den übrigen Amphibien, auch bei den Salaman-
drinen. kommen offene Kiemenspalten nur den
Larven zu ; bei den Reptilien, Vögeln und Säugern
treten dieselben nur während der Entwicklung
auf. In der Kiemenregion liegen bei allen Fischen
einige aus Knorpel oder Knochen bestehende
paarige Skeletspangen, die Kiemenbogen ; es sind
wenigstens 5 solche Spangen beiderseits vorhan-
den. Die Salamandrinen besitzen nur 2 solche
Bogen. Bei den Fischlurchen sind sowohl 4 wie
3 und 2 Bogen gefunden worden, also Zahlen,
welche von den Fischen zu den Salamandrinen
überleiten.
Einen ähnlichen Übergang zeigen nach
C. Rabl die Gliedmaßen. Es sollen die
Fischlurche besonders in der geringen
Zahl ihrer Zehen (es gibt Arten mit nur
2 und 3 Zehen) Zustände darbieten, welche
von den Flossen der Lungenfische zu den
4- und 5 -zehigen Füßen der Salamandrinen
^ , überleiten.
Auch das Geruchsorgan einiger Kiemen-
TfT- molche zeigt einen sehr einfachen Bau.
=^~ Namentlich fehlt beim Olm und bei
~ Necturus ein Jacobson'sches Organ, die-
ses rätselhafte Nebensinnesorgan der Nasen-
höhle, welches den anderenSchwanzlurchen
zukommt, allen Fischen aber fehlt und
welches sich, soweit jetzt ersichtlich, erst bei den
Stammformen der Landwirbeltiere entwickelt haben
muß.
Da die Tatsachen darauf hinweisen, daß Larven
oft ursprünglichere Verhältnisse aufweisen als die
erwachsenen Tiere, so war es wichtig, als für ver-
schiedene Organe der Fischlurche nachgewiesen
wurde, daß ihr Bau demjenigen der Larven der
Salamandrinen ähnlich ist. Dies konnte damals
nur als ein Zeichen der primitiven Organisation
der Fischlurche gedeutet werden.
Wir sehen aus diesen Beispielen, die ich noch
vermehren könnte, daß die Fischlurche wirklich
im Bau verschiedener Organe sich mehr als die
Salamandrinen den F"ischen nähern. Und es ist
sehr erklärlich, daß im Anfang der von der Ab-
stammungslehre beherrschten Untersuchungs-
periode den Fischlurchen eine sehr tiefe Stellung
im Stammbaum der Tetrapoden zugewiesen wurde ;
diese Auffassung schien sehr gut begründet.
Und dennoch kommt diese tiefe Stellung im
System den Fischlurchen nicht zu. Die Fisch-
lurche sind nicht die ursprünglichsten Salamander,
welche auf niedrigerer Entwicklungshöhe stehen
geblieben sind, während die typischen Salamander
eine höhere Entwicklungsstufe erreichten und jetzt
nur noch als Larven das ursprüngliche Fisch-
lurchstadium durchleben. Die sehr große Ähn-
lichkeit namentlich der Kiemenlurche mit den
Salamanderlarven ist nur eine Folge davon, daß
erstere auch Larven sind, aber Larven, die sich
nicht mehr, wie ihre Stammformen das getan
haben müssen, zu vollkommenen Salamandriden
entwickeln. Der Übergang der Larve zum er-
N. F. VIII. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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wachsenen Salamander, die Verwandlung oder
Metamorphose, ist bei ihnen unvollständig ge-
worden oder unterbleibt gänzlich.
Boas hat zuerst betont, daß die Kiemenlurche
Salamandcrlarven sind, welche die Fähigkeit, sich
umzuwandeln, verloren haben, aber dennoch ge-
schlechtsreif wurden und sich dann im Laufe der
Zeit in Anpassung an ihr beständiges VVasserleben
in mehrfacher Hinsicht umbildeten. Die Dero-
tremen sind nach Boas Salamander, die im
Übergangsstadium von der Larve zum Erwachsenen,
also in der Verwandlung, stehen geblieben sind.
Der Gedankengang der von Boas gegebenen
Beweisführung ist etwa folgender;
Während die erwachsenen Salamander nach
dem Grundplan eines Landtieres gebaut sind,
leben ihre Larven im Wasser und haben sich im
An einem Beispiele, welches ich Unter-
suchungen von Boas entlehne, möchte ich dies
erläutern.
Die erwachsenen Salamander atmen durch
Lungen, wenigstens soweit nicht Verkümmerung
derselben eingetreten ist. Die gut entwickelten
Lungenarterien (Fig. 3A: 4 und /) führen den
Lungen aus dem Herzen (durch den aus letzterem
hervorgehenden Arterienstamm st) sauerstoffarmes
Blut zu, welches in den Lungen aus der Luft
Sauerstoff aufnimmt. Der Salamanderzustand
schließt an denjenigen der Lungenfische, beson-
ders Ceratodus, an und dürfte demjenigen der
Stammformen der Tetrapoden nahe stehen.
Fig. 3. Arterienbogen der Salamander, schematisch, aus Boas, Lehrbuch der Zoologie, 4. Auflage.
A erwachsenes Tier, B Larve, ao Aorta, br Kieme (abgeschnitten, am zweiten und dritten Bogen fortgelassen ; der vierte
Bogen hat keine Kieme), ca Kopfarterie, / Lungenarterie, sl aus dem Herzen nach vorne führender Arterienstamm;
I — '' erster, 2 — 2' zweiter, 3 — 3' dritter, 4 — 4' vierter Arterienbogen; la — 3« erste bis dritte zuführende Kiemenarterie;
ib—Z/i erste bis dritte abführende Kiemenarterie. Das Blut strömt vom Herzen durch das Gefäß st und die Arterienbogen
(1-3 Fig. A) oder die zu- und abführenden Kiemengefäße (1(7-30 und id—zb Fig. B) zur großen Körperarterie, zur AorV^iio.
Laufe der Zeit dem Wasserleben immer mehr
angepaßt. So haben sie Unterschiede gegenüber
den erwachsenen Tieren erworben, welche bei
der Verwandlung ausgeglichen werden. Es haben
sich larvale Organisationszustände ausgebildet,
von denen sich nachweisen läßt, daß sie keine
ursprünglichen sind und daß sie den erwachsenen
Stammformen der Salamander nicht zukamen.
Es zeigen nun die Fischlurche auch solche
larvale Anpassungen; ja, diese Anpassungen gehen
noch weiter. Es bleiben die Tiere ja zeitlebens
Wasserbewohner, es entwickelt sich aus ihnen
kein Landtier mehr. Und dadurch ist es möglich
geworden, daß einige Organe Llmbildungen zeigen,
welche derart sind, daß sich niemals mehr ein
erwachsener, landbewohnender Salamander aus
ihnen entwickeln könnte. Die Anlage des Baues
der erwachsenen Salamander, die den Larven
immer zukommen muß, zeigt bei den Fisch-
lurchen Verkümmerungen.
Während des Larvenlebens aber herrschen in
Anpassung an das Wasserleben andere Zustände.
Die Lungen funktionieren dann nicht als Atmungs-
organe, denn die Larven sind Wasserbewohner,
welche durch Kiemen atmen (Fig. 3 B, br). Wenn
die Lungen nun durch die Lungenarterien (4 und/)
wie bei den Erwachsenen sauerstoffarmes Blut
zugeführt bekämen, so würde in den Lungen, da
jene noch nicht funktionieren , Sauerstoffmangel
eintreten. Diese Schwierigkeit, eine Folge des
Fehlens einer Kieme im Verlauf des 4. Arterien-
bogens (Fig. 3B: 4), ist durch eine Änderung
des Kreislaufs während des Larvenlebens in
folgender Weise beseitigt. Durch ein Verbindungs-
gefäß jeder Lungenarierie mit einem der abführen-
den Kiemengefäße (Fig. 3B: 4' mit ib) wird den
Lungen sauerstoffreiches Blut aus einer der
äußeren Kiemen der Larve zugeführt. Das Blut
strömt also vom Herzen durch das Gefäß 3 a zur
Kieme und dann durch 3/', 4' und / zur Lunge.
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 3
Das Verbindungsgefäß 4' kommt auch den er-
wachsenen Salamandrinen (Fig. 3 A) und dem
Lungenfisch Ceratodus zu, aber bei diesen Tieren
strömt das Blut darin von der Lunge ab, indem
ein kleiner Teil des durch Gefäß 4 aus dem
Herzen kommenden Blutes nicht durch p zur Lunge,
sondern durch 4' zur Aorta geht. Bei den Larven
folgt das Blut in Gefäß 4' nicht dieser ursprüng-
lichen Richtung, sondern strömt der Lunge zu.
Der Abschnitt der Lungenarterien aber, der sich
vom Herzen bis zu diesem Verbindungsgefäß er-
streckt (Fig. 3B: 4) ist bei den Larven sehr zart,
so daß nur sehr wenig oder kein sauerstoffarmes
Blut aus dem Herzen unmittelbar den Lungen zu-
geführt wird. Wir haben hier also eine An-
passung der Larve an ihre Lebensbedingungen.
Die Kiemenlurche nun schließen sich im Bau
dieser Gefäße (4, 4' und p) entweder ganz den
Salamandrinenlarven an , oder es ist bei ihnen
Rückbildung eingetreten. So fehlt bei einigen
Arten der Anfangsabschnitt der Lungenarterien
(4 der Figur 3), der bei den Larven wegen der
späteren Lungenatmung der Erwachsenen vorhan-
den sein muß. Schon dadurch kann bei diesen
Kiemenlurchen sich niemals mehr der Kreislauf
der erwachsenen Salamandrinen ausbilden. Die
Kreislaufzustände der Kiemenlurche entfernen sich
weiter vom ursprünglicheren Zustande des Lungen-
fisches Gerat odus , als dies beim typischen Zu-
stande der erwachsenen Salamandrinen der Fall
ist. Es kann der Kreislauf der Kiemenlurche nur
von dem der Salamandrinenlarven abgeleitet
werden; die Kiemenlurche zeigen in dieser Be-
ziehung keine ursprünglichen Verhältnisse, aus
denen sich die Kreislaufszustände der erwachsenen
Salamandrinen entwickelt haben könnten.
Von den Derotremen zeigt der Hellbender
(Cryptobranchus oder Menopoma) durch-
aus larvale Verhältnisse der Lungenarterien (wie
in Figur 3 B ist Gefäß 4 sehr schwach ; das Blut
geht durch 4' und p zur Lunge) ; Riesensalamander
und Aalmolch schließen sich mit ihrer gut ent-
wickelten Lungenarterie (Fig. 3 A, 4 und p) mehr
den erwachsenen Salamandrinen an. Die vor-
liegenden Zustände sind nicht leicht zu deuten;
ich kann hier darauf nicht näher eingehen.
Auch andere Organe der Fischlurche, beson-
ders der Kiemenlurche, zeigen einen Bau, der
demjenigen der Salamandrinenlarven ähnlich ist,
der aber in mehreren F"ällen den Stammformen
der Salamandrinen anscheinend nicht zukam. Die
ganze Organisation der Kiemenlurche ist eine
larvale.
Dies läßt sich nur erklären durch die Annahme,
daß die Kiemenlurche sich entwickelt haben aus
Salamandrinenlarven, deren Verwandlung ausblieb.
Daß dies möglich ist, läßt sich sicher begründen,
denn man kennt bei den typischen Salamandern
alle Übergänge einer etwas unvollkommenen Ver-
wandlung bis zu einer vollständigen Unterdrückung
derselben. Man nennt diese Erscheinung Neotenie
und spricht von neotenischen Larven, wenn das
Larvenleben sich über die normale Zeitdauer aus-
dehnt, so daß die Verwandlung viel später als
gewöhnlich stattfindet oder gänzlich unterbleibt.
Solche Larven, welche man auch von den in
Deutschland einheimischen Wassermolchen her
kennt, können sich fortpflanzen. Bei der Sala-
mandrinengattung Amblystoma pflanzen bei-
nahe alle Arten sich nur in der gewöhnlichen
Weise als erwachsene Tiere fort. Bei einer Art
aber, Amblystoma tigrinum, nähert sich die
Geschlechtsreife bei vielen Arten sehr der Ver-
wandlung und kann unmittelbar nach derselben
eintreten. Nicht selten aber pflanzen schon die
Larven dieser Art sich fort, und dann findet die
Verwandlung, jedenfalls oft, nicht mehr statt. In
bestimmten Gegenden findet man Larven, die
Axolotl, die regelmäßig als solche geschlechtsreif
werden und bei denen die Verwandlung so selten
ist, daß man die Larven als einen Kiemenlurch
unter dem Namen Siredon beschrieben hat.
Genau so muß man sich die Stammformen
der Kiemenlurche entstanden denken. Eine will-
kommene Bestätigung dieser von Boas zuerst
vertretenen Ableitung der Kiemenlurche hat die
Untersuchung des Kiemenlurches Typhlomolge
rathbuni durch Fräulein E. T. Emerson ge-
bracht. Dieselbe hat ergeben, daß diese Art sich
in ihrem Bau, auch in einigen Details, den Larven
eines nordamerikanischen Salamandrinen, Speler-
pes ruber, sehr nahe anschließt. Daneben
zeigt sie schon einige Anpassung an ihr unter-
irdisches Wasserleben. Es ist demnach kaum
zweifelhaft, daß dieser Kiemenlurch sich entwickelt
hat aus der neotenischen Larve eines Salamanders
der F"amilie Plethodontidae , der auch Speler-
pes ruber angehört.
Denkt man sich Salamandrinen, bei denen die
Neotenie fixiert wurde, wie das ja beim Axolotl
nahezu schon der Fall ist, so würden diese Tiere allen
Anforderungen entsprechen, die an die Stamm-
formen der Kiemenlurche gestellt werden müssen.
Seit ihrer Entstehung haben dieselben sich dem
Wasserleben mehr anpassen können, als es sonst
die Salamandrinenlarven tun können. Denn sie
brauchten sich niemals mehr zu Landtieren um-
zuändern, während bei den Larven die Anpassung
ans Wasserleben doch immer in gewissen Grenzen
gehalten wird durch die Anforderungen des
späteren Landlebens und die beschränkte Um-
bildungsmöglichkeit bei der im Freien stattfinden-
den IVIetamorphose. So zeigen einige Kiemen-
lurche eine erhebliche Streckung des Körpers,
auch des Rumpfes, wodurch die Gestalt mehr
aalartig wird. Diese Streckung ist eine Anpassung
ans Wasserleben. Aber aus einem Tiere mit er-
heblich verlängertem Rumpfe konnte bei der
Verwandlung kaum mehr ein Tier sich entwickeln,
das imstande wäre, wie die typischen Salamander,
sich mit seinen Gliedmaßen auf dem Lande fort-
zubewegen; dazu wäre die Entfernung von vor-
deren und hinteren Gliedmaßen zu groß. Ob-
gleich dieselbe Streckung des Körpers auch für
N. F. Vin. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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die Larven der Salamandrinen vorteilhaft sein
dürfte, da ja die Lebensweise ähnlich ist, findet
diese Streckung dennoch nicht statt; durch die
Bedingungen des späteren Landlebens erscheint
sie ausgeschlossen.
Ich hoffe, daß es jetzt klar sein wird, wie wir
die Organisation der Kiemenlurche beurteilen und
weshalb wir das so tun. Sie sind aus neoteni-
schen Larven entstanden \ denn ihre Organisation
ist annähernd dieselbe wie diejenige der Larven
und kann nur aus dieser abgeleitet werden, nicht
umgekehrt. Ein direkter .Anschluß der Kiemen-
lurche an die Fische besteht nicht, und anderer-
seits können die Salamandrinen sich nicht aus den
Kiemenlurchen entwickelt haben. Über den Bau
der ursprünglichsten Tetrapoden lehren die
Kiemenlurche uns also nicht mehr, als die
typischen Salamander und deren Larven.
Etwas anders, als die Organisation der Kiemen-
lurche, muß diejenige der Derotremen beurteilt
werden. Auch sie sind keine ursprünglichen
Salamander. Aber von typischen Larven kann
man sie nicht ableiten, denn sie zeigen eine
Mischung von Charakteren erwachsener Salaman-
der und Larven. Die einfachste Erklärung dieser
eigentümlichen Erscheinung ist wohl folgende.
Die Deortremen stammen ab von typischen Sala-
mandern, welche vollständig zum Wasserleben zu-
rückgekehrt waren. Die Verwandlung, welche
dazu dient, im Bau der Larven die für das Land-
leben notwendigen LTmänderungen herzustellen,
verlor dabei größtenteils ihre Bedeutung, sie
dehnte sich über eine immer längere Zeit aus,
und schließlich trat dann bei den noch unvoll-
kommen umgebildeten Tieren schon Geschlechts-
reife ein. Einige Organe behielten die ursprüng-
liche Umwandlung beinahe vollständig bei, andere
gaben sie ganz oder größtenteils auf, behielten
den larvalen Bau. So schließt M e n o p o m a sich
im Schädel den erwachsenen Salamandern an, in
seinem Kreislauf herrschen aber noch larvale Ver-
hältnisse vor.
Größtenteils vollendet wird die X'erwandlung
beim Riesensalamander. Dagegen bleibt Meno-
p o m a auf mehr larvaler Entwicklungshöhe stehen ;
der Riesensalamander ist also von diesen nahe
verwandten Gattungen diejenige, die den gemein-
samen Stammformen am nächsten steht.
Eine ähnliche Rückbildung der Verwandlung
dürfte der Aalmolch durchgemacht haben.
Für die Kiemenlurche Siren und Pseudo-
branchus wird vielleicht die Ableitung von
neotenischen Larven zur Erklärung ihres Baues
nicht ganz ausreichen: auch für sie muß möglicher-
weise eine allmähliche Verkümmerung der Ver-
wandlung, wie für Riesensalamander und Meno-
p o m a , angenommen werden.
Aber wie steht es dann mit den vielen Merk-
malen der Fischlurche, welche von so manchem
Forscher als sehr ursprünglich gedeutet wurden,
welche an die Stammformen der Tetrapoden er-
innern sollten ?
Darauf muß an erster Stelle geantwortet
werden, daß zwar ein Organisationszustand, der
bei den Fischlurchen auftritt, nicht mehr deshalb
als ursprünglich betrachtet werden darf, daß aber
doch bei Larven so oft während der Entwicklung
primitive Zustände mehr oder weniger vollkommen
wiederholt werden, daß diese auch bei den Sala-
mandrinenlarven und dann auch bei den Fisch-
lurchen auftreten können. Der eigentümliche Ur-
sprung der Fischlurche schließt also das Auftreten
sehr ursprünglicher Verhältnisse nicht aus, läßt
diese im Gegenteil erwarten, aber nur insoweit
diese auch den Larven der Salamandrinen, deren
Organisation sie ja wieder erworben haben, zu-
kommen. Vielleicht stammen die Fischlurche
auch teilweise von sehr ursprünglichen Salaman-
dern ab, und können dadurch ursprüngliche Merk-
male zeigen, welche bei allen anderen Salaman-
dern und auch bei deren Larven verloren ge-
gangen sind. Allein es stellt sich doch heraus,
daß mit dem neu erworbenen Einblick in die
Stammesgeschichte der Fischlurche mehrere der-
jenigen Eigenschaften, welche als ursprüngliche
betrachtet worden sind, das nicht sein können.
So wird es klar, daß die schon erwähnte, von
Rabl versuchte Ableitung der Szehigen Glied-
maßen der Tetrapoden aus den Flossen der
Lungenfische, wobei er die 2- und 3-zehigen
Gliedmaßen einiger Fischlurche als Etappen des
Entwicklungsganges verwertet hat, nicht haltbar
ist. Sie ist schon von M. Fürbringer wider-
legt worden, und auch ich kann die geringe Ent-
wicklung der Extremitäten und die niedrigere
Zehenzahl bei einigen Fischlurchen nur einer Ver-
kümmerung zuschreiben. Mir scheint, daß hier
zweifellos die Folgen einer Rückkehr zum Wasser-
leben hervortreten. Während bei den Larven der
Salamandrinen im allgemeinen die Gliedmaßen,
wenn auch spät, eine kräftige Ausbildung erreichen,
da ja die erwachsenen Tiere beinahe immer ans
Land gehen, ist bei den Fischlurchen im An-
schluß an ihr ständiges Wasserleben eine Rück-
bildung der Gliedmaßen möglich geworden und
bei allen auch eingetreten. Denn im Wasser ist
das Körpergewicht äußerst gering; es genügen
viel weniger kräftige Gliedmaßen, es zu tragen.
Wollen die Tiere sich schneller fortbewegen,
dann schwimmen sie, ohne sich dazu ihrer Glied-
maßen zu bedienen. Dabei finden wir die am
wenigsten entwickelten Gliedmaßen bei denjenigen
.Arten, welche sich in der Streckung des Rumpfes
am meisten der schwimmenden und gleitenden
F'ortbewegung angepaßt haben. Auch tritt bei
verschiedenen Exemplaren derselben Art eine
große Variabilität auf, wie man das öfters findet,
wenn Rückbildung vorliegt. Bei ein und derselben
Art, dem .Aalmolch, kennt man Exemplare, deren
Füße I, 2 und 3 Zehen besitzen; es kommt sogar
vor, daß bei einem Tiere die Zahl der Zehen
links und rechts verschieden ist.
Schwieriger ist es, für die einfachen Zustände
der Nasenhöhle, namentlich für das Fehlen des
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Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 3
Jacobson'schen Organes beiNecturus und beim
Olm EU entscheiden, ob Rückbildung vorliegt und
ob sich diese dann mit dem VVasserleben in Zu-
sammenhang bringen läßt. Seydel, dem wir
wesentlich unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete
verdanken, glaubt letzteres nicht annehmen zu
dürfen.
Er weist darauf hin, daß das Jacobson'sche
Organ sich bei den Larven der Salamandrinen
schon ziemlich frühzeitig anlegt und noch vor der
Verwandlung seine vollkommene Ausbildung er-
reicht. Seydel schließt hieraus, daß dieses
Organ schon funktioniert bei den älteren Larven,
welche doch ausschließlich Wasserbewohner sind,
und dann kann auch, meint er, im Wasserleben
des 01ms und Necturus kein Grund für eine
Verkümmerung liegen.
Demgegenüber möchte ich nun aber hervor-
heben, daß ein Organ, auch wenn es erst beim
erwachsenen Tiere in Tätigkeit tritt, bei der Larve
doch schon gut entwickelt sein kann. Es er-
scheint durchaus nicht notwendig, daß die voll-
kommene Ausbildung aller derjenigen Organe,
welche nur beim Landleben von Bedeutung sind,
bis zur Verwandlung aufgeschoben wird. Letzteres
erscheint nur notwendig für diejenigen Organe,
deren vollkommener Zustand für das Wasserleben
der Larven nicht geeignet ist, wie z. B. die Kreis-
laufsorgane. Aber für andere Organe darf man
das nicht immer erwarten. Denn es läßt sich
verstehen, daß die Verwandlung, wegen der Ge-
fahr, welche sie für das Leben der Tiere mit sich
bringt, eine so geringe ist, wie die Verhältnisse
es nur erlauben. Dementsprechend ist es nicht
befremdend, wenn einige Organe schon während
des Larvenlebens, wenn auch spät, die voll-
kommene Ausbildung erreichen, welche erst für
die höheren Ansprüche des Landlebens notwendig
ist. So sind ja die Gliedmaßen bei den Larven
doch auch schon einige Zeit vor der Verwand-
lung viel besser ausgebildet, als für ihre geringen
Leistungen während des Wasserlebens erforderlich
ist; diese Entwicklung wird wohl nur erreicht,
weil sie später notwendig ist für die Fortbe-
wegung auf dem Lande, welche ja an die Glied-
maßen viel höhere Ansprüche stellt.
Die vollständige Ausbildung eines Organes
bei den Larven einige Zeit vor der Verwandlung
bedeutet also nicht, daß dieses Organ schon beim
Wasserleben in vollem Maße funktioniert. Ich
kann denn auch dem von Seydel hervorge-
hobenen Grund für den ursprünglichen Charakter
der Nasenhöhle beim Olm und Necturus nicht
beipflichten und glaube, daß Rückbildung vor-
liegen muß. Nachdem wir über die Fischlurche
erfahren haben, daß sie von Salamanderlarven ab-
stammen, könnte das Fehlen des Jacobson'schen
Organes hier nur ursprünglich sein, wenn dieses
Organ auch den Larven der Salamander abginge,
oder doch, als neu entstanden, bei diesen Larven
erst sehr spät angelegt wurde. Wir haben aber
gesehen, daß es dort, so weit bekannt, schon früh
auftritt und gut entwickelt ist. Auch hier dürfte
also bei den Fischlurchen, namentlich beim Olm
und Necturus, kein ursprünglicher Zustand
vorliegen, und Seydel's Anschauung, daß das
Jacobson'sche Organ sich bei den Kiemenlurchen
zu bilden anfängt, scheint mir nicht mehr haltbar.
Wir sehen aus diesen Betrachtungen, wie der
richtigere Einblick in die Stammesgeschichte der
Fischlurche von großer Bedeutung sein kann für
unsere Anschauungen über die Entstehung ver-
schiedener Organisationsverhältnisse der Tetra-
poden. Sie zeigen uns, wie die Fischlurche von
typischen Salamandern abstammen, den Fischen
nicht näher stehen als diese und uns also über
den Bau der ersten Landwirbeltiere oder Tetra-
poden nicht mehr Auskunft geben können, als
die übrigen Salamander.
Bevor ich von den Fischlurchen Abschied
nehme, möchte ich noch kurz einiges hervorheben.
Bei der neuen Boas 'sehen Ansicht über die
Stammesgeschichte der Kiemenlurche ist es klar,
daß die dazu gehörigen Arten sich unabhängig
voneinander aus neotenischen Larven verschiedener
Salamanderarten entwickelt haben können. Das
scheint auch wirklich der Fall gewesen zu sein.
Denn die Kiemenlurche weisen untereinander so
viele Unterschiede auf, daß eine allen gemeinsame
Entwicklung nicht wahrscheinlich ist. Und das-
selbe trifft auch für die Derotremen zu, wo der
Aalmolch sich unabhängig von den untereinander
näher verwandten Formen, dem Riesensalamander
und Menopoma, also aus einer anderen Sala-
manderform, entwickelt haben dürfte.
Nur für wenige der zugehörigen Arten können
wir die nächsten Verwandten unter den Sala-
mandrinen schon jetzt angeben. Für Typhlo-
molge ist die Abstammung von einer Art aus
der Familie Plethodontidae näher begründet
worden. Für den Riesensalamander und Meno-
poma glaube ich eine Entstehung aus den
Amblystomatidae annehmen zu müssen und
zwar aus Formen, welche mit den Gattungen
Raniceps undHynobius verwandt waren, mit
denen nach Wiedersheim und Drüner im
Kopfskelett und Kiemenbogenapparat auffallende
Ähnlichkeiten vorliegen. Diese Formen müssen
demnach der Familie Amblystomatidae an-
geschlossen werden. Dagegen darf man sie nicht,
wie dies vielfach noch geschieht, mit dem Aal-
molch (Amphiuma) in einer Familie .^m-
phiumidae vereinigen, denn die gemeinsamen
Derotremen-Charaktere haben sie wahrscheinlich
unabhängig voneinander erworben.
Ich komme jetzt zum zweiten Teil meines
Themas, auf die Frage, inwieweit die Organisation
der typischen Salamander denjenigen der Stamm-
formen der Tetrapoden nahe stehen diirfte.
Solange man die Fischlurche als Übergangs-
formen von den Fischen zu den Tetrapoden be-
trachten konnte, erschien auch eine sehr tiefe
Stellung der Salamandrinen wahrscheinlich. Jetzt,
N. F. Vin. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
39
wo wir über die Abstammung der P'ischlurche
genauer unterrichtet sind, ist aber einer der wich-
tigsten Gründe hinfällig geworden, welcher für
die Deutung der Salamander als F"ormen, die den
Stammformen der übrigen Tetrapoden sehr nahe
stehen, herangezogen werden könnte. Aber hier-
aus geht nicht hervor, daß die typischen Sala-
mander keine ursprünglichen Tiere sind. Denn
wir haben nur erfahren, daß die Fischlurche uns
über die Stammesgeschichte der Salamandrinen
nicht unterrichten können . weil sie nicht die ur-
sprünglichsten Salamander sind.
Es bleibt demnach möglich, daß die Sala-
mander doch den Stammformen der anderen
Tetrapoden sehr nahe stehen. Dafür spricht ihre
sehr einfache Organisation, die für viele Organe
einen Bau aufweist, der ursprünglicher sein kann
als bei irgendeinem anderen lebenden Tetrapoden.
Es muß noch ermittelt werden, inwieweit die
Salamander sich den ursprünglichsten Tetrapoden
nähern und inwieweit ihre Organe als Ausgang
genommen werden dürfen für unsere stammes-
geschichtlichen Betrachtungen über die Organ-
systeme der höheren Wirbeltiere.
Dazu verfügen wir über mehrere Hilfsmittel,
welche es uns ermöglichen, uns vom Bau der
Stammformen der Landwirbeltiere ein Bild zu
entwerfen. So kennen wir viele Skelette ausge-
storbener Landwirbeltiere aus der Steinkohlen-
formation und der sich anschließenden permischen
Periode, das ist aus einer Zeit, wo die Entstehung
der Tetrapoden aus Fischen noch nicht weit zu-
rücklag. Diese Skelette erlauben auch Schlüsse
auf den Bau des Muskelsystems sowie auf die
Lebensweise jener ausgestorbenen Tiere. Aber
es läßt sich nicht ohne weiteres ablesen, welche
Arten darunter den Stammformen aller Tetra-
poden am nächsten stehen und ob es überhaupt
darunter Arten gibt, welche diesen Stammformen
so nahe kommen, daß sie mit diesen vereinigt
werden dürfen. Hier kann nur ein sorgfliltiger
Vergleich uns den Weg zeigen. Wenn ein Orga-
nisationszustand auftritt, der ungezwungen die
.Ableitung anderer Zustände desselben Organes
bei verschiedenen Abteilungen der Tetrapoden
erlaubt , wenn Anschluß an den Bau der Fische
möglich ist, dann kann ein ursprünglicher Zustand
vorliegen. Namentlich auch eine weite Verbreitung
eines Organisationszustandes kann wichtige An-
deutungen geben. Wenn wir z. B. bei denjenigen
Fischen, welche für die Ableitung der Tetrapoden
am ersten in Betracht kommen, den Kopf bedeckt
finden mit einer ziemlichen Zahl von Knochen-
platten, welche nur Öffnungen für die Sinnes-
organe lassen, sonst aber eine geschlossene Decke
des Kopfes bilden, und wir finden diese Knochen
in ähnlicher Anordnung auch bei karbonischen
und permischen Amphibien, bei den sogenannten
Stegocephalcn, und dann wieder bei den ältesten
bekannten fossilen Reptilien, dann wird es wahr-
scheinlich, daß diese geschlossene Schädeldecke
auch den Stammformen der Landwirbeltiere zu-
gekommen ist. Und da sich herausgestellt hat,
daß die in dieser Beziehung sehr wechselnden
Zustände der Reptilien sich ungezwungen auf
jenen Zustand, und nur auf jenen , zurückführen
lassen, so wird dies beinahe zur Gewißheit.
So sehen wir, daß es doch möglich ist, man-
ches über den Bau der allerersten Tetrapoden zu
ermitteln, über den Bau von Tieren, die wir nie-
mals lebend gesehen haben und auch fossil viel-
leicht niemals finden werden. Dann können wir
versuchen, die ältesten Tetrapoden zu rekonstru-
ieren. Und wenn wir dann die Salamander mit
diesen ältesten Tetrapoden vergleichen, so können
wir wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit an-
geben, inwieweit erstere von den Stammformen
aller Landwirbeltiere abweichen und ob sie sich
davon entfernt haben in einer Richtung, welche
zu den höheren Landwirbeltieren überleitet, oder
ob sie einen selbständigen, eigenen Entwicklungs-
weg gegangen sind.
Und dann glaube ich, daß wir tatsächlich bei
den Salamandern wichtige Abweichungen gegen-
über den ersten Tetrapoden konstatieren können.
Ich will mich wieder auf einige Beispiele be-
schränken.
Den Salamandern fehlt jene vollständige
knöcherne Kopfbedeckung, von der wir soeben
erfahren haben, daß sie den ältesten Tetrapoden
zukam. Hier müssen wir den Verlust vieler
Knochen bei den Salamandern annehmen. Auch
sonst dürfte ihr Schädel noch wesentlich abweichen
von jenem ursprünglichen Schädeltypus, von dem
wir den Reptilienschädel ableiten können.
Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich auch
nachweisen, daß den ersten Tetrapoden eine voll-
ständige Hautbedeckung von kleinen, in regel-
mäßigen Reihen angeordneten Knochenschuppen
zukam. Diese Hautbedeckung zeigen diejenigen
Fische, an welche wir die Landwirbeltiere an-
knüpfen müssen; und einige der ältesten Stego-
cephalcn zeigen diesen Panzer noch in vollkom-
mener Ausbildung. In Figur 4 ist ein beinahe
vollständig beschuppter Stegocephale abgebildet.
Bei den meisten ausgestorbenen Amphibien war
der Panzer nur an der Bauchseite erhalten und
dort findet man auch noch Überbleibsel jener
Körperbedeckung bei vielen Reptilien. Die Bauch-
rippen der Crocodilier, des altertümlichen Reptils
Sphenodon, einiger vereinzelten Eidechsen (Tili-
(|ua und Trachysaurus), sowie der Bauch-
schild der Schildkröten sind aus jenem Haut-
skelette hervorgegangen. Bei den jetzt lebenden
Amphibien kommt nur unter den Blindwühlen
dieser Hautpanzer noch vor, und zwar in ver-
kümmertem Zustande. Die Salamander müssen
diese Körperbedeckung verloren haben.
Ich wage es nicht zu versuchen, eine Erklärung
für die Rückbildung dieses Hautpanzers bei den
Amphibien zu geben. Es läßt sich aber wenig-
stens der Nutzen der Erhaltung des Panzers an
der Bauchseite vieler Stegocephalcn angeben. Bei
den älteren Tetrapoden, mit ihren nur kurzen
40
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vin. Nr. 3
Gliedmaßen (vgl. Fig. 4) und ziemlich langem
Rumpfe, war bei der kriechenden Fortbewegung
auf dem Lande zweifellos die Bauchseite in fort-
währender Berührung mit dem Boden. Eine be-
sondere Hautbedeckung muß hier wichtig gewesen
sein. Der Schuppenpanzer bedeckt denn auch
noch manchmal teilweise die nach unten gewen-
dete Haut der Oberarme und Schenkel, wie z. B.
bei dem in Fig. 5 abgebildeten Panzer von Bran-
chiosaurus, einem permischen Stegocephalen,
der keinen Rückenpanzer mehr besitzt. Bei der
Kriechbewegung dürfte auch die Bauchmuskulatur
mitgearbeitet haben, und diese mag dann am
Hautskelett einen erwünschten Ansatz gefunden
haben.
Beim Leben im Wasser aber besteht eine be-
sondere Bedeutung des Bauchpanzers nicht. Denn
Fig. 4. Ricnodoncopei, ein Stegocephale der peimischen
Periode, vom Rücken gesehen, restauriert nach Fritsch,
etwas umgeändert ; '^/^ nat. Gröfle. Die Bedeckung des Kopfes
mit Knochenplatten ist bei dieser Art ungenügend bekannt
und deshalb nicht vollständig angegeben.
3?-
Fig. 5. Bauchpanzer von Bran chi os aurus, au;
liegenden von Sachsen; aus Smi th Wood ward ,
Palaeontology, nach Credner; nat. Gröl
aus dem Rot-
. Vertebrate
Größe.
erstens können die Beine dann viel leichter das
Körpergewicht tragen und den Rumpf heben, und
zweitens sind die Tiere dann gar nicht an den
Boden gebunden , sondern bewegen sich vielfach
auch schwimmend und kriechend zwischen Wasser-
pflanzen umher. Wenn also bei den meisten
Stegocephalen der Schuppenpanzer auf dem Rücken
und den Seitenflächen des Körpers verloren geht,
aber an der Hauchfläche gut erhalten bleibt, so
deutet dies darauf hin, daß alle diese Stegocephalen
nicht ausschließlich Wasserbewohner waren, son-
dern daß für sie das Landleben sehr wichtig war;
denn nur dann könnte diese Lebensweise die Er-
haltung des Bauchpanzers bedingen.
Eine Bestätigung findet diese Ansicht, daß
zwischen Erhaltung des Bauchpanzers und dem
Landleben ein Zusammenhang besteht , in dem,
was über den Bauchpanzer des Stegocephalen
Branchiosaurus durch Credner bekannt
geworden ist. Bei diesem Tiere tritt der gut
entwickelte Bauchpanzer erst kurz vor oder wäh-
rend der Verwandlung auf. Seinen Larven, welche
als ausschließliche Wasserbewohner nach obiger
Auffassung den Bauchpanzer nicht brauchen,
kommt derselbe noch nicht zu. — Daß den
Fröschen ein Bauchpanzer abgeht, kann uns in-
soweit nicht wundern . als bei der hüpfenden
Fortbewegung eine Reibung der Bauchfläche mit
dem Boden weniger häufig ist und diese Fläche
daher eines besonderen Schutzes nicht bedarf.
Daß den Salamandern der Bauchpanzer auch
fehlt , verdient aber besondere Beachtung. Für
sehr viele Salamander, welche sich vorwiegend
kriechend auf dem Lande fortbewegen , müßte
diese Schutzvorrichtung doch anscheinend ihren
Nutzen haben. So kommt die Frage auf, inwie-
weit sich bei ihnen der Verlust des Bauchpanzers
mit der Lebensweise in Verbindung bringen läßt.
Ich glaube, daß dieser Verlust für eine abnehmende
Bedeutung des Landlebens bei den nächsten
Stammformen der Salamander spricht. Jetzt
könnte dann bei einem Teil der Salamander das
Landleben wieder von größerer Wichtigkeit ge-
worden sein.
Der Nachweis, daß den ersten Tetrapoden ein
gut entwickeltes knöchernes Hautskelett zukam,
erlaubt uns noch einen Schluß zu ziehen. Es
darf daraus nämlich gefolgert werden , daß bei
diesen Tieren die Hautatmung nicht von großer
Bedeutung gewesen ist. Wenn wir jetzt bei den
Fröschen und Salamandern eine sehr entwickelte
Hautatmung finden, so kann dies nur etwas neu
erworbenes sein, und zwar etwas äußerst wichtiges.
Sie übt auf die Mischung von sauerstoftVeichem
und sauerstoffarmem Blut einen großen Einfluß
aus. Die Trennung des Körper- und Lungen-
kreislaufs verlor durch die Hautatmung an Be-
deutung. Zusammen mit der Schlundatmung mag
die Hautatmung die vollständige Verkümmerung
der Lungen und die damit Hand in Hand gehen-
den Rückbildungen am Herzen ermöglicht haben,
welche viele Salamander aufweisen. Die neu er-
worbene Hautatmung übt einen umgestaltenden
Einfluß auf die anderen Atmungsorgane und auf
die Kreislaufsorgane aus, der das Ende seiner
Wirkung noch nicht erreicht haben dürfte. Die-
selben Umbildungen und Verkümmerungen der
Atmungs- und Kreislaufsorgane finden wir inner-
halb verschiedener Familien der Salamander, bei
denen sie dann aber unabhängig voneinander er-
worben sind und fortschreiten. Nicht nahe ver-
wandte Gattungen bilden hier gemeinsame neue
Merkmale und Organisationszustände an wichtigen
Organsystemen aus, welche nur scheinbar ein
Zeichen engerer Verwandtschaft sind.
Aber bei einer so eingreifenden L^mbildung
muß man sich fragen, welche Einflüsse hier tätig
gewesen sein können. Weshalb verkümmert hier
F. N. VIII. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
41
die Lungenatniung, welche sich bei den höheren
Tetrapoden so vorzüglich bewährt hat '
Und dann glaube ich, daß auch hier ein Grund
in der Lebensweise gesucht werden muß. Denn
für Tiere, welche sowohl im Wasser wie auf dem
Lande leben, hat die Hautatmung einen sehr
großen Wert. Weder die Kiemen- noch die
Lungenatmung sind im Wasser und auf dem
Lande gleich brauchbar, die Hautatmung aber
leistet ihre Dienste unter allen Umständen.
Ihre kräftige Ausbildung bei den Amphibien
schreibe ich dem Einfluß des Wasserlebens zu.
Hier liegt eine Anpassung an diese Lebensweise
vor, welche den ältesten, vollständig beschuppten
Tetrapoden nicht zugekommen und erst innerhalb
der Klasse der Amphibien, vielleicht schon bei
den Stegocephalen, erworben worden ist.
Fassen wir zusammen, was wir jetzt über den
Bau der Salamander und der ersten Tetrapoden
erfahren haben , so geht aus den Beispielen her-
vor, daß sehr wesentliche Unterschiede im Kopf-
skelett, in der Haut, in den Kreislaufsorganen und
in der Atmung vorliegen. Dieselben sprechen
dafür, daß wichtige Differenzierungen die jetzt
lebenden Salamander von den ersten Landwirbel-
tieren trennen. Die Organisation der Salamander
gibt uns nur ein unvollkommenes Bild vom Bau
der ältesten Tetrapoden.
Aber diese Beispiele lehren uns noch etwas
mehr. Die erörterten Unterschiede weisen nach
einer bestimmten Richtung. Das Fehlen eines
Bauchpanzers, die geringe Bedeutung der Lungen-
atmung, die in den Vordergrund gerückte Haut-
atmung, sie weisen darauf hin, daß bei den
Stammformen der • Salamander das Wasserleben
von neuem das Übergewicht über das Landleben
errungen hat. Während die von den ältesten
Tetrapoden ab immer fortschreitende Anpassung
ans Landleben in der Ausbildung der Eidechsen,
Vögel und Säuger gipfelt, haben die Salamander
diesen Weg frühzeitig verlassen. Ihre Stamm-
formen haben wieder mehr und mehr das Wasser
aufgesucht, und ihre Organisation ist davon wesent-
lich beeinflußt worden.
Die Umbildung der Salamander hat doppelten
Charakter. Sie äußert sich erstens in der Aus-
bildung neuer Zustände, andererseits in der Ver-
kümmerung von Vorrichtungen , welche für das
Wasserleben weniger geeignet waren oder doch
dabei ihre Bedeutung verloren.
Es scheint mir sehr erwünscht, daß wir ver-
suchen, uns über die Ausdehnung dieser Ver-
kümmerungen und neuen Anpassungen Klaiheit
zu schaffen. Wenn wir bei unseren vergleichend-
anatomischen Untersuchungen immer wieder auf
den Bau der Salamander, als in mancher
Hinsicht ursprünglich, zurückgreifen, dann
müssen wir diesen ursprünglichen Charakter
genau abwägen. Namentlich für die Sinnesorgane,
welche von den Unterschieden in den Bedingungen
des Land- und Wasserlebens so sehr beeinflußt
werden, scheinen mir neue Untersuchungen er-
wünscht. Mir ist es wahrscheinlich, daß in den
herrschenden Auffassungen über den schalleitenden
Apparat, Trommelfell und Gehörknöchelchen,
vieles nicht richtig ist, weil sie mit Unrecht davon
ausgehen, daß hierin die Verhältnisse der Sala-
mander ursprünglichen Zuständen nahe stehen.
Ich glaube vielmehr, daß auch hierin der Bau der
Salamander sich nur durch weitgehende Ver-
kümmerung erklären läßt. Und dabei verdient
besondere Beachtung, daß ein schalleitender
Apparat beim Wasserleben ohne jede Bedeutung
ist, so daß auch hier die Rückbildung eine ein-
fache Erklärung finden würde in einem Zurück-
treten des Landlebens bei den Stammformen der
jetzigen Salamander. Bei der großen Bedeutung
aber, welche man dem schalleitenden Apparate
bei stammesgeschichtlichen Betrachtungen über
die Säugetiere zugeschrieben hat, liegt hier eine
Frage von großer Tragweite vor.
Wenn ich aber auf die Umbildungen bei den
Salamandern einen besonderen Nachdruck gelegt
habe, so soll damit nicht behauptet sein, daß
daneben bei diesen Tieren nicht recht ursprüng-
liche Verhältnisse auftreten. Im Gegenteil ! Wenn
die Salamander wieder mehr zum Wasserleben
zurückgekehrt sind, dann mag dies für viele Or-
gane die weitere Entwicklung gehemmt haben,
so daß sie auf ursprünglicher Entwicklungsstufe
stehen geblieben sind. Denn diese genügte oft
den vom Wasserleben gestellten Anforderungen,
während bei den typischen Landwirbeltieren die-
selben Organe immer höheren Ansprüchen ge-
nügen mußten und sich dementsprechend immer
mehr vom ursprünglichen Zustande entfernt haben.
Die Ausbildung der Rumpfmuskulatur und des
Gliedmaßenskeietts bei den typischen Salamandern
einerseits, den Reptilien und Säugetieren anderer-
seits gibt hierfür gute Beispiele. Allerdings muß
auch hier auf Rückbildung, wenn auch nur in
geringem Maße, geachtet werden, wie sie ja das
Gliedmaßenskelett mehrerer Fischlurche und der
Schultergürtel der Salamander aufweisen.
Ich habe versucht, in diesen Ausführungen zu
zeigen, wie sich gewichtige Gründe beibringen
lassen für die Auffassung, daß die Salamander,
wenn sie auch den ersten Landwirbeltieren unter
allen lebenden Tetrapoden am nächsten kommen
dürften, doch in mancher Hinsicht stark umge-
bildete Landtiere sind. Ich habe versucht, dar-
zulegen, in welcher Richtung sich die stammes-
geschichtliche Entwicklung der Salamander, so-
wohl der mehr typischen Salamandrinen als der
Fischlurche, bewegt hat.
Aber ich hoffe in diesen Erörterungen noch
mehr gezeigt zu haben. Wenn ich hier versucht
habe, eines unserer stammesgeschichtlichen Pro-
bleme zu behandeln, so lag mir daneben auch
daran, einen Einblick zu geben in die Art, wie
der Zoologe oder Anatom in diesen stammes-
geschichtlichen Fragen arbeitet, wie er versucht,
weiter zu kommen.
42
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 3
Der Widerspruch der Meinungen in diesen
Fragen mag zeigen, wie verwickelt sie sind, und
eine Entschuldigung bieten für manchen Fehler,
der uns im Lichte seiner Zeit sehr begreiflich
wird. Kann es uns wundern, wenn man sich im
.'\nfang der vielen Schwierigkeiten noch nicht be-
wußt gewesen ist. Wer hätte erwarten dürfen,
daß uns in den offenen Kiemenspalten der Fisch-
lurche von neuem bei erwachsenen Tieren Bildun-
gen vorgeführt worden sind, welche während langer
Reihen von Generationen ihren erwachsenen
Stammformen nicht mehr zukamen? Schon bei
den permischen Tetrapoden dürften die Kiemen-
spalten bei den erwachsenen Tieren alle ge-
schlossen gewesen sein.
Wie schwierig muß es dann aber sein, bei
nur fossil erhaltenen Arten immer Klarheit zu
bringen ! So dürfen wir überzeugt sein, daß das
Tatsachenmaterial noch nicht ausreicht, um den
Stammbaum der Landwirbeltiere zu rekonstruieren.
Unsere Kenntnisse müssen noch nach mancher
Richtung vermehrt werden; dann erst können wir
mit mehr Aussicht auf eine richtige Antwort
manchen phylogenetischen Fragen nähertreten.
Doch dürfen wir deshalb diese Fragen nicht ruhen
lassen. Denn, wie so oft, zeigt auch hier erst
mancher verfehlte Versuch den richtigen Weg
zur Beantwortung. — Und was in 50 Jahren er-
reicht worden ist, gibt uns schöne Hoffnung für
die Zukunft.
Kleinere Mitteilungen.
Gerücht und Wunder. — In der vorurteils-
losen Wissenschaft ist es seit langer Zeit bekannt,
daß eine Legion von Wundergeschichten und
mystischen Erlebnissen aller Art ihre Entstehung
lediglich den Übertreibungen und Entstellungen
des Gerüchts verdankt, jener Fama, die schon
dem Altertum als größte aller Lügnerinnen er-
schien. Angesichts des nicht unbedenklichen Un-
heils, das eine kritiklos weitergegebene und dann
auch vielfach bedingungslos geglaubte, sensationelle
Wundererzählung in vielen Köpfen anzurichten
vermag, erscheint es dringend geboten, besonders
eklatante Fälle dieser Art aufzuklären und dann
als warnendes Beispiel für die Unzuverlässigkeit
der im Volk umgehenden mystischen Geschichten
vor der breiten Öffentlichkeit in ihrem wahren
Zusammenhang darzulegen. — So sei es mir ge-
stattet, auch heute wieder ein Schulbeispiel dieser
Art, das vor einigen Monaten ziemliches .'\ufsehen
erregte, zu diskutieren.
Am 26. September 1908, mittags etwa um
2 Uhr, ereignete sich in Berlin das furchtbare
Hochbahnunglück auf dem Gleisdreieck. In dem
Bericht, den der Berliner Lokal- Anzeiger am
Morgen des 27. September darüber brachte, fand
sich nun u. a. folgender aufsehenerregende Passus:
,,Ein Herr, Bruder des schwerverletzten Tape-
zierers Schumacher, erzählte uns: ,Ich bin Reisen-
der für ein hiesiges Haus, und befand mich seit
vierzehn Tagen auf der Tour. Heute war ich in
Swinemünde und wollte nach Kolberg. Da, es
ist so etwa gegen 2 Uhr, überkommt mich eine
namenlose Unruhe. Etwas in mir sagt mir un-
ablässig, daß etwas geschehen sei. Kurz ent-
schlossen gebe ich die Fahrt nach Kolberg auf
und fahre nach Berlin zurück. Bei meiner An-
kunft auf dem Stettiner Bahnhof sagen mir die
Extrablätter, was vorgefallen ist, und jetzt finde
ich hier meinen Bruder schwer verletzt.'"
Hatte der Fall sich wirklich so zugetragen,
wie es hier behauptet wurde, so lag eine ein-
wandfreie Fernahnung vor, wie deren Hunderte
und Tausende immer wieder und wieder von den
verschiedensten Seiten berichtet werden, ohne daß
es bisher gelungen wäre, einen absolut einwand-
freien und wissenschaftlich unangreifbaren Beweis
für das wirkliche Vorkommen solcher Ferngefühle,
Ahnungen, hellseherischer Begabungen usw. zu
erbringen. Der Fall schien daher einer sorgsamen
Nachprüfung wert zu sein; durfte man doch von
einer solchen unter allen Umständen, wie auch
das schließliche Resultat sein mochte, wertvolle
Aufklärungen für die psychologische Wissenschaft
erhoffen. Da ich überdies Mitglied der Kom-
mission war, welche die ,, Psychologische Gesell-
schaft" in Berlin zur Veranstaltung ihrer „Okkul-
tismus-Enquete" eingesetzt hatte, mußte ich um
so lebhafter den Wunsch hegen, volles Licht über
einen Fall von Ahnung zu verbreiten, der auf den
ersten Moment von einer geradezu frappanten
Beweiskraft zu sein schien , der überdies in
weiten Teilen der Berliner Bevölkerung bekannt
geworden war und viel besprochen wurde.
Nachdem ich die Zustimmung der beiden an-
deren Mitglieder unserer Okkultismus-Kommission
eingeholt hatte, suchte ich mich mit dem Herrn,
der die Ahnung gehabt haben sollte, in Verbin-
dung zu setzen. Es war dies nicht ganz einfach,
da der Name und die Wohnung des verunglückten
Tapezierers in den verschiedenen Tageszeitungen
ganz verschieden angegeben worden waren.
Schließlich gelang es mir, den Gesuchten aus-
findig zu machen: es war der Kaufmann Johannes
Schumann (nicht Schumacher), Berlin, Bromberger
Straße 12, wohnhaft. Ich richtete an Herrn
Schumann einen eingehenden Brief, in dem ich
ihn über die Bedeutung einer genauen Fest-
stellung der Tatsachen und über das Interesse,
das unsere Okkultismus-Enquete an dem Fall
nahm, aufklärte. Im Anschluß daran richtete ich
eine größere Reihe von genau präzisierten Fragen
an ihn, die ich nach bestem Wissen und Gewissen
zu beantworten bat. Herr Schumann hatte die
große Liebenswürdigkeit, auf meine Anregung ein-
zugehen, und richtete am 16. Oktober 1908 aus
Königsberg i. Fr., wohin er wieder verreist war,
N. F. VIII. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
43
einen 4 Seiten langen Brief an mich, für den ich
ihm auch an dieser Stelle herzlichen Dank sagen
möchte.
Ich kann es mir versagen, hier die von mir
gestellten Fragen und den Schumann'schen Brief
im ganzen Umfang ungekürzt wiederzugeben.
Für die Beurteilung des Vorfalls genügt voll-
kommen der nachfolgende, dem Brief entnommene
Abschnitt :
„Sonnabend den 26. September Vormittag er-
ledigte ich meine geschäftlichen Angelegenheiten
in Swinemünde. Hierauf überlegte ich, ob ich
den kommenden Sonntag in Swinemünde ver-
bleiben soll oder noch denselben Tag nach Kol-
berg fahre. Bald darauf erwog ich auch, ob ich
wohl meine Frau in Berlin mit meinem Besuch
überraschen soll; ich verwarf jedoch letzteren
Plan, da er mir zu kostspielig und zeitraubend
erschien. Ich beschloß nun, Nachmittag nach
Kolberg zu fahren. Bevor ich mich noch zur
Weiterreise nach Kolberg rüstete, sagte mir plötz-
lich etwas unbestimmtes, fahre sofort nach Berlin.
Ich bekam eine ungewöhnliche Unruhe, dachte an
meine Frau und Kind (i Jahr alt) und nichts
hätte mich von der Reise mehr abhalten können.
Nachmittag I Uhr 18 Minuten fuhr ich von
Swinemünde nach Berlin, also bereits vor der
Katastrophe. Während der Fahrt verlor sich die
innere Unruhe, wozu jedenfalls die Zeitungslektüre
beitrug. Erst beim Eintreffen in Berlin erfuhr ich
von der furchtbaren Katastrophe."
Das Wunderbare , das dem Ereignis in der
Schilderung des „Berliner Lokal-Anzeigers" an-
haftete, zerfließt also — wieder einmal ! — bei
näherer Betrachtung in wesenlosen Schein. Wir
sehen, daß Herr Schumann schon am Vormittag
des verhängnisvollen Tages in Swinemünde ernst-
haft den Gedanken erwog, den darauffolgenden
Sonntag in Berlin in Gesellschaft von Frau und
Kind zu verbringen, die er für mehrere Wochen
nicht wieder sehen sollte. Er verwarf zwar zu-
nächst den Plan wegen der damit verbundenen
Kosten, nahm ihn aber auf, weil er einen Anfall
von jener weitverbreiteten und wohlbekannten
Unruhe erlitt, die einen von seinen Lieben ge-
trennten Menschen gelegentlich beim Gedanken
an die Entfernten ergreift und ihn nicht selten
dazu treibt, sich rasch in irgendeiner Weise,
durch telegraphische oder telephonische Anfrage
oder auch durch persönlichen Augenschein, von
ihrem Wohlbefinden zu überzeugen. Herr Schu-
mann nun entschloß sich, im Hinblick auf den
bevorstehenden freien Tag, zur Reise nach Berlin,
worin wahrlich niemand etwas Wunderbares sehen
kann. Da er schon um i Uhr 18 Minuten, also
zu einer Zeit, wo das Hochbahn-Unglück noch
gar nicht geschehen war, von Swinemünde abfuhr,
ist deutlich bewiesen, daß keine psychische Fern-
wirkung des verunglückten Bruders das Gefühl
der Unruhe auslöste, daß also von einer
Ahnung in die Ferne unter keinen Um-
ständen die Rede sein konnte! Es kommt
hinzu, daß Herr Schumann ausdrücklich betont,
seine Unruhe habe sich nur auf Frau und Kind
— also nicht auf den Bruder! — bezogen, und
das unbehagliche Gefühl sei während der Fahrt —
also gerade zur Zeit der Katastrophe! — wieder
verloren gegangen.
Lag hier, wie mystisch veranlagte Gemüter
natürlich nach wie vor als erwiesen erachten
werden, wirklich eine Ahnung vor, so stimmte
sie demnach weder in bezug auf die Zeit, zu der
sie eintrat, noch in bezug auf das Objekt. Die
F"ahrt nach Berlin, die in der Schilderung des
Berliner Lokal-Anzeigers als etwas ganz Unvorher-
gesehenes und als eine ausschließliche Folge der
inneren Unruhe erscheint, war mehrfach und
gründlich vorher erwogen worden, und die „innere
Unruhe" war weder ,, namenlos" noch trat sie
„gegen 2 Uhr" ein ; vielmehr stellte sie sich über
eine Stunde früher ein und beruhte auf ganz all-
täglichen und wohlbekannten psychischen Vor-
gängen, als F'olge eines zu besonderer Lebhaftig-
keit gesteigerten Gedankens an Frau und Kind,
die in der Ferne weilen.
Der Fall selbst wie auch seine Aufklärung
sind typisch in ihrer Art. Sie enthalten für die
wissenschaftliche F'orschung wie auch für jeden,
der sich ein unbefangenes und ungetrübtes Urteil
zu bewahren wünscht, aufs neue die eindringliche
Mahnung, jede scheinbar noch so gut beglaubigte,
angebliche Wundergeschichte nicht eher für bare
Münze zu nehmen, bis nicht alle in Erwägung zu
ziehenden Fehlerquellen zuverlässig ausgeschaltet
und alle vom Gerücht aufgestellten Behauptungen
bis in die kleinsten Einzelheiten hinein gründlich
nachgeprüft worden sind.
Dr. Richard Hennig.
Auftreten der Raupe von Aglossa pinqui-
nalis im Darm. — Vielen Krankheiten ist so-
wohl der tierische wie menschliche Körper unter-
worfen, deren Ursachen in erster Linie auf das
Vorhandensein tierischer oder pflanzlicher Organis-
men zurückzuführen sind. Unter letzteren sind
es besonders die Bakterien, die zu den gefürch-
tetsten Epidemien Veranlassung geben können.
Von den tierischen Lebewesen finden wir unter
den Protozoen, Würmern und Gliedertieren zahl-
reiche Vertreter, welche teils auf, teils in dem
Menschen ihre Nahrung suchen. In letzterem
Falle kommt es hierbei zu mehr oder minder
schweren Erkrankungen des heimgesuchten Or-
ganismus. Während die genaue Kenntnis der-
artiger Erkrankungen erst neueren Datums ist, so
das Malariafieber, die Schlafkrankheit u. a. m.,
reicht die Kenntnis mancher durch Insekten oder
Würmer hervorgerufenen Krankheiten auf viel
frühere Zeiten zurück. Durch weitgehende Unter-
suchungen sind wir heutzutage über die meisten
Erkrankungen, welche sich auf die Anwesenheit
von Würmern bei dem Menschen — sei es im
Darm, oder anderen Körperteilen — zurückführen
44
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 3
lassen, vollständig im klaren. Neben den Würmern
sind es die Gliedertiere, und unter diesen wieder
die Dipteren, welche in mannigfacher Weise dem
Menschen gefährlich werden können. So die
Larven der ()striden (Biesfliegen) und Museiden
(Fliegen), welche als gelegentliche Schmarotzer
sich auf und unter der Haut des Menschen, im
Gehörgang, in der Conjunctiva, in der Urethra
und Vagina, im Magen und Darm aufhalten können.
Nicht häufig sind bis jetzt die Fälle , wo
Museiden im Darme gefunden wurden. Und doch
wird das Auftreten derselben im Darme ein viel
häufigeres sein müssen, als bis jetzt bekannt ist.
Denken wir nur an die Gewohnheit zahlreicher
Fliegen, ihre Eier auch auf Eßwaren wie Fleisch,
Brot, Käse usw. abzulegen, so ist es leicht ver-
ständlich, wie oft wir nicht nur Übertragungen
schädlicher Krankheitskeime, sondern auch Infek-
tionen durch die Larven selbst ausgesetzt sind.
Im Magen oder Darm geben diese Larven bei
zahlreicher Einwanderung Veranlassung zum Er-
brechen, zur Übelkeit und Kolik. Viele kolik-
artige Fälle dürften wohl mitunter- auf die Gegen-
wart von Fliegenlarven im Darme zurückzuführen
sein.
Fig. I.
Die Raupe von Aglossa pinquinalis in l'/a" Fächer
Vergrößerung. Am Vorder- und Hinterende ist bei der
Konservierung der Darm etwas herausgetreten.
Abkürzungen: v Vorderende; h Hinterende.
Aber auch andere Larvenformen als gerade
Muscidenlarven können gelegentlich in den Darm
des Menschen gelangen. So wurde mir vor kurzem
von einem befreundeten Arzte ein Tier zur Be-
stimmung zugesandt, mit der Angabe, daß sich
dasselbe im Stuhlgange seines 3V'., -jährigen Jungen
befunden hätte. Es wäre nicht tot, sondern noch
lebend gewesen, was durch Zuckungen des Tieres
kenntlich gemacht worden sei. Die Zustellung
geschah in Alkohol. Meine erste Vermutung, daß
es eine Muscidenlarve sei, wurde bei genauerer
Untersuchung des Tieres dahin berichtigt, daß es
sich um die Raupe des Schmetterlinges Aglossa
pinquinalis handelte. In Fig. 1 ist das Tier in
i'/.^-facher Vergrößerung photographisch wieder-
gegeben. Man erkennt die den Schmetterlings-
raupen eigentümlichen vorderen und die fünf
hinteren sog. falschen Beinpaare. Während die
vorderen Beinpaare keinen wesentlichen Unter-
schied mit denen der übrigen Raupen aufweisen
(s. Fig. 2 b), lassen die falschen Beinpaare in der
Nähe der Fußsohle einen deutlichen Kranz von
Chitinhaken erkennen, deren Spitzen nach außen
gerichtet sind (s. Fig. 2 a). Man wird unwillkür-
lich an den Hakenkranz bei Taenia solium (Haken-
bandwurm) erinnert, wo die Stellung und Form
der Haken fast eine ähnliche ist. Schon diese
eigentümliche Bewaft'nung der falschen Beinpaare
läßt darauf schließen, daß die Raupe von A. p.
auf einem schlüpfrigen Substrate leben muß, wo-
bei ihr die Beine als gute Haftorgane vortreffliche
Dienste leisten müssen. Was weiterhin das Tier
als Raupe kenntlich macht, ist das Auftreten von
Stigmen an jedem Leibesringe, während bei den
Muscidenlarven nur 2 Stigmen am hinteren Körper-
ende vorhanden sind. Die Farbe des Tieres war
schmutzigweiß mit häufig auftretender bräunlicher
Punktierung. Der Kopf war dunkelbraun.
Fig. 2.
a Hinterfuß mit Hakenkranz ; b Vorderes Bein.
Es lag nun die Frage nahe, auf welche Weise
die Raupe in den Darm des Kindes gelangte.
Es sei zunächst vorweggenommen, daß weitere
Raupen bis jetzt nicht mehr in dem angeführten
Falle zutage traten, wir es also nur mit einem
vereinzelten und daher ausnahmsweisen Auftreten
der Raupen zu tun haben müssen. Ferner sei
zugleich an dieser Stelle bemerkt, daß ein Irrtum
in bezug auf den Befund völlig auszuschließen ist,
da der betreffende Arzt jeden Morgen den Stuhl
des Knaben genau untersuchte, weil in letzter
Zeit der Junge an der bekannten Kinderwurm-
krankheit (Oxyuris vermicularis) litt. Sehen wir
uns einmal in der Literatur um, was über A. p.
angegeben wird. Dieser Schmetterling gehört zu
der Familie der Kleinschmetterlinge und unter
diesen wieder zu der Gruppe der Pyraliden, der
Zünsler oder Lichtmotten. Zünsler ist ein bayri-
scher Provinzialname für Lichtmotten. In Spuler's
Schmetterlingswerk finden wir ferner folgende
Angabe : „Die Raupe von A. p. ist dunkelgrau
mit schwarzem Kopf. Sie lebt besonders in
Ställen in seidenen Röhren unter Streu und er-
nährt sich von vegetabilischen .Abfällen." In der
Synopsis von Leunis wird die Raupe als dunkel-
braun angegeben, in bezug auf ihre Lebensweise
gesagt, daß sie sich von Fett, Schmalz nnd ähn-
lichen Stoffen ernährt. Demnach haben wir uns
N. F. VIII. Nr. 3
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
45
von der Lebensweise des Tieres folgende Vor-
stellung zu machen : Die Falter setzen ihre Eier
an den Stellen ab, wo die jungen Raupen sofort
entsprechende Nahrung finden werden. Solcher
Stellen gibt es viele, besonders auf dem Lande,
so z. B. Holzgefäße zum Aufbewahren von Butter,
Fett u. a. m. Den Raupen dienen hierbei die
Haken der Beine in geeigneter Weise zum Fest-
halten und Fortbewegen an den eingefetteten
Wänden der Gefäße. Hat die Raupe ihre volle
Größe erreicht, so verläßt sie ihren ursprünglichen
."Xufenthaltsort, um sich in passenden Schlupf-
winkeln zu verpuppen.
In unserem Falle wird sich nun vielleicht in
der Butter eine noch junge Raupe von A. p. be-
funden haben — ungefähr 2 bis 3 mm groß —
und mit dem Essen in den Magen, bzw. Darm des
Kindes gelangt sein. Trotz des außergewöhn-
lichen Aufenthaltes entwickelte sich die Raupe
weiter, wobei sie in ihren Beinen passende Werk-
zeuge zum F"esthalten an der glatten Darmwand
besaß. Die Ausbildung des Pigmentes wurde
nunmehr bei der Raupe gehemmt, oder schon
vorhandenes Pigment zerstört , daher die ab-
weichende helle Färbung des Tieres. Der ev.
Einwand, daß der Magen- und Darmsaft das Tier
zum Absterben hätte bringen müssen, läßt sich
dadurch beseitigen, daß wir an zahlreichen an-
deren Beispielen eine große Lebenszähigkeit von
im Darm lebenden Larven beobachtet haben.
Unsere in Fig. i abgebildete Raupe ist fast aus-
gewachsen, ihr Alter auf 8 bis 10 Tage zu be-
messen, von der Zeit des Auskriechens ab ge-
rechnet. Es ergibt sich daher im Darm ein
Aufenthalt von 6 Tagen, wenn wir annehmen,
daß die Raupe bei ihrer Einwanderung 3 mm
groß war. Es könnte aber die Raupe in ihrer
abgebildeten Größe eingewandert sein ! Dagegen
spricht wohl aber der Umstand, daß das Tier ab-
gesehen von dem ev-. ,, Gesehenwerden", durch die
kauende Tätigkeit des Kindes hätte getötet oder
wenigstens gequetscht werden müssen. Wie schon
eingangs erwähnt, lebte jedoch das Tier beim
Austritt aus dem Darm. Es war auch sonst an
der Raupe nichts zu bemerken, was auf voraus-
gegangene Verletzungen hätte hinweisen können.
Ferner hätte ein kurzes Verweilen im Darm das
Pigment nicht so zum Verschwinden bringen
können, wie es bei dem gefundenen Tiere zu be-
obachten war.
Der ganze Befund spricht demnach dafür, daß
wir es hier mit einem zufälligen Auftreten und
zeitweiligen Verweilen einer Schmetterlingsraupe
im Darme des Menschen zu tun haben, bedingt
durch die eigenartige Lebensweise der Raupe von
A. p. Zu besonderen Erkrankungen scheint eine
solche Einwanderung keine Veranlassung zu geben.
Vielleicht sind derartige rasch vorübergehende
Infektionen viel häufiger, als man denkt, entziehen
sich aber wohl in den meisten Fällen den Beob-
achtungen. Mögen daher beigegebene Abbildungen
dazu dienen , dem Arzte gelegentlich die Er-
kennung solcher zutage tretenden Larven zu er-
leichtern, dann wäre der Zweck dieser kurzen
Abhandlung vollständig erfüllt.
Dr. August Ackermann, Bonn.
Bücherbesprechungen.
Ernst Haeckel, Unsere Ahnenreihe (Progo-
nota.xis Hominis). Kritische Studien über
])hyletische Anthropologie. Festschrift zur 350-
jährigen Jubelfeier der Thüringer Universität Jena
und der damit verbundenen Übergabe des phyle-
tischen Museums am 30. Juli 1 908. Mit 6 Tafeln.
Jena. Gustav Fischer. 1908. — Preis 7 Mk.
Vor 50 Jahren, am i. Juli 1S58, machte Darwin
die ersten Mitteilungen über seine neue Entwicklungs-
lehre. Ihre wichtigste Konsei|uenz, nämlich die Ab-
stammung des Menschen von -Säugetieren, zog 1863
Thomas Huxley in seinen drei berühmten Abhand-
handlungen: I. Über die Naturgeschichte der menschen-
ähnlichen Affen, 2. Über die Beziehungen des Menschen
zu den nächstniederen Tieren und 3. Über einige
fossile menschliche Überreste. In diesen Schriften
wird der Nachweis erbracht, daß der Mensch zu-
sammen mit den .Affen und Halbaffen, zu den Herren-
tieren (Primates) gehört. Übrigens finden wir schon
bei Carl von Linne (1735) den Menschen mit den
Affen und Halbaffen vereinigt zur Ordnung der
Anthropomorpha. In Deutschland fand Darwin's Lehre
Eingang durch Carl Vogt (1S63) und besonders durch
Haeckel. Er versuchte schon 1866 in seiner „Gene-
rellen Morphologie" den Stammbaum des Tierreiches
aufzustellen und die Keimesgeschichte der Organismen
aus ihrer Stammesgeschichte heraus zu erklären
(biogenetisches Grundgesetz). Später, 1872, zeigte der
Verfasser in seiner Gastraea-Theorie, daß alle Metazoen
von einem einfachen, zweischichtigen, becherförmigen
Urdarmtier, seiner ,,Gastraea", abzuleiten sind. Erst
1895 fand Monticelli in Neapel das Urbild der hypo-
thetischen Gastraea, das er Pemmatodiscus gastrulaceus
nannte. — Die wichtigste Aufgabe der Phylogenie,
die Abstammung des Menschen bis hinab zu den
Protozoen zu verfolgen, suchte Haeckel 1874 in seiner
„Anthropogenie" zu lösen. Trotzdem diese Wissen-
schaft der Anthropogenie die historische Grundlage
für die Anthropologie bildet, ist sie doch von dieser
lange Zeit — besonders unter Virchow's großem Ein-
fluß — bekämpft worden. Erst in neuester Zeit
bricht sich die Erkenntnis Bahn, daß die „Anthropo-
genie das Fundament der Anthropologie ist". Das
Interesse der Forscher, die sich mit der Ahnenreihe
des Menschen befaßten, wandte sich zunächst seinen
nächsten Verwandten, den Affen, zu. Von großer
Wichtigkeit wurde hier die Auffindung des „missing
link", des fehlenden Gliedes zwischen Affen und
Mensch. Eugen Dubois fand es 1891 auf Java und
nannte es Pithecanthropus erectus. — Nachdem nun
durch die Auffindung des „missing link" die Ab-
stammung des Menschen von den Affen als bewiesen
zu betrachten ist, wendet sich die Forschung neuer-
dings zu den älteren Ahnen des Menschen. Die ge-
46
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vin. Nr. 3
samte Vorfahrenreihe des iMenschen sicher festzustellen,
dürfte niemals gelingen. Aber eine ganze Anzahl
typischer und wichtiger Stammformen läßt sich fest-
stellen, die zwischen ihnen liegende „phyletische
Strecken" begrenzen. — Die Progonotaxis des Menschen
zerfällt in zwei große Abschnitte. Der erste .Abschnitt
umfaßt die Ahnen, die fossil nicht bekannt sind. Die
ältere Hälfte ist vom historisch geologischen Gesichts-
punkte aus betrachtet präsilurisch, die jüngere Hälfte
reicht vom Silur bis zur Gegenwart. Wenn also in
der ersten Hälfte unserer Progonota.xis fossile Doku-
mente fehlen, so können die dahingehörigen Ahnen
nur durch die Methoden der vergleichenden Anatomie
und der Ontogenie erschlossen werden, wobei uns
das biogenetische Grundgesetz die wichtigsten Direk-
tiven gibt. Was die Urkunden unserer Progonotaxis
anbetrifft, so lassen sie sich aus dem Vorhergehenden
z. T. schon ersehen. Sie sind i. die Paläontologie,
die uns in den Fossilien wertvollste positive Kennt-
nisse vermittelt, aber auch zahlreiche störende Lücken
aufweist, 2. die Ontogenie, die insofern sehr wichtig
ist, als sie ja eine kurze Rekapitulation der Phylogenie
ist, und endlich 3. die Morphologie, die, vergleichend
betrieben, wichtige Aufschlüsse über Verwandtschafts-
verhältnisse u. s. f. gibt. Diese drei Wissenszweige
müssen bei den Studien über unsere Progonotaxis in
gleicher Weise berücksichtigt und kritisch angewendet
werden. —
Die erste der sechs Strecken unserer Progonotaxis
umfaßt die Protisten-Ahnen. Der Lehrsatz, daß alle
Wirbeltiere, somit auch der Mensch, wie überhaupt
alle Histonen {=^ Gewebetiere) von Protisten ab-
stammen, ist jetzt wohl allgemein angenommen. Es
ist sichergestellt, daß jedes Individuum von einer
Stammzelle aus, der Cytula, seinen Ursprung nimmt.
Nach dem biogenetischen Grundgesetz muß daher jede
Tierform mit einer Urstammzelle in seiner Ahnenreihe
beginnen , der Cytaea. Unter den Protisten sind
wiederum die Piasmodomen , die Protophyten , die
älteren Formen , aus denen erst später die plas-
mophagen Protozoen hervorgegangen sind. Die Proto-
zoen gingen aus den Protophyten durch Umkehr des
Stoffwechsels, durch „Metasitismus" hervor. Bei den
Protisten unterscheidet man zwischen Urzellen oder
Archicyten und Kernzellen. Zu den Urzellen , die
kernlos sind, rechnet man die Moneren. Zu diesen
gehören die Chromaceen und Bakterien, die keine
Kerne , manchmal nur Chromidien besitzen. Die
Chromaceae (^ Cyanophyceae) sieht Haeckel als die
„Urorganismen" an, die den Übergang von der an-
organischen zur organischen Welt vermitteln. Ihre
einfachsten Formen, z. B. Chroococcus, Gloeocapsa etc.
sind mit den Chromatophoren der Metaphyten ver-
gleichbar. Das Protoplasmakügelchen dieser Organis-
men ist von einer Gallerthülle umgeben, einem Schutz-
organ des nackten Zellleibes. Denken wir uns diese
Hülle weg, so haben wir die einfachsten Organismen
vor uns, die hypothetischen „Probionten" des lauren-
tinischen Zeitalters. Diese müssen wir uns als durch
Urzeugung entstanden denken. — Die nächste Ahnen-
stufe sind die „Algarien", besonders die Palmellaceen
und Xanthellaceen. Diese sind einzellige Algen mit
Zellkernen, aber noch ohne Flimmerbewegung. Aus
diesen .'\lgarien entstanden durch Metasitismus die
Amöben, die die älteste Stammform der Protozoen
bilden. Die einfache Organisation der Amöben und
die Tatsache, daß amöboide Zellen im Tierreich viel-
fach vorkommen (z. B. Leukocyten) sprechen dafür,
daß sie .Ahnen der Menschen sind. Auf die Amöben
folgen in der Progonotaxis durch Vermittlung der
Mastigamöba die Flagellata, bestimmt geformte, mit
einer oder mehreren Geißeln schwimmende , teils
plasmodome, teils plasmophage Formen. Besonders
die einfachen Zoomonaden und Monadinen geben
uns ein ungefähres Bild dieser Progonen. Die 5. Stufe
unserer Progonen bilden die Blastaeaden, die Über-
gangsgruppe zu den Metazoen. Es sind dies Hohl-
kugeln, aus einer Schicht gleichartiger Zellen gebildet.
In der Ontogenie der Histonen entspricht diese Ahnen-
form der wichtigen Blastula. Noch heute gibt es
einige Organismen, die auf der Stufe der Blastula
stehen, so die plasmodomen Volvocineen | Volvox,
Pandorina) und die plasmophagen Catalacten (z. B.
Magosphaera ).
Die zweite Strecke unserer Progonotaxis umfaßt
die Invertebraten-Ahnen. Unter diesen Metazoa
invertebrata unterscheidet man zwei große Gruppen,
die Niedertiere oder Cölenteria und die Obertiere
oder Cölomaria nach dem Fehlen oder Vorhandensein
einer Leibeshöhle (= Cölom). Die gemeinsame
Ausgangsform der Cölenterien ist die hypothetische
Gastraea, die sich als Abbild infolge strenger Ver-
erbung noch heute bei allen Metazoen in Gestalt der
Gastrula erhält. Von der Gastraea leiten sich ab :
I. die Spongien, 2. die Cnidarier und 3. die Platoden.
Nur die letzteren finden sich unter den Progonen des
Menschen. Von den Gastraeaden- Ahnen leben in der
heutigen Fauna Olynthus und Hydra. Dem Urbilde
der Gastraea soll der von Monticelli entdeckte
Pemmatodiscus gastrulaceus vöUig entsprechen. Aus
den beiden Keimblättern der Gastraea haben sich
alle Gewebe entwickelt. An diese Gastraeaden
schließen sich die Piatodarien, eine kleine Gruppe
einfach gebauter Tiere, die von den Platoden ab-
getrennt werden. Hypothetisch sind unter ihnen die
Archelminthes, denen sich die .'\coela, die niedrigsten
Turbellarien anschließen. Sie besitzen an Stelle des
Urdarmes der Archelminthes ein verdauendes Paren-
chym. Haeckel faßt sie als Reste der Übergangs-
formen von den Gastraeaden zu den Rhabdocölen
auf. An diese einfachen, diploblastischen Cryptocölen
schließen sich in unserer .■\hnenreihe die triploblasti-
schen Platodinien an, deren Nachkommen die heute
lebenden Rhabdocölen sind und die sich auch durch ein
Exkretionssystem und die Sonderung des Gehirnes
von den Cryptocöliern unterscheiden. Mit diesen
Rhabdocölen-Vorfahren, eben den Platodinien, ver-
lassen wir die Niedertiere oder Cölenterien und ge-
langen zu den Cölomarien, den Tieren, die sich durch
den Besitz einer Leibeshöhle auszeichnen. Mit dem
Erwerb der Leibeshöhle gehen Hand in Hand die
Entstehung einer zweiten Darmöfthung und des Blut-
gefäßsystems. Damit kommen wir zu den Vermalien
Haeckel's, jener Gruppe, die übrig bleibt, wenn wir
N. F. Vtll. Nr.
Naturwissenschaflliche Wochenschrift.
47
von den „Würmern" (im alten Sinne) die Platoden
und .'\nneliden abziehen. Am klarsten treten uns die
hypothetischen Provermalien in den Gastrotrichen ent-
gegen, die noch zahlreiche Pladoten-Merkmale zeigen,
aber einen After besitzen. Von der 9. Etappe unserer
Progonotaxis, den Provermalien, bis zu den Pro-
chordoniern führt der allerdunkelste Weg. Als Ziel des
Weges sieht man nur die „Chordaea", eine ebenso
wichtige Stammform wie die Gastraea. Sie ist die
gemeinsame Stammform der Tunicaten und der
Vertebrata. Wie sie aus den Frontoniern entstanden
ist, darüber läßt sich nichts Bestimmtes angeben. Die
Chordaea ist längst ausgestorben und dürfte in der
präsilurischen Zeit gelebt haben. Näheres über die
Chordaea- Theorie findet man in : Haeckel, Anthropo-
genie, Kap. 10.
Die dritte Strecke unserer Progonotaxis umfaßt
die Monorrhinen-Ahnen. Zu diesen gehören vor allem
die Acranier, die heute nur durch den Amphioxus
(Branchiostoma) vertreten sind, den einzigen Über-
lebenden einer großen Gruppe aus dem präsilurischen
Zeitalter. Die große Bedeutung dieses Tieres ist
durch die klassischen Untersuchungen von Johannes
Müller, Kowalevsky und Hatschek klargelegt worden.
So sehr einfach auch der Bau und die Entwicklungs-
geschichte dieses niedersten rezenten Vertebraten sein
mögen, so zeigt er doch eine Reihe sekundärer, erst
später erworbener Merkmale. Daraus ergibt sich, daß
er nicht als direkter Vorfahre des Menschen auf-
zufassen ist. Dagegen dürften seine präsilurischen
Stammformen, die hypothetischen „Urwirbeltiere" oder
Prospondylia, in die Ahnenreihe des Menschen zu
rechnen sein. Auf diese uralten Prospondylien-Ahnen
folgt ein dunkles Wegestück in unserer Progonotaxis,
wo wir nur auf mehr oder minder wahrscheinliche
Schlüsse angewiesen sind. Festen Boden gewinnen
wir erst wieder, wenn wir zu den Cyclostomen ge-
langen. Diese Tiere sind schon Schädeltiere (Cranioten)
und als solche weit höher organisiert als der schädel-
lose Amphioxus. Die beiden sehr voneinander ab-
weichenden Ordnungen der C}clostomen, die Myxi-
noiden und die Petromyzonten , sind höchst wahr-
scheinlich divergente Abkömmlinge einer älteren
Stammgrappe, die Haeckel als Urschädeltiere (= Archi-
crania) bezeichnet. Von ihnen sind fossile Reste nicht
erhalten und wir können uns nur durch das Studium der
Larve von Petromyzon ein ungefähres Bild jener alten
Urschädeltiere machen. Diese „Archicranier" nun
sind in unserer Ahnenreihe sicherlich vertreten ge-
wesen. — Mit diesen Archicranier-Ahnen schließt der
erste große Abschnitt unserer Progonotaxis ab und
wir gelangen nun in ein Gebiet, wo wir infolge des
Vorhandenseins paläontologischer Urkunden sicherer
gehen. Die hier beginnende vierte Strecke unserer
Progonotaxis umfaßt die Anamnien-Ahnen, also solche
Tierformen, denen im embryonalen Leben ein Amnion
noch fehlt. Sie beginnen mit den Fischen , der
untersten Abteilung der Gnathostomen. Von den
Fischen (Pisces) kommen nur die Selachier und Ganoiden
für unsere Ahnenreihe in Betracht, während die
Teleostier oder Knochenfische nicht als Vorfahren
des Menschen zu betrachten sind. Die Selachier
werden als Stammform aller Gnathostomen ange-
sprochen. Die heute lebenden Selachier freilich zeigen
auch wieder sekundäre Merkmale. Nach deren Ab-
zug gelangte Haeckel zu seinem hypothetischen ältesten
Stammfisch, dem Ichthygonus primordialis, dem die
fossilen obersilurischen Proselachier sehr nahe ge-
standen haben dürften. Diese Proselachier dürften
also zu unseren Progonen zu rechnen sein. An die
Selachier, und mit ihnen durch Übergänge verbunden,
schließen sich die Ganoiden oder Schmelzschupper.
Die ältesten Ganoiden sind die Proganoiden, von
denen spärliche Reste schon im oberen Silur vertreten
sind. Von diesen Proganoiden führt die Entwick-
lungslinie zu den noch heute in Afrika lebenden
Crossopterygiern und weiter zu den Dipneusten oder
Lurchfischen. Diese Dipneusten sind besonders in-
sofern höher organisiert als sie neben den Kiemen
bereits Lungen besitzen , die ihnen den Aufenthalt
außerhalb des Wassers gestatten. Sie bilden aus diesem
Grunde den Übergang zu den Amphibien und eine
besondere Stufe unserer Ahnenreihe. Die ältesten
Dipneusten sind die Paladipneusten des Devon und
Carbon, aus denen sich die Progonamphibien ent-
wickelten , die Ausgangsformen aller Vierfüßer. —
Es folgen nun die Amphibien-Ahnen, die eine sehr
wichtige und durch alle drei Urkunden gestützte Vor-
fahrengruppe bilden. Die Paläontologie lehrt uns die
uralten, sehr primitiven Stegocephalen kennen. Dann
zeigt uns die vergleichende Anatomie, daß die Am-
phibien in der Mitte zwischen den älteren Fischen
und den Amnioten stehen und endlich zeigt uns die
Ontogenie, wie sich der Übergang vom Wasser- zum
Landleben gestaltet hat. Diese alten Stegocephalen
waren noch mit dem pentadactylen Kriechbein ver-
sehen. Ihr salamanderähnlicher Körper war mit einem
festen Panzer bedeckt. Die rezenten Nacktlurche
(Lissamphibia) gehören nicht in die Ahnenreihe. Von
den Stegocephalen gelargen wir zu den Proreptilien,
den Ausgangsformen der Amnioten, deren Hauptmerk-
male Amnion und Allantois sind. Die Amnioten um-
fassen die Sauropsiden (Reptilien -f- Vögel) und die
Säugetiere. Zuerst treten primitive Reptilien auf, die
permischen Tocosaurier, Proreptilien, die einen letzten
Überrest in der Hatteria punctata hinterlassen haben.
Zwischen den Reptilien-Ahnen und den niedersten
Säugern sind uns gar keine fossilen Reste erhalten.
Man hat daher eine Übergangsgruppe angenommen,
die Sauromammalien. Aus dieser hypothetischen
Gruppe entwickelten sich parallel die riesigen Thero-
morphen und die Säugetiere. — Somit betreten wir
die fünfte Strecke unserer Ahnenreihe, die der Säuge-
tiere. Die Säugetiere bilden eine morphologisch wie
phyletisch einheitliche Gruppe, die durch 8 sehr
wichtige Merkmale charakterisiert ist. Deshalb müssen
die gesamten Säugetiere eine einzige Stammform haben,
die eines unbekannten Promammale. Von diesem
hypothetischen Promammale führt der Weg zu den
Monotremen. Wahrscheinlich haben wir in den
mesozoischen Pantotherien Progonen des Menschen
zu suchen. Sicher sind auch unter den Marsupialiern
oder Beuteltieren verschiedene Stufen unserer Pro-
gonotaxis zu suchen , besonders ihre gemeinsame
48
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 3
Stammform, die Prodidelphier. Die höchst entwickeUe
Subklasse der Säugetiere ist die der Zottentiere =
Placentalia. An der Wurzel hängen alle die ver-
schiedenen, weit auseinandergehenden Placentalier zu-
sammen. Sie haben die gemeinsame Stammform der
Urzottentiere. Im Tertiär fand die große EntfaUung
der Säugetiere statt. Aus den IMallotherien (Urzotten-
tieren) entwickelten sich wahrscheinlich in der Kreide
die Lemuraviden, die älteren Halbaffen, mit der Zalin-
formel ^ ' ' ' -^ An sie schließen sich die jüngeren
3 ■ I • 4- 3
Halbaffen an, unter denen Tarsius sehr primitive
Merkmale zeigt. Mit diesen Prosimien-Ahnen haben
wir übrigens die sechste Strecke unserer Progonotaxis
beschritten. An die Prosimien schließen sich die
pithekoiden Ahnen an. Da sind zu nennen i. Platyr-
rhinen und 2. Katarrhinen. Unter den letzteren Ost-
affen treffen wir heute die niederen Hundsaffen und
die höheren Menschenaffen oder Anthropomorpha, die
den unmittelbaren Übergang zum Menschen bilden.
Nach dem Pithecometra-Satz Huxley's sind wir zu der
Annahme berechtigt, daß der Mensch zusammen mit
dem Gibbon, Orang, Schimpansen und Gorilla von
geschwänzten Hundsaft'en abstammt. Wir haben also
in der letzten Strecke unserer Progonotaxis folgende
Stufen: i. ältere Hundsaffen, 2. jüngere Hundsaffen,
3. ältere Menschenaffen, 4. jüngere Menschenaffen,
5. Affenmenschen (den Pithecanthropus erectus),
6. Urmenschen (Homo primigenius) und 7. Vernunfts-
menschen (Homo sapiens). Darüber findet man näheres
in Haeckel: Syst. Phylogenie III, ^;^ 444 — 460.
In der vorliegenden Schrift Haeckel's finden sich
noch 2 Abschnitte über i. phyletische Beiträge zur
Kraniologie und 2. phyletische Studien über Menschen-
rassen. Die Besprechung dieser Abschnitte würde
hier zu weit führen und es muß daher auf das
Original verwiesen werden.
Dr. phil. Effenberger, Jena.
Afrika und die Charakterpflanzen Afrikas. II. Bd." Cha-
rakterpfianzcn .\frikas {insbesondere des trop.). Die Fami-
lien der afrikan. Pflanzenwelt u. ilire Bedeutg. in derselben.
I. Die Pteridophyten, Gymnospermen u. monokotyledonen
Angiospermen. iVIit 16 Vollbildern u. 316 Textfig. ;(XI,
460 S.) Leipzig '08, W. Engelmann. — Subskr.-Pr. 18 Mk.,
geb. in Leinw. 19,50 Mk., Einzelpr. 27 Mk., geb. in Leinw.
28,50 Mk.
Der I. Band ist noch nicht erschienen.
Fischer, Prof. Emil : Anleitung zur Darstellung organischer
Präparate. 8. neu durc-hgeseh. Aufl. (XVI, 98 S. ra. 19 Ab-
bildgn.) 8". Braunschweig '08 , F. Vieweg & Sohn. —
Geb. in Leinw. 3,20 Mk., u. durchsch. 3,60 Mk.
Klein , F. ; Elementarmatiiematik vom höheren Standpunkte
aus. I. Tl.: .Arithmetik, Algebra, Analysis. Vorlesung, geh.
im Wintersem. 1907 — 08. Ausgearb. v. E. Hellinger. (VIII
S. u. 590 autogr. S. m. Fig.) gr. 8 ". Leipzig '08 , B. G.
Teubner. ~ 7,50 Mk.
Klut, Dr. Hartwig: Untersuchung des Wassers an Ort und
Stelle. (VII, 159 S. m. 29 Fig.) 8°. Berlin '08, J.Springer.
— Geb. in Leinw. 3,60 Mk.
Ratr.say, Prof. Sir William: Die edlen u. die radioaktiven
Gase. Vortrag. (39 S. m. Abbildgn ) gr. 8". Leipzig '08,
Akadem. Verlagsgesellschaft. — 1,40 Mk., kart. 1,80 Mk.
Anregungen und Antworten.
Herrn Sl. R. in Krakau. — Nur allgemein interessierende
Fragen können wir an dieser Stelle beantworten. Einen An-
spruch auf ."Antwort können wir daher unseren Lesern nicht immer
gewähren, es sei denn, dal3 sie das Porto für briefliche Ant-
wort mitsenden. — Die Geschäftsstelle des deutschen Monisten-
bundes befindet sich in Berlin W, Kurfiirstenstr. 167.
In Nr. 46 (1908) der Naturw. Wochenschr. erschien ein
Artikel von Dr. S. Killermann über den ,,K ann ibal is mus
bei Menschen und Tieren". Dazu kann ich nach per-
sönlicher Beobachtung hinzufügen, daß auch bei den Kanarien-
vögeln, also nicht Fleischfressern, dieselbe Erscheinung zu
konstatieren ist. Ich habe mehrmals beobachtet, daß die
Eltern, besonders oder ausschließlich junge Eltern, ihren
kaum gefederten Jungen erst die Federn auszogen und dann
schlieiSlich die Brust durchstachen , wobei sie die Eingeweide
verzehrten. Ob sie dabei nach einer weichen Unterlage für
ein neues Nest suchten, ist fraglich ; sie haben wenigstens zu
dieser Zeit keinen Mangel an den von den Kanarienvögel-
züchtern verwendeten weichen Spinnfasern gehabt.
Dr. E. V. Budkewicz.
Literatur.
Bartels, Dr. Walth. : Die Gestalt der deutschen Ustseeküste.
(XI, 12S S.) Stuttgart 'oS, Strecker & Schröder. — 4,50 Mk.
Cook, des Kapit. James, Weltumseglungsfahrten Ein Auszug
aus seinen Tagebüchern. Bearb. u. übers, v. Dr. Edwin
Hennig. Mit 8 Bildern u. i (färb.) Karte, i.— 4. Taus.
(554 S.) Hamburg '08, Gutenberg-Verlag. — 6 Mk. , geb.
7 Mk.
Darmstaedter's Ludw., Handbuch zur Geschichte der Natur-
wissenschaften u. der Technik. In chronolog. Darstellung.
2., umgearb. u. verm. Aufl. Unter Mitwirkg. v. Prof. Dr.
R. du Bois-Reymond u. Oberst z. D. C. Schaefer hrsg. v.
Prof. Dr. L. Datmstaedter. (X, 1263 S.) gr. 8". Berlin
'08, J. Springer. — Geb. in Leinw. 16 Mk.
Dircks, Gust. : Das moderne Spanien. (III, 376 S. m. 96 Ab.
bildgn.) Le.\. S». Berlin 'oS, H. Pactel. — 9 Mk., geb.
in Leinw. 10 Mk.
Engler, A.: Die Pflanzenwelt Afrikas, insbesondere seiner
tropischen Gebiete. Grundzüge der Pflanzenverbreitung in
Berichtigung zu der Antwort betreffend ,,v er-
kannte Fremde" (Nr. 47, Seite 752). — Herr Dr. Graebner
macht mich darauf aufmerksam, daß die bisher als Bidens
frondosus L. angesehene Adventivpflanze jetzt zu Bidens
melanocarpus Wiegand gerechnet wird; Wiegand hat
(in Bull. Torrey Bot. Club X.KVI. (1899) 405) die Unterschiede
seiner neuen Art gegenüber dem echten B. frondosus
L. festgelegt. Vgl. auch .Ascherson in Verh. Bot. Vereins
d. Prov. Brandenburg XLII. (1900) 293. — Die ausführlichste
Zusammenstellung über Adventivpflanzen gab F. Hock
I Ankömmlinge in der Pflanzenwelt Mitteleuropas während des
letzten halben Jahrhunderts) in: Beihefte zum Botan. Central-
blatt IX. (1900) 241, X. (1901) 284, XI. (1902) 261, XII.
(1902) 41, XIII. (1902) 211, XV. (igoj) 387, XVIII. (1905)
79; 1. c. XI. (1902) 277 findet man Literatur über Bidens
melanocarpus. H. Harms.
Herrn Dr. E. B. in Wien. — Wir kennen nur das Buch
von Ebert, ,, .Anleitung zum Glasblasen". Leipzig, J. A.
Barth, 2. Aufl. 1895. Preis 2 Mk.
Inhalt: Dr. J. Versluys: Die Salamander und die ursprünglichsten vierbeinigen Landwirbeltiere. — Kleinere Mitteilungen :
Dr. Richard Hennig: Gerücht und Wunder. — Dr. August Ackermann: Auftreten der Raupe von Aglossa
pinquinalis im Darm. — Bücherbesprechungen: Ernst Haeckel: Unsere Ahnenreihe (Progonotaxis Hominis). —
Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten.
Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buclidr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Koli;e VIII. Band ;
der ganzen Reihe XXIV. B.-ind.
Sonntag, den 24. Januar 1909.
Nummer 4.
[Nachdruck verboten.]
Vogelschutz in den Vereinigten Staaten.
\'on Dr. Ernst Schultze, Hamburg-Großborstel.
Die ungeheuren Naturschätze, die noch vor
hundert Jahren auf dem Gebiete der heutigen
Vereinigten Staaten vorhanden waren, sind durch
unkluge und unvorsichtige Maßnahmen auf ein
zum Teil recht bescheidenes Maß zurückgeführt
worden. Es gibt wenige Länder, in denen man
mit den Schätzen der Natur so große
Verschwendung getrieben hat wie in Nord-
amerika. Am bekanntesten ist die unsägliche
Waldverwüstung, die riesige Waldungen nicht
nur dort ohne weiteres vernichtet hat, wo an
Stelle der niedergebrannten Wälder Ackerbau
möglich ist, sondern die sogar weite Strecken
Landes jedes Baumwuchses beraubt hat, selbst
wenn sie von der Natur gar nicht zum Ackerbau,
sondern eben zum Waldbestand bestimmt sind.
Man hat berechnet, daß in manchen Jahren der
Schaden durch Waldbrände mehr als 100 Millionen
Dollars (400 Millionen Mk.) betragen hat. Der
Raubbau, den ein großer Teil der amerikanischen
Farmer treibt, bringt ähnliche Folgen mit sich ;
ohne dem Boden durch zeitweiligen Anbau von
Hackfrüchten oder durch anderen F"ruchtwechsel
Erholung zu gönnen, wird Jahr für Jahr dasselbe
Getreide oder dieselbe Frucht darauf gezogen.
Die gewaltigen Kohlenlager, die unter der
Erdoberfläche in den Vereinigten Staaten liegen,
sind bereits so stark angegriffen worden, daß be-
rechnet worden ist, dal3 z. B. der Anthrazit nur
noch höchstens 75 Jahre ausreichen wird. Und
obwohl die übrigen Kohlenlager der Vereinigten
Staaten noch gegen 1500 Milliarden Tonnen aus-
machen, so warnt doch das Geologische Landes-
amt in Washington ernstlich davor, den Abbau
der Kohlenfelder in so verschwenderischer Art
weiter zu betreiben wie bis jetzt: so nämlich, daß
den Kohlenbergwerken vielfach nur der vierte Teil
der Mächtigkeit eines Kohlelagers entnommen wird.
Und ebenso geht es mit der Tierwelt. Die
prächtigen Büffelherden der Vereinigten Staaten
sind vernichtet — nicht durch allmähliches Ab-
schießen der Büfifel, um ihr Fleisch als Nahrung
zu verwenden, vielmehr weil sich in den 1870 er
Jahren Aktiengesellschaften bildeten, die lediglich
die Häute und Hörner der Büfifel verwenden
wollten und die den echten amerikanischen Groß-
betrieb einführten. Die Büfifel wurden nicht ein-
zeln mit dem Gewehr erlegt, sondern die Büfifel-
herden wurden mit Kugelspritzen beschossen, und
den gefallenen Tieren wurden nur die Häute ab-
gezogen, während man das Fleisch größtenteils
verwesen ließ, so daß die Luft meilenweit ver-
pestet war. 4V0 Millionen Büffel sind in den
Jahren 1872 — 1874 getötet worden, über 3 Millionen
nur der Häute wegen.
Auch die V o g e 1 w e 1 1 der Vereinigten Staaten
ist von dieser unsäglichen Verschwendung be-
troffen worden, obwohl sie sich wirtschaftlich viel
weniger ausnutzen läßt wie etwa die Säugetiere.
Im Gegenteil ist das Bestehen zahlreicher Vogel-
arten für den Menschen von größtem Nutzen,
soweit diese Vögel zu den Insektenvertilgern ge-
hören — von den ästhetischen Reizen, die die
gefiederten Sänger der Luft auf uns ausüben, ganz
zu schweigen. Dennoch ist man in den Ver-
einigten Staaten selbst gegen die Vögel mit einer
Zerstörungswut vorgegangen, die sich zum Teil
schon bitter gerächt hat. Klagen doch die Farmer
schon seit langem über die geringe Zahl der in-
sektenfressenden Vögel. Ein Beispiel für den
riesigen Vogelreichtum früherer Zeiten : es gab in
den Vereinigten Staaten so ungeheure Mengen
der Wandertaube, die in jedem Frühjahr in großen
Schwärmen erschien, daß diese Vögel an ihren
Brutstätten in den Wäldern nicht zu Tausenden,
sondern zu Hunderttausenden beieinander saßen.
Damals mästeten die Farmer ihre Schweine mit
den Eiern und den jungen Vögeln, die aus den
Nestern der Wandertauben fielen.
Der Mensch hätte in den Vereinigten Staaten
um so mehr Anlaß gehabt, die Vogelwelt zu
schonen und zu schützen, als ihr neben den über-
all vorhandenen Vogelfeinden, als da sind Katzen,
Marder usw., Tod und Vernichtung durch die
großen Stürme drolien, denen die gewaltige Flach-
mulde zwischen den .'Mleghanies und dem Felsen-
gebirge so häufig ausgesetzt ist. Unzählige kleine
Vögel finden bei diesen heftigen Stürmen ihren
Tod. Auch hat die Vernichtung der Wälder in
den Vereinigten Staaten natürlich in hohem
Maße dazu beigetragen, daß die Zahl der Vögel
reißend schnell abnahm. Das Waldgebiet der
Vereinigten Staaten umfaßt heute nur noch einen
kleinen Bruchteil der großen Landfläche , die
vor hundert Jahren mit Wäldern bedeckt war,
und noch immer schmilzt das Waldgebiet weiter
zusammen.
Der größte Feind der Vogelwelt ist indessen
doch wohl menschlicher Unverstand und Eigen-
nutz. Gegen diese aber hat eine gemein-
nützige Gesellschaft einen lebhaften und
tatkräftigen Kampf eröffnet, die im Jahre 1886 in
New York begründet wurde, schon 2 Jahre später
fast 25000 iVIitglieder besaß und sich in der
Zwischenzeit zu einer der größten gemeinnützigen
Gesellschaften in den Vereinigten Staaten ausge-
so
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 4
wachsen hat. Der Mitgliedsbeitrag zu der
„Audubon Society" beträgt 5 Dollars (20 Mk.)
jährlich. Sie verwendet ihre IVIitgliedsbeiträge
und die Zinsen eines ihr durch die letztwillige
Verfügung von Mr. Albert Wilcox zugeflossenen
Kapitals von etwa i 200 000 Mk. dazu, die Vogel-
schutz-Bestrebungen in den Vereinigten Staaten
nach allen Kräften zu fördern. Nur 9 Staaten der
nordamerikanischen Union besitzen keine Zweig-
vereine der Audubon Society. Alle anderen
ziehen aus ihrer Tätigkeit Nutzen. In zwei Staaten
haben sogar die Parlamente in Übereinstimmung
mit dem Gouverneur beschlossen, daß die dortigen
Zweigvereine der Audubon Society als Staats-
organe anzusehen seien; man hat ihnen dort
klugerweise die Aufgaben und die Befugnisse
der Ausschüsse für Wildschutz (State Game
Commissions) übertragen.
Übrigens beschränkt sich die Audubon Society
nicht auf den Vogelschutz allein, sondern nimmt
sich der Erhaltung der Tierwelt der Ver-
einigten Staaten und ihrer Kolonien
ganz im allgemeinen an. So hat sie z. B.
die Vögel der Sandwichinseln vor den japanischen
Federjägern gerettet. Das Abschießen der Elche,
nur um ihre Geweihe als Schmuckstücke ver-
wenden zu können , wird von ihr verhindert.
Wildschützen, die trotz der bestehenden Gesetze
Wildarten abschießen, die nicht geschossen wer-
den dürfen, werden von ihr unbarmherzig ver-
folgt und vor die Gerichte gezogen. Die Audubon
Society hat dazu beigetragen, daß die Union Ge-
setze zum Schutze der letzten Büffel erließ, ferner
daß bessere Wildschutzgesetze für Alaska ge-
schaffen wurden. Auf den Bahamainseln hat die
Audubon Society die Flamingos vor der Vernich-
tung bewahrt, indem sie den Erlaß eines beson-
deren Gesetzes veranlaßte. Sie hat den weißen
Reiher, den schönsten Watvogel Amerikas, vor
Vernichtung bewahrt, und sie hat den Schutz
auch der anderen Vogelarten, wie wir noch sehen
werden, in erfolgreichster Weise betrieben.
Der Name der Audubon Society konnte nicht
schöner und ^treffender gewählt werden. John
James Audubon war der bedeutendste Orni-
thologe Nordamerikas. Trotz seines französischen
Blutes war er, wie schon seine Vornamen zeigen,
ganz amerikanisiert. Er wurde am 4. Mai 1780
in der Nähe von New Orleans geboren, ging in
sehr jungen Jahren nach Paris, um sich dort unter
David in der Malerei auszubilden, und lebte seit
1798 als Farmer an den Ufern des Schuylkill in
Pennsylvanien. Zwölf Jahre später ging er nach
Kentucky, damals noch eine völlige Wildnis, und
durchstreifte hier die Wälder und befuhr die
Ströme, um das Leben der Vögel zu erforschen
und ihre Arten zu zeichnen. 1826 begab ersieh
nach Europa, um hier die Herausgabe eines vier-
bändigen Werkes über die Vögel Amerikas zu
beginnen, das sich durch außerordentlich sorg-
fältige Beobachtungen, durch die lebensvollsten
Schilderungen und durch vorzügliche Abbildungen
auszeichnete. Drei Jahre später kehrte Audubon
wieder nach Amerika zurück. Hier schrieb er
noch eine ganze Reihe von Büchern über die
amerikanische Vogelwelt. In den letzten Jahren
seines Lebens arbeitete er viel mit einem deutsch-
amerikanischen Pfarrer und Naturforscher, John
Bachmann, zusammen. Mit ihm gemeinschaftlich
schrieb er zwei Werke über die Vierfüßer
Amerikas, von denen das eine, wie sein großes
Vogelwerk, mehrfache Auflagen erlebte. Audubon
starb am 27. Januar 185 1 in New "\'ork.
Über die gegenwärtige Wirksamkeit der
Audubon Society gibt ein Aufsatz von Mr. T. Gilbert
Pearson in der amerikanischen Zeitschrift ,,The
Worlds Work" Näheres an, aus dem die wichtigsten
Tatsachen im folgenden berichtet seien. Die
Audubon Society sucht die Vernichtung; der Sing-
vögel und ebenso das massenhafte Abschießen
wilder Vögel zu verhindern. Wo Gesetze für
den Vogelschutz noch fehlen, sucht sie sie
vorzubereiten und durchzusetzen. Wo sie dagegen
schon geschaffen sind, bemüht sie sich — was in
den Vereinigten Staaten noch wichtiger ist wie
in manchem anderen Lande — zu veranlassen,
daß sie auch wirklich durchgeführt werden. Ferner
strebt sie dahin, daß in jedem einzelnen Staate
der amerikanischen Union ein Ausschuß für Wild-
schutz eingesetzt werde und daß dieser Ausschuß
möglichst ein sog. unpolitischer sei, d. h. daß er
nicht ausschließlich mit den Anhängern und
Günstlingen der gegenwärtig gerade am Ruder
befindlichen Partei besetzt werde.
Ihre wichtigste Aufgabe sieht die Audubon
Society in der Erziehung des Publikums und in
der Einwirkung auf die öffentliche
Meinung. Schon die Schulkinder sollen lernen,
daß der Mensch den Vögeln Schutz gewähren
soll. Der Junge soll dahin gebracht werden, ein-
zusehen, daß der Vogel für uns auch dann Inter-
esse haben kann, wenn wir ihm sein Nest nicht
fortnehmen. Und das Mädchen soll erkennen
lernen, daß ein lebender Vogel schöner ist, als
sein Flügelpaar, wenn es zum Schmucke eines
Damenhutes verwendet ist. Da die Amerikaner
ihre Kinder fast wie erwachsene Leute behandeln,
hat die Audubon Society Hunderte von „Junior
Secretaries" (was erheblich respektvoller klingt,
als wenn man es einfach mit „Kindersekretäre"
übersetzt) ernannt, die unter ihren Kameraden,
also unter der Schuljugend, die Vogelschutz-
bestrebungen fördern. Auch auf die Schulbehörden
und die Lehrer und Lehrerinnen wirkt die Audubon
Society ein, und ihre Broschüren werden Jahr für
Jahr in Zehntausenden von Exemplaren verteilt
und verkauft. Sie sind mit farbigen Abbildungen
versehen, die die Amerikaner ja prächtig herzu-
stellen wissen. Außerdem veröffentlicht die
Audubon Society eine Zeitschrift „Bird Lore", die
von Mr. Frank M. Chapman von dem amerikani-
schen Museum für Naturgeschichte herausgegeben
wird. In den landwirtschaftlichen Unterrichts-
anstalten treibt die Audubon Society eine aus-
N. F. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
51
gedehnte Propaganda. Die Jägerklubs werden
von ihr beeinflußt und aufgeklärt. Ihre Vortragen-
den durchziehen das Land, um Lehrerversamm-
lungen, P'armerkongresse usw. zu besuchen und
dort die Wichtigkeit des Vogelschutzes darzutun.
Die Presse wird beständig mit Nachrichten ver-
sehen. Natürlich wird auch von der Kunst der
Interviews ein reichlicher Gebrauch gemacht;
insbesondere hochstehende Beamte und offizielle
Persönlichkeiten müssen daran glauben. Wenn
ein Vogelschutzgesetz in Vorbereitung ist, so
stehen ein oder mehrere Vertreter der Gesell-
schaft stets zur Verfügung, um das Gesetz zu
vertreten. Häufig hat sich schon der Fall er-
eignet, daß die gesetzgebenden Körperschaften
die betreffenden Vertreter ersucht haben, ihnen
einen größeren Vortrag über Vogelschutz zu halten.
Übrigens hat sich die Audubon Society ge-
sagt, daß es unmöglich sein würde, die Vogel-
Schutzbestrebungen in Nordamerika erfolgreich
durchzuführen, wenn die Vögel zwar in be-
stimmten Staaten der Union geschützt sind, in
anderen aber nicht. Das würde nur bedeuten,
daß die Schutzmaßnahmen des einen Staates den
Vogeljägern des anderen zugute kommen. Keine
Tierklasse wandert ja so gern und regelmäßig
und über so große Gebiete wie gerade die Vögel.
Die Audubon Society hat daher den brennen-
den Wunsch, daß ein einheitliches Vogel-
schutzgesetz für die ganzen Vereinigten Staaten
geschaffen werde, das den Vögeln, die als Jagd-
wild betrachtet werden, in allen Jahreszeiten und
in allen Staaten der Union Schutz verleiht. Über
200 Arten solcher Vögel sind gegenwärtig noch
in jedem Staate der Union zu finden, und sie
machen mehr als vier Fünftel aller nordameri-
kanischen Vögel aus. Aber die Verfassung der
Vereinigten Staaten wird allgemein so ausgelegt,
daß nur diejenigen Dinge, die ausdrücklich darin
genannt sind, der amerikanischen Bundesregierung
zustehen, während alle anderen zur Machtvoll-
kommenheit der Kinzelstaaten gehören. Da die
Begründer der nordamerikanischen Union nicht
daran gedacht haben, daß das Wild eines beson-
deren Schutzes bedürfen könnte, und auch nicht
daran zu denken brauchten — denn zu ihrer Zeit
war es außerordentlich zahlreich und sie gingen
nicht so verschwenderisch damit um, wie dies
später ihre Nachkommen taten — , so ist in der
amerikanischen Verfassung nicht von Wildschutz
die Rede. Die strenge Auslegung der Verfassung
macht es daher unmöglich, daß von der Bundes-
regierung ein entsprechendes Gesetz geschaffen
wird. So hat die Audubon Society denn die
riesige Arbeit in Angriff nehmen müssen, die
Gesetzgebungsmaschinen aller Einzelstaaten in Be-
wegung zu setzen, soweit sie sich in Bewegung
setzen ließen ! In nicht weniger als 37 unter den
46 Staaten der Union hat sie das erwähnte Vogel-
schutzgesetz durchgesetzt, das allgemein unter dem
Namen ,, Audubon Law" bekannt ist. Auch die Mehr-
zahl der 9 Provinzen Kanadas haben es angenommen.
Am erfolgreichsten ist das Vorgehen der
Audubon Society im Staate Nordkarolina ge-
wesen. Dort haben die gesetzgebenden Körper-
schaften im März 1903 beschlossen, den Zweig-
verein der Audubon Society mit allen Rechten
eines Regierungsamtes für Wildschutz auszustatten.
Und da dieser Zweigverein sich ebenso wie die
Hauptgesellschaft von rein politischen Einflüssen
freihält, so ist seine Wirksamkeit besonders er-
folgreich gewesen. Von allen Seiten wird ihr
große Achtung entgegengebracht. Im Jahre 1907
brachten im Staate Nordkarolina die Angestellten
der Audubon Society 245 Fälle der Verletzung
der Wildschutzgesetze vor Gericht, und durch
diese strenge Verfolgung sind natürlich viele an-
dere Versuche, sie zu verletzen, im Keime er-
stickt worden. Das Wildschutzgesetz, das in
Nordkarolina am meisten verletzt wird, ist das
Verbot der Verschickung von Wachteln. Die
amerikanische Wachtel , Quail genannt (Ortyx
virginianus), ist als Delikatesse gerade in den Nord-
staaten besonders geschätzt ; sie ist kleiner als
das europäische Rebhuhn, aber größer als unsere
Wachtel und besitzt ein vorzügliches Fleisch. Um
die Versendung von Wachteln nach Norden zu
verhindern, ist in der Jagdzeit einer der Inspek-
toren der Audubon Society beständig auf den
Beinen, und er fängt namentlich in Greensboro
immer wieder solche Sendungen ab. Die wich-
tigste Hilfe leistet ihm dabei sein Hund, der mit
untrüglicher Sicherheit festzustellen vermag, ob
in dem Inhalt eines großen Koffers oder eines
Hutkoffers, eines Korbes oder eines Whiskeyfasses
Wachteln versteckt sind. In all diesen und
anderen Behältern werden sie mit Vorliebe ge-
schmuggelt.
Die Tätigkeit der Audubon Society nach dieser
Richtung hin wird nicht nur von all den Tausen-
den gern unterstützt, denen die Erhaltung der
Singvögel am Herzen liegt, sondern auch von den
Besitzern und Pächtern vieler großer Jagdgebiete.
Dem Staate Nordkarolina folgte im P'ebruar
1907 der Nachbarstaat Südkarolina, indem er den
dortigen Zweigverein der Audubon Society mit
den Pflichten und Rechten eines Fischerei- und
Wildschutz-Ausschusses bekleidete. Verlassene
Reisfelder dieses Staates werden nun in große
Entenbrutstätten umgewandelt.
Besonderen Schutzes bedarf das Rotkehlchen.
In den Südstaaten gilt es allgemein als jagdbarer
Vogel. Wenn das Rotkehlchen im Winter nach
Süden wandert, findet man in den Städten der
nordamerikanischen Südstaaten große Reihen von
toten Rotkehlchen zum Verkauf ausgestellt. Ins-
besondere des Nachts werden sie abgeschossen
oder anders getötet. Sie pflegen auf den Asten
einer Zeder oder Fichte zu schlafen. Dort sitzen
die Rotkehlchen so dicht auf den Zweigen, daß
das Abschießen einer einzigen Schrotladung zu-
weilen 20 — 30 tote Vögelchen herunterbringt.
Die dortigen Neger und ebenso die bösen Buben
von weißer Hautfarbe brauchen indessen nicht
52
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 4
einmal ein Gewehr, um die Vögel zu töten, da
sie eine noch einfachere Jagdart befolgen. Sie
gehen nachts zu zweien in die Wälder. Einer
von ihnen trägt ein Licht und klettert auf einen
Baum, während der andere auf die Zweige der
umstehenden Bäume mit einer Stange losschlägt.
Die erschreckten Vögel fliegen dann dem Lichte
zu, und der Neger oder der weiße Junge, der das
Licht trägt, ergreift die Vögel, die ängstlich um
das Licht flattern, drückt ihnen den Kopf ein und
wirft sie zu Boden. Zuweilen soll man in den
Südstaaten nachts bis zu 20 solcher Lichter auf
kleinem Räume nebeneinander sehen können. Die
Zahl der Rotkehlchen, die dann ihr Leben lassen
müssen, geht in die Tausende. Durch die Be-
mühungen der Audubon Society sind nun in den
verschiedenen Staaten Schutzgesetze für das Rot-
kehlchen angenommen worden. In Nordkarolina
hat man nur ihre Tötung zwischen Sonnenunter-
gang und Sonnenaufgang verboten, in Südkarolina,
in Alabama und Texas z. B. ist es dagegen über-
haupt strafbar, ein Rotkehlchen zu töten.
Die ärgsten Feinde der Vogelwelt sind aber
vielleicht nicht die Leidenschaften der Lecker-
mäuler, die sich an dem zarten Fleisch von Sing-
vögeln gütlich tun wollen, sondern die Mode-
torheiten, die das weibliche Geschlecht
von Zeit zu Zeit befallen. Vor einigen Jahren
wurde es bei den Damen wieder einmal modern,
auf den Hüten statt der sonst so beliebten hängen-
den Gärten einen riesigen Aufbau von Federn
von Meerschwalben, Möwen oder anderen See-
vögeln zu führen. Die Folge war — da für die
Mode nichts zu teuer ist — daß überall auf den
kleinen Inseln an der Ostküste Nordamerikas die
Federjäger abschössen, was sie von Seevögeln
nur erreichen konnten, natürlich ohne Rücksicht
auf die Erhaltung der betreffenden Vogelarten.
Man rüstete Schiffe aus, die Vorräte für mehrere
Monate an Bord führten, und betrieb das Ab-
tötungsgeschäft als Großbetrieb. Um die in den
Nestern liegenden Eier und kleinen Vögel kümmerte
man sich nicht. Diese unmenschlichen Vogel-
jagden haben damals die Atlantische Küste der
Vereinigten Staaten und ihre Golfküste einer un-
geheuren Zahl von Seevögeln beraubt. Allein in
den beiden Staaten Nordkarolina und .Südkarolina
wurden damals im Laufe von 8 Jahren eine halbe
Million Flügelpaare an die Modegeschäfte verkauft.
Und auf Cobbs Island im Staate Virginia wurden in
einem einzigen Jahre loooo Vögel abgeschossen.
Die Audubon Society hat auch diesem Unfug einen
Riegel vorgeschoben. Sie hat für die Verbesse-
rung der Gesetzgebung gesorgt, und sie besoldet
eine Anzahl von Wärtern, die eine große Zahl
von Brutstätten der Seevögel an der ganzen öst-
lichen und südlichen Küste, also auf der riesigen
Strecke zwischen dem Staate Maine und dem
Rio Grande, regelmäßig überwachen. Ebenso
wird die ganze Küste des Stillen Meeres, soweit
sie den Vereinigten Staaten gehört, überwacht.
Infolgedessen nimmt die Zahl der Seevögel wieder
stark zu, und man hoft't, daß sie die Zahl wieder
erreichen, die sie vor 20 Jahren aufwiesen. Ins-
besondere ist die Zunahme der Möwen bemerkens-
wert, wie man in den Seestädten beobachten kann.
Die Seevögel sind auch nicht mehr so scheu wie
in den Jahren, in denen sie so erbarmungslos ab-
geschossen wurden.
Präsident Roosevelt, der große Naturfreund,
hat seinerseits dazu beigetragen, den Vogelschutz
zu pflegen. Er hat durch eine Exekutivorder
eine Anzahl kleiner Inseln an den Küsten
und im Inneren dazu bestimmt, den Vögeln als
Brutstätten und Ruheplätze zu dienen.
Sie dürfen daher von Menschen ohne besondere
Erlaubnis nicht betreten werden. Nur die Beamten
der Audubon Society haben dort Zutritt, um die
Vermehrung der Vögel zu beobachten und ihnen
Schutz gegen die Unbilden der Witterung zu
ver.schaffen. Die bedeutendsten dieser Vogelbrut-
stätten liegen in den Staaten Louisiana und
Florida (je vier), ferner zwei in Michigan, eine in
Norddakota, eine in Oregon, eine in Nebraska
(wo man überhaupt dem Vogelschutz große Auf-
merksamkeit zuwendet) und endlich drei an der
Küste des nordwestlichsten Staates, Washington.
Aber auch in den anderen Staaten finden sich
manche Vogelbrutstätten, die von der Audubon
Society überwacht werden.
Man hofft, daß infolge dieser Maßnahmen auch
solche Abarten, deren Zahl bereits arg zusammen-
geschmolzen war, sich wieder vermeliren werden.
So waren z. B. einige .Abarten der Meerschwalbe
bereits soweit abgeschossen, daß nur noch weniger
als looo Vögel davon am Leben waren. Jetzt
hat sich ihre Zahl bereits wieder gehoben.
Die Tätigkeit der Audubon Society
ist somit von unschätzbarem Werte für die
ganzen Vereinigten Staaten. Ein Land ohne
Vögel entbehrt eines der schönsten Reize, mit
denen die Natur uns umgibt. Der Wälder haben
sich die Vereinigten Staaten bereits zum größten
Teile beraubt. Ließen sie nun auch noch die
.Singvögel aussterben, so würden die Nachkommen
des heutigen Geschlechtes es diesem niemals ver-
geben können, daß es mit dem von der Natur
verschwenderisch gespendeten Reichtum so un-
bedacht umging. Die Audubon Society hat der
öffentlichen Meinung Amerikas diese schlimmen
Folgen klar vor Augen geführt, und sie hat dafür
gesorgt, daß man der Gefahr mit tatkräftigen
Maßnahmen begegnete. Ihr gebührt hoher Dank,
und ihrer Tätigkeit ist auch für die Zukunft der
allerbeste F>folg zu wünschen.
N. F. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
53
Sammelreferate und Übersichten
tische
m en"
recht
über die Fortschritte in
Neues aus der Bakteriologie. — Seit der
Erfindung des Ultramikroskopes ist auch
hier und da die Behauptung von der Exi-
stenz bestimmter Ultramikroorganismen aufge-
taucht. So hatten namentlich E. Raehlmann
(Münch. medizin. Wochenschr. 51. Jg., 1904, und
Berliner klin. Wochenschr. 41. Jg., 1905) sowie N.
Gaiduko w (Centralbl. f Bakteriol, IL Abtlg., Bd. 16,
1906, und Verhandl. Deutsch. Zool. Gesellsch., 1906)
solche ultramikroskopische Wesen als leicht zu
beobachtende, überaus häufige Erscheinung be-
schrieben; ja der letztgenannte spricht sogar von
solchen, die er teils außer-, teils innerhalb(!)
von Algen-, Pilz- u. a. Zellen gesehen haben
wollte. Nun veröfi"entlicht H. IMol isch in Botan.
Zeitg. 66. Jg, 1908, I. Abtlg., S. 131, eine kri-
Studie „Über Ultramikroorgan is -
nach welcher das Vorkommen solcher doch
zweifelhaft erscheint. Mo lisch hat mit
der gleichen optischen .Ausrüstung und an dem
gleichen Material wie jene, in Faulflüssigkeiten, in
algenhaltigem Teich- und Grabenwasser usw., nach
Ultramikroben gesucht, aber durchweg mit nega-
tivem Resultat, und das vier Monate lang fast
täglich ! Was an nachweislichen Mikroorganismen
in der Dunkelfeldbeleuchtung erschien, konnte bei
genauem Zusehen mit stärksten Objektiven (Zeiß
hom. Imm. 2 mm, Oc. 18) auch im durchfallenden
Licht wahrgenommen werden. In siebzehnjähriger
Praxis als Bakteriologe hat M. (wie sehr viele
Andere mit ihm) niemals auf irgendwelcher Kultur-
platte eine Kolonie gefunden, die nicht aus
mikroskopisch definierbaren Organismen bestanden
hätte.
Ultramikroskopische Krankheits-
erreger hatte man vermutet für die Lungen-
seuche der Rinder, für die Maul- und Klauen-
seuche, für die „Mosaikkrankheit" des Tabaks, für
die „infektiöse Chlorose" der Malvaceen. Die
Erreger der erstgenannten Krankheit stehen eben
noch diesseits der Grenze gewöhnlicher mikro-
skopischer Sichtbarkeit, für die Maul- und Klauen-
seuche ist ein organischer Erreger nicht nach-
gewiesen, und daß ein solcher nicht mit Not-
wendigkeit durch indirekten Beweis gefolgert
werden kann, das lehren die beiden erwähnten
Pflanzenphänomene (vgl. über die Mosaikkrankheit
F. W. Hunger, Ber. Deutsch. Botan. Gesellsch.
23. Bd., 1905, über die infektiöse Chlorose E.
Baur, Sitzber. d. k. preuß. Akad. d. Wissensch.
Bot. Gesellsch. 22. Bd., 1904,
von welchen beiden wohl mit
daß sie, trotz ihres infektiösen
durch Organismen , sondern
durch Stoffwechselprodukte hervorgerufen werden,
die autokatalytisch die Krankheit übertragen.
Durch die durchweg negativen Befunde von
M o 1 i s c h verliert auch die X ä g e 1 i 'sehe Hypothese^)
von den Probien, primitiven Organismen von
1906, Ber. Deutsch,
und 24. Bd., 1906),
Sicherheit feststeht,
Charakters nicht
den einzelnen Disziplinen.
kleinsten Dimensionen, die noch in der Gegen-
wart jederzeit durch Urzeugung sollten entstehen
können, sehr an Glaubhaftigkeit — da die mole-
kulare Größe gewisser Eiweißkörper schon inner-
halb der ultramikroskopischen Sichtbarkeit liegt, so
ist die Existenz weit verbreiteter Organismen,
die im Ultramikroskop nicht sichtbar sein sollten,
recht unwahrscheinlich geworden.
Über Fortbewegungsgeschwindigkeit und
Bewegungskurven einiger Bakterien veröffentlicht
R. Stigell im Centralbl. f. Bakteriol., I. Abt., 45,
einige interessante Berechnungen und Skizzen.
Die bei 1500-facher Vergrößerung beobachteten
Höchstmaße der Geschwindigkeit, auf /t in i Sek.
bezogen, waren für:
Bac. subtiüs 5,55 Bac. typhi 2,50
„ proteus 2,90 „ megatherium 2,08
„ butyricus 4,47 Vibrio cholerae 4,38
mesentericus 4,08 „ proteus 3,34
„ pyocyaneus 2,70 „ aquatilis 6,66
Diese Höchstmaße dürften charakteristischer
sein als die von St. aus je 10 Messungen berech-
neten Durchschnittswerte; die lo Parallelbestim-
mungen zeigen sehr starke Differenzen, augen-
scheinlich beruhen sie z. T. auf Beobachtungen
an Individuen, deren Beweglichkeit schon im Ab-
nehmen begriffen war.
Recht eigenartig sind die Skizzen von Be-
wegungskurven; während die einen sich annähernd
geradlinig oder in schwacher Schlängelung fort-
bewegen, beschreiben andere ziemlich enge Win-
dungen, die bei Bac. pyocyaneus etwa an orien-
talische Schriftzeichen erinnern.
Die Nitrifikation ist eine der interessantesten
Erscheinungen in der ganzen belebten Natur, als
die absonderliche Lebensäußerung von Organismen,
die nicht Kohlenstoffverbindungen veratmen, son-
dern an deren Stelle Ammoniakverbindungen zu
Nitriten und Nitraten oxydieren. Nach Wino-
gradsky's grundlegenden Arbeiten wissen wir, daß
es zweierlei Gruppen von Organismen sind, deren
die einen (Nitrosobakterien) aus Ammoniaksalzen
Nitrite, die anderen (Nitrobakterien i. e. S.) aus
Nitriten Nitrate bilden, stets unter Verbrauch von
atmosphärischem Sauerstoff. Während nun die
Oxydation der salpetrigen Säure zu Salpetersäure
ein exothermischer Vorgang ist, würde die Oxy-
dation von Stickstoff zu salpetriger Säure einen
Energieverbrauch bedingen; da aber einerseits
auch der Wasserstoff des Ammoniaks zu Wasser
verbrannt wird, andererseits die Nitritation nur in
Gegenwart freier Basen oder kohlensaurer Salze
stattfindet, welch letztere die entstehende freie
Säure binden, so ist ein Energiegewinn der Er-
folg auch dieses Vorganges. Der chemische
Prozeß, der bei der Nitritbildung aus schwefel-
') C. V. Nägeli, Mechanisch physiologische Theorie der
.Abstammungslehre. München-Leipzig 1884.
54
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 4
saurem Ammoniak in kalkhaltigem Boden sich
abspielt, findet also etwa in folgender F'ormel
seinen Ausdruck:
(NHJ„SO, + 2CaC03 + 3O, -
Ca(NO,)., + Ca SO^ -f 2 CO., + 4 H.,0.
Bezüglich der Art, wie die betreffenden Vor-
gänge sich im normalen Boden abspielen, ist noch
vieles dunkel; erst in neuester Zeit ist es ge-
lungen, einige schwerwiegende Irrtümer zu be-
richtigen, welche sich an die sonst so überaus
wichtigen Arbeiten von Winogradsky an-
knüpften. Seine Untersuchungen waren nämlich
durchweg in Lösungen angestellt, und es hat
sich hier, wie anderwärts, wieder gezeigt, daß es
grundfalsch sein kann, Ergebnisse dieser Her-
kunft auf die Vorgänge im Erdboden zu über-
tragen. Nach Winogradsky sollten die Nitroso-
und Nitrobakterien äußerst empfindlich sein gegen
lösliche organische Substanzen, sie sollten durch
mehr als 0,2 % Ammonsulfat bereits in ihrer
Tätigkeit gehemmt werden, auch sollte Nitrit- und
Nitratbildung niemals gleichzeitig nebeneinander
erfolgen können, vielmehr die Nitratbakterien
selbst durch Spuren von Ammoniaksalz gehindert
werden, ihre Tätigkeit zu entfalten, die erst be-
ginnen könnte, nachdem alles Ammoniak in Nitrit
umgewandelt wäre. Wenn nun auch an der
Richtigkeit jener Beobachtungen an sich nicht zu
zweifeln ist, so liegen denn doch im natürlichen
Boden ') die Dinge wesentlich anders, und müssen
obige Sätze als durchaus ungültig bezeichnet
werden. Daß dem so ist, dafür bringt eine Arbeit
von L. C. Coleman, Untersuchungen über
Nitrifikation (in Centralbl. f. Bakteriol., II. Abt.,
20, S. 401 ff., 1908), eine Reihe von Beweisen,
durch zahlreiche analytische Belege unterstützt.
Die auffallendsten und auch am besten durch-
geführten Resultate erhielt C. bei Verwendung
von Dextrose, die bis zu 0,5 "j^ des Bodenge-
wichtes nicht nur ertragen wurde, sondern sogar
eine deutliche und regelmäßige Beschleunigung
der Nitrifikation bewirkte; auch war die
Nitrifikation keineswegs dadurch verhindert, daß
an Ammonsulfat i "i„ des Bodengewichtes gegeben
wurde, was, auf die beigefügte Wassermenge be-
rechnet, eine 7,5-prozentige Lösung ergab — also
das 37V2-fache der von Winogradsky ange-
gebenen Höchstkonzentration. Eine später, nach
der dritten Woche, eintretende scheinbare
Hemmung ist auf Rechnung einer Denitrifikation
zu setzen, welche durch die Anwesenheit organi-
scher Substanz im Boden naturgemäß begünstigt
wurde. Rohrzucker, Milchzucker, Glyzerin wirkten
kaum merklich, ebenso buttersaurer Kalk, während
') Hierin verhalten sich nun verschiedenartige Böden
durchaus verschieden : ganz leichter Sand ändert wenig an
den für wäflrige Lösungen gültigen Thesen Winogradsky's;
je reicher ein Boden aber an absorptionsfähiger Sub-
stanz, an Humus- und Tonpartikelchen ist, um so
weiter entfernen sich die tatsächlichen Vorgänge von jenen
Sätzen.
essigsaurer Kalk hemmend wirkte; sehr stark war
letzteres der Fall mit Pepton und Harnstoft'.
Das Feuchtigkeitsoptimum für die Nitrifikation
liegt um i6°/|, herum; stärkere Befeuchtung
hemmt mehr als größere Trockenheit, weil sie
den unbedingt notwendigen Luftzutritt erschwert.
In zu feuchtem Boden wirkt auch Dextrose nicht
fördernd, sondern hemmend auf die Nitrifikation.
Das Optimum der Temperatur liegt nach früheren
Untersuchungen, die Verfasser bestätigt fand, bei
etwa 26" C.
Sehr auffallend erscheint das weitere Schicksal
der beigefügten Dextrose, die in reinem sterilen
Sand, in Mengen von 0,02 bis 0,05 "/oi i" Rein-
kulturen ebenfalls vielleicht eine Beschleunigung
bewirken kann; dabei verschwindet aber die
Dextrose allmählich, und wenn die Kulturen des
Verfassers wirklich rein waren (für den Nitrit-
bildner gibt er selbst Unreinheit zu), dann würden
wir das überraschende Ergebnis vor uns sehen,
daß — wieder entgegen Winogradsky — die
Nitrobakterien nicht so ausgesprochen prototroph
wären, wie man lange angenommen hat. Zur
Assimilation von Kohlensäure sind Nitrit- wie
Nitratbildner befähigt, auch ist die Dextrose nicht
imstande, fehlende Kohlensäure zu ersetzen, auch
eine Reizwirkung kommt kaum in Frage, die
Rolle des Zuckers ist also noch recht fraglich und
der Aufklärung bedürftig.
Über Anaerobiose liegt eine neue Arbeit
vor: Ein experimenteller Beitrag zur
Kenntnis der Bedeutung des Sauerstoff-
entzuges für die Entwicklung obligat
anaerober Bakterien, von R. Burri und
J. Kürsteiner, in Centralbl. f Bakteriol. usw.,
II. Abtlg., 21, 1908, S. 289. An Kulturen von
Bacillus putrificus, eines obligat anaeroben Spalt-
pilzes, wurde die neue und auffallende Tatsache
beobachtet, daß nach der von Kürst einer (vgl.
Naturw. Wochenschr., Bd. 8, S. 406 u. S. 551)
früher beschriebenen Methode streng anaerob ver-
schlossene Bouillonröhrchen auch dann lebhaftes
Wachstum zeigten, wenn nach relativ kurzer Zeit
der Verschluß geöfthet und die Zuchten bei
vollem (d. h. nur durch den gewöhnlichen Watte-
pfropfbehindertem) Lu ft zu t ritt gehalten wurden.
Das gelang ganz besonders auch bei solchen
Röhrchen, die bisher noch keine Spur von
Trübung hatten erkennen lassen, aber trotzdem
unter genannten Bedingungen nach kurzer Zeit,
infolge lebhafter Bakterienvermehrung, sich stark
trübten. Ja. die Trübung war ganz regelmäßig
in den geöffneten Röhrchen stärker, als in den
verschlossen gebliebenen, vielleicht infolge einer
Reizwirkung des eindringenden Sauerstoffes. Die
Grenze der Entwicklungsmöglichkeit lag ziemlich
genau bei 13 — 14 Stunden anaeroben Aufent-
haltes im Thermostaten bei 37". Zuweilen ent-
wickelten sich aber im Luftzutritt auch Kulturen,
die nach kürzerer Zeit, bis herab zu 6 Stunden,
geöffnet wurden, andererseits blieben ältere manch-
mal im Wachstum zurück, zeigten erst nach
N. F. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
5S
mehreren Tagen langsame Zunahme der Trübung,
welche nun entweder doch noch normale Inten-
sität erreichte, oder aber wieder unter anaeroben
Verschluß gebracht werden mußte, um sich nor-
mal zu entwickeln ; das Kxtrem stellten solche
Zuchten dar, deren bereits sehr merkliche Trübung
nach Entfernen des Verschlusses keine Spur von
Zunahme mehr zeigte, und erst nach Neumon-
tierung des Burri 'sehen Verschlusses normal
weiterwuchsen.
Die Erklärung des Hauptergebnisses ist im folgen-
den zu suchen: Die bereits entwickelte Anaeroben-
kultur ist imstande, zutretenden Sauerstoff un-
schädlich zu machen; doch ist ausgeschlossen,
daß letzterer etwa veratme t würde; Anaerobier
können eben nicht normal atmen. Vielmehr
müssen es reduzierende Substanzen sein
(Anaerobier entbinden z. B. fast durchgehends
freien Wasserstoff), welche den Sauerstoff so weit
absorbieren, daß er an die Spaltspitze nicht mehr
herantreten kann, außer in minimaler Menge, in
welcher er nun vielleicht sogar als Reizstoff
wirkt (vgl. o.). Die sog. anaeroben Züchtungs-
verfahren würden nur der Bestimmung dienen,
den allerersten Generationen das im Sauerstoft
liegende Entwicklungshemmnis zu beseitigen.
Dann geht eine normal kräftige Kultur auch bei
Luftzutritt ihren Weg, selbst wenn (vgl. o.) im
Beginn des Luftzutrittes die Bakterienvermehrung
noch zu keiner sichtbaren Trübung fortgeschritten
war. Die oben kurz skizzierten Ausnahmefälle
schwächeren Wachstums, bzw. geringerer Wider-
standsfähigkeit gegen molekularen Sauerstoft
deuten einerseits auf eine gewisse Variabilität der
Bakterien auch in dieser Hinsicht, andererseits aut
einen Existenzkampf, der nicht von allen Zuchten
glücklich bestanden wird. Die Untersuchungen
erstreckten sich nur auf die eine, obengenannte
Art; ob das Ergebnis — was an sich nicht un-
wahrscheinlich ist — zu verallgemeinern sein wird,
mag die Zukunft lehren.
Übrigens hat schon vor 2 Jahren Hans
Pringsheim (Über ein Stickstoff assimi-
lierendes Clostridium, in Centralbl. f. Bak-
teriol., II. Abtlg.. 16, 1906, S. 795) ein dem
Clostridium butyricum Prazmowski und dem Cl.
Pasteurianum Winogradsky naheverwandtes Butter-
säurebakterium beschrieben , das „im offenen
Kolben Zuckerlösung vergärt", unter gleichzeitiger
Bindung von Luftstickstoft", wenn eine geringe,
unzureichende Menge Stickstoff als Ammonsulfat
gegeben wird. Es dürfte sich auch hier um eine
von Haus aus anaerobische Form handeln, welche
leichter als andere in hoher Schicht zu kultivieren
ist. Man kann sich den Vorgang wohl so vor-
stellen, daß die Bakterienvermehrung zuerst in
der -j- sauerstofffreien Bodenschicht einsetzt,
und daß die hier alsbald erzeugten reduzierenden
Stoffe die weitere Entwicklung durch die ganze
Flüssigkeitssäule ermöglichen.
Über einen extrem verkürzten Ent-
wicklungsgang bei zwei Bakterien-
spezies ist eine Arbeit von L. Garbowskiim
Biolog. Centralbl. 27, 1907, S. 717 betitelt. Der
Verfasser beobachtete an frisch isoliertem Bacillus
tumescens Zopf eine überaus rasche Auskeimung
der soeben aus den Mutterzellen freigewordenen
Sporen, andererseits eine sehr rasche Sporen-
bildung in den soeben der Spore entkeimten
Stäbchen, die sich gar nicht erst teilten,
sondern sofort zur .Sporu lation schritten,
wobei bisweilen die neue Spore das Keimstäbchen
vollständig ausfüllt. (Bei Bac. asterosporus A.
Meyer wurde Sporenbildung im Keimstäbchen
ebenfalls beobachtet.) Die Sporen werden unter
solchen Bedingungen immer kleiner, von durch-
schnittlich 2,2 /< ging ihre Länge in drei Monaten
bis auf 1,4 bis 1,6 // zurück. Die Erscheinung kam
nur auf einem mit i "/„ Dextrose versetzten Nähragar
zum Vorschein, auf einer Mischung von i Teil
dieses Agars mit 2 Teilen wäßriger Agarlösung
trat sie sehr vereinzelt auf, und behielten die
Sporen auch ihre Größe bei. Andere Nährböden
ergaben ebenfalls teils sehr zahlreiche, teils sehr
spärliche Beispiele dieser Abkürzung des Ent-
wicklungsganges. Ein halbes Jahr später, nach
weiterer Kultur des Stammes, hatte sich die
Sporengröße auf 1,6 /( verringert, jedoch trat die
oben beschriebene Erscheinung bei weitem weniger
charakteristisch zutage.
Über Entwicklungszyklen bei Bakterien
schreibt F". Fuhrmann in den Beiheften zum
Botan. Centralbl., Bd. 23, 1. Abt., 1907. Eine von
ihm aus Flaschenbier isolierte Art, Pseudo-
monas cerevisiae, ein durch ein endständiges
Geißelbüschel lebhaft bewegliches Stäbchen, war
im wesentlichen der Gegenstand seiner Unter-
suchungen. Interessant und nachahmenswert ist
die Methode, deren er sich bediente, um einzelne
Zellen in ihrer Entwicklung einige Zeit zu ver-
folgen : er fing die Zellen in den Maschen von
dünn geschnittenen Scheiben (die selbstredend
sterilisiert wurden) von Sambucus- oder Helian-
thus-Mark, die dann in die feuchte Kammer und
mit dieser unters Mikroskop gebracht wurden.
Hier spielten sich die zu beschreibenden Er-
scheinungen sogar sehr rasch ab , beschleunigt
wohl durch beginnenden Sauerstoft'mangel.
Das lebhafte Schwärmen der Stäbchen ver-
langsamt sich vor jeder Zweiteilung, allmählich
wird aber überhaupt die Bewegung träger und
hört zuletzt ganz auf, während zugleich die Zellen
sich niclit mehr trennen, sondern zu P'äden ver-
einigt bleiben; die kürzeren Fäden führen noch
schlängelnde Bewegungen aus, die längeren sind
unbeweglich und zeigen kaum noch eine Gliede-
rung in Zellen. Innerhalb der Zellen treten unter-
dessen winzige, stark lichtbrechende Körnchen auf,
welche mehr und mehr zu größeren verschmelzen,
die Konturen 'der" Fäden beginnen zu verschwin-
den, und zuletzt findet man nur einen ,, Detritus",
aus jenen Körnchen bestehend, die, mit alter
Methylenblaulösung tingiert, die charakteristische
„metachromatische", d, h. rote Färbung annehmen.
56
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vni. Nr. 4
und
den
jene
Bei erhöhter Temperatur findet diese Entwicklung
unter einer geringen Vergrößerung der Zellen
statt, die sich z. T. kolbig aufgetrieben zeigen;
das ist noch mehr der Fall in Lösungen mit
I — 2 Ammoniumchlorid als Stickstoftquelle
0,5% Saccharose als Kohlenstoffquelle;') in
kolbigen Anschwellungen sind hauptsächlich
Körnchen enthalten.
Dieselben sind nun sicherlich keine Sporen,
trotzdem aber noch lebensfähige Dauer-
zustände, die zu neuen Kulturen aus-
keimen können — ein höchst auffallender,
wohl aber nicht für alle analogen Bildungen all-
gemeingültiger Befund. (Ref. wenigstens hat sehr
oft vergeblich versucht, solche Bakterienkolonien
weiterzuzüchten, die, auf Agarplatten aufgegangen,
der Weiterzüchtung wert schienen, sich aber
unter dem Mikroskop nur noch als aus Körnchen
bestehend erwiesen; obwohl die Platten oft nur
8 — 14 Tage alt waren, ist in keinem Fall die
Aussaat von Erfolg gewesen — verschiedene
Arten verhalten sich also wohl verschieden.)
Werden kolbige Zellen mit Körncheninhalt in
frisches Nährsubstrat gebracht, so treten die Körn-
chen zu kurzen Ketten geordnet heraus, ein jedes
wächst zu einem Stäbchen heran, und nun erst
trennen sich die Zellen, um jetzt selbstbeweglich
davon zu schwärmen. Zwischenstufen, die erst
auf dem Wege zum Kolbenstadium waren, gehen
dagegen den beschriebenen Gang zu-
rück, in gleicher, nur umgekehrter Reihenfolge:
die Körnchen verteilen sich zu immer winziger
werdenden Pünktchen, dadurch wird der Zellen-
inhalt immer homogener, und die Fäden teilen
sich in schwärmende Kurzstäbchen. (Diese Er-
scheinung ist eine interessante Illustration zu der
Behauptung mancher Vitalisten , es bestehe
zwischen Lebensvorgängen und solchen in unbe-
lebter Substanz ein fundamentaler Unterschied
darin, daß die ersteren nur in einer Richtung
verlaufen könnten, die letzteren aber reversibel
wären. Hier haben wir wieder einmal ein
Beispiel für Umkehrung eines unleugbaren Lebens-
vorganges; ebenso gibt es zur Genüge Vorgänge
in der unbelebten Weh, die nicht umkehrbar sind:
Gewitter, Wasserfälle und vieles andere.)
Bringt man die Dauerzustände in konzentrier-
tere, 5 — lo-prozentige Chlorammoniumlösung, so
findet zwar keine Entwicklung statt, die Aus-
keimung erfolgt aber prompt nach Übertragung
in eine normale Nährlösung; frischlebende Kulturen
aber ertragen die konzentrierte Lösung nicht, son-
dern gehen zugrunde. Die beschriebene Körn-
chenbildung ist also als eine der Sporulation
analoge Bildung von Dauerzuständen, zur Über-
windung ungünstiger Außenbedingungen, anzu-
') Als ,,Nähr"lösung enthält dieselbe übrigens viel zu
viel Stickstoff. Dem natürlichen Bedürfnis der Bakterien an
Kolilenstoff und Stickstoff würde es ungefähr entsprechen,
wenn man Kohlenhydrat und Ammoniaksalz im Verhältnis
von 20 : I darreichte. Die übergroße Salmiakgabe erklärt
wohl hinreichend die Deformation (Anm. d. Ref.).
sehen. Die Körnchen sind, gleich den Sporen,
austrocknungsfähig, aber bei weitem nicht im
gleichen Grade hitzebeständig. Vom Diphtherie-
Bazillus ist es lange bekannt, daß er Austrock-
nung überdauert, obwohl auch er keine Sporen
erzeugt; doch bildet gerade er sehr leicht und
intensiv die „metachromatischen" Körnchen aus.
Es sind höchst auffallende Gebilde bakterieller
Herkunft, die Herm. IVIüller-Thurgau (Cen-
trale, f. Bakteriol., IL Abt., 20. Bd., S. 353 ff.)
als Bakterienblasen oder Bacteriocysten
beschreibt. .Ähnliche, aber meist weit weniger
charakteristische Bildungen haben so manchen
Autor veranlaßt, wunderliche Theorien aufzustellen,
wonach die Spaltpilze gar keine selbständigen Zellen
bzw. Organismen, sondern nur Bestandteile, Bruch-
stücke bzw. Bausteine höherer Zellen sein sollten,
welch letztere aus Bakterien entstehen und wieder
in solche zerfallen könnten. Müller-Thurgau
steht auf diesem Standpunkte nicht, er beschreibt
die Dinge als das , was sie sind, als Gebilde
eigener Art, die mit Zellen wohl einige Ähnlich-
keiten aufweisen, aber selbst etwas ganz anderes
sind.
In Obst-, besonders Birnweinen fand Verfasser
nach abgelaufener Hauptgärung oft zahlreiche
blasenförmige Gebilde, von mikroskopischer Klein-
heit bis zu mehreren mm, in Ausnahmefällen
selbst von 10 — 20 mm Durchmesser. Den ein-
zigen Inhalt der Blasen bildeten Bakterien, niemals
wurden Fremdkörper darin gefunden; junge
Blasen sind mit Bakterien innerlich ganz erfüllt,
ältere nur noch teilweise, die Bakterienmasse
bildet dann ungefähr ein Kugelsegment, der
übrige, oft weit größere Raum ist mit Flüssigkeit
gefüllt.
Die Blasen entwickelten sich nur in Birnsäften
von einem mittleren Gerbstoffgehalt; ein solcher
dürfte für die Entstehung der Blasenhaut von
Wichtigkeit sein, ein Mehr an Gerbstoff hemmt
die Entwicklung derselben.
Die Haut ist an normalen Blasen durchaus
glatt, von mäßiger F"estigkeit, sie kann durch
Wasserverlust schrumpfen, um bei Wasserzutritt
wieder ganz das vorige Aussehen anzunehmen.
Häufig fanden sich entleerte Häute; die Bakterien
hatten , obwohl nicht selbstbeweglich , die
schützende Hülle wohl durch einen Spalt verlassen.
Die Bakterien sind in den Cysten bald mehr
in Form von Kurzstäbchen oder selbst Kokken,
bald als Langstäbchen oder als lange Fäden ent-
halten , die alle als Entwicklungsstufen einer Art
auftreten können, insofern die Fäden zu kokken-
artigen Kurzstäbchen zerfallen. Es sind durchweg
Milchsäurebakterien, die als neue Arten:
Bacterium mannitopoeum, B. gracile,
Micrococcus cystipoeus, beschrieben werden.
In günstigen Fällen konnten in Obstmosten
schon in der vierten Woche mit bloßem Auge
sichtbare Bacteriocysten auftreten ; da sie sich erst
nach der Hauptgärung entwickelten, und diese
14 Tage beanspruchte, so bleiben also 10 — 14 Tage
N. F. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
57
für die Entwicklung der Blasen. Die Entstehung
der Blasen konnte einwandfrei an Reinkulturen
verfolgt werden. Es bilden sich zunächst Fäden
der in Frage kommenden Bakterien aus, die sich
zu kleinen Knäueln verschlingen, deren oft mehrere,
zuweilen viele aus einem Faden hervorgehen und
so miteinander zusammenhängen, woraus dann
auch Gruppen von Blasen entstehen. Die Knäuel
nämlich werden durch reichliche Absonderung
von Schleim, der die Zellen auch dann noch zu-
sammenhält, wenn sie als Zellen sich voneinander
getrennt haben, zu Zoogloeen geballt, und
diese Zoogloeen sind es, die durch Abscheidung
einer leidlich resistenten Haut zu den Bacterio-
cysten werden. Die gruppenweise Entstehung
führt zur Bildung eines kleinen Nabels, der an
den Blasen auch dann noch wahrnehmbar ist,
wenn sie sich voneinander losgelöst haben. Wie
in der Entstehungsweise, so zeigt sich auch in
der Beschaffenheit der Zoogloeen in den Obst-
weinen eine große MannigfaUigkeit. Oft finden
sich in einem Obstweintrub fast nur einzelne
Zoogloeen verschiedener Größe, während in an-
deren Fällen die meisten in mehr oder weniger
losen Gruppen, von oft bis über loo Stück, zu-
sammenhängen. Die größte der beobachteten
Zoogloeen besaß einen Durchmesser von 2,6 mm.
Die Zoogloeen können sich nun mit einer
Membran umgeben, sie tun dies aber nur in gerb-
stoffreicheren Medien; so konnten unbehäutete
Zoogloeen, die in einem gerbstoffarmen Birnsaft
gewachsen waren, durch Übertragung in gerbstoff-
reicheres Substrat zur Blasenbildung übergehen.
Die Haut zeigt manche Ähnlichkeiten mit einer
Zellmembran, aber auch wichtige Unterschiede :
sie ist nicht doppelbrechend, unlöslich in Kupfer-
oxydammoniak, färbt sich nicht mit Jod -\-
Schwefelsäure. Auch Pilzcellulose dürfte nicht in
Frage kommen. Die Haut löst sich in gesättigter
Kalilauge in i — 2 Tagen vollständig auf, in
25-prozentiger Chromsäure schon in 30 — 60 Min.;
in starker Salzsäure unlöslich, färbt sie sich beim
Kochen in dieser rötlich, was auf Gerbstoff
schließen läßt. Sie dürfte ihrem Wesen nach eine
echte Niederschlagsmembran sein, ent-
standen infolge der Berührung der kolloidalen
Kittmasse der Zoogloeen mit dem Gerbstoff des
Nährmediums, wenn sie auch mit den nach
Pfeffer's Anweisung aus Leim und Tannin-
lösung erzeugten „künstlichen Zellen" nicht in
allen Punkten übereinstimmt. Letztere nämlich
zeigen unter dem Mikroskop eine Menge Unregel-
mäßigkeiten, entstanden durch Risse, welche durch
erneute Niederschläge verschlossen wurden ; solche
fanden sich nicht in den Häuten der Bacterio-
cysten, die vielmehr stets glatt und gleichmäßig
erschienen, was auf ein sehr langsames und regel-
mäßiges Wachstum schließen läßt. Die ,, künst-
lichen Zellen" sind in heißem Wasser leicht lös-
lich, die Bakterienblasen aber unlöslich. Zuweilen
fanden sich an den Blasen oder an sonst unbe-
häuteten Zoogloeen lange Schläuche, manchmal
schraubig gewunden, meist von unregelmäßiger
Form, von dergleichen Membransubstanz gebildet;
solche Schläuche (wohl an Rißstellen der Cyste
gebildet) konnten während ihres Wachstums be-
obachtet werden, es zeigte sich dann der Schlauch
an der Spitze offen, an der Öffnung stets von
einem feinen Gerinnsel umgeben, und verlängerte
sich rasch, indem am freien Ende stets neue
Wandpartien sich ansetzten. Bei starker Ver-
größerung erschienen die Schläuche wie aus lauter
kleinen Ansatzstücken aufgebaut. (Ganz dieselben
Erscheinungen kann man beobachten, wenn man
die Entstehung der bekannten Perrocyankupfer-
membranen unter Deckglas mit dem Mikroskop
verfolgt; Ref.) Die Blasenhaut zeigt übrigens
nachweislich Flächenwachstum und scheint auch
in die Dicke wachsen zu können; jedenfalls be-
ruht das allmähliche Größerwerden der Blasen
nicht auf bloßer Dehnung der Membran.
Die „biologische Bedeutung" der Bak-
terienblasen sieht Verfasser darin, daß sie eine
Schutzhaut darstellen. Da sie aber, wie der Ver-
fasser ausdrücklich feststellt, nur unter den künst-
lichen Bedingungen der Mostgärung überhaupt
zustande kommen, in natürlichem Substrat, in
faulenden Birnen, aber gar nicht zur Entwicklung
gelangen, so dürfte wohl die rein kausale
Auffassung die zu treffendere sein. Viel-
leicht haben wir gerade hier wieder einmal ein
Beispiel dafür, daß recht eigenartige Gebilde ent-
stehen können, obwohl sie keine biolo-
gische Bedeutung haben.
Wichtige Untersuchungen über Bienenkrank-
heiten veröffentlicht A. Maassen: Zur Ätio-
logie der sog. Faulbrut der Honig-
bienen, in Heft i, p. 53 des 6. Bandes der
Arbeiten der Kaiserl. Biolog. Anstalt für Land-
und Forstwirtschaft.
Seit Jahrzehnten haben die Imker zweierlei
Seuchen ihrer Pfleglinge beobachtet: die „gut-
artige" und die „bösartige P'aulbrut" oder „Brutpest".
Die gutartige Faulbrut befällt die unge-
deckelten Larven, die nach dem Tode breiartige
Beschaftenheit und einen starken Geruch nach
Kapronsäure annehmen, übrigens aber rasch ein-
trocknen. Die Bienen können die vertrockneten
Kadaver fortschaffen, worauf oft die Seuche von
selbst zurückgeht.
Der bösartigen Faulbrut erliegen die
gedeckelten Larven, die eine stark schleimige
Konsistenz annehmen, bei schwachem Faulgeruch;
die Krankheit ist nur durch energisches Eingreifen
zu bekämpfen, meist geht das ganze Volk oder
gar der ganze Bienenstand zugrunde.
Als Erreger der ersteren Infektion ist der seit
1885 bekannte Bacillus alvei anzusehen, der sehr
widerstandsfähige, jahrzehntelang keimkräftige
Sporen bildet, in Kulturen aber leicht degeneriert.
Sein Hauptsitz ist der Darmkanal der Bienen-
larven. Mit dem B. alvei gemeinsam findet sich
oft ein Streptokokkus von lanzettförmiger Gestalt,
58
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 4
Str.'apis, dem Str. pneumoniae und Str. lactis
verwandt, mit einem Temperaturoptimum von
36—39''. In den toten Maden sterben sie rasch
ab, wohl infolge selbst erzeugter freier Säure.
Die gegenseitigen Beziehungen der beiden Spalt-
pilze sind noch nicht völlig aufgeklärt; der
Streptokokkus scheint für sich allein zur Infektion
untauglich zu sein.
Die bösartige Erkrankung, die in fast 90 "/(,
der beobachteten Fälle festgestellt wurde . wird
durch Bacillus Brandenburgiensis n. sp.,
einen beweglichen, sporenbildenden Spaltpilz, her-
vorgerufen. Er findet seine üppigste Entwicklung
nicht im Darm, sondern im Fettkörper der Larven.
Seine Sporen sind über 20 Jahre lang haltbar,
aber weniger hitzebeständig als die von B. alvei.
Sehr charakteristisch und darum diagnostisch ver-
wertbar ist seine Eigenschaft, die Geißeln in
Menge abzuwerfen und dieselben zu ,, Geißel-
zöpfen" zu verflechten, die mit größter Ähnlich-
keit das Bild einer Spi roch acte (!) vortäuschen.
Bekanntlich ist von den Pathologen schon für
eine ganze Reihe sog. Spirochaeten nachgewiesen
worden, daß es sich nicht um solche , sondern
um Kunstprodukte oder Gebilde anderweiten
Ursprungs handelte.
In zahlreichen Fällen wurden auch Misch-
infektionen von Bac. alvei und Brandenbur-
giensis gefunden; dann war aber der erstere durch
den letzteren in seiner Entwicklung stark gehemmt
oder unterdrückt, und das Krankheitsbild war
ganz das der bösartigen Epidemie. Nur durch
ein besonderes Verfahren war es dann möglich,
neben dem Bac. Brandenburgiensis auch den Bac.
alvei herauszuzüchten.
Dr. Hugo Fischer.
Kleinere Mitteilungen.
Die Wiederkehr des Halley'schen Kometen.
— Der erste Komet, dessen Umlaufszeit erkannt
wurde und der daher einen Wendepunkt in der
Erforschung dieser Himmelskörper brachte, ist der
Halley'sche Komet. Er ist zugleich derjenige,
dessen Periodizität am weitesten zurückverfolgt
werden kann und von dem, obwohl seine Um-
laufszeit größer als die der übrigen periodischen
Kometen ist, die meisten Erscheinungen vorliegen.
Dies kommt wohl hauptsächlich daher, daß dieser
Komet bei jeder Wiederkehr eine außergewöhn-
liche Helligkeit hatte und daher stets die allge-
meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, so daß es
selbst für sehr frühe Zeiten gelingt, sein Auftreten
nachzuweisen. Freilich wird dieser Nachweis
immer schwieriger, je weiter die Erscheinung
zurückliegt, weil man im Altertum und auch noch
lange Zeit im Mittelalter die Kometen nicht für
Himmelskörper, sondern für irdische Lichterschei-
nungen hielt, die von Ausdünstungen der Erde
herrühren und daher nur ganz oberflächliche An-
gaben über ihren Ort und ihre Bewegungen am
Himmel machte.
Erst der Astronom Johann Müller genannt
Regiomontan beobachtete mit seinem Schüler
Walther den 1472 erschienenen Kometen syste-
matisch. Seinem Beispiel folgten in anerkennens-
werter Weise andere Astronomen, wodurch in der
Folgezeit ein viel sichereres und brauchbareres
Beobachtungsmaterial als bisher hinterlassen wurde.
Kepler, der zwar noch nicht an die kosmische
Natur der Kometen glaubte, nahm 1608 an, daß
sie eine geradlinige Bahn durchlaufen, während
der Danziger Astronom Joh. Hevel durch die
Beobachtungen des Kometen vom Jahre 1664 ver-
anlaßt wurde, sich dahin auszusprechen, daß sich
alle Kometen in krummlinigen Bahnen bewegen,
die von der geraden Linie nur sehr wenig ab-
weichen und deren konkave Seite sich gegen die
Sonne richtet.
Am 4. November 1681 entdeckte Gottfried
Kirch in Koburg einen großen Kometen, den
auch G. S. Dörffel in Plauen eifrig beobachtete.
Dieser machte nun zum erstenmal den Versuch,
die Bahn eines Kometen zu bestimmen. Er be-
stätigte dadurch die Hevel'sche Idee und ergänzte
und erweiterte sie dahin, daß die Bewegungslinie
wohl eine Parabel sein möge, in deren Fokus die
Sonne stehe. Die Untersuchungen DörfTel's waren
nur auf graphischem Wege ausgeführt worden.
Bald darauf entwickelte aber J. Newton eine erste
Methode einer rechnerischen Bahnbestimmung und
erprobte sie auch an dem Kometen des Jahres
1680. E. Halley wendete sie dann auf alle ihm
zugänglichen Kometenbeobachtungen an und
konnte 1705 bereits 24 Bahnen mitteilen.
Ein Vergleich seiner Rechnungen ließ
nun die große Ähnlichkeit der Bahnen des
von Peter Apian, des 1607 von J. Kepler
des 1681 von G. Kirch entdeckten Kometen er
kennen, deren Elemente die folgenden waren:
ihm
1531
und
Periheldurchgang
1531
1607
1682
Neigung der
Länge des
Länge des
Bahn
Knoten
Perihels
I7«56'
49''2S'
301 »39'
17 2
50 21
302 16
17 56
51 16
302 53
Periheldistanz
o,S7
o,S9
0,58
Bewegung
[ rückläufig
Er schloß daraus, daß der Komet in etwa Bahn keine Parabel, sondern eine geschlossene
76 Jahren die Sonne umkreise und daß daher die Ellipse sei. Auch glaubte er, daß der im Jahre
N. F. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschriit.
59
1456 erschienene Komet mit diesem identisch sei,
wenn er auch aus Mangel an guten Beobachtungen
dafür keine Bahn berechnen koonte. Ja so sehr
war sein Vertrauen auf seine Rechnungen, daß er
die Wiederkehr des Kometen für das Jahr 17 58,
also "jG Jahre später ansagte.
Diese erste Vorhersage ging auch wirklich in
Erfüllung, wenn er sie auch nicht mehr selbst er-
leben sollte, da er bereits 16 Jahre vorher im
Jahre 1742 im 87. Lebensjahre sein taten- und er-
folgreiches Leben abgeschlossen hatte. Seit dieser
Zeit ist der Name Halley's mit diesem Kometen
verknüpft.
Wie man schon aus der obigen Zusammen-
stellung sieht, sind die Perioden der Rückkehr
nicht ganz gleich, wodurch die Zeit der Wieder-
kehr auch entsprechend unsicher wird. A. Cl.
Clairaut unternahm daher neue Untersuchungen,
wobei er den Einfluß der Störungen durch Jupiter
und Saturn berücksichtigte, aus welchen hervor-
ging, daß dadurch eine Verzögerung von 618 Tagen
eintrete, weshalb er die Rückkehr des Kometen in
sein Perihel auf Mitte April 1759 ansagte, wobei
er eine Unsicherheit in der Zeit von einem Monat
angab.
Der Komet wurde am 25. Dezember 1758
wieder aufgefunden, während er sein Perihel am
13. März 1759 passierte, also 32 Tage früher, als
die Rechnungen Clairauts ergeben hatten, wobei
aber zu berücksichtigen ist, daß dieser Termin
noch innerhalb der Unsicherheitsgrenze der
Rechnung liegt. Die Unsicherheit wird noch ver-
ständlicher, wenn man bedenkt, daß der Komet
jeweilen nur einige Hundert Tage beobachtet
werden kann, während die ganze Umlaufszeit
86006 Tage beträgt, so daß dieser F"ehler erst
ein Tausendstel der Umlaufszeit ist. Überdies
muß man berücksichtigen, daß damals noch nicht
die zwei äußersten Planeten, Uranus und Neptun,
entdeckt waren.
Die nächste Rückkehr zum Perihel hatte G. D.
Pontecoulant für den 13. November 1835 be-
rechnet, während sie nur drei Tage später, am
16. November eintrat. Bei dieser Berechnung war
der Einfluß des 1781 von Herschel entdeckten
Uranus schon berücksichtigt worden.
Die englischen Astronomen P. H. Co well
und A. C. D. Crommelin unternahmen, nun in
den letzten Jahren eine neue und genaue Unter-
suchung der Bahn des Kometen, wobei sie seinen
Laufauch soweit wie möglich rückwärts verfolgten.
Schon früher hatte Pontecoulant die Erschei-
nungen seit 1531 untersucht und durch die
Rechnungen von G. Celoria, der die Beobach-
tungen von Toscanelli aus dem Jahre 1456
wiedergefunden hatte, stand fest, daß der Halley-
sche Komet auch in diesem Jahre erschienen war.
Die weitere Rückwärtsrechnung, die mit großen
Schwierigkeiten verknüpft ist, hat nun den beiden
genannten englischen Astronomen die Gewißheit
gebracht, daß bis zum Jahre 1066 die Erschei-
nungen sicher gestellt und daß wohl auch die
beiden Kometen vom Jahre 451 und 760 mit ihm
identisch sind. Nach ihren weiteren Llntersuchun-
gen gehört auch der im Jahre 87 v. Chr. in Italien
beobachtete Komet hierher und wahrscheinlich
der nach den chinesischen Berichten 240 v. Chr.
erschienene Komet, der also noch um zwei weitere
Umläufe zurückliegt. Von den dazwischen liegen-
den Erscheinungen fehlen bisher die nötigen An-
gaben, doch lassen sich wahrscheinlich noch einige
weitere namentlich in China beobachtete Kometen
identifizieren.
Man hat daher die folgenden sicheren Er-
scheinungen des Halley 'sehen Kometen :
Sonnennähe Umlaufszeit
87 V. Chr.
451 Juli 3. a. St.
760 Juni II.
1066 April I.
1145 April 29.
1222 September 15.
1301 Oktober 22.
1378 November 8.
1456 Juni 8.
1531 August 25.
1607 Oktober 27. n. St.
1682 September 14.
1759 März 12.
1835 November 16.
1910 April 13.
Man kann diesen Zahlen entnehmen, daß die
Umlaufszeit des Halley'schen Kometen innerhalb
mehrerer Jahre hin- und herschwankt und im
Mittel etwa 76 '/.j Jahre ist, daß sie aber infolge
der Störungen, die der Komet durch die Planeten
erfährt, bald längere, bald kürzere Zeit beträgt.
Seine Bahn (Fig. i) ist äußerst langgestreckt, wes-
halb der Komet im Perihel bis innerhalb der Venus-
bahn gelangt, während er im Aphel noch um
767 Millionen Kilometer weiter von der Sonne
absteht, als der äußerste Planet Neptun, der in
fast 4500 Millionen Kilometer Entfernung von der
Sonne seine Bahn hat. Er kann daher sich der Sonne
bis auf 102 Millionen Kilometer, gegen 58 des
Merkur und 108 der Venus, nähern, während er
über 6200 Millionen Kilometer sich wieder ent-
fernt. Da seine Bahn aber gegen die Erdbahn
um 17^ geneigt ist, so erhebt er sich im Perihel
um 27 Millionen Kilometer über (nach der Nord-
seite) und im Aphel um 740 Millionen Kilometer
unter (nach Süden) der Erdbahn. Es leuchtet
aber unmittelbar ein, daß seine Bahn, je nach
der Stellung der Planeten mehr oder minder
stark verändert werden kann, woher auch die
großen Schwankungen der Umlaufszeiten rühren,
die ja bei den Planeten so regelmäßig sind.
Der Halley'sche Komet ist bei allen seinen
Erscheinungen ein prachtvolles Beobachtungs-
objekt gewesen, so zeigte er z. B. 1758 einen
"]"] Jahre
77-2 „
76,5 ..
79 Jahre i Monat
•]•] „ 4 Monate
79 - I
n ., —
n n 7
75 -, 2
76 „ 2
74 „ 9
1^ „ 5
76 „ 7 ,.
74 „ 5
6o
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 4
Schweif bis 30" Länge. Besonders interessante
Wahrnehmungen machte F. W. Bessel 1835.
Am 2. Oktober sah er eine fächerförmige Licht-
ausströmung in der Richtung gegen die Sonne,
die sich in den folgenden Tagen rasch änderte und
teilweise eine pendelartige Bewegung annahm, für
welche Bessel eine Periode von 2 Tagen 9 Stunden
berechnete, während der Schwingungsbogen den
dritten Teil des Kreisumfangs umfaßte. Alle diese
und ähnliche Beobachtungen von der D. F. A r a g o ,
J. Herschel u. a. zeigen, daß der Komet in fort-
währenden Wandlungen begriffen ist, die auf das
Aussehen und unter Umständen auch auf den
Lauf des Kometen von Einfluß und Bedeutung
sind.
Die bevorstehende Rückkehr des Halley 'sehen
und daher auch nahe in der gleichen Ebene mit
den übrigen Planeten ist.
Die mit römischen Ziffern bezeichneten
Punkte der Erd- und Venusbahn bezeichnen den
Ort dieser Gestirne je am Anfange des betreffen-
den Monats. Anfangs März 1910 tritt der Komet
in Erdbahnentfernung, die Erde selbst ist aber
dann recht weit entfernt. Rasch aber nähern
sich beide Gestirne. Am 13. April findet der
Periheldurchgang des Kometen statt und im Mai,
kurz nachdem er den absteigenden Knoten passiert
hat, wird er in Erdnähe stehen, worauf er sich
wieder rasch entfernt.
Am günstigsten ist wohl die Erscheinung,
wenn der Komet sich im Juni und Juli der Erde
nähert, da dann die Beobachtung in der Entwick-
l'ig. I. Die Bahn
des llalley'schen
Kometen imPlaneten-
system.
Flg. 2. Der Lauf des Kometen Halley bei seiner nächsten Wiederkunft.
Kometen findet die Astronomen mit neuen Hilfs-
mitteln ausgerüstet, nämlich dem Spektroskop und
der Photographie. Mit Hilfe der letzteren hofft
man auf eine frühzeitige Entdeckung, was für
seine Bahnberechnung besonders wichtig ist. Die
beistehende Figur 2 gibt nach den Rechnungen
von Cowell und Crommelin einen Anhaltspunkt
über die zu erwartende Erscheinung, indem der
Weg vom I. Januar 1909 bis i. Juli 1911 ange-
deutet ist.
Während dieser Zeit bleibt der Komet immer
ziemlich weit vom Jupiter entfernt, dessen Ort
für den i. Januar 1908 und 1909 eingezeichnet
ist. Die beiden folgenden Jahre wird er ent-
sprechend weiter außerhalb der Bahn stehen.
Recht nahe kommt dagegen der Komet dem
Mars insbesondere zu Beginn des Jahres 1910,
wo er durch seinen aufsteigenden Knoten geht
lung seines Schweifes am leichtesten ist. Trifft
er die Erdnähe in den folgenden Monaten, so ist
die Schweifentwicklung noch nicht so weit vorge-
schritten, daß günstige Beobachtungen möglich
wären. Aber auch dieses Mal steht der Komet
recht günstig.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Komet
in der nächsten Zeit mit Hilfe der Photographie
gefunden wird, also zu einer Zeit, wo er
sich noch in der Nähe der Jupiterbahn be-
findet. Er wird dann nur eine unscheinbare
runde Nebelmasse ohne Schweif sein, da dieser,
falls er schon vorhanden, in entgegengesetzter
Richtung von der Erde aus steht. Sein schein-
barer Ort war bis im November 19Q8 in
den Zwillingen, nördlich vom Orion, von wo
er langsam nach Westen weiter rückte. Mit
der Annäherung an die Marsbahn wird auch sein
F. N. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
6i
Lauf am Himmel schneller. Er bewegt sich durch
den Stier bis zu den Fischen in den nächsten
beiden Monaten, wo er Mitte April stationär wird
und dann im raschen Lauf nach Osten eilt.
Zur Zeit seiner größten Erdnähe am lO. Mai 1910
ist seine scheinbare Bewegung so rasch wie die
des Mondes, also 15" bis 20" in einem Tage.
Zur gleichen Zeit erreicht er seine größte Helligkeit.
Je nachdem der Komet früher oder später,
als den 13. April, nach den Rechnungen von
Cowell und Crommelin, in sein Perihel (Sonnen-
nähe) gelangt, ist seine Stellung zur Erde ver-
schieden. In diesem Falle ist er im Mai der Erde
am nächsten, aber da er dann sehr nahe bei der
Sonne steht, kann man ihn dann nur einige Tage
vorher, anfangs Mai am Morgen und Ende Mai
am Abend sehen. ')
Prof. Messerschmitt-München.
') Eine ausführliche Aufsuchungsephemeride des Kometen
wurde im Dezember 1908 in den .Astronomischen Nachrichten
publiziert. Ked.
J. Nusbaum, Beitrag zur Frage über die
Abhängigkeit der Regeneration vom Nerven-
system bei Nereis diversicolor O. F. Müll.
(Arch. f. Entwicklungsmechanik der Organismen
Bd. XXV, 1908). — Trotz der zahlreichen Ar-
beiten über die Regeneration verschiedener Tiere
ist die wichtige Frage, ob die Regenerationsvor-
gänge von dem Zentralnervensystem beeinflußt
werden, bisher nicht endgültig gelöst. Es liegen
zweierlei Ansichten vor : Die einen Forscher (Jost,
Rabes, Morgan) haben die Abhängigkeit der Re-
generationsprozesse vom Nervensystem konstatiert,
die Beobachtungen anderer (Carriere, Barfurth,
Loeb) sprechen gegen den Einfluß desselben auf
die Regenerationsvorgänge. In der vorliegenden
Arbeit sehen wir einen Versuch, diese Frage zu
ergründen und gleichzeitig dieselbe theoretisch zu
erklären. Die Experimente hat Verf. an Nereis
diversicolor und zwar folgendermaßen ausgeführt
(Fig. i). Es wurden dem Wurme die letzten
Segmente (7 — 15) abgeschnitten und von den
übrigen an 4 — 10 Segmenten das Bauchmark aus-
geschnitten oder mit einer glühenden Nadel zer-
stört. Durch Autotomie warfen die Würmer ein-
zelne von den operierten Segmenten ab, es blie-
ben aber immer i — 3 Segmente mit zerstörtem
Bauchnervenstrang. Die Wundheilung ging ganz
normal vonstatten.
Bei den auf diese Weise operierten Tieren
trat aber eine Verzögerung im Regenerations-
prozesse ein , erst in der 6. — 7. Woche konnte
man einen kleinen Regenerationskegel konstatieren,
während bei den Tieren, denen bloß das Hinter-
ende abgeschnitten wurde, schon in der 3. — 4.
Woche der Regenerationskegel erschien.
Die Ursache dieser Verzögerung zeigt die
mikroskopische Untersuchung der operierten Wür-
mer; es wird nämlich zwischen dem Prozeß der
Wundheilung und der eigentlichen Regeneration
des Hinterendes (der Neubildung neuer Segmente)
ein ganz besonderer Prozeß eingeschaltet, die
Neubildung des Nervensystems in denjenigen Seg-
menten , in denen es zerstört wurde. Sagittal-
schnitte durch die operierten Tiere zeigen einige
Tage nach der Zerstörung des Bauchmarkes
(Fig. 2), daß von dem intakt gebliebenen Bauch-
marke Nerven gegen das Hinterende des Wurm-
körpers wachsen und an denjenigen Stellen, wo
die Bündel derselben mit dem Epithel in Berüh-
rung kommen eine Proliferation des letzteren be-
ginnt, welche die zur Regeneration des Bauch-
markes dienenden Zellen liefert. Außer dieser
Zellanhäufung am hinteren Ende hat der Verf.
an der Grenze zweier Segmente ebenfalls eine
Fig. I. Der hintere Körperteil von Nereis diversicolor dem
einige Segmente abgeschnitten und in den drei weiteren das
Bauchmark zerstört wurde. Vergrößert. (Nach Nusbaum.)
Fig. 2. Ein Teil eines Sagittalschnittes durch die V'entralwand
einer Nereide einige Zeil nach der Operation.
a Analöffnung, d Darmepithel, b Blutgefäße, e Epithel,
n Bauchmark. (Nach Nusbaum.)
Proliferation des Hauptepithels konstatiert und
vermutet daher, daß fast an der ganzen Bauch-
fläche, wo das Nervensystem zerstört wurde, seg-
mentweise vom Epithel zelliges Material zur
Regeneration des Bauchmarkes zugeführt wird.
Erst, nachdem der zerstörte Teil des Bauch-
markes vollständig regeneriert, beginnt der eigent-
liche Regenerationsprozeß, d. h. die Bildung einer
Proliferationszone vor dem Analsegment, in wel-
cher median die Anlage des Bauchmarkes und
lateral die Anlagen für das Cölomgewebe und die
longitudinale Muskulatur liegen.
Aus obigen Experimenten zieht N. den Schluß,
daß die Wundheilung von der Anwesenheit des
Nervensystems nicht abhängt, dagegen der Rege-
62
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 4
nerationsprozeß von demselben beeinflußt wird.
Für den Einfluß des Nervensystems auf die Re-
generation 'spricht die Verzögerung des Regenera-
tionsprozesses sowie das stetige Vorausgehen der
Reparation des Bauchstranges der Ausbildung des
Analsegmentes. Bei der ontogenetischen Ent-
wicklung ist dagegen der Einfluß des Nerven-
systems von keiner Bedeutung, was aus zahlreichen
Versuchen anderer Forscher zu ersehen ist. Diesen
Unterschied zwischen dem ontogenetischen und
dem Regenerationsprozesse hebt der Verf beson-
ders hervor und sucht ihn dadurch zu erklären,
daß bei der ontogenetischen Entwicklung die
Auslösung von Erbpotenzen vor der Differenzierung
des Nervensystems stattfindet und daher von dem-
selben nicht beeinflußt werden kann, dagegen bei
der Regeneration, wo eine Rückdifferenzierung
der sonst passiven und nur ihresgleichen produ-
zierenden Elemente stattfindet, „liefert das Nerven-
system einen der wichtigsten formativen inneren
Reize, welche die Auslösung von Erbtendenzen
in den Elementen der Wunde bedingen". Diese
Reize werden wahrscheinlich beim Zusammen-
treffen der Nervenfasern mit den Elementen der
Wunde denselben übermittelt. Während der Re-
generationsprozeß durch formative Reize des
Zentralnervensystems bedingt ist, genügen zur
Heilung der Wunde traumatische Reize, der erstere
Prozeß kann daher ohne Nervensystem nicht zu-
stande kommen, während der letztere, auch wenn das
Nervensystem im betreffenden Segmente zerstört
wurde, sich in ganz normaler Weise vollzieht.
Karoline Reis.
Wetter-Monatsübersicht.
Bis gegen Ende des vergangenen Dezember war es in
der westlichen Hälfte Deutschlands mild , aber größtenteils
T[5mj5eralur-5t&inima oini^si* ürlc im DciombsrlSOS
I OBXe.nb.. 8
BwlinerWelferburftau.
trübe, während im Osten etwas liälteres und gleichzeitig
freundlicheres Wetter vorherrschte. Besonders warm für die
Jahreszeit waren die ersten Tage des Monats, in denen, wie
aus der beistehenden Zeichnung ersichtlich, sogar die Tem-
peraturminima in verschiedenen Gegenden 5 oder mehr Grad
über dem Gefrierpunkte lagen. Das wiederholte sich später
noch um die Monatsmitte ; an vielen Orten des Rhein- und
Wesergebictes ging das Thermometer in der Nacht zum 15.
nicht unter 8" herab und stieg an diesem und dem folgenden
Tage bis auf 12 oder 13, iu Aachen bis 14° C.
In Ostdeutschland sanken die Temperaturen bald nach
.Anfang Dezember ziemlich bedeutend, in der Nacht zum 7.
zu Osterode bis auf — 10, zu Bromberg bis — 9, zu Posen,
Breslau und an anderen Orten bis — S" C, ohne daß der
Erdboden durch eine hinreichende Schneedecke vor dem
tieleren Eindringen des Frostes geschützt war. Kurz darauf
trat hier etwas milderes Wetter ein und hielt auch während
der zweiten Hälfte des Monats noch an, nachdem im Westen
bereits eine langsame Abkühlung begonnen hatte, die bis fast
zum Schlüsse des Jahres mehr und mehr zunahm. Im Osten
aber erfolgte mitten wäTirend des Weihnachtsfestes ein
schroffer Übergang zu strengerem Froste, der sich am meisten
in Westpreußen, Hinterpommern und Posen steigerte. In der
klaren Nacht zum 28. brachten es daselbst Marienburg bis
auf 31, Graudenz auf 28, Lauenburg auf 25, Bromberg
auf 24, Schivelbein auf 23, Konitz und Tremessen auf
21" C Kälte. Auch zu Berlin gehörten der 28., 29. und 30.
mit Mittellemperaturen von — 13,4, — 14,7 und — 13. ■" C
fast zu den kältesten Dezembertagen, die man nach lang-
jährigen Aufzeichnungen hier erwarten kann. Die mittleren
Temperaturen des Monats waren demgemäß östlich der Elbe
um I bis 1 Va Grad zu niedrig, während sie in Nordwest-
und Süddeutscliland ihren normalen Werten nahezu ent-
sprachen.
Die in unserer zweiten Zeichnung dargestellten Nieder-
schläge waren zwar sehr häufig, ihre Mengen aber im allge-
meinen gering. .Anfangs fanden an der östlichen Ostseeküste
i,r Ü-l .N .Si 3-13^ J
=Hl.Ji:Hi>l11|ii1ii
■ 1 1 1 1 ' 1
! J-Il i 1 i 1 1
LibIIII .1 lll ..
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EdEEil^l iUl
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■ziliM _ki-iitbt
^ifflcpcr Werl" für
DeuFscMand
Monatesummc im DezcmD.
.07, QB. 05. 01. 03.
ßerJire. WtfTtfbureou.
zahlreiche Regenfälle statt, die sich allmählich weiter nach
Westen und Süden ausbreiteten und im Osten mehr und mehr
in Schneefälle übergingen. Zwischen dem 10. und 20. De-
zember regnete es am stärksten an der Nordseeküste, am
Rhein und in seiner weiteren Umgebung sowie in ganz Süd-
deutschland, wo es bis dahin fast völlig trocken geblieben
war.
N. F. VIII. Nr. 4
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
63
Wahrend der nächsten fünf Tage, in manchen Gegenden
auch schon früher, higerle über dem Frdboden bestandig ein
aufierordcntlich starker Nebel, durch den der Verkehr, be-
sonders in West- und Mittcldcutschhind, nicht unerheblich
erschwert wurde, doch kamen wesentliche Niederschläge in
dieser Zeit nur vereinzelt vor. Dann stellten sich nordöstlich
der F.lbe zahlreiche Schneefälle ein, die sicli bis zum Kndc
des Monats fast täglich wiederholten und allmählich auf ganz
Deutschland ausdehnten. Am stärksten waren sie an der
pommerschen und westpreußischen Küste, wo der Schnee zu-
letzt durchschnittlich I '/j Dezimeter hoch lag. Die gesamte
Xiedersclilagshöhe des Monats aber betrug für den Durcli-
schnilt aller berichtenden Stationen nicht mehr als 20, g mm,
während die gleichen Stationen im Mittel der früheren De-
zembermonale seit beginn des vorigen Jahrzehnts 49,9 mm
und im Dezember 1907 sogar 67,6 mm Niederschlag geliefert
haben.
In der allgemeinen Anordnung des Luftdruclvcs traten
von einem Tage zum anderen meistens nur langsame Ände-
rungen ein. In den ersten Tagen des Dezember befand sich
in Kußland eine umfangreiche Barometerdepression, von der
verschiedene Teilminima mit milden, feuchten Südwestwinden
nach der Ostseeküste gelangten , während Südwest- und
Mitteleuropa von einem Hochdruckgebiet eingenommen wur-
den. Nachdem sich dieses am 4. mit einem zweiten , aus
Nordwesten neu herangekommenen Ma.ximum vereinigt hatte,
wurde es durch mehrere außerordentlich tiefe atlantische
Minima, die rasch hintereinander bei Island auftraten und
nordostwärts fortzogen, weiter und weiter nach Osten gedrängt.
In Ostdeutschland herrschten daher jetzt längere Zeit hindurch
ziemlich kalte, trockene südöstliche Winde vor, während im
Westen etwas mildere Südwinde wehten.
Erst am 20. Dezember vermochte das barometrische
Ma.\imum, das inzwischen in Rußland an Umfang und Höhe
noch zugenommen hatte, sein Gebiet wieder auf den größten
Teil des europäisciien Festlandes auszudehnen. Bald darauf
zerfiel es in mehrere Teile, von denen sich der eine nord-
westwärts verschob, und am 25. Dezember abermals mit
einem neuen Barometermaximum in Verbindung trat, das vom
nördlichen Eismeer nach Nordskandinavien vorrückte. Dort
erreichte das Maximum in den nächsten Tagen 785 mm
Höhe und die von ihm ausgehenden eisig kalten, scharfen
Nordostwinde führten in beinahe ganz Nord- und Mitteleuropa
außerordentlich strenge Kälte lierbei. Auf den britischen
Inseln aber und im westlichen Mittelmeergebiete hielten sich
gegen Ende des Monats ziemlich tiefe Depressionen auf, die
dort lange anhaltende starke Niederschläge verbreiteten und
von denen auch einzelne , jedoch sehr flache Teilminima auf
das Festland gelangten. Dr. E. Leß.
Bücherbesprechungen.
Alois Sigmund, Die Minerale Niederöster-
reichs. 194 Seiten mit 8 Original-Abbildungen
und 3 Profilen nach Grubenkarten im Texte. Wien
und Leipzig, Fr. Deuticke. 1909. — Preis 6 Mk.
In dem eingehenden Werke wird das Vorkommen
von 1 1 2 verschiedenen aus Niederösterreich bislang
bekannt gewordenen Mineralien beschrieben ; eine Auf-
zählung der zu diesem Zwecke durchgesehenen Mine-
raliensammlungen und ein ausführliches Literatur-
verzeichnis ist der Arbeit vorangeschickt. Die Mine-
ralien werden, nach chemischem Grundsatz geordnet,
eins nach dem andern behandelt. Diese Art der An-
einanderreihung von Wichtigem und weniger Wichtigem
besitzt leider den Nachteil einer etwas geringen Über-
sichtlichkeit ; man erhält nur schwer ein anschauliches
Bild über die ganze Mineralverteilung im Lande; die
Einleitung des Buches genügt hierfür nicht. Wenn
man auch die Bedeutung gewisser Örtlichkeiten als
Mineralfundpunkte aus der Ausführlichkeit, mit der
sie behandelt sind, oder aus der Häufigkeit, mit der
einige von ihnen bei den einzelnen Mineralien wieder-
kehren, abnehmen kann, so würde doch ein Kapitel,
in dem die wichtigen und klassischen Fundpunkte
und zusammengehörige Gebiete in scharfumrissenen
Zügen ihrer Bedeutung entsi>rechend herausgehoben
sind, für den Leser außerordentlich anregend wirken.
Etwas wird dieser Nachteil durch eine Aufzählung
aller in Betracht kommenden ( )rtlichkeiten mit je-
weiliger Angabe aller dort gefundenen Mineralspezies
ausgeglichen.
Im übrigen bietet aber das Werk eine Fülle wert-
vollen Materials; eine solche Inventuraufnahme ist
gleich wichtig für den Mineralogen und den Sammler,
wie für den Techniker und Industriellen, der Aus-
kunft über das .auftreten dieses oder jenes Stoftes im
Lande wünscht, wie endlich für den, der auf einer
Studienreise begriffen, die wichtigsten Fundstellen be-
suchen will : aber gerade für diesen letzteren dürfte
oben genannter Nachteil fühlbar werden.
Der \Vert der vorliegenden Arbeit wird dadurch
erhöht, daß der Verfasser sich nicht auf die Mine-
ralien als solche beschränkt, sondern sie auch in ihrer
Verbreitung als Gesteine, wie Kalk, Dolomit, Marmor,
Gips, Magnesit, Kaolin, Kohle, Torf usw. bespricht.
Bei den technisch wichtigen IMineralien wird auch
ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Geschichte
des örtlichen Bergbaus in kurzen Zügen behandelt,
wodurch der Bergmann mancherlei Aufschluß über
noch vorhandene und früher nicht abgebaute Erze
erhalten wird. Namentlich dem Gold, Silber, Blei,
Eisen wird ein breiterer Raum gewährt. Die letzten
Kapitel über die Silikate, bei denen gleichzeitig auf
die Gesteine, in denen sie aufsetzen, übergegriffen
wird, werden weniger für den Praktiker als den wissen-
schaftlichen Mineralogen von Wert sein.
O. Schneider.
i) Pahde- Lindemann, Leitfaden der Erd-
kunde für höhere Lehranstalten. 6 Hefte kart.,
ä 60 Pf Berlin und Glogau, C. Flemming, 1907.
2) Dr. M. Geistbeck, Leitfaden der mathe-
matischen und ph\sikalischen Geogra-
phie. 30. u. 31. Auflage. 1S6 Seiten mit 116
Abb. Freiburg i. B., Herder, 190S. — Preis geb.
2 Mk.
1) Der Leitfaden von Pahde-Lindemann ist eine
von Dr. Lindemann besorgte, verkürzte Ausgabe des
größeren Lehrbuchs von Prof Dr. Pahde, das bereits
in zweiter Auflage vorliegt und viel Anerkennung
gefunden hat. Die Gliederung des Leitfadens in ein-
zelne Klassenhefte ist ein dankenswertes Entgegen-
kommen gegenüber dem Wunsche nach Erleichterung
der Schulmappe. Auch mit Rücksicht auf das „Zer-
lernen" der Schulbücher im Laufe des Schuljahrs ver-
dient diese Trennung Nachahmung. Die Darstellung
ist schlicht und klar, die Stoffauswahl wohlgelungen.
Besonders gut gefällt uns die im vierten und fünften
Heft an der Hand einiger lehrreicher Profile durch-
geführte Berücksichtigung der Geologie. Auch die
astronomischen und meteorologischen Teile des fünf-
64
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 4
teil Heftes zeichnen sich durch sehr sachgemäße,
klare Darstellung und saubere, instruktive Figuren
aus. Das sechste Heft ist eine sehr schön gedruckte
Zusammenstellung verkleinerter Abbildungen der be-
kannten Hölzel'schen geographischen Charakterbilder,
die wohl zu den beliebtesten Anschauungsmitteln
jeder Schule gehören. Hiermit wird dem Schüler zu
einem recht niedrigen Preise eine ihm sicherlich viel
Freude gewährende und förderliche Gabe angeboten.
2) Wenn es ein Werk bis zur 31. Auflage (aller-
dings wohl meist doppelt zählende) gebracht hat, so
bedarf es kaum noch einer Empfehlung. Es genüge
daher die Angabe, daß wir bei aufmerksamer Durch-
sicht nirgends auf veraltete Angaben gestoßen sind.
Die Figuren 20 und 21, welche irreale Stellungen
der Erdachse veranschaulichen sollen, halten wir für
entbehrlich, sie können in flüchtigen Schülern sogar
falsche Begriffe erwecken. Dagegen scheint uns eine
Besprechung der Methoden zur Bestimmung der
Sonnenentfernung recht wünschenswert. Bei den
neuen Sternen sollte als Beispiel lieber die Nova
Persei von igoi genannt werden. Unter den Doppel-
sternen sollten auch die durch Spektralanalyse als
solche erkannten Erwähnung finden. Im recht reich-
haltigen Literaturanhang verdiente unter A I auch
Newcomb's „Astronomie für jedermann" (Jena, G.
Fischer) Erwähnung , unter B III Koerber's Trans-
formator für sphärische Koordinaten (Berlin, D. Reimer)
und Schmidt's Sonnenzeiger (Wien, Freytag u. Berndt).
Prof. Dr. R. Fitzner, Die Regenverteilung
in den deutschen Kolonien. 115 Seiten.
Berlin, H. Paetel, 1907. — Preis 4 Mk.
Für den wirtschaftlichen Wert unserer Kolonial-
gebiete ist die Regenmenge an erster Stelle maßgebend.
Demgemäß sind in allen Kolonien eine größere An-
zahl von Regenstationen eingerichtet worden, die zum
Teil unter dankenswerter Unterstützung seitens der
Farmer arbeiten und bereits einen Überblick gewinnen
lassen. Die erste Zusammenstellung der Ergebnisse
dieser Messungen wird daher in Kolonialkreisen
ebenso interessieren, wie in dem der Fachmeteorologen.
Wir heben hier einige besonders markante Zahlen
heraus: In Kamerun schwankt die jährliche Regen-
höhe von 3 m (Küste) bis 10 m (Debundscha), in
Togo von 0,6 m (Lome) bis 1,6 m 1 Amedschowe).
Für Südwestafrika konnte bereits eine Regenkarte
entworfen werden , die Seite 40 wiedergegeben ist,
einen Küstenstreifen mit unter 100 mm jährlicher
Regenhöhe zeigt, nach dem Inneren zu eine allmäh-
liche Steigerung erkennen läßt , die jedoch im Süd-
osten des Gebietes (Warmbad) nicht über 200 mm
hinausgeht, während sie im Nordosten (Grootfontein)
500 mm überschreitet. Auch für Deutsch Ostafrika
finden wir Seite 72 eine Regenkarte. Hier liegt das
trockenste Gebiet (unter 750 mm) im Binnenlande,
südöstlich vom Viktoria Nyansa , während an der
Küste Regenhohen von 800 (im Süden) bis 1400 mm
(im Norden) beobachtet wurden. Im Kilimandjaro-
gebiet finden wir ca. 1500 mm, '^an einzelnen Punkten
der Kolonie aber (z. B. in Herkiüu und Rutenganio)
2 bis 3 Meter. In Neu-Guinea und den ozeanischen
Kolonien sind die Regenhöhen naturgemäß wieder
wesentlich höher. In Tsingtau fallen jährlich 600
bis 700 mm Regen, also etwa ebensoviel wie in
Deutschland. Hinsichtlich jahreszeitlicher Verschieden-
heiten müssen wir auf die Schrift selbst verweisen.
Kbr.
Literatur.
Lassar-Cohn, Prof. Dr.: Die Chemie im täglichen Leben.
Gemeinverständliche Vorträge. 6. verb. Aufl. (VIII, 344 S.
m. 24 Abbüdgn ) S". Hamburg '08, L. Voß. — Geb. in
Leinw. 4 Mk.
Nielsen, Doz. Dr. Niels: Lehrbuch der unendlichen Reihen.
Vorlesungen , geh. an der Universität Kopenhagen. (VIII,
287 S.) Lex. 8°. Leipzig '09, B. G. Teubner. — 11 Mk.,
geb. 12 Mk.
Schenck, Prof. Dr. Rud.: Physikalische Chemie der Metalle.
0 Vorträge üb. die wissenschaftl. Grundlagen d. Metallurgie.
(V, 193 S. m. 114 Abbildgn.) Lex. 8". Halle '09, W.
ivnapp. — 7 Mk., geb. in Leinw. 7,75 Mk.
Schneider, Prof Dr. Karl Camillo : Histologisches Praktikum
der Tiere f. Studenten u. Forscher. (IX, 615 S. m. 434
Abbildgn.) Lex. 8«. Jena '08, G. Fischer. — 15 Mk.,
geb. ib Mk.
Strasburger, Prof. Dr. F.duard : Das kleine botanische Prak-
tikum {. Anfänger. Anleitung zum Selbststudium der mikro-
skopischen Botanik u. Einführg. in die mikroskop. Technik.
6. umgearb. Aufl. (VIII, 258 S. m. 128 Holzschn.) Le.K. 8».
Jena '08, G. Fischer. — 6 Mk., geb. 7 Mk.
Thonner, Frz.: Die Blütenpflanzen Afrikas. Eine Anleitung
/um Bestimmen der Gattungen der afrikan. Siphonogamen.
(XVI, 673 S. m. I Karte u. 150 Taf) Lex. 8». Berlin
'08, R. Friedländer & Sohn. — 10 Mk., geb. in Halbfrz.
12 Mk.
Anregungen und Antworten.
Herrn Dr. G. A. in Greifswald. — Über die Technik
des Torfschlämmens linden Sie eine gute Zusammen-
stellung in Keil hack, Praktische Geologie, 2. Auflage.
Eine durch Abbildungen unterstützte Anleitung zum Bestimmen
der Pflanzenteile (namentlich Früchte usw., überhaupt Phanero-
gamenreste) gibt : I. Andersso n, Studier öfver Finlands Torf-
mossar (mit 4 Tafeln) ; Helsingfors 1S98 (leider schAvedisch ge-
schrieben, mit kurzem deutschen Auszug); ferner 2. M üll er , G.
und Webe r, C. A., Über eine frühdiluviale und vorglaziale Flora
bei Lüneburg. Abhandl. k. Pr. Geol. Landesanst. 1904 (mit
Tafeln). 3. Keid, Cl,, and M. Reid; The fossil Flora of
Tegelen-sur-Meuse, near Venloo , in the Provinz of Limburg
(mit 3 Tafeln). Verh.andelingen der kon. Akad. van Weten-
schappen te Amsterdam. II. Sektion. Amsterdam , September
1907. 4. Reid, Cl., and M. Reid, On the preglacial Flora
of Britain. Linnean Society's Journal, Botany, vol. XXXVIII.
igoS (^mit 5 Tafeln). Es ist aber dringend zu raten, die Be-
stimmungen nicht nur auf .\bbildungen zu gründen, sondern
unter allen Umständen rezentes Vcrgleichsmaterial zu Rate zu
ziehen. Eine diesbezügliche Sammlung legt man am besten
selbst an, da erfahrungsgemäß in den meisten Herbarien der
Museen und Institute Samen und Früchte der Pflanzen ent-
weder fehlen oder, in unreifem Zustand gesammelt, als Ver-
gleichsmaterial nicht brauchbar sind. Dr. J. Stoller.
Inhalt: Dr. Ernst Schultze: Vogelschutz in den Vereinigten Staaten. — Sammelreferate und tjbersichten : Dr. Hugo
Fischer: Neues aus der Bakteriologie. -- Kleinere Mitteilungen: Prof. Messerschmitt: Die Wiederkehr des
Halley'schen Kometen. — J. Nusbaum: Beitrag zur Frage über die Abhängigkeit der Regeneration vom Nervensystem
bei Nereis diversieolor. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Alois .Sigmund: Die Minerale
Niederösterreichs. — i) Pahd e-Lind emann: Leitfaden der Erdkunde. 2) Dr. M. Geistbeck: Leitfaden der
mathematischen und physikalischen Geographie. — Prof. Dr. R. Fitz n er: Die Regenverteilung in den deutschen Ko-
lonien. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten.
Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-VVest b. Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.j, Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue folge VIII. Band ;
der ganzen Keihe XXIV. Band.
Sonntag, den 31. Januar 1909.
Nummer 5.
Die Nutzpflanzen unter den Flechten.
[Nachdruck verholen.]
Von Prof. Dr. Victor Schiffner, Wien.
(Mit 25 Figuren.)
Die unscheinbaren Flechten werden von den letztere zu entfernen wird die Flechte in reinem
Laien gewöhnlich nur wenig beachtet und ge- Wasser mazeriert, dann getrocknet und gemahlen,
meiniglich für ein recht unnützes Produkt der Das Mehl wird abermals gewässert, um die Bitter-
schafifenden Natur angesehen, und doch finden keit ganz zu benehmen, und dann zu Brot ver-
sieh unter ihnen eine Menge von recht nützlichen backen oder zu einem Gelee in süßer oder saurer
Pflanzen, die sich der Mensch zu seinen Zwecken Milch zubereitet. Nach Thenard hat dieses
dienstbar gemacht hat, aber freilich sind die Mehl halb soviel Nährwert als Weizenmehl,
mannigfachen Nutzanwendungen der Flechten Daß diese Hechte dem Menschen durch
nicht so allgemein verbreitet, und so allgemein längere Zeit ausschließlich als Nahrung zu dienen
bekannt, wie die der meisten Nähr- und Nutz- vermag, ist durch die Tatsache erhärtet, daß John
pflanzen unter den höheren Gewächsen, und ich Franklin und die Teilnehmer an seiner Nord-
glaubte daher, daß es vielleicht nicht ohne Inter- polexpedition im Jahre 1821 wochenlang aus-
esse wäre, diesen Gegenstand in Kürze zusammen- schließlich von dieser Flechte lebten,
zufassen und über die Nutzpflanzen unter den In gleicher Weise wird gelegentlich das
Flechten zu berichten. ,, Renntier Moos" {Cladonia rangiferina] verwendet
Die Nutzanwendungen der Flechten lassen sich (Fig. 3, 4), welches eine ähnliche Verbreitung hat,
in drei Kategorien scheiden und möge nach wie Cetraria islaudica. Im nördlichen Finnland
diesem Gesichtspunkte der reiche Stoff, den ich hat man diese Flechte in Zeiten der Not, gemi.>cht
hier zu behandeln habe, eingeteilt werden : mit etwas Roggenmehl, zu Brot verbacken und
I. Die Flechten als Nährpflanzen für den nach Bosc gibt sie mit Milch ein nahrhaftes
Menschen und die Nutztiere.
2. Die Flechten als Heilmittel.
3. Die F"lechten in ihrer Verwendung zu tech-
nischen Zwecken (vorzüglich zur Erzeugung von
Alkohol und Farbstoffen).
I. Die Flechten als Nährpflanzen für den
Menschen und die Nutztiere.
Gelee.
Ebenso könnten Evernicn und Sticta piilino-
naria verwendet werden, letztere ist aber sehr
bitter durch das in ihr enthaltene Stictin; welches
extrahiert werden muß.
Gyrophora proboscidea (Fig. 10, 11) und G.
cylindrica {F"ig. 5, 6) werden von den Pelzjägern
im arktischen Amerika als Nahrungsmittel ver-
wendet und erstere, sowie Gyr. erosa werden in
Die Verwendbarkeit gewisser Flechten als Kanada gegessen und heißen dort „tripe de röche"
Nahrungsmittel beruht auf ihrem größeren oder (nach Lindsay).
geringeren Gehalt an Lichenin und Isolichenin In Japan und China spielt Gyrophora esciilenta
(Flechienstärkej. Dieser Stoff ist freilich in den Miyoshi (Flg. 7, 8) eine bedeutende Rolle; sie
Flechten stets gepaart mit Bitterstoffen (Cetrar- soll sehr wohlschmeckend sein und gilt als
säure u. a), welche die Flechten für den Menschen Delikatesse; sie wird in Wasser aufgekocht und
als Nahrungsmittel problematisch machen würden, meistens mit Shoju (d. i eine Sauce aus den
wenn sie sich nicht auslaugen und durch reich- Bohnen von Soja hispidd) gegessen. Sie wächst
liches Auswaschen bis zu einem hohen Grade in den Gebirgen Japans an feuchten Granitwänden
entfernen ließen. und wird von Krämern überall feilgehalten, auch
Besonders in Zeiten der Not und in den von bildet sie einen bedeutenden Exportartikel. Im
der Natur spärlich bedachten arktischen Ländern Japanischen heißt sie ,,Iwatake".
und in den Wüsten sind Flechten als Nahrungs- In Japan wird noch eine andere Flechte ge-
mittel verwendet worden. gessen : Alectoria sulcata (Lev.) Nyl., die dort
In dieser Beziehung kommen besonders folgende ,,Bandai-no-kinori" heißt (Fig. 9). Sie soll nach
Arten in Betracht. Miyoshi sehr wohlschmeckend sein.
Cetraria islandica („Isländisches Moos") ist F'ür die Wüsten Vorderasiens und Afrikas ist
nicht nur in Island und dem arktischen Gebiete von Bedeutung als Nahrungsmittel die merk-
rings um den Pol, sondern durch ganz Mittel- und würdige Krustenflechte Lecaiiora [Spaerotkid/ia)
Südeuropa verbreitet und bildet auf sandigen csculenta Evers., die überdies auch in den Wüsten
Böden oft Massenvegetation (Fig. I, 2). Nach Amerikas vorkommt und auch als Seltenheit auf
Berzeli US enthält sie 44% Lichenin, i "/^ Liehe- europäischem Boden (in Giechenland) gefunden
nostearin und daneben bittere Cetrarsäure. Um wurde. Die dicke hellbraune Kruste wächst auf
66
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 5
Felsen, wird aber vom Winde abgebröckelt und
in der Wüste hin und her gerollt, wodurch sie
zu ringsum gleich ausgebildeten, etwa erbsen-
großen Körnern auswächst, die oft in erheblicher
Masse in Mulden und Tälchen zusammengeweht
werden (Fig. 12). Es ist kein Zweifel, daß diese
Flechte das im alten Testament erwähnte „Manna"
sei, von dem die Juden in der Wüste lebten.
Daß die Körner dieser Flechte von den Wüsten-
stürmen weit verweht werden und stellenweise
als „Mannaregen" niederfallen, ist vielfach beob-
achtet (durch Parrot 1826, 1845 im Distrikt
Jenischehir usw.). Nach einer Analyse von
Goebel enthält die F"lechte 65.91 "/„ Kalkoxalat,
23 "/o Lichenin, 2,5"/,, Inulin, sie ist also viel
weniger nahrhaft als Cetraria islandica. Die
Tartaren bereiten daraus eine Art Brot. Nahe
verwandte eßbare Arten, vielleicht von L. esat-
Iciita nicht spezifisch verschieden, sind: Lecanora
desertornui Kremi^elh., L. affiiiis und L.friiticubsa.
Schließlich sei noch darauf verwiesen, daß
Forskäl berichtet, daß aus dem griechischen
Archipel ganze Schiffsladungen der auch bei uns
an Räumen gemeinen Evernia prunastri nach
Ägypten eingeführt werden, wo sie vermählen und
dem Mehl zugesetzt wird, um das Brot nach
dortiger Ansicht wohlschmeckender zu machen.
Fast noch wichtiger für gewisse Gegenden
sind die Flechten als Nahrungsmittel für die dem
Menschen unentbehrlichen Nutziiere, wodurch
diese Länderstrecken für den Menschen überhaupt
bewohnbar gemacht werden. Dies gilt besonders
von den Polargegenden, wo eine Flechte : Cladonia
raiigifcrina (das „Renntiermoos") (Fig. 3, 4),
nahezu die ausschließliche Nahrung des Renntieres
bildet, welches dem Bewohner dieser armseligen
Gegenden nicht nur unentbehrliches Zugtier ist,
sondern ihn auch mit allem zu seinem Leben
notwendigen, mit Nahrung, Kleidung, und mit
Knochen und Gehörn zu seinen Gerätschaften
versorgt. Die Wichtigkeit dieser Flechte kann
nicht besser charakterisiert werden als durch
folgenden Ausspruch Linne's, des großen Refor-
mators der deskriptiven Naturwi.ssenschaften, in
seiner Flora suecica: „Huic licheni innititur oecono-
mia et salus totius Lapponiae, hoc enim hyeme
toto sustentantur rangiferi, Lapponum pecora; Lap-
pones enim pastores sine Haccho et Cerere viventes"
(Auf dieser Flechte beruht die Volkswirtschaft
und Volkswohlfahrt von ganz Lappland, mit ihr
werden während des Winters die Renntiere, d. i.
der Viehstand der Lappländer unterhalten; die
Lappländer sind nämlich ein Hirtenvolk ohne
Wein- und Ackerbau). Außerhalb der arktischen
Zone ist diese Flechte als Viehfutter freilich von
geringerer Bedeutung; in Norwegen und Jütland
wird sie als Winterfütterung für Schafe und in
Krain für Schweine, Pferde und Ochsen verwendet.
Schulrat Steiner teilt mir mit, daß im Vintsch-
gau Usnca barbata als Notfutter für das Klein-
vieh eingesammelt wird und dann unter den
„Schab" (Laubholzzweige) gemischt wird.
II. Die Flechten als Heilmittel.
Eine tatsächliche Heilwirkung dürfte nur der
bereits erwähnten Cetraria islandica (Fig. i, 2)
zukommen, welche noch gegenwärtig gegen Er-
krankungen der Respirationsorgane als Tee an-
gewendet wird und wegen ihres Bitterstoffes wohl
auch gleichzeitig appetitanregend wirkt. ') Ihre
medizinischen Eigenschaften waren zuerst den
Bewohnern Islands bekannt. 1670 berichtet
Olaus Borrichius (Ole Borrich) über die-
selbe in der Schrift: De musco cathartico Islandiae
in Acta Havniensia und 1672 Breyne unter dem
Namen : Muscus Eryngii folio im III. Bande der
Miscellanea naturae curiosorum. Definitiv wurde
sie erst in den Arzneischatz aufgenommen über
Empfehlung von Linne (1737) und Scopoli
(1700). — Die Drogue kommt nicht aus Island
in den Handel, sondern vorzüglich aus Schweden,
der Schweiz (Kanton Luzern), Spanien, Deutschland
(besonders Fichtel- und Riesengebirge).
In- vorlinneischen Zeiten waren mehrere
Flechten (zumeist „per signaturam", d. h. wegen
äußerer Ähnlichkeiten) offizineil, so : Sticta pitlmo-
naria seit Beginn des 16. Jahrhunderts gegen
Lungenkrankheiten (Caesal pi n , Boer haveusw.),
Xaiithoria parietiiia gegen Gelbsucht, '-') Usiiea
barbata (als Muscus s. ajga arborum) auch als
Haarwuchsmittel und anderweitig (nach Theo-
phrast, Üioscorides, Plinius, Avicenna
u. a.), Cladonia pyxidata gegen Keuchhusten.
1697 kam in England der Pulvis antilyssns
(ein Heilmittel gegen Hundswut) durch Dampier
auf, welcher aus Pcltiger a canina (daher der Name)
und gleichen Teilen schwarzen Pfeffers bestand.
Auch Pcltigera aphthosa wurde als Heilmittel
(besonders als Anthelminthicum) angewendet.
Eines großen Rufes gegen Epilepsie erfreute
sich die Tolcnkopfsflechte, welche einst mit
horrenden Preisen bezahlt wurde. Es ist die ge-
meine Parnielia saxatilis, welche gelegentlich auf
alten Menschenschädeln wuchs.
Pcrtusaria amara (Fig. 19) wurde während
der napoleonischen Kontinentalsperre als Ersatz
für die Chinarinde empfohlen.
Ctilorea vulpina (Fig. 20) wird mit zerstoßenem
Glas von den norwegischen Bauern als Gift
gegen Füchse verwendet, ob das Glas oder die
Flechte verderblich auf die Füchse wirken, ist
nicht sicher; für Hunde soll sie giftig sein.
Von den Alpenbewohnern wird in manchen
Gegenden Thamnolia vermiciilaris als Mittel gegen
die Lungenseuche der Schweine angewendet (nach
persönlicher Mitteilung des Herrn Schulrates
Steiner).
III. Technische Verwertung der Flechten.
Es mögen hier vorweg die Nutzanwendungen
verschiedener Flechten genannt werden, welche
von minderem Belang sind.
'1 Ehedem wurde sie auch gegen Wechselfieber ange-
vendct (Müller und Cazin).
-) Auch als Fiebermittel und Adstringens.
F. N. VIII. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
67
Linne erzählt, daß die Kauern in Smaland
(Schweden) Hellen eandelariiis (Xanthoria Can
delarid) gepulvert zu Talglichtern mischen, um
sie gelb zu färben und sie den an Festtagen ver-
wendeten Wachskerzen ähnlich zu machen.
Nach Gmelin (Sibir. Reise III, p. 426) wird
in Sibirien in einem Kloster Stieta pulnionaria
statt des Hopfens zum Hierbrauen verwendet. Es
finden sich Angaben, daß dieselbe Flechte ge-
legentlich auch zum Gerben Verwendung fand.
findet in der Parfumerie vielfach Anwendung, da
sie (jerüche aufsaugt und festhält.
Weitaus wichtiger als die genannten, nur ge-
legentlichen Verwendungen ist die F~abrikation
von .Alkohol aus Flechten. Es wird zu diesem
Zwecke besonders Cladonia nrngi/'eriiia [V\g. 3, 4),
minder häufig auch Cetraria islaiidica (Fig. i, 2)
verwendet.
Das Verfahren dieser Alkoholgewinnung wurde
etwa 1826 in Frankreich von Roy entdeckt, aber
Nutzbare Flechten I. ( i'hotograpliie von J. Brunnthaler. )
Fig. I. Cetraria islanitica, steril (aus Böhmen). — 2. ('. islaiidica var. plafi/loha, mit Apothecien (Böhmerwald). — 3. Cladonia
rangiferinu var. spongiosa Mort., ist eine auf der Tundra häufige Form |^j illand, Igt. Mortensenl. — 4. Cladonia rantjif-rina
t. vulgaris, mit .Apothecien. — 5. Gyro/ihora cißindrica, mit .Apoth. | Böhmen). — 6. Dieselbe, von der Unterseite. — 7. Gi/ropliora
esculenia, IJberseite (Japan, Orig.-lix. von Miyoshi). — 8. Dieselbe, Unterseite. — g. Alectoria sutcata (Japan, Nikl<o, Igt.
Miyoshi). — 10. Gyrophora probosridea var. arctica, mit Apoth., Oberseite (Grönland, igt. Breulel). — II. Dieselbe, Unter-
seite. — 12. Sphaerotliallia esadenta, steril (Sahara von Algier, Igt. Hohenacker). — 13. Evernia prima slri, steril (aus Böhmen).
Als Weberschlichte wird eine aus Flechten
gekochte Gelatine von den armen Webern der
Gebirgsgegenden verwendet und anstatt Gummi
arabicum in einigen Stoffdruckfabriken besonders
in Lyon. Nach Roumeguere geben lange,
mazerierte Strauchflechten einen Leim zum Leimen
der Farben, der wie tierischer Leim wirkt; er ist
bekannt unter den Namen: „Colle forte" oder „Colle
de Flandre".
Physcia {Anaptyehia) ciliaris und andere Flechten
werden gepulvert zu kosmetischen Pudern ver-
wendet (,,Poudre de Chypre"). Evernia prunastri
erst 1868 durch Prof. Stenberg in Schweden
und später in Rußland behufs fabriksmäßiger
Herstellung von Alkohol in großem Maßstabe
eingebürgert.
Das Verfahren besteht in folgendem : Durch
Kochen in verdünnter Schwefel- oder Salzsäure
wird das Lichenin in Glykose verwandeil ; die so
behandelte Mechtenmasse wird neutralisiert mit
Kreide oder kohlensaurem Natron und ergibt dann
durch Gärung und Destillation einen sehr gtiten
Alkohol. Man soll aus I kg Flechten etwa '/., 1
Alkohol erhalten. Von i86g — 1883 sind in
68
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 5
Schweden 17 Fabriken entstanden. In dem Jahre
1809 soll Skandinavien 1 120 000 1 Flechtenspiritus
produziert haben. Es ist merkwürdig, daß in
neuerer Zeil nichts Sicheres mehr über diese In-
dustrie in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Es ist
zu vermuten, daß solche Fabriken auf die Dauer
mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben werden,
bezüglich der Beschaffung des nötigen Flechten-
materiales.
Zweifellos die wichtigste Verwendung der
Flechten zu praktischen Zwecken, wodurch einige
zu einem bedeutenden Artikel des Welthandels
geworden sind, ist die Bereitung von wert-
vollen Farbstoffen aus denselben. Wohl
der wichtigste dieser Farbstoffe ist die „Orseille".
Mit diesem Namen, der unbekannter Herkunft ist,')
bezeichnet man gegenwärtig im Weithandel
zweierlei: I. einen bestimmten aus Flechten her-
gestellten Farbstoff und 2. das Rohmaterial der
zu dessen Bereitung verwendeten Flechten.
Der Besprechung der Farbstoffflechten und
ihrer Produkte sollen einige historische Daten
vorausgeschickt werden.
Angeblich reicht die Kunst aus Flechten
Farben zu bereiten bis in das Altertum zurück.
Theophrast etwa 300 v. Chr. erwähnt „%o dk
növTinv <f'V-Ai)g", welches nach Krempelhuber
Roccella tincloria sein soll. Auch das bei Plinius
(Lib. 26, cap. 66) erwähnte Phycos thalassion,
quo in Creta vestes tingunt" soll eine Farbflechie
sein. Ich glaube eher, daß mit beiden irgend eine
Floridee (vielleicht Rhyfypitloca tincloria) gemeint
ist. Sicher unrichtig ist die Ansicht von Bory
de Saint Vincent, wonach der Purpur von
Tyros der Phönizier Orseille gewesen sein soll.
Es ist wohl zweifellos sicher, daß der Purpur der
Alten von Schnecken (M u rex a rte n) abstammte.
Sicher ist, daß diese Kunst lange im Orient be-
kannt war und von dort durch einen Florentiner
deutscher Abstammung Namens Federigo um
1300 nach Europa kam. Seine Nachkommen
wurden durch das Geheimnis der Orseillefabrika-
tion sehr reich und ein angesehenes Patrizier-
geschlecht, das sich Oricellari, dann Ruccellari
und endlich Ruccellai nannte.
Erst 1540 wurde die Bereitung der Orseille
durch Rosetti's Buch über die Färbekunst all-
gemeiner bekannt und 1729 trug M i c h el i durch
sein ausgezeicimetes Werk: Nova plantarum genera
viel zur Verbreitung der Keniunis von der Her-
stellung der Flechtenfarben bei.
Es ist hier nicht der Ort, genaue Angaben zu
machen über die Entwicklung der Technik in der
Bereitung der Flechtenfarben ; einige wenige Hin-
weise mögen genügen. Ursprünglich war das
Verfahren ein äußerst kompliziertes, durch An-
wendung zahlreicher ganz unwesentlicher Stoffe
und Manipulationen. Erst 1750 gab Hellot
(L'art de la teinture des laines) ein vereinfachtes
Verfahren an. Die Akademie von Lyon ver-
anstaltete eine Preisausschreibung für Arbeiten
über nützliche Flechten. 1787 wurden unter
dem Titel ,,Memoires sur les lichens" drei wichtige
preisgekrönte Arbeiten von Hoffmann, Willemet
und Amoreux publiziert, von denen die erste
bereits die Bereitung des Lackmus in Holland
beschreibt.
Die Entdeckung der chromogenen Substanzen
in den Hechten durch Robiquet, Heeren usw.
führte eine neue Ära in der Flechtenfarbentechnik
ein. Man suchte die chromogenen Stoffe rein
darzustellen und daraus die Farben herzustellen.
(Stenhouse 1848, Fouacier 1855, Frezon
1858.) Ein wichtiges Resultat dieser Bestrebungen
war die Erfindung des „Pourpre frangaise" durch
Guinon, Marnas und Bonnet 1858, über
dessen Herstellung Persoz') berichtet.
Gauthier deClaubery teilt 185Q ein von
H a 1 a i n e erfundenes Verfahren mit, durch welches
aus gewöhnlicher Orseille drei Produkte gewonnen
werden: i. ,,eine amaranihrote Seidenfarbe, 2. eine
rosarote, 3. als wichtigste die „Orseille solide".
Späterhin befaßte man sich wegen des wachsen-
den Einflusses der Anilinfarben nicht weiter mit
der Verbesserung der F"lechtenfarben.
Während aber durch die Anilinfarben fast alle
anderen Farbstoffe völHg verdrängt wurden, ist
dies mit den Flechtenfarben nicht der Fall. Sie
werden gegenwärtig noch viel zum P~ärben von
Wolle (seltener von Seide und zum Kattundruck)
verwendet, aber meistens nicht rein, sondern als
Gemisch mit anderen Farbstoffen, besonders um
diesen mehr Glanz zu geben (letzteres gilt beson-
ders vom Indigo).
Vielleicht alle Flechten könnten Farbstoffe
geben. Lindsay, Clerc, Lebail u. a. haben
über 500 Flechtenarten auf ihre Farbstoffe unter-
sucht und violette, braune, grüne, gelbe usw.
gefunden.
Von praktischer Verwendbarkeit sind aber nur
wenige und auch von diesen spielt nur eine ge-
ringe Anzahl eine bedeutende Rolle im Welt-
handel.
Vorweg mögen einige erwähnt werden, welche
sich keine hervorragende Stellung in der Farben-
fabrikation erringen konnten, aber doch von
einiger Bedeutung sind für beschränkte Distrikte.
In England wird aus Sticta fu/iiioiiaria eine
braune Farbe zum Färben von Stoffen gewonnen.
Wichtiger scheint Pannelia saxatilis zu sein,
aus der auch eine braune Farbe hergestellt wird.
Nach Hoffmann sind in Schottland jährlich
mehr als 200 Leute mit dem Einsammeln dieser
Flechte beschäftigt.
Uiiibilicavia piisttilata (Fig. 25) wird in Lyon
zum F"ärben von Seide (braun und rot) verwendet.
Von Bedeutung für den Welthandel sind aber
') Alle bisher gegebenen Erklärungen sind zweifellos
unrichtig.
') Persoz, Maliere colorante violette derivee de l'orseille
ou pourpre Frani;aise de M. Guinon (Rep. de chemie poure
et appliquee l8s9 p. 189) und Rouceray 1. c. p. 18IT. (1906").
N. F. VIII Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
69
nur folgende fünf Farbstoffe, die uns nun aus-
schließlich beschäftigen sollen: i. die Orseille
(= Orseille d' herbe), 2. das C u d b e a r oder
Persio, 3. der Orseilleex t rakt, 4. der
französische Purpur und 5. der Lackmus.
I. Die Orseille (Orseille d'herbe) wurde
früher so gewonnen , daß man die Flechten mit
faulendem Urin lange Zeit ma/.erierte und dann
Ätzkalk zusetzte. Später verwendete man statt
des Urins wässerigen .Ammoniak. Gegenwärtig
bereitet man diesen Farbstoff auf folgende
Gewebsteile der Flechten erkennen läßt, und in
Wasser und Alkohol leicht löslich ist. Die Lö>ung
ist mit Alkalien violett, mit Säuren schön rot.
2. Das Cudbear (so in England genannt)
oder der Persio (in Deutschland) ist ein rot-
violettes Pulver, bestehend aus der getrockneten
und zerriebenen Orseille. Dieser Stoff wird auch
,, roter Indigo" genannt und besonders in Kanada,
England und Schottland erzeugt.
Der Orseilleextrakt kommt in verschie-
denen Formen in den Handel als: ,, einfach".
Nutzbare Flechten II. (Photographie von J. B r u n n t h al e r.)
Fig. 14. Roccella phj/copsis, mit Soredien (Nrapel, Camaldoli). — 15- ß- phycopsis, mit Sor.dien (Madeira, Igt. J. Born-
müller). — i6. Ä. .Vuntiigiiei (hus M.idajjaskarJ. — 17. Ochrulechia tartarea, mit Apothecien (^Schweden, Öt', Risinge). — 18. 0.
tartarea, sterile Krusie (Schweden, Södermanland). — 19. Pertusaria amara (Aus Korfu). — 20. C'hlorea vvlpina, mit Apoihec.
(Tirol, Windisch -Matrei). — 21. Iloccella hypomecha (Teneriff--, Igt. Hory). — 22. R. ßicifurmis (Ma.li-iia. Igt. J. Born-
müller). — 23. DenJrographa leucophaea, mit Apoihec (Kalifornien, Igt. H. \V i 1 1 e y). — 24. Perittsaria tlealhala var. laevigata
(Bei Heidelberg, Igt. Zwackh). — 25. l'mbilicaria pustulata, mit Apothec. (.•\us Nied. -Österreich).
Weise. ') Die Flechten werden gekocht unter
Zusatz von 2 — 3 kg Kalk auf 100 kg Flechten.
Der Saft wird etwas eingedickt, die Flechten-
masse gereinigt und in 3 m langen Kesseln (die
man ,,barques" nennt) mit einem Teile des Saftes
und .Ammoniak (oder Gaswasser) täglich 3 — 4 mal
umgerührt, indem man die Temperatur auf
25 — 30" C erhält, nach 2 — 3 Monaten ist das
Produkt fertig. Dieses ist eine teigige Masse von
dunkelrotvioletter Farbe, die unter dem Mikroskop
') Verfahren der Fabrik Lucien, Picard & Co.
,, doppelt", „konzentriert", und als ,,Orseille-
karmin". Er wird aus dem ausgekochten Safte
der H'lechten (siehe bei Orseille) bereitet durch
Zusatz von Ammoniak und unter Durchlüftung
unter einer konstanten Temperatur von 25 — 30" C.
4. Der französische Purpur (pourpre
frangaise, pourpre de Guinon) ist eine
sehr schöne rotviolette Farbe, deren komplizierte
Herstellung Persoz ausführlich mitteilt. Es ist
im wesentlichen eine ammoniakalische Orzein-
lösung, gefällt mit Chlorkalcium.
5. Der Lackmus ist eine holländische Er-
70
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 5
findung; er wird aus RocccUa oder Ochrolechia
tartarea (Fig. 17, 18) hergestellt, ähnlich wie die
Orseille, aber durch sehr lange Gärung unter
Anwendung von Kalk oder Pottasche u. Ammoniak.
Es ist im freien Zustande rot, seine Salze sind
blau. Mit Gips oder Kreide gemischt, kommt
er in Stücken oder Täfelchen in den Handel,
wird aber nur mehr als Reagens, zum Färben der
Wäsche und des Weines verwendet. Er wird in
Holland, Frankreich und einigen Orten West-
deutschlands hergotellt.
Die ,,Parelle" ist eine Orseille aus Ochro-
lechia parella, die nicht mehr in den Handel
kommt.
Obwohl man schon lange praktische Methoden
zur Bereitung der Farbstoffe kannte, war über
deren Entstehung wi>senschaftlich nichts be-
kannt; man wußte nur, daß die F'lechten selbst
keinen gefärbten Stoff enthalten, sondern daß
dieser erst durch gewisse Behandlung derselben
entstehe.
Angebahnt wurde die wissenschaftliche Er-
kenntnis dieser Vorgänge durch die Entdeckung,
daß die Orseille durch Umwandlung bestimmter
in der Flechte enthaltenen Stoffe entstanden sei,
die auch isoliert wurden, wobei aber leider wenig
Rücksicht genommen wurde auf sichere Bestimmung
des untersuchten Materiales, wodurch diese Re-
sultate nahezu wertlos wurden.
Rob'iquet entdeckte 1829 das Orcin in
Pertiisaria dcalbata, welches sich unter Einfluß
von Licht, Wasser und Ammoniak in Orseille
umwandelt. 1830 entdeckte Heeren andere
chromogene Substanzen: das Erythrin, Pseudo-
erythrin und die Roccellsäure.
Schunck entdeckt 1847 die Lecanorsäure
(C"'H'''0') und nennt das Erythrin passender:
Erylhrinsäure (C' H'-O'") ') Wir wissen jetzt,
daß die in den Färbeflechten, verschiedene
Flechtensäuren enthalten: Erylhrinsäure, Lecanors.,
Parells., Roccells. usw., die farblos und meist
Körper aus der Benzolreihe sind. -; Durch
Alkalien werden sie gespalten in Kohlensäure und
Orcin (C'H^O^), einen farblosen, in Wasser löblichen
Körper, welcher mit Sauerstoff und Ammoniak
das Orcein (C'H'NO'') gibt, einen braunen,
amorphen Körper, in Alkalien und Alkohol lös-
lich und violett werdend. Das Orcein ist der
wesentliche Bestandteil der Orseille, das nahe
verwandte braunrote Azolitmin (C'H'NO') ist der
wesentliche Bestandteil des Lackmus.
Über den wichtigen Prozeß der Entstehung
des Orcei'ns (resp. der Orseille) sind drei ver-
schiedene .Ansichten aufgetaucht. I. Amoreux
(1787), Robiquet (1829) erblicken darin einen
rein chemischen Prozeß. Das Orcin soll
') Eine Methode zur Herstellung reinen Erythrins gibt
Ronceray, Contrih. ä l'etude des Lichens a Orseille. 1904.
^) Nach Ronceray (1. c. 1904) sind die i'lechtensäurcn
Ausscheidungsprodukte des Flechtenpilzes; sie finden sich aus-
kristallisiert äußerlich an den Hyphen.
unter Einwirkung von Luft, Wasser und Ammoniak
ohne jedwede Fermentation Orcein geben.
2. Nach Czapek, Über Orseillegärung (in Centn
f Bakter. 1898) geschieht dies nur unter Einwirkung
eines Mikroben (eines Bacillus, ähnlich dem B.
subtilis), der von ihm auch rein gezüchtet wurde.
Derselbe entstammt dem zur Bereitung verwen-
deten faulen Urin.')
3. Ronceray (1. c. 1904) betont, daß Czapek
dabei das in den Flechten enthaltene freie Orcin
nicht berücksichtigt habe und daß Cz. selbst an-
gibt, daß mit Chlorofoi mzusatz dennoch eine
Violettfärbung (wenn auch verlangsamt) eintritt.
Ronceray weist nach, daß bei der Orseille-
bildung eine Mikrobe nicht unbedingt mittätig
sein müsse, daß aber dieselbe auch sicher nicht
ein rein chemischer Prozeß sei, sondern auf der
Wirkung einer in der Flechte enthaltenen Diastase
beruhe. Solches wurde schon früher von Du-
claux vermutet (Traite de microbiologie 1901).
Handelssorten.
Orseille nennt man nicht nur den F'arbstoff,
sondern im Handel wird auch das Rohprodukt,
die Farbstoff liefernden Flechten selbst, mit diesem
Namen bezeichnet.
Seit langer Zeit unterscheidet man im Handel
zwei Hauptsorten von Flechtenwaare : Die eine ist
die Orseille de terra (oder Or. de monta-
gne), durchwegs dorsiventral gebaute Flechten,
zumeist Krustenfiechten.
Pertiisaria dcalbata Nyl. var. variolaria liefert
die ,,Ors. der Pyrenaeen, Alpen und Sevennen" '-)
(vgl. Fig 24).
Lccauora (Ochrolechia) tartarea Ach. (Fig. 17, 18)
wird in Schweden (und Kanada) zu Persio ver-
arbeitet. Sie ist die „Ors. de Suede". '')
Umbilicaria pjistnlata DC. (Fig. 25) bildet den
Hauptbestandteil der ,,Ors. de Norwege".
In Schweden sollen auch Eveniia, Parmelia,
Gyropliora vellea u. a. zum Färben verwendet
werden.
Die Orseille de terre war einst von
großer Wichtigkeit; gegenwärtig spielt sie keine
nennenswerte Rolle. Von wirklicher Bedeutung
in der Farbenindustrie ist nur noch die zweite
Hauptsorte: Orseille de mer oder Ors. de
herbe (auch ,,Orchal" genannt).
Sie besteht fast ausschließlich aus Roccella-
Arten, ansehnlichen Strauchflechten, zumeist Felsen
der wärmeren Meeresstrände bewohnend. Im
Laufe der Zeit kamen über ein Dutzend Sorten
von Orseille de mer in den Handel, die nach dem
') Czapek faßt die Orseillegärung als einen Entgiftungs-
Ijrozeß auf. Der Bacillus spaltet aus den Flechtensäuren das
für ihn giftige Orcin ab, das Orcein ist für ihn unschädlich.
-') Nach F. Henneguy, Les Lichens utiles, (Paris 1883)
soll aber Ptrtusaiia dealbata an und für sich wertlos sein,
ebenso wie andere Flechtenarten, die als Gemisch in dieser
Orseille vorkommen. Sie verdanke ihre Anwendung als Farb-
stoff geringen Mengen von beigemischter Lecanoia.
^) In Schweden wird daraus auch eine braune Farbe
hergestellt, die dort „Boeltelet" heißt.
N. F. VIII. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
71
Ursprungslande oder Stapelplatze benannt waren,
wie z. B. „Orseilie des Canaries", ,,Ors. de Moga-
dor", „Ors. de Valparaiso", „Ors. de Manille" usw.
Diese Sorten enthielten nur selten eine einzige
Spezies, meistens Gemische von mehreren, was
ja auch natürlich ist, da oft mehrere von den
habituell nur schwer unterscheidbaren Arten ge-
meinsam wachsen. Systematisch wurden die
Arten von Roccella erst gründlich festgelegt in
Darbishires, Monographia Roccellarum (in
Bibl. botan. 1898), weswegen ältere Angaben über
die Zusammensetzung der Sorten der Orseilie de
mar ganz unsicher sind.
Von den 17 Spezies der genannten Mono-
graphie wurden, soweit dies aus der Literatur
hervorgeht, folgende als Orseilie verwendet:
1. Roccella fiiciformis (L.) DC. — Küsten des
Mittelmeers, des atlant. Ozeans von England bis
Senegal und Kongo, auch auf den atlantischen
Inseln. — Steinbewohnend (Fig. 22).
2. R. tinctoria DC. — Wie vorige, aber bis
zum Kap und auf Socotra und Neuseeland. —
Steinbewohnend.
3. A'. phycopsis Ach. — Verbreitet wie die
vorigen, aber weniger weit südlich an der atlant.
Küste; ist aber auch aus Madagaskar, Australien
und Neu-Kaledonien bekannt. — Steinbewohnend.
(Fig. 14, 15)-
4. R- hypoiHccha Ach. — Cap der Guten Hoff-
nung, Kanaren (Fig. 21).
5. R. portentosa Mont. — Chile und Peru. —
Steinbewohnend.
6. R.perucnsis Kremplh. — Kalifornien bis Chile
und auf St. Domingo. — Holzbewohnend.
7. R. difficilis Darbish. — Vielleicht nur stein-
bewohnende Form der vorigen; auch in Brasilien.
8. R. canaricnsis Darbish. — Kanarische Inseln.
Steinbewohnend.
9. A'. Montagnei Bei. — Trop. Afrika, Ost-
Indien, Ceylon, Ind. Archipel, China, Philippinen.
— Kommt auch im Binnenlande vor. — Holz-
bewohnend (Fig. 16).
10. DendrcgrapJia Icucopliaea Darbish. —
Habituell der Roccella fucifonnis ganz ähnlich
und früher mit ihr verwechselt. Wächst an
Steinen und Bäumen (Fig. 23).
Nach der Angabe von R o n ceray (1904), die
sich auf Mitteilungen eines Großhändlers in
Orseilie stützt, kommen gegenwärtig im Handel
nur noch folgende 4 Handelssorten in Betracht :
1. „Orseilie de Mozambique".
2. ,,Ors. de Madagascar" beide bestehend aus
Rocc. Montagnei.
3. „Ors. du Cap. Vert", angeblich aus A'.
tinctoria (wohl aber auch aus R. fiiciformis, R.
canariensis .- und R phycopsis .-).
4. „Ors. de Californie", bestehend aus Dendro-
grapha leucopliaea.
In letzter Zeit soll noch eine Sorte als
„Orseilie des colonies" in den Handel kommen,
die aus einem Gemisch von Usnea Arten besteht.
(Eine Probe enthielt U. plicata F>. und U. angu-
lata Ach.) — Erstere ist nahezu kosmopolitisch,
letztere in Nord- und Südamerika, Madagaskar,
Tasmanien, Neu -Seeland.
Ich will mit zwei statistischen Daten schließen,
welche ein beredtes Zeugnis abgeben von der
Wichtigkeit der Farbflechten und ihrer Produkte
im Welthandel. 1881 wurden in Frankreich im-
portiert an F^arbflechten 1486677 kg im Werte
von 2004793 F"r., im selben Jahre wurden ex-
portiert aus Frankreich an Flechtenfarbstoffen
I 018931 kg.
Anhang, betreffend die Literatur über den Nutzen
der Flechten.
Es liegt mir ferne, an dieser Stelle alle die Werke und
Abhandlungen aufzuzählen, welche sich mit unserem Gegen-
stande befaßt haben. l-ür den Zeitraum von den ältesten
Zeiten bis zum Jahre 1870 exi-tieit übrigens bereits eine
solche (nahezu vollständige) Zusamnien-tellung, auf die ich
hier verweisen kann, da sich das betreffende wertvolle Werk
in jeder grödren Bibliothek findet; es ist: A. v. Krerapel-
huber, Geschichte und Literatur der Lichen<ilogie., I. Bd.
liSby, II. Bd. 1869, III. Bd. 1872. Man findet daselbst im
I. Bd., p. 57q — 589, 59;— 601 und im III. Bd., p. gq — loo,
lOI 103 die Titel von 217 Schriften angegeben, welche sich
mit der Nutzbarmachung der Flechten befassen. Ich will nur
zur Ergänzung einige der wichtigeren Schriften über diesen
Gegenstand anführen, welche in den Verzeichnissen von
Krempelhuber nicht enthalten sind;
Ascherson, Eine im Februar 1880 auf dem Droguenbazar
in Cairo angekaufte Probe von Strauchflechten, (Sitzb. d.
Ges. nalurf Freunde zu Berlin 1S81}.
Berg, B., These de Dorpat, 1S72.
Bougon, La manne des Hebreux dans le desert, Le Natura-
liste, 1S98, p. 41 — 42.
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Leipzig 1786.
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Cetraria islandica, Berlin 1 S89. 20 p. 8°.
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Kot. Gaz., 1892, p. 418.
Clerc, Des Lichens et leurs produits, These de pharmacie
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Czapek, Über Orseillegärung, Centr. f. Bakteriol. VI, 1898,
p. 49.
Darbishire, Monographia Roccellarum, Bibl. botan. Nr. 45,
1898.
Dragendorf, Die Heilpflanzen der verschiedenen Völker
und Zeiten, ihre Anwendung, wesentlichen Bestandteile
und Geschichte, Stuttgart, F. Enke, 1898.
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Sammelreferate und Übersichten
über die Fortschritte in den einzelnen Disziplinen.
Neues aus der Astronomie. Eine neue
Auffassung der Sonnen Corona glaubt R.
W. Wood auf Grund der von ihm experimentell
festgestellten Emission polarisierten [Jchts seitens
fluoreszierender Gase verfechten zu können. Das
Licht der Corona ist bis auf etwa 1 1 "/,, in radialer
Richtung polarisiert, zeigt dabei ein kontinuier-
liches Spektrum mit einigen hellen Linien, vor
allem der grünen Coroniumiinie (^=5303), und
gibt am Bolometer keine auf Wärmestrahlung
deutende Ausschläge. Gerade dieses Felilen der
Wärmestrahlung ist nicht gut mit der meist ge-
machten Annahme vereinbar, daß das kontinuier-
liche Spektrum von weißglühenden, festen Teil-
chen herrühre. Dagegen bietet sich nach Wood's
Experimenten der Auffassung keine Schwierigkeit,
daß die Corona aus gemischten Metalldämpfen
bestehe, die unter dem Einfluß der Sonnenstrahlung
fluoreszieren. Die hellen Coronalinien könnten
einfacli Fluoreszenzlinien bekannter Elemente sein,
denn beim Natrium besteht, wie Wood gleichfalls
nachgewiesen, keinerlei Beziehung zwischen den
Fluoreszenzlinien und den auf andere Weise er-
regten, bisher bekannten Linien. (Phys. Zeitschr.
vom 15. September 1908.)
Die Aufnahme von Wass erst o f f wol k e n
(sog. Flocculi) in der Soniienatmosphäre
erfolgte bisher zumeist im Lichte der Linie Hj-
Neuerdings konnten solche Gebilde jedoch unter
Anwendung farbenempfindlicher Platten durch
Haie auf Mt. Wilson auch mit Hilfe der roten
H„ - Linie photographiert werden, wobei sich be-
merkenswerte Unterschiede gegen Bilder, die im
H,i - Licht aufgenommen waren, ergaben. Vor
allem zeigen sich am Sonnenrande die Protube-
ranzen im H„-Licht weit ausgedehnter, ja selbst
auf die Scheibe projizierte Protuberanzen wurden
in diesem Lichte abgebildet. Die Aufnahmen
machen den Eindruck ausgedehnter Wirbel, wie
sie von der Fleckentheorie Faye's bereits seit
langer Zeit angenommen wurden. Da die H„-
Wolken auch ein anderes Rotationsgesetz befolgen,
wie die vermutlich tiefer liegenden H<) -Flocculi,
so wären solche Wirbel auch nach der Helmholtz-
schen Luftwogentheorie an der Grenze ungleich
bewegter Schichten der Sonnenatmosphäre leicht
erklärbar. Gerade die Entstehung von Wirbeln
aus Luftwogen ist von Emden kürzlich näher
untersucht worden. Es scheint, daß diese theo-
retischen Entwicklungen durch die Fortschritte
in der Photographie der Flocculi eine treffliche
Bestätigung finden. - Besonders die im September-
heft (1908) des Astrophysical Journal reprodu-
zierten Aufnahmen zeigen die Wasserstoffwirbel
N. F. Vm. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
73
sehr deutlich. Durch Aufnahmen, die in kurzen Gestalt von Protuberanzen wieder zu erscheinen.
Intervallen aufeinander folgten, konnte direkt ver- Die Geschwindigkeit dieser ,, Stürme" in der
folgt werden, wie die Wasserstoffmassen der Sonnenatmosphäre erreichte Werte von mehr als
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■ -^ > "- \ X '
Der Komet Morchouse (1908 c) am 30. September 1908, um 14'' 22™ Cal. Z. Expositionsdauer i''50ii
1 cm = 0,24°.
X^ X \ . • Vj^^N^ --^^
;xn:^^So^ x:i: N
.x^\\. -:s
^ -■^^s^^nSv. ^
\. ,\x- \
V ^ : ^^ , \ \- V\ ^^\' ^X-.
Der Komet Morehouse (1908c) am 1. Olttober igoS um I,V'43"i Cal. Z Expositionsdauer 2''
I cm ^= 0,24".
Sonnenatmosphäre von den hlecken angezogen
und sozusagen verschlungen werden, um gelegent-
lich später in der Umgebung der Flecken in
100 km in der Sekunde. IVIerkwürdig ist dabei,
daß nur größere Wolken nach den Flecken hin
strömen, während die kleineren, vermutlich weil
74
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII Nr. 5
sie in einem anderen Niveau schweben, wohl auch
durch ihr Aussehen Strömungen andeuten, aber
keine so schnell erkennbaren Positionsänderungen
zeigten. Ihre Bewegung muß also eine wesent-
lich langsamere sein.
Aus Spektralaufnahmen von Sonnenflecken,
welche Haie unter Vorschaltung eines Fresnel-
schen Rhombus und eines Nicol'schen Prismas in
verschiedenen Stellungen des letzteren aufgenom-
men, zeigten sich in den verbreiterten und ver-
doppelten Linien gewisse Intensitätsunterschiede,
die nach Zeemann fast mit Sicherheit anzeigen,
daß es sich hier um die ersten kosmischen Fest-
stellungen des Zeeman n - Effekt s, d. h. des
Einflusses starker magnetischer Kraft auf die Licht-
schwingungen handelt. Die Sonnenflecken sind
danach, wie ja auch ihr Einfluß auf den Erdmag-
netismus erwarten ließ, starke magnetische Kraft-
felder, deren Kraftlinien auf der Sonnenoberfläche
nahezu senkrecht stehen. (Nature vom 20. August
1908.) Näheres hierüber teilte Zeemann auf der
Kölner Naturforscherversammlung mit. Während
man früher die verdoppelten Linien im Sonnen-
fleckenspektrum für durch Druck verbreiterte
dunkle Linien hielt, die von einer feinen, hellen
Emissionslinie überlagert und so nur scheinbar in
zwei Teile geteilt werden, ist durch Hale's neueste
Feststellungen erwiesen worden, daß es sich hier
in der Tat um einen von der Natur im größten
Maßstabe hervorgerufenen Zeemann-Effekt handelt.
Der Longitudinal-Zeemann-Effekt, d. h. die Beein-
flussung der Lichtschwingungen bei Betrachtung
in der Richtung der Kraftlinien, besteht in der
Zerteilung einer Linie in zwei entgegengesetzt
zirkulär polarisierte Komponenten. Ist aber das
magnetische Feld nicht gleichförmig oder die
Lichtquelle nicht homogen, so zeigen nur die
Ränder der verbreiterten Linie die Zirkularpolari-
sation. Haie konnte nun die Zirkularpolarisation
an den Linien 6302,7 und 6363,1 im Flecken-
spektrum vortrefflich nachweisen. Die Linien
zeigen sich je nach der Stellung des vorgeschal-
teten Nicol bald nach rechts, bald nach links ver-
breitert, während dicht dabei liegende atmosphä-
rische Linien keinerlei derartige Deformation auf-
weisen. Zeemann hat die betreffenden Aufnahmen
in Köln vorgezeigt und in der physikalischen
Zeitschrift vom 15. November 1908 veröft'entlicht.
Nach der neuesten Veröft'entlichung (Astrophys.
Journal, November 1908) hat Haie die Sicherheit
der hier wiedergegebenen Auffassung noch da-
durch wesentlich erhöhen können, daß er bei
entgegengesetzten Rotationsrichtungen der Sonnen-
wirbel auch umgekehrt gerichtete magnetische
Felder nachweisen konnte, wie man nach den
Beobachtungen an Solenoiden erwarten mußte.
Auch gelang es bereits, nahe dem Sonneiirande
lineare Polarisation in den Sonnenflecken nachzu-
weisen, also auch den TransversalZeemann-Effekt
(quer zu den Kraftlinien) zu beobachten. Die
Stärke des magnetischen Feldes, auf das diese P"or-
schungen schließen lassen, beträgt etwa 3000 Gauß.
Eine erhebliche Förderung haben Hale's Sonnen-
forschungen durch ein neues, auf Mount Wilson
aufgestelltes Instrument, das Turm-Teleskop,
erfahren, das nunmehr neben dem Snow-Teleskop
den spektrographischen Forschungen dient. Auf
einem 65 P'uß hohen Stahlgerüstturm ist ein mit
zwei sehr dicken (30 cm) Spiegeln versehener
Coelostat montiert, der die Sonnenstrahlen im
Innern des Turmes durch ein Objektivglas von
30 cm Öffnung und 18 m Brennweite vertikal
nach unten sendet. Am Grunde des Turmes be-
findet sich der Spalt eines Spektrographen Littrow-
scher Konstruktion und durch diesen fällt das
Licht in eine 9 m tiefe Untergrundkammer ein,
in deren Grunde das Kollimationsobjektiv und
darunter ein Rowland'sches Gitter angeordnet sind,
von dem das in ein Spektrum aufgelöste Licht
wieder heraufreflektiert wird, um hier die photo-
graphische Platte zu erreichen. Diese neue, durch
Beihilfen Carnegies ermöglichte Konstruktion hat
den Zweck, Störungen in der Bildschärfe zu ver-
meiden, die bei dünneren Spiegeln durch Gestalt-
änderungen infolge der Erwärmung auftreten, und
die andererseits bei horizontalem Strahlengang
durch vertikale Luftströmungen entstehen. In der
Tat sind mit dem Turm-Teleskop bereits ausge-
zeiclnnete Erfolge erzielt worden sowohl hinsicht-
lich der Fleckenspektra, als auch in bezug auf die
Rotationsbestimmungen aus der Ver-chiebung der
Wasserstofflinien. Während das Snow-Teleskop
nur etwa eine Stunde lang bei niedrigem Sonnen-
stande benutzbar ist, kann das Turm -Teleskop
fast den ganzen Tag über mit gutem Erfolge ge-
braucht werden.
Prof. M a r t u s hat seine Studien über die
Mondkrater, über die wir Seite 294 des vorigen
Jahrgangs berichteten, unter Benutzung der Pariser
photographischen Mondaufnahmen fortgesetzt
(Weltall, 8. Jahrg., Heft 21—24, 9. Jahrg., Heft i u. f.).
Die Grundrisse einiger Ringgebirge wurden nach
einem einfachen Verfahren ermittelt, wobei sich
wiederum, besonders bei größeren Kraterlöchern
in der Umgebung von Ringgebirgen, die nach
dem Mondrande zu langgestreckte Form einzelner
dieser Krater herausstellte, namentlich in hohen
nördlichen und südlichen Breiten. Das früher aus
Neison's Mondkarten abgeleite Ergebnis wurde also
durch die Ausmessung der Photographien im
ganzen bestätigt, wenn auch, wie zu erwarten war,
erhebliche Ungenauigkeiten der Zeichnungen zu-
tage traten. Der Betrag der Abweichung der
Mondkrater von der Kreisform ist in Wahrheit
erheblich geringer , als nach den Neison'schen
Zeichnungen gefunden war. Demnach hält M. an
der Aufsturztheorie fest. Aus den Mondphoto-
graphien konnte auch die Ortsveränderung der
Erde am Himmel des Mondes ermittelt werden.
Für einen Beobachter auf dem Monde würde die
Erde während jedes Monats eine länglich runde,
breit liegende Bahn von 13 — 15 Grad Durchmesser
im Sinne der Uhrzeigerbewegung beschreiben.
Die mögliche Breite des Nebelringes, aus dem
N. F. VIII. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
75
unser Mond hervorging, dürfte nach den Rech-
nungen von Martus weniger als 12 Erdhalbmcsser
betragen haben. Im Anscliluß an diese Betrach-
tungen wurden auch die Salurnringe , sowie die
Monde Saturns und Jupiters rechnerisch unter-
sucht. Martus kommt dabei zu dem Ergebnis,
daß die große Anziehungskraft des Saturn das
Aufrollen seiner Ringe zu Trabanten verhindert,
da die einzelnen Ringteilchen infolge der großen
Saturnnähe sehr erhebliche Geschwindigkeitsunter-
schiede aufweisen müssen und daher einander
nicht lange genug nahe bleiben, um sich vereinigen
zu können. Vm den Marsmond Phobos und die
vier seit 1892 entdeckten Jupitermonde hält Martus
die Entstehung aus Dunstringen für unmöglich,
da hier die Geschwindigkeitsunterschiede noch
größer als in den Saturnringen sein müssen. Diese
Trabanten müssen demnach als eingefangene
Planetoiden angesehen werden, während der Mars-
mond Deinios noch aus einem Ringe hervorge-
gangen sein kann.
Der Komet Morehouse (1908c) war eine
der hellsten Erscheinungen der letzten Jahre und
konnte bei der hohen, nördlichen Deklination im
Oktober und November in unseren Gegenden
zeitweilig mit bloßem .Auge wahrgenommen wer-
den. Besonders intensiv war die Wirkung des
Kometenlichtes auf die photographische Platte,
so daß eine große Reihe schöner Photographien
gewonnen werden konnten. Barnard hatte bis
zum 26. Oktober bereits 190 Aufnahmen gemacht,
über die er im Novemberheft des Astrophysical
Journal berichtete. Durch diese Aufnahmen sind
sehr schnell sich vollziehende, wesentliche Ver-
änderungen im Aussehen des Kometen festgehalten
worden. Die stärkste Änderung ereignete sich
zwischen dem 30. September und i. Oktober und
wird durch die hier wiedergegebenen Bilder ver-
anschaulicht. .Am 30. September wurde eine un-
gewöhnlich hell leuchtende Materie vom Kopf
ausgeschleudert, die am darauffolgenden 1 age nur
noch in sehr aufgelöstem Zustande weitab vom
Kopfe im Schweif zu erkennen ist. Dicht am
Kopf zeigt der Schweif am i. Oktober deutlich
eine Zerspaltung in mehrere, unter verschiedenen
Winkeln ausströmende Strahlen. Barnard hat in
beiden Nächten mehrere .Aufnahmen gemacht, und
wenn diese noch durch europäische, in die
Zwischenzeit fallende Aufnahmen ergänzt werden
könnten, würde man alle Stadien der großen Ver-
änderung scharf verfolgen können. Spätere Auf-
nahmen desselben Kometen, über die Barnard im
Dezemberheft des Astrophys. Journal berichtet,
zeigten nochmals am 15. Oktober ein explosions-
artiges Anschleudern von .Schweifmaterie, die sich
bis zum 16. mit der gleichbleibenden Geschwin-
digkeit von 3,3' pro Stunde vom Kopf entfernte.
Im ganzen hatten bei diesem Kometen die Kräfte,
welche die Bewegung der Schweifteilchen be-
stimmten, ihren Sitz mehr im Kometen selbst und
nicht, wie es die verschiedenen Theorien annehmen,
in der Sonne. Eine in kurzen Zeitintervallen sich
wiederholende Pulsation der Helligkeit des Kopfes
glaubt Barnard mit dem A\ige übrigens sowohl
bei diesem wie bei dem Daniel'schen Kometen
mit Sicherheit beobachtet zu haben. — Die photo-
graphisch besonders hohe Wirksamkeit des Lichtes
von Komet Morehouse spricht sich auch darin
aus, daß am 5. November der dem Auge infolge
des Mondlichts völlig unsichtbare Schweif gleich-
wohl in einer Ausdehnung von 8 — 9 Grad photo-
graphiert werden konnte.
Eine umfassende spektrographische Durch-
musterung des Himmels in bezug auf
radiale Geschwindigkeiten ist in den
Jahren 1903 bis 1907 in Bonn durch F. Küstner
und Zur hellen für die Sterne des zweiten und
dritten Spektraltypus bis herab zur vierten Größen-
klasse ausgeführt worden. Die Geschwindigkeits-
werte, die aus der Verschiebung der Spektrallinien
im Vergleich mit einem mitphotographierten
Eisenspektrum sich ergaben, finden sich im Juni-
heft des Astrophysical Journal veröffentlicht. Unter
den 99 Sternen, die in Bonn beobachtet wurden,
befinden sich 15, von denen bereits die Veränder-
lichkeit der Geschwindigkeit bekannt war und
drei weitere (d Tauri, i Bootis und ,» Pegasi), bei
denen eine solche Veränderlichkeit auf Grund der
Bonner Bestimmungen vermutet werden muß.
Der wahrscheinliche Fehler des aus einer Platte
sich ergebenden Geschwindigkeitswertes beträgt
+ 0,64 km , die Messungen zeichnen sich also
durch eine hohe Genauigkeit aus.
Die Bahnelemente des Algol haben
durch Curtiss auf Grund der bis jetzt vorliegen-
den Messungen der radialen Geschwindigkeit die-
ses Sterns eine erneute Behandlung erfahren, durch
welche festgestellt wurde, daß Algol samt
seinem dunklen Begleiter sich auf einer Bahn von
nicht weniger als 89 Millionen Kilometer Radius
in 1,9 Jahren um einen dritten, ebenfalls nicht
sichtbaren Stern bewegt. Die radialen Geschwin-
digkeiten zeigen nämlich eine entsprechende
periodische Schwankung (Amplitude 9,4 km). Es
ist zu vermuten, daß die gegenseitigen Anziehungen
zwischen den drei das Algol-System zusammen-
setzenden Himmelskörpern alle Abweichungen
erklären , welche die Beobachtungen der Minima
gegen die Vorausberechnung zeigen, der die An-
nahme einer einfachen Doppelsternbahn zugrunde
liegt. (Astrophys. Journal, September 1908.)
Auf dem Gebiete der Himmelsphotogra-
phie wird besonders eifrig am Harvard-Obser-
vatorium unter Pickering's Leitung gearbeitet.
Man hat hier in Verbindung mit der peruanischen
Filiale zu Arequipa kürzlich eine Aufnahme des
gesamten Himmels auf nur 55 Platten vollendet,
die sich durch einen außerordentlichen Reichtum
an Sternen (vielfach bis herab zur 12. Größe) aus-
zeichnet und sich namentlich für das Studium der
veränderlichen und neuen Sterne sehr nutzbringend
erweisen wird , zumal Glasnegativkopien käuflich
abgegeben werden. Exakte Positionsbestimmungen
lassen dagegen diese Platten bei der Ausdehnung
1^
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 5
des auf einer jeden abgebildeten Himmelsgebietes graphischen Himmelskarte (vgl. Naturw. Wochen-
naturgemäß nicht zu, wie ja auch gar nicht be- Schrift Bd. 5, S. 753 f-) irgendwie Konkurrenz zu
absichtigt war, der großen, internationalen photo- machen.
Kleinere Mitteilungen.
Die Sinnesempfindungen des Amphioxus
untersucht G. H. Parker in einer ausführlichen
Arbeit (Proceedings of the .American Academy of
Arts and Sciences, Vol. XLIII, 1908). Das Material
bestand aus Branchiostoma caribaeum Sunde-
vall, einer westindischen Art, die unserem B.
lanceolatum nahe verwandt ist. Die erwähnte
Art kam in der Nähe der Bermuda Biological
Station sehr häufig vor. Es konnten daher täg-
lich frische Exemplare beschafft werden, die sich
mehrere Tage im Aquarium hielten. Parker
untersuchte die Wirkungen von Licht, Hitze, me-
chanischen und chemischen Reizen auf die Tiere.
Durch verschiedene Beobachter (wie Willey,
Nagel und Hesse), war angegeben worden, daß
Amphioxus sehr empfindlich gegen Licht sei.
Wenn nämlich Licht plötzlich in das Aquarium
fällt, so schwimmen alle Exemplare wild durch-
einander. Parker konnte durch sorgfältiges Ex-
perimentieren feststellen, daß diese Erscheinung
nicht auf das Licht direkt zurückzuführen ist.
Durch das Licht veranlaßt, schwammen nur einige
Tiere umher; durch Berührung reizten sie ihre
Nachbarn, so daß auch diese unruhig umher-
schwammen. Das erregte Schwimmen ist also
mehr durch den Reiz der Berührung, als durch
den Einfluß des Lichtes veranlaßt. Amphioxus
ist also nach Parker nur wenig gegen Licht
empfindlich. Eine Veränderung des Verhaltens
der Tiere konnte nie bei einer plötzlichen Ab-
nahme des Lichts beobachtet werden, aber immer
bei einer schnellen Steigerung.
Man hat sich seit langem über die Organe
der Lichtempfindung bei Amphioxus gestritten.
So wurde der ansehnhche Pigmentfleck am Vorder-
ende des Nervenrohrs von joh. Müller, Retzius
u. a. für ein primitives Auge gehalten. Hesse
glaubte, daß das Licht durch zwei seillich liegende
Gruppen von Integumentzellen am Vorderende
des Tieres aufgenommen würde. Nüßlin war
der Meinung, daß das Vorderende der Rücken-
flosse lichtempfindlich wäre, während Nagel diese
Eigenschaft der gesamten Haut zuschrieb. Hesse
vertrat dagegen die Ansicht, daß die zahlreichen
kleinen Pigmentflecken des Rückenmarks einfache
Augen wären, die man mit denen der Planarien
vergleichen könne. Durch verschiedene Experi-
mente, besonders durch Exstirpation des einen
oder anderen Organs wurde Parker zur Bestäti-
gung der Hesse 'sehen Theorie geführt. Es
dürften demnach wohl die „Rückenmarksaugen"
die wirklichen Aufnahmeorgane des Lichtes dar-
stellen. Der Teil des Körpers von Amphioxus,
der durch Licht gereizt werden kann, breitet sich
von einem Punkte etwas hinter dem Vorderende
bis zur Schwanzspitze aus.
Wie W. Müller schon 1874 gezeigt hat, ist
Branchiostoma lanceolatum negativ phototropisch;
die gleiche Eigenschaft zeigt auch B. caribaeum.
Amphio-xus schwimmt also von einer Lichtquelle
weg. Da er sich bei Belichtung bewegt und erst
in dunklen Gebieten ruht, bezeichnet man ihn als
photokinetisch (photodynamisch).
Einige Beobachter haben gemeint, der Amphi-
oxus grabe sich so in den Sand ein , daß das
Hinterende hervorrage. Man hat aber gefunden,
daß dies nicht der Fall ist, sondern daß das Vorder-
ende frei hervorsteht. Auch dieses wird bei Be-
lichtung noch eingezogen, eine Wirkung, die wahr-
scheinlich auf die vordersten Rückenmarksaugen
zurückzuführen ist. Es ist aber eine irrtümliche
Meinung, daß der Amphioxus nur am Tage in
den Sand eingegraben sei und eine näclnliche
Lebensweise führe. Parker konnte beobachten,
daß die Tiere auch während der Dunkelheit in
ihrer Lage im Sande verharren. Wahrscheinlich
verändert Branchiostoma caribaeum seinen Wohn-
platz nur, wenn es dazu gezwungen wird.
Parker untersuchte ferner den Einfluß der
Hitze auf Amphioxus. Das Seewasser, in wel-
chem die Tiere lebten, hatte eine Temperatur
von 31" C. Dieser Wärmegrad wurde als der
normale angenommen. Schon bei 40" C starben
die Tiere. Durch längeren Aufenthalt in Wasser
von 4" C werden die Tiere ebenfalls getötet. Von
Gebieten warmen Wassers schwimmt Amphioxus
hinweg; er gehört also zu den negativ thermo-
tropischen Tieren.
Wie schon oben dargelegt ist , beruht die
augenblickliche große Empfindlichkeit des Amphi-
oxus gegen Licht hauptsächlich auf der leichten
Reaktion mechanischen Reizen gegen-
über. Die empfindlichsten Teile sind die Mund-
kapsel und die Mundeirren. Auf eine Berührung
derselben reagiert das Tier stets durch eine Rück-
wärtsbewegung.
Der „c he m ische Sin n" des Amphioxus hat
seinen Sitz in der ganzen Körperoberfläche und
besonders in der Mundregion. Jedenfalls dient
dieser Sinn dazu, den Amphioxus vor ungünstigen
chemischen Umgebungen zu schützen. Nagel
hat bereits gezeigt, daß die Tiere gegen Chloro-
form usw. empfindlich sind; er sagt, daß jeder
Teil des Körpers ungefähr gleich empfindlich gegen
chemische Reize ist, ja, daß das Hinterende emp-
findlicher als irgendein anderer Körperteil sei.
Parker verwandte zu seinen Experimenten Säuren,
süße, bittere und alkalische Substanzen, sowie
Mischungen von Öl und anderen Stoßen. Er
konnte feststellen, daß die Körperoberfläche des
N. F. Vm Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
n
Amphioxus empfindlich ist gegen Lösungen von
Salpetersäure, Pottasche, Pikrinsäure, Alkohol,
gegen starken Äther, Chloroform, Terpentin, Ber-
gamotöl, Rosmarinöl, aber nicht gegen Zucker-
lösungen. Ebenfalls reagiert er auf verdünntes
Seevvasser und auf Süßwasser. Da Amphiojtus
die oben genannten chemischen Substanzen flieht,
kann man ihn als negetativ chemotropisch be-
zeichnen.
Den Experimenten , die wohl als einwandfrei
bezeichnet werden können, schließt der Verfasser
noch einige Betrachtungen über das Nervensystem
und die Sinnesorgane des Amphioxus an. Wir
wollen auf diesen Teil der Arbeit nicht näher
eingehen, da es noch eingehender Untersuchungen
bedarf, ehe alle diese Probleme geklärt sind. Man
erkennt aber aus Park er 's Beobachtungen, daß
es von großem Wert ist, immer wieder die Le-
bensweise auch häufig vorkommender Tiere zu
studieren. Erst eine vergleichende Zusammen-
stellung aller Lebenserscheinungen kann uns ein
völliges Verständnis des Tierlebens ermöglichen.
Dr. Brohmer, Jena.
Ein Meteorkrater. — Immer wieder lenkt
das Colorado Plateau im südwestlichen Anteil der
Vereinigten Staaten von Nordamerika die Augen
der Geologen und Geographen auf sich : die sehr
eigenartigen Beziehungen zu den jungen tektoni-
schen Störungen, die diesem intramontanen Ge-
biet in weitem Bogen ausweichen, die Entwicklung
der paläozoischen Schichten, die ungeheuer groß-
artigen Erosionsformen der sog. Caiion's, schließ-
lich auch die vielgerühmte Farbenpracht haben
von jeher die .'\ufmerksamkeit des Gelehrten und
des Reisenden gefesselt. Es kommt nunmehr
eine neue, ganz einzigartige Erscheinung hinzu,
über die uns eine interessante kleine Abhandlung
von Merrill ■) belehrt.
Etwa 2 Meilen vom Canon Diablo im Staate
Arizona, südlich der St» Fe- Bahn befindet sich in
das Plateau eingesenkt eine krater förmige
Vertiefung von etwa kreisrunden Umrissen
(Durchmesser II 70 — 1200 m). Ihr Boden liegt
134 m unter der Hochfläche und rings um sie
läuft ein Wall von etwa 48 m Höhe. Der Wall
besteht aus groben Gesteinsblöcken und kleinerem
Material bis zu ganz mürbem Gesteinsmehl und
ist offenbar aus der Masse erbaut, die einst im
Schichtenzusammenhang jene Vertiefung ausgefüllt
hat, d. h. aus Sandsteinen und Kalken der zu
oberst gelegenen karbonischen, zum geringen Teil
auch permischen Schichten. In weitem Umkreise
um den „Krater" aber finden sich zahlreiche
Meteorsteine und zwar der Zusammensetzung
nach Mesosiderite. Da diese Diamanten führen,
wurden sie sehr schnell ausgebeutet und so konnte
leider nicht der ganze Fund der Wissenschaft
dienstbar gemacht werden. Immerhin ließ sich
Smithsonian miscellaneous colleclions, Vol. 50.
erweisen, daß es sich hier um den größten
bisher bekannten Meteorfall handelt. Was
nämlich die Zahl der gefundenen Einzelstücke an-
betrifft, so kann sich nur der berühmte Steinfall
von L'Aigle im Jahre 1S03 mit seinen 2000 — 3000
Exemplaren dem hiesigen an die Seite stellen,
dagegen ist das Gesamtgewicht größer als je zu-
vor: der in Ensisheim am 7. November 1492 ge-
fallene Stein wog 150 kg, derartige Stücke sind
auch an unserem Krater sogar mehrfach vorhan-
den; in Tucuman, Argentinien, fielen 17S3 über
1500 kg, in Bemdego, Brasilien, 1784 ca. 8700.
Hier aber wird die Gesamtschwere auf 20 tons,
also das 2 — 3 fache, geschätzt.
Bei so außerordentlichen Mengen wird man
auch ungewöhnliche Wirkungen vorauszusetzen
berechtigt sein und die Frage drängt sich unwill-
kürlich auf, ob der Krater das Werk des
Meteor falls sei. Vulkanische Kräfte und heiße
Quellen sind nicht in der Nähe und nichts deutet
auf ihre Anwesenheit an der fraglichen Stelle hin.
Wohl sind große Mengen des lockeren Sandes
eingeschmolzen, doch erhält man nicht den Ein-
druck eines vulkanischen Glases oder eines zu
Vergleichszwecken im Carnegie - Institut herge-
stellten künstlichen Quarzflusses, vielmehr wird
man an die Erscheinungen bei Blitzröhren erinnert.
Auch hört diese Metamorphose der sandi-
gen Lagen nach der Tiefe hin auf, die Ursache
muß also von oben, d. h. von außen herange-
treten sein. Neben hohen Hitzegraden
müssen aber ferner gewaltige mechanische
Kräfte wirksam gewesen sein. Nicht nur zeigen
die Sandkörnchen unter dem Mikroskop starke
Zertrümmerungsspuren, sondern auch große Fels-
blöcke sind 7-2 "i'lc weit, feineres Material bis
auf 30 km im Umkreis geschleudert worden und
auch in senkrechter Richtung haben Verlagerungen
um 90 m aufwärts stattgefunden.
Andererseits fehlt es nicht an Einwendungs-
möglichkeiten : Im Krater selbst hat man nur 3
oder 4 Meteorsteine auflesen können, dafür zeigten
aber die lockeren sandigen Lagen bis zu 200 m
Tiefe chemisch nachweisbare Spuren von Eisen
und Nickel, den Hauptbestandteilen der Meteorite.
Nach Analogie der Wirkungen, die in dem Boden
einschlagende Geschosse hervorbringen, sollte man
ferner dem Durchmesser von 1200 m entsprechend
einen Einschlagskörper von ca. 150 m Durchmesser
vermuten,dann wäre aber eine Gesamtmasse zu erwar-
ten, von der die gefundene kaum ein Tausendstel
darstellt. Es könnte freilich noch in der Tiefe ver-
borgenes Material den Nachforschungen entgangen
sein, doch besteht gerade auch in dieser Hinsicht
ohnehin eine beträchtliche Abweichung von allem,
was wir bisher bei Meteorfällen zu finden gewohnt
sind. Das tiefste Eindringen in den Erdboden
wurde bei dem Meteor von Knyahinya in Ungarn
durch Haidinger beobachtet und betrug nur —
3 "3 m. Selbst der 150 kg schwere Ensisheimer
Stein bohrte sich nur i '/.j m tief ein, die meisten
bleiben oberflächlich liegen oder versinken nur gerade
78
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 5
um ihren eigenen Durchmesser in die Erde. Und
hier besteht ein weites und durch Bohrungen als
etwa 330 m tief ermitteltes Kraterloch! Machen
wir uns klar, wovon das Eindringen abhängt: Es
wird im allgemeinen angenommen, daß die Me-
teore durch den Widerstand der Luft ihre ganze
Eigengeschwindigkeit einbüßen und mit der Ge-
schwindigkeit eines einfach fallenden Körpers die
feste Erdrinde erreichen. Der Eintritt in die At-
mosphäre erfolgt dagegen nach zahlreichen Be-
obachtungen mit ungemein wechselnder Geschwin-
digkeit und das ist sehr erklärlich; überholt nämlich
ein Meteor die Erde bei ihrer Bewegung um die Sonne
von hinten her, so ist seine scheinbare Geschwin-
digkeit gleich der Dift'erenz, trifft er sie von vorn,
gleich der Summe der Eigengeschwindigkeiten
beider Himmelskörper. Trifft nun eine hohe Ge-
schwindigkeit zusammen mit so großer Menge,
wie sie in unserem Falle zweifellos vorliegt, so
ist es wohl denkbar, daß die Wirkung des Auf-
pralls ungewöhnliche Dimensionen annimmt. Man
kann daher Merrill's Annahme zustimmen, es sei
die Masse des Meteors sowie ein großer Teil der
betroffenen Sandsteine und Kalke im Augenblick
des Aufpralls durch die dabei entwickelte Hitze
eingeschmolzen und sofort vergast worden und
die Expansionskraft der Gase habe zu einer ge-
waltigen Explosion geführt, bei der nun das
ganze Material in weitem Umkreise verspratzt
worden sei. Damit ist zugleich auch eine weitere
auffällige Erscheinung erklärt, daß nämlich die
Oberfläche der einzelnen Stücke nicht die üblichen
vom Luftdruck hervorgerufenen Eindrücke auf-
weist, es sind eben Bruchstücke. Daß der Fall
nicht ganz jugendlichen .alters sein kann, beweisen
die bei den Bohrungen angetroffenen, Mollusken-
schalen und Gips enthaltenden Ablagerungen
eines Sees, der einst den Krater erfüllt hat.
Ihre Mächtigkeit beträgt 20 m und überlagert
werden sie von 7 m Aufschüttungsmaterial.
Wenn Merrill den Fallwinkel des Meteors zu
etwa 70" aus NW angibt, so hat diese Berechnung
keineGrundlage.fallsseine Annahme einer Explosion
richtig ist, die einzelnen Meteorite also nicht ur-
sprüngliche Lagerung einnehmen. Doch
diese Frage ist für das eigentliche Problem ohne
Bedeutung. Man wird — unbeschadet einiger noch
offenbleibender Fragen — einstweilen daran fest-
halten dürfen, daß ein gewaltiger Meteor-
fall hier eine kraterähnliche Öffnung
in ein altes Plateau der Erdoberfläche
geschlagen hat. Damit wird die alte Frage
wieder aufgerollt, ob viele ähnliche Erscheinungen
der Mondoberfläche (wo die physikalischen Ver-
hältnisse dafür etwas günstiger liegen würden) in
gleicher Weise zu erklären sind. Gewiß werden
auch die Anhänger der noch reichlich phantasti-
schen „Aufsturztheorie",') nach welcher die Wclt-
körper sich überhaupt aus kleineren aufeinander-
stürzenden Meteormassen im Laufe langer Zeiten
aufgebaut hätten, dieses Vorkommen als willkom-
menen Beweis für die Richtigkeit ihrer Anschau-
ungen ergreifen. Man kann aber ebensowohl das
Gegenteil daraus herleiten, denn nach allem, was
wir bisher auf der Erde kennen, handelt es
sich hier um eine ganz einzig dastehende Aus-
nahmeerscheinung. Dr. Edw. Hennig.
Himmelserscheinungen im Februar 1909.
Stellung der Planeten: Merkur und Venus sind un-
sichtbar, Mars ist morgens in der Schlange, Saturn abends
in den Fischen etwa I ','2 Stunden lang sichtbar. Nur Jupiter,
der am 28. in Opposition kommt, kann die ganze Nacht hin-
durch gesehen werden.
Verfinsterungen der Jupitertrabanten:
Am I. um n Uhr 55,7 Min. ab. M.E.Z. Eintr. d. 111. Trab.
>. 6. „ II „ 53,9 „ „ „ „ „ 11. „
., 13- ,. 9 „ 10,7 „ „ „ „ „ I. „
.. 20. ,, 1 1 ,, 4,3 „ „ ,, ,, „ I. ,,
Algol - Mininna können beobachtet werden am I ^. um
8 Uhr 45 Min. und am iS. um 5 Uhr 34 Min. abends.
') Es wurde darüber in Nr. 45 des V. Bandes der ,, Natur
wissensch. Wochenschrift" (4. November 1906) berichtet.
Bücherbesprechungen.
K. Brunner v. Wattenwyl, k. k. Hofrat und Jos.
Redtenbacher, Prof. am k. k. Elisabeth-Gymnasium
in Wien, Die Insekten familie der Phas-
miden, mit Unterstützung der hohen k. k. Aka-
demie der Wissenschaften in Wien aus der Treitl-
Stiftung. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelniann,
1906 — 1908, 589 S. gr. 4" mit 27 Taf. — Preis
65 Mk., geb. 70 Mk.
Die Stab- und Blattheuschrecken sind,
obgleich sie fast ausschließlich in den Tropen vor-
kommen , jedem Lehrer , ja , man darf wohl sagen,
jedem Gebildeten in einzelnen ihrer Vertreter bekannt.
Wohl keine Schulsammlung ist so klein, daß sie nicht
einzelne Stücke dieser äußerst interessanten Tiere
enthielte. — Die Artnamen derartiger Vertreter fest-
zustellen, war bisher keine leichte Aufgabe, und des-
halb können wir den Verfassern des vorliegenden
Werkes nicht dankbar genug sein , daß sie uns von
den sämtlichen bisher bekannten (etwa 2000) Arten
nicht nur gute Beschreibungen, sondern auch zur
leichten Orientierung Bestimmungsschlüssel und von
den wichtigsten Gattungsvertretern vorzügliche Ab-
bildungen geliefert haben. Es bedarf keiner weiteren
Worte auf die Wichtigkeit des Werkes hinzuweisen.
Jeder, der eine Schulsammlung oder Privatsammlung
zu verwalten hat, wird aus eigener Erfahrung wissen,
wie notwendig ein solches Buch war. — Es sei mir
gestattet, von den einleitenden Worten des Werkes
einiges in gekürzter Form hier wiederzugeben und
dann einige Ergänzungen bzw. Berichtigungen folgen
zu lassen. — Die Familie der Phasmiden enthält
die größten Formen unter den lebenden Insekten ;
einige Arten erreichen im weiblichen Geschlechte die
Länge von ' ,, — '/., m. — Die ziemlich gleichförmige
Lebensweise der Phasmiden läßt eine gewisse Ein-
förmigkeit im Körperbau derselben erwarten, die je-
doch in Wirklichkeit keineswegs vorhanden ist. Zwar
N. F. VIII. Nr. 5
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
79
kommt allen Phasmiden die Eigentümlichkeit zu,
verscniedene Ptlanzenteile, insbesondere Stengel und
Blätter nachzuahmen, worauf schon die Bezeichnungen
Stabheuschrecke, wandelnde Blätter usw. hindeuten;
im einzelnen aber herrscht eine erstaunliche .Mannig-
faltigkeit. Zwischen dem spindeldürren , schlanken
Leib, durch den die -Männchen von Bacillus usw.
an Gras- oder Binsenhalme erinnern und dem kräf-
tigen, dicken walzenförmigen Körper von EuryciDitlia
usw. finden sich alle möglichen Übergänge; dabei
ist der Körper glatt oder rauh , mit Dornen und
Stacheln bekleidet {Ohrimus etc.) oder mit flachen
zackigen Fortsätzen , Schuppen u. dgl. besetzt , wo-
durch derselbe an die mit Moosen und Flechten
bewachsene Borke von Baumzweigen erinnert [Lam-
poiiius etc.). Seltener als die Nachahmung von
Stengeln und Zweigen ist jene von frischen oder
abgestorbenen Bläitt-rn, wie man sie in der voll-
kommensten F'orm bei PhylUum und Chitoniscus fin-
det; liat ja doch diese vollendete Nachäfifung bei den
Eingeborenen Ostindiens den Glauben hervorgerufen,
daß diese Tiere ursprünglich Blätter waren. — Es
ist festgestellt, daß der grüne Farbstoff von Phylliiim
spektroskopisch große Ähnlichkeit mit Chlorophyll
besitzt, wodurch allerdings die Identität der beiden
Stoffe nicht erwiesen ist. Unhaltbar ist auch die
Annahme , daß die grüne Farbe von dem Genüsse
grüner Pflanzenteile herrühre oder daß mit dem
Welken der Blätter die grüne Farbe durch Braun
ersetzt würde. — Am Seitenrand des Metathorax von
Leosthenes, JVisyrus und Prisopus treten zarte, beweg-
liche am Rande bewimperte Blättchen auf, welche
wegen ihrer Ähnlichkeit mit den bekannten Organen
der Ephemeridi-nlarven für Tracheenkiemen gehalten
wurden. Neuere Autoren bezweifeln mit Recht diese
Deutung, da z. B. Nisyrus gar nicht im Wasser lebt.
Die Arten der Gattung Prisopus leben freilich nach
Murray mit dem Kopfe gegen den Strom gerichtet,
die ausgehöhlte, am Rande bewimperte Unterseite
des Körpers an Steinen förmlich festgeklebt , in den
Bergwässern Brasiliens. Selbst bei diesen ist übrigens
die Kiemennatur jener Blättchen keineswegs festge-
stellt und die hornige Beschaffenheit derselben macht
dies wenig wahrscheinlich. — Eine weitere Eigen-
tümlichkeit sind die bei vielen Phasmiden vorkom-
menden Stinkdrüsen , lange schlauchförmige Organe,
die vor den Voiderhüften mit einer stigmenartigen
Öffnung münden. — Wie die Imagines an Zweige
und Blätter erinnern, so gleichen die Eier derselben
auf das Täuschendste verschiedenen Samen , so daß
sie wiederholt als solche angesehen und sogar ver-
sendet wurden. — Merkwürdig ist , daß die äußere
derbe Eischale nicht bloß das Aussehen , sondern
mitunter auch die Struktur eines Pflanzengewebes
zeigt. Ein dünner Schnitt durch die Eischale von
PhylUum bietet ein ähnliches Bild , wie das Rinden-
gewebe mancher Pflanzen und diese Ähnlichkeit wird
noch dadurch erhöht, daß jenes Gewebe zahlreiche
grüne Körner enthält , welche an Chlorophyllkörner
erinnern. — Die Zahl der Eier scheint bevrächt-
lichen Schwankungen zu unterliegen; 20 — 50 dürfte
als die häufigste Durchschnittszahl gelten, doch sollen
manche Arten mehr als 100 Eier ablegen. — Die
Zahl der Häutungen ist nur bei wenigen Arten be-
kannt , dürfte aber durchweg gegen vier oder fünf
betragen. — Als eine Eigentümlichkeit der Larven
wird angegeben, daß Stachel- und lappenförmige
F"ortsätze des Körpers und der Beine bei ihnen
stärker ausgebildet seien als bei der Imago und mit-
unter selbst bei solchen F'ormen auftreten , die im
vollkommenen Zustande derlei Auszeichnungen gar
nicht besitzen. — Dagegen kann man bei verschie-
denen Arten auch den entgegengesetzten Fall be-
obachten, daß derlei Lappen an den Beinen der
Larven schwächer ausgebildet sind als beim voll-
kommenen Insekt oder ganz fehlen. — Sehr bekannt
ist die Reproduktionsfähigkeit der Phasmiden.
Schneidet man ein Bein unterhalb des Schenkelgelenkes
ab, so fällt der Rest noch vor der nächsten Häutung
ab, wird aber bei der Häutung selbst als ein kurzer
gerader Stumpf mit bereits erkennbarer Gliederung
oder als verkümmertes Bein (mit geradem Schenkel,
aber fast kreisförmig gekrümmten Schienen und
Tarsen) erneuert. Im ersteren Falle nimmt das Bein
erst bei der nächsten Häutung das Aussehen an, das
es im zweiten Falle hat. In beiden Fällen aber geht
dasselbe bei der nächstfolgenden Häutung in ein
Bein von normaler Bildung über, welches nur durch
geringere Größe und viergliedrige Tarsen ausgezeich-
net ist. — Die Phasmiden sind durchwegs Pflanzen-
fresser von trägem, stumpfsinnigem Charakter ; gleich
den Faultieren Südamerikas klettern sie langsam und
schwerfällig von Zweig zu Zweig, aber nur, wenn das
Bedürfnis nach Nahrung sie hierzu antreibt. — Ihr
Flug wird al'gemein als ein schwerfälliger bezeichnet,
da die Hinteiflügel mehr als Fallschirm verwendet
werden. — Das F"utter nehmen sie hauptsächlich in
der Nachtzeit zu sich und sind dabei sehr gefräßig.
— Das wichtigste natürliche Schutzmittel der Phas-
miden gegenüber den Feinden besteht vor allem in
ihrer frappanten Ähnlichkeit mit Pflanzengebilden
der verschiedensten Art. Bei vielen Arten wurde
ferner beobachtet, daß sie sich bei Gefahr totstellen,
indem sie den Körper vollkommen unbeweglich halten,
die Vorderbeine dicht neben dem Kopfe gerade nach
vorn , das eine oder andere der vier hinteren Beine
aber starr nach der Seite strecken, wodurch die Ähn-
lichkeit mit Zweigen noch erhöht wird. Eine weitere
sehr verbreitete und ausgiebige Schutzwafife besteht
in den schon erwähnten Stinkdrüsen. — Während
bei der großen Mehrzahl der Phasmiden Männchen
und Weibchen nahezu in gleicher Menge auftreten,
besteht bei einigen Gattungen {Bacillus etc.) ein ab-
normes Verhältnis, indem die Männchen außerordent-
lich selten sind. Diese Erscheinung hat die Ver-
mutung angeregt , daß bei diesen Tieren wenigstens
gelegentlich parthenogenetische Fortpflanzung statt-
finden dürfte und tatsächlich gelang es im Laufe der
letzten Jahre , bei verschiedenen Spezies dies festzu-
stellen. — In den neueren Lehrbüchern der Zoologie
werden die Phasmiden wegen der fünfgliedrigen
Tarsen noch immer mit den Mantiden und Blattiden
vereinigt. — Tatsächlich haben sie mit den beiden
genannten Gruppen außer den fünfgliedrigen Tarsen
80
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
N. F. VIII. Nr. 5
noch den Mangel der Sprungbeine und Zirporgane,
sowie die normale Lage der Flügelscheiden bei den
Larven, sonst aber auch nichts gemeinsam. — Von
Handlirsch ist ein für allemal festgestellt, daß die
Phasmiden eine relativ junge Insektengruppe sind
und vermutlich zusammen mit den heutigen Saltatorien
von den paläozoischen Protolocustiden abstammen.
— — Damit hätte ich einige der vielen Punkte,
welche die Einleitung des Werkes behandelt, in Form
eines kurzen A-uszuges berührt. — Was die Feinde
der Phasmiden anbetrifft , so habe ich im Bismarck-
Archipel durch eine umfangreiche Untersuchung der
Mageninhalte aller dort vorkommenden Vögel fest-
stellen können , daß Teile von Phasmiden sich nur
bei einer einzigen Vogelart fanden. Der Spornkuckuck
(Centropus ateralhus) ist es, der die Phasmiden trotz
ihrer großen Ähnlichkeit mit Zweigen und Blättern
zu finden weiß. Er sucht die Pflanzen aber auch,
wie ich mich überzeugen konnte , mit einer außer-
ordentlichen Gründlichkeit ab. Meine Untersuchung
der Vogelmägen beweist also , daß die Phasmiden
vor den übrigen insektenfressenden Vögeln des
Bismarck-Archipels einigermaßen sicher sind, daß
ihnen also ihre oben genannten Eigenschaften einen
weitgehenden (wenn auch nicht absoluten) Schutz und
damit große Vorteile im Kampfe ums Dasein ge-
währen (vgl. Mitt. zool. Mus. Berlin, Bd. i, Heft 3,
S. 171). — Wenn die Verfasser des Werkes, gestützt
auf eine Mitteilung M on t ro uziers, die verdickten
Hinterl)eine des Männchens von Eurycantha horrida
als Waffe auffassen, die „gewaltig verwunden" soll, so
entspricht das meiner Erfahrung nicht. Ich habe
das Tier sehr oft lebend in Händen gehabt, ohne
etwas von dieser geiährlichen Waffe zu verspüren.
Ich habe nur gefunden, daß es sich mit den Hinter-
beinen vorzüglich festhalten kann und da die Hinter-
beine nur beim Männchen stark verdickt sind, glaube
ich annehmen zu dürfen , daß dieselben besonders
zum Festhalten des Weibchens dienen, obgleich ich
die Paarung nicht beobachtete. Dahl.
Heinrich Kirchmayr, Die analytische Be-
rechnung regulärer Kristalle, für Stu-
dierende der Kristallographie. 47 Seiten
mit 31 Figuren im Text. Verlag von W. Junk
in Berlin. 1908. — Preis 1,50 Mk.
Eine sehr sachliche .'\bwä.;ung des Wertes des
vorliegenden kurzen Werkes gibt der Verfasser selbst,
indem er sagt, daß sich die angewendete analytische
Methode nur für gewisse Fälle des regulären Systems
gut eignet, namentlich, um aus den Indices die Flächen-
und Kantenwinkel sowie die Kantenlängen zu be-
rechnen. Für den Studierenden, wenigstens den An-
fänger, dürfte daher das im übrigen einfach und klar
gefaßte Buch weniger in Frage kommen, da dieser
sich zunächst in einen einzigen, bestimmten, allge-
mein gültigen Weg der Kristallberechnung, der ihm
doch nicht erspart bleibt, wird einarbeiten müssen.
In der Hand des fertigen Kristallographen und nament-
lich bei der Anfertigung von Kristallmodellen wird
es aber vielfach gute Dienste leisten.
O. Schneider.
Anregungen und Antworten.
Herrn P. J. Bg. in Ka. — LUe Reste von Pithecan-
thropus sind von Dubois nicht so gefunden worden, daß
man von vornhereia ohne Zweifel anzunehmen hätte, sie
stammten auch von einem und demselben Tiere. Sie lagen
in einer knochenreichen Flußablagerung unter zahlrciclien
Resten von Stegodon, Axis , Bubalus, Bibns, Sus usw. Im
September 1891 wurde der rechte dritte obere Molar gefun-
den, in etwa I m Entfernung dann das Schädeldach. Im
Jahre darauf wurde ganz nahe dem Fundplal^e des ersten
Jahres der linke zweite obere Molar und in 15 m Entfernung
das linke Femur entdeckt. Trotz dieser so weit auseinander-
liegenden Fundstätten der einzelnen Teile ist dennoch Duhois
davon überzeugt, daß sie nicht nur zu derselben Tierart, sondern
sogar zu einem und demselben Skelette gehören ; einerseits
weil die anatomischen Merkmaie der KopUeile mindestens
für den menschenähnlichsten der menschenähnlichen Affen
sprechen, diejenigen des Femur vielleicht sogar für einen Men-
schen ; andererseits aber trotz des fünfjährigen Grabens nicht ein
einziger Skelettrest der gleichen Tierart, auch nicht einer
ähnlichen, zu der die Knochen z. T. gerechnet werden könn-
ten, gefunden wurde, obwohl die R'-ste der genannten ande-
ren Tiere so massenhaft vorhanden waren, daß sie in etwa
115 zentnerschweren Kisten nach Leyden transportiert wurden
und dort, obwohl nur z. T. ausgepackt, ein ganzes Haus an-
füllen. — Inzwischen hat nun 1907 eine neue Ausgrabung
in denselben .Schichten stattgefunden , die von Frau Selenka
mit Unterstützung der Berliner Akademie der Wissenschaften
unternommen worden ist. Aber auch diese Ausgrabung hat
kein neues Material von Pithecanthropus zutage gefördert.
Dennoch sind hierbei Beobachtungen gemacht worden, die
geeignet sind, Dubois' -Ansicht zu stützen. Die Ausgrabungen
wurden mit der größten Sorgfalt überwacht und jedes Stück
sogleich mit Nummer und Etilcett versehen, die Nummer gleich
mit genauester .i^ngabe des Fundortes sowohl bezüglich der
Tiefe wie der seitlichen Entfernung von bestimmten Stellen
in ein Fundbuch eingetragen. Da hat sich nun gezeigt, daß
Reste eines und desselben Tieres in der Tat meterweit sowohl
in horizontaler wie vertikaler Erstreckung gefunden sind. So
tragen z, B. die z. T. in den Nähten, z. T. durch Bruch ge-
trennten Stirnbeine eines jungen männlichen Hirsches, die un-
zweifelhaft aneinanderpassen , andere Bezeichnung des Fund-
ortes wie sogar der Schicht. Der B'uch ist mit Sicherheit alt
und vor der Ablagerung beider Knochen erfolgt. — Der
Verfasser dieser Notiz, der die Bearbeitung der Säugetiere
übernommen hat, ist nach solchen Feststellungen von der Zu-
sammengehörigkeit der Skeletteile des Pithecanthropus über-
zeugt. Str.
Das Oxyburserazin (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F.
Bd. Vlll, S. 10) ist meines Wissens nicht im Handel. Nähere
.Auskunft über seine Verwendung gegen Flechtenerkrankungen
dürfte der Entdecker der Substanz Herr Dr. Werner von
Bolton (Charlottenburg-Nonnendamm, Physikalisch-Chemisches
Laboratorium von Siemens & Halske) geben. Mg.
Inhalt: Prof. Dr. Victor Sehiffner: Die Nutzpflanzen unter den Flechten. — Sammelreferate und Übersichten: F.
Koerber: Neues aus der .Astronomie. — Kleinere Mitteilungen: G. H. Parker: Die Sinnesempfindungen des Am-
phio.tus. — Dr. Edw. Hennig: Ein Meteorkratcr. — Hinimelserscheinungen im Februar 1909. — Büctierbesprechun-
gen : K. Brunner v. Wattenwyl und Jos. R e d te n b ac h er : Die Insektenfamilie der Phasmiden. — Heinrich
Kirchmayr: Die analytische Berechnung regulärer Kristalle, für Studierende der Kristallographie. — Anregungen
und Antworten.
Verantwortlicher Redakteur;
Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lirhterfelde-West b. Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue holge Vlll. Band ■
der ganzen Keihe XXIV. Band.
Sonntag, den 7. Februar igog.
Nummer 6.
Über örtlich getrenntes oder geselliges Vorkommen verwandter Pflanzenformen.
[Nachdruck verboten, i
Der amerikanische Botaniker Robert Green-
leaf Leavitt hat im American Naturalist
(Vol. XLI, 207 — 240) eine Studie über die geo-
graphische Verbreitung nahe ver-
wandter Arten veröffentlicht. Er geht von
der .Auffassung aus, daß sich aus der Verteilung
nahe verwandter Formenkreise erkennen lassen
müsse, ob sie durch allmähliche Entwicklung oder
durch Mutation im Sinne von deVries entstan-
den seien. Von besonderer Wichtigkeit ist die
F"rage, inwieweit Isolierung der neu entstehenden
Arten notwendig ist, um eine Vermischung aus-
zuschließen und eine selbständige Entwicklung
der einzelnen neuen Formenkreise zu ermöglichen.
Der Verfasser hat mir nun die Frage vorgelegt,
welcher Art meine Erfahrungen über die Ver-
breitung nahe verwandter Pflanzenarten seien. Es
ist mir unmöglich, mich darüber ganz kurz, also
etwa in einem gewöhnlichen Briefe, auszusprechen.
Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und Vor-
gänge in der Natur ist viel zu groß, um eine Zu-
rückführung der Tatsachen auf wenige allgemeine
Gesichtspunkte zu gestatten. Ich möchte daher
versuchen, in den folgenden Betrachtungen meine
Ansichten über die Bedeutungderisolierung
und der freien Kreuzung für die Artenbil-
dung darzulegen und zwar mit besonderer Bezug-
nahme auf die geographische Verbreitung der
nahe verwandten Formen. Ich bin der Ansicht,
daß die Beobachtung in der freien Natur viele
Vorstellungen berichtigen muß, die man sich in
der Studierstube gebildet hat. Der Freifeld-
botaniker muß, wie auch Leavitt betont, die
Brauchbarkeit der von den Gelehrten theoretisch
gefundenen und im Anschluß an bestimmte Schul-
meinungen formulierten Lehren an der wilden
Pflanzenwelt prüfen.
Variation. Es würde viel zu weit führen,
wenn ich auf die mit den besprochenen Fragen
zusammenhängenden Vorstellungen über Ursachen
der Abänderungen, über Variation und Mutation
(plötzlich auftretende erbliche Abänderung) usw.
eingehen wollte. Ich muß indes von vornherein
betonen, daß ich die gegenwärtig üblichen Unter-
scheidungen zwischen den Wirkungen der Varia-
tion und der Mutation nicht für glücklich halte.
Die unter dem Namen der Variation zusammen-
gefaßten Erscheinungen sind von äußerst mannig-
faltiger Art. Mit vollem Rechte sagt de Vries:
„nichts ist variabler als das Wort Variabilität".
Eine besondere Klasse von Variationen sollen die
Mutationen sein ; es ist nun aber offenbar nicht
sachgemäß, in jedem Einzelfalle nur zwei ver-
meintliche Möglichkeiten, Variation in engerem
\on W. O. Pocke.
Sinne oder Mutation, in Betracht zu ziehen. Im
Jahre 1875 habe ich in ausführlicher Begründung
vorgeschlagen (Jen. Zeitschr. f. Naturwissensch. IX),
statt des unbestimmten Begriffes der Variation
zunächst wenige versciiiedene Stufen oder Formen
von Varietäten zu unterscheiden; 1877 habe ich
in meiner Synopsis Rubor. Germ, 6 verschiedene
Stufen des Artvvertes angenommen, nachdem ich
1866 die Ungleich Wertigkeit behauptet hatte.
Schon 1872 hatte Engler (Monogr. Saxifraga)
in einzelnen Fällen auf eine vollständige Gliede-
rung in Spezies verzichtet und hatte Schwärme
von allzu nahe verwandten Arten zu einem Typus
polymorphus zusammengefaßt. Christ sprach
sich 1873 über die Ungleich Wertigkeit der Rosen-
arten aus. Es hat aber lange Zeit gedauert, bis
entsprechende Anschauungen in den floristischen
Werken zum Ausdruck gelangt sind; neuerdings
ist dies z. B. von Ascherson und Graebner
versucht. Die Kompromisse, die man zwischen
der mannigfaltigen lebendigen Natur und dem
toten systematischen Schema zu schließen sucht,
werden niemals befriedigen, aber sie sind doch
unentbehrlich, um formale Näherungswerte zu er-
halten, an die sich die Vorstellungen anlehnen
können. Man pfropft immer noch in die Begriffe
von Mutationen und Varietätsstufen ganz ver-
schiedenartige Eigenschaften hinein, die in gar
keiner festen Beziehung zueinander stehen. Man
wird bei neuen Formen nach den Vorfahren und
dem Ursprünge (plötzliche oder allmähliche Aus-
prägung), dem Grade der Verschiedenheit von
der Stammform, dem erfahrungsmäßigen syste-
matischen Werte der Unterschiede (z. B. geringe
Bedeutung der auffallenden Pelorien und Varietates
monopliyllac, dissectae, discoidcae usw.), der Erb-
lichkeit der Merkmale, der Anpassung an die
mannigfaltigen Lebensbedingungen usw. forschen.
Die Kenntnis dieser Eigenschaften dürfte ein
besseres Bild von der Bedeutung einer be-
stimmten Abänderung geben, als eine Unter-
suchung darüber, ob diese Abänderung eine
Varietät oder eine Mutation ist.
Es ist nur ein einziges Verfahren bekannt,
durch welches man mit einiger Sicherheit solche
wesentliche Abänderungen erzielen kann, die
,, sprungweise", also unvermittelt, entstehen und
sich unverändert fortpflanzen, die sich also ver-
halten wie die Mutationen von Oenotliera
Lamarckiana. Jenes bis zu einem gewissen Grade
bewährte Verfahren besteht in der Kreuzung ver-
wandter Arten oder ausgeprägter Rassen. Unsere
Kulturgewächse sind größtenteils aus Rassen- oder
Arten-Kreuzungen hervorgegangen; man findet
82
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIIl. Nr. 6
daher bei ihnen außerordentlich zahlreiche der-
artige unvermittelt auftretende Abänderungen. Es
ist nicht zu verstehen, weshalb de Vries unter
der Nachkommenschaft von Hybriden keine Muta-
tionen und keine daraus hervorgehenden neuen
Arten anerkennen will, während er doch die
zweifellos aus Hybriden entstandenen Kulturrassen
als wirkliche Mutationen betrachtet. Dies eine
Beispiel mag nur zeigen, welchen Schwierigkeiten
man begegnet, wenn man den Mutationsbegriff
für die tatsächliche Beurteilung bestimmter Ab-
änderungen zu verwerten sucht. Ein näheres
Eingehen auf diese Vorstellungen würde ausführ-
liche Auseinandersetzungen erfordern.
Isolierung und Wanderungen. Als
man anfing, sich eingehend mit den Anschau-
ungen zu beschäftigen, welche sich als Folge-
rungen aus der Darwin'schen Entwick-
lungslehre ergaben, legte man sich notwendig
auch die Frage vor, wie es möglich sei, daß Ab-
änderungen von Tier- und Pflanzenarten zu Varie-
täten und selbständigen neuen Arten umgeprägt
werden könnten, obgleich sie durch freie Kreu-
zung mit der Stammform stets wieder zu dieser
zurückgeführt werden müßten. Es schien kaum
denkbar, daß die natürliche Auslese die neuen
Formen in ausreichender Weise begünstigen
könnte, um sie zu einer Verdrängung der Stamm-
art zu befähigen. Ohne Ausschluß der Kreuzungen
schien es auch nicht möglich, daß eine Abände-
rung sich im Wettbewerb mit dem alten Typus
einen gesicherten Platz erobern könne. Als das
beste Mittel, um der neuen Form die Möglichkeit
einer selbständigen Entwicklung zu gewähren, er-
schien die Auswanderung, die örtliche Trennung.
Auf diesen Gedanken baute sich die Wag n er-
sehe Migrationstheorie auf, nach welcher Wan-
derungen den Anstoß zu einer je nach den
neuen Heimatsgegenden verschiedenartigen Ent-
wicklung der Tiere und Pflanzen gegeben haben
sollten. Örtliche Trennung bewirkt aber an sich
keine Variation; viele Pflanzen der subarktischen
Gegenden Europas finden sich in den Alpen und
anderen Gebirgen in unveränderter Gestalt wieder,
obgleich sie hier seit der Eiszeit durch einen
breiten Zwischenraum von ihren nordischen Art-
genossen getrennt sind. Noch viel älter ist die
Sonderung Nordeuropas von Amerika; trotzdem
aber gibt es in beiden Erdteilen viele überein-
stimmende Arten. Zeit und Ort sind in diesen
Fällen ohne Einfluß auf den Arttypus geblieben.
Andererseits schien die Migrationstheorie eine
gewisse Stütze in der Auffindung von zahlreichen
„Schöpfungszentren" zu gewinnen. Man fand, daß
bestimmte systematische Gruppen von Tieren
oder Pflanzen vorzugsweise in bestimmten Gegen-
den vertreten sind; daraus schloß man, daß an
diesen Stellen die Urheimat der Gruppe (Ord-
nung, Gattung oder Sammelart) zu suchen sei
und daß sich die Einzelglieder der Gruppe von
dort aus längs der Bergketten oder der Ebenen
oder der Flüsse nach verschiedenen Richtungen
ausgebreitet hätten. In manchen Fällen schienen
derartige Vorstellungen die Tatsachen ganz gut
zu erklären. Aber die geologischen Unter-
suchungen zeigten bald, daß aus der jetzigen Ver-
breitung der Organismen nicht geradezu auf die
ehemalige geschlossen werden darf. Pferde gab
es in Amerika vor Ankunft der Europäer nicht;
trotzdem machen die beobachteten paläontolo-
gischen Tatsachen es wahrscheinlich, daß die ur-
sprüngliche Heimat dieser ganzen Tiergruppe in
Amerika lag. Im Miozän Europas hat man
mancherlei amerikanische Baumarten gefunden, so
daß man in jedem Falle fragen muß : ist der
Typus im Osten oder im Westen des Atlantischen
Ozeans entstanden oder ist er nach beiden Ländern
aus einer arktischen oder sonstigen Urheimat ein-
gewandert?
So sehr auch derartige Erfahrungen zur Vor-
sicht mahnen, so gibt doch für die nördliche ge-
mäßigte Zone die Annahme eines ehemaligen
Zusammenhangs zwischen den Verbreitungs-
bezirken ähnlicher Arten eine gute Erklärung.
Aus einem arktischen oder zirkumpolaren Lande
zogen sich Pflanzen und Tiere während der kühler
werdenden Pliozänzeit und Eiszeit südwärts zurück.
Viele Arten werden zugrunde gegangen sein;
viele der widerstandsfähigsten und für Wande-
rungen gut ausgerüsteten Formen konnten später
einen Teil ihres ehemaligen Wohngebietes von
neuem besiedeln, andere Arten erhielten sich hie
und da an einzelnen geeigneten Standorten, die
in der Gegenwart durch weite Zwischenräume
getrennt sein können. Die Annahme, daß in ver-
gangenen Zeiten auch die Lücken in der Ver-
breitung für die betreffende Art bewohnbar ge-
wesen seien, ist in vielen Fällen durchaus wahr-
scheinlich und gibt eine weit bessere Erklärung
der Tatsachen, als die Vorstellung, daß Stürme
oder Vögel die Samen an neuen Standorten aus-
gestreut hätten. Die Möglichkeit einer derartigen
Verbreitungsweise soll übrigens durchaus nicht
bestritten werden.
Das Vorkommen übereinstimmender oder sehr
ähnlicher Pflanzen an weit voneinander getrennten
Standorten, die ähnliche Lebensbedingungen bieten,
ist längst bekannt. Berühmt ist das Beispiel der
drei nahe verwandten Cedern-Formen vom Atlas,
Libanon und Himalaya. Echte Hochgebirgs-
pflanzen, wie das Edelweiß {Leontopodiuin) treten
in den weit getrennten höheren Bergketten
Amerikas, Asiens und Europas auf Erwähnt
wurde bereits die Übereinstimmung mancher sub-
arktischer mit alpinen, sowie nordamerikanischer
mit europäischen Arten. Der ostwestliche Ver-
lauf der wichtigsten Bergketten in Europa sowie
im westlichen und mittleren Asien läßt die scharfe
Absonderung der Gebirgsbewohner von den nor-
dischen Arten deutlich hervortreten, während in
Amerika und Ostasien die mehr nordsüdliche
Richtung der Gebirge als günstiger für Wande-
rungen und für die Erhaltung eines Zusammen-
hanges zwischen den Gliedern der einzelnen
N. F. Vm- Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
83
Formenkreise erscheint. Als Beispiel einer geo-
graphischen Trennung von charakteristischen
Pflanzentypen seien hier die in einem vielfach
unterbrochenen Gürtel der nördlichen Halbkugel
auftretenden Gewächsformen erwähnt. In den
einzelnen geographischen Abschnitten, in welche
dieser Gürtel zerfällt, haben sich die Typen in
etwas verschiedener Weise entwickelt, so daß sie
als Varietäten, Rassen oder ähnliche Arten unter-
schieden werden. Zu diesen Typen gehören z. B.
die echten Kastanien, die in Nordamerika und
Mittelasien vorkommen, die nahe verwandten
Ebereschen {Sc'/-/'t(s) Europas, Ostasiens, West-
und Ostamerikas, die Steinhimbeeren, von denen
die europäische Art, Ritbits saxatilis, auch durch
Nordasien verbreitet ist, während zwei ähnliche,
früher als Varietäten betrachtete Arten in Japan
und in Nordamerika wachsen. Noch ähnlicher
sind sich die echten Himbeeren, Riibus idaciis,
' zwischen deren Rassen sich keinerlei haltbare
Artgrenzen ziehen lassen. Merkwürdig sind einige
amerikanische Potentillen, P. fruticosa und P.
peniisilvanka, die in Nordasien und Europa ganz
zerstreut an einzelnen Orten in wenig abweichen-
den Rassen auftreten.
Alle diese Tatsachen erklären sich ungezwungen
aus der tertiären Verbreitung und aus den eiszeit-
lichen Wanderungen der Arten, sowie aus einer
verschieden gestalteten Weiterentwicklung der-
selben innerhalb der jetzigen vollständig geson-
derten Verbreitungsbezirke. Bis soweit genügt
zur Erklärung der Artenbildung die Migrations-
lehre in Verbindung mit den bekannten Tatsachen
der gewöhnlichen Variation. Man erkennt aber
leicht, daß auf diesem Wege keine allzugroßen
Veränderungen erfolgt zu sein scheinen. Seit der
Eiszeit hat sich in der Gestalt der Arten kaum
etwas verändert, ja selbst der Betrag der Ände-
rungen seit der Miozänzeit ist nicht groß genug,
um die Ausprägung ganzer Pflanzenfamilien
während eines den üblichen Schätzungen ent-
sprechenden Zeitraums zu ermöglichen. Noch
viel weniger läßt sich durch die Migrationstheorie
die große Mannigfaltigkeit einzelner Gruppen von
Pflanzen und Tieren innerhalb eng umgrenzter
Räume verständlich machen. Um nur ganz be-
sonders ausgezeichnete Beispiele zu erwähnen, sei
an die Landschnecken der Hawaischen Inseln und
an die zahlreichen, ungewöhnlich artenreichen
Pflanzengattungen einzelner Teile Südafrikas und
Westaustraliens erinnert. Man sieht in derartigen
Fällen allerdings Schöpfungszentren, aber die von
diesen ausgehenden Ausstrahlungen sind bei der
geographischen Isolierung der Herde sehr spärlich
geblieben oder fehlen gänzlich. Untersucht man
nun andere, weniger abgeschlossene Schöpfungs-
zentren, so findet man allerdings in manchen
Fällen zahlreiche Ausstrahlungen, man findet auch
in diesen Ausstrahlungen Arten, die allen Anforde-
rungen an geographisch und systematisch gut um-
grenzte „Spezies" entsprechen, aber diese Arten
oder nahe verwandten Formen häufen sich in dem
Zentrum so sehr, daß an eine Isolierung, welche
die freie Kreuzung hindern würde, nicht gedacht
werden kann.
Freie Kreuzung. Die Fülle derartiger
Tatsachen, von denen hier nur beispielsweise
wenige einzelne Fälle erwähnt werden konnten,
ist so groß, daß eine Erklärung derselben durch
die Migrationstheorie völlig aussichtslos ist. Es
muß, wie man sich längst klar gemacht hat, not-
wendig eine Unrichtigkeit in dem Gedankengange
stecken, der zu der Migrationstheorie geführt hat.
Es liegt nahe, zu glauben, daß der Fehler in der
Vorstellung von der Allgemeinheit der freien
Kreuzung liegt.
Bei den höheren Gewächsen ist es leicht, zu
erkennen, daß örtliche Trennungen, wie sie
überall vorkommen, genügen, um Kreuzungen
zwischen gleichartigen Pflanzen verschiedener
Standorte außerordentlich zu erschweren. Weder
der Wind noch die Insekten werden den Blüten-
staub der Bergpflanzen häufig zu einem 100 oder
selbst nur 20 km entfernten anderen Berge hin-
überführen ; manche Samen mögen leichter auf
derartige Entfernungen transportiert werden, aber
im allgemeinen muß die Zuwanderung neuer An-
kömmlinge derselben Art an einen einigermaßen
isolierten Standort einer bestimmten Pflanze ein
verhältnismäßig recht seltenes Ereignis sein. Die
Charakterpflanzen solcher Standorte, die sich nur
zerstreut finden, wie es höhere Berge, Sümpfe,
Salzstellen, Kalkhügel, Sanddünen usw. sind,
werden, wenn sie irgendwo zu Abänderungen
neigen, darin durch an anderen Stellen wohnende
Artgenossen kaum gestört werden. Ihre Isolierung
ist tatsächlich fast ebenso vollständig, wie die der
durch weite Entfernungen und breite Meere ge-
trennten verwandten Arten, deren Verhalten be-
reits vorstehend erörtert worden ist.
Bei den Pflanzen ist weder die Individualität
noch die Trennung der Geschlechter so ausge-
prägt wie bei den Tieren. Gerade die voll-
kommensten Pflanzen sind in überwiegender Zahl
zweigeschlechtig. Ihre Fortpflanzungsverhältnisse
sind außerordentlich mannigfaltig. Vegetative,
also völlig ungeschlechtliche Vermehrung ist
bei vielen Gewächsen in großem Maßstabe mög-
lich. Die Wasserpest [Elodcä) hat sich seit 50
oder 60 Jahren in Europa außerordentlich ausge-
breitet und ist stellenweise zur Plage geworden,
ohne je einen Samen gereift zu haben. Noch
weit länger ist der Kalmus [Acorus) in Europa
eingebürgert, bringt hier aber niemals F"rüchte.
Arten von Hcmcrocallis und einige Zwiebel-
gewächse verhalten sich ähnlich; manche Arten
von Allium und Liliuni, Dentaria bulbifera usw.
bringen selten Früchte, vermehren sich aber durch
besondere Organe (Brutzwiebeln). Bei den Moosen
ist die häufige oder ausschließliche Vermehrung
durch Brutkörner etwas ganz Gewöhnliches. — In
einer anderen Reihe von Fällen entwickeln sich
Samen aus den weiblichen Knospen ohne jede
Befruchtung, also parthenogenetisch {AI-
84
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 6
cliimilla, Antennaria, Taraxacnm usw.). Endlich
sind kleistogamische Blüten, in denen die
Befruchtung ausschließlich durch Blütenstaub der
in der nämlichen Hülle eingeschlossenen männ-
lichen Organe erfolgt, gar nicht selten. In allen
diesen F'ällen ist Kreuzung verschiedener Stöcke
vollständig unmöglich, während eine sehr wirk-
same Vermehrung und Ausbreitung stattfinden
kann. Die für die Artenbildung als erforderlich
erachtete Isolierung ist somit in diesen Fällen
vorhanden, aber es fehlt eine andere Vorbedin-
gung, nämlich die Variabilität. Die auf vegeta-
tivem Wege oder durch engste Inzucht erzeugte
Nachkommenschaft ist außerordentlich gleichförmig.
Individuelle Eigentümlichkeiten können bei den
Abkömmlingen eines einzigen Exemplars für
völlig konstante Rassenmerkmale gehalten werden.
Aus diesen Erfahrungen und Überlegungen
muß man den Schluß ziehen, daß die freie Kreu-
zung eine Vorbedingung der Variabilität und
damit der Artenbildung ist. Es ist daher eine
durchaus einseitige Betrachtungsweise, wenn man
nur von dem Gesichtspunkte ausgeht, daß die
freie Kreuzung die Weiterentwicklung der Varie-
täten zu selbständigen Arten hindere.
Für die biologische Würdigung der partheno-
genetischen und der damit biologisch ziemlich
gleichwertigen kleistogamischen Fortpflanzung
werden die Erfahrungen als maßgebend gelten
können, welche man bei gewissen Tieren (Blatt-
läusen, Rädertieren) gemacht hat. Unter den
günstigsten äußeren Verhältnissen erscheint die
geschlechtliche Zeugung als entbehrlich; die Ver-
mehrung erfolgt in einfachster Weise nur aus den
weiblichen Keimen. Sowie aber die Lebensbe-
dingungen mißlicher werden, tritt die geschlecht-
liche ZeuCTung wieder in ihre Rechte ein ; es
werden dann mittels derselben widerstandsfähigere
Individuen oder Dauereier erzeugt. Ganz ähnlich
verhalten sich viele niedere Pflanzen (Algen, Pilze).
Es ist wahrscheinlich, daß die parthenogenetisch
und kleistogamisch fortgepflanzten höheren Ge-
wächse unter bestimmten Bedingungen wieder
zur geschlechtlichen Kreuzbefruchtung übergehen;
sind sie nicht dazu imstande, so werden sie ge-
legentlich ungünstigen Verhältnissen (Witterung,
Wettbewerb, Parasiten) erliegen.
Wenn man die Gewächse, welche sich regel-
mäßig ohne Kreuzung fortpflanzen, in eine
besondere biologische Abteilung stellt, so kann
man eine zweite aus denjenigen Arten bilden, bei
welchen sowohl Kreuzung als Selbst-
bestäubung möglich ist, eine dritte aus den
ausschließlich aufKreuzung der Individuen
(Stöcke) angewiesenen Formenkreisen. Die zweite
Abteilung ist durch sehr zaiilreiche Arten ver-
treten, von denen jede Pflanze bei Isolierung ohne
Nachhilfe oder doch bei Bestäubung mit eigenem
Pollen reichlich Samen bringt. Zugleich sind ihre
Blüten entweder für Bestäubung durch Wind oder
durch Tiere, namentlich Insekten, eingerichtet.
Manche Arten erhalten selten, andere sehr häufig
Insektenbesuche; bei manchen ist Fremdbestäubung,
bei anderen Selbstbestäubung der häufigere Fall.
Diese Verhältnisse sind während der letzten Jahr-
zehnte ziemlich allgemein bekannt geworden. Es
wird nicht erforderlich sein, an dieser Stelle näher
darauf einzugehen, weil es sich hier nur darum
handelt, zu untersuchen, ob nahe verwandte
Formen nebeneinander wachsen können, ohne
durch die. freie Kreuzung gemischt zu werden.
Es zeigt sich nun eine überraschende Mannigfaltig-
keit der Möglichkeiten. In manchen Fällen hat
sich ein Arttypus unter dem Einflüsse standört-
licher Verhältnisse in verschiedene Rassen ge-
sondert. Bekannt sind in den .'Mpen die Formen-
kreise, welche in einer kristallinisches Gestein und
einer Kalkfels bewohnenden Varietät, Rasse oder
verwandten Art vorkommen. Diese Parallelformen
sind auch auf anderem Boden samenbeständig,
aber sie sind hier weniger widerstandsfähig; es
sind keine großen Entfernungen erforderlich, um
sie rein zu erhalten, wenn auch gelegentlich beim
Zusammentreffen Kreuzungen vorkommen. In
entsprechender Weise wirken auch sonstige ver-
änderte Lebensbedingungen. So z. B. wird Juncns '
covipressus, der oft an Flußufern wächst, an den
Seeküsten und an salzreichen Stellen sofort durch
J. Gerardi ersetzt; nach Übergangsfoimen sucht
man meistens vergeblich. Es gibt in Mitteleuropa
drei verbreitete nahe verwandte Arten von
Aniit'ria\ eine derselben, die A. elongata, wächst
im ebenen und hügeligen Binnenlande, eine andere
{A. alpiner) auf Hochgebirgswiesen, die dritte {A.
viarithna) am Seestrande. Außerdem kommen
noch einige mehr lokalisierte Formen vor. An
trockenen sandigen Stellen am Weserufer z. B.
wächst A. elongata häufig; im Unterlaufe des
Flusses fehlen solche sandige Stellen und damit
auch die Armerien, bis sie plötzlich unter der
Einwirkung des Salzwassers in großer Masse in
den Wiesen wiedererscheinen, aber in einer etwas
abgeänderten Gestalt. Es ist nicht etwa die A.
maritima, welche hier auftritt, sondern eine Mittel-
rasse, die an der deutschen südlichen Nordseeküste
eine große Verbreitung hat, während weder A.
elongata noch A. maritima daselbst vorkommen.
An anderen Stellen, z. B. schon an der nahen
Eibmündung, finden sich die genannten beiden
Hauptarten nebeneinander. — Ein ferneres Bei-
spiel, wie zwei nahe verwandte Formen einander
vertreten, ist folgendes. Von Synipliyttint officinale
wächst an der mittleren Weser eine blaßgelb
blühende, an dem Nebenflusse Aller eine dunkel-
violette Form. Von der Vereinigung der beiden
Flüsse an abwärts findet sich regelmäßig nur die
violette Form, aber mit Einmischung einzelner
mehr oder minder rosa blühender Exemplare, die
wohl als Kreuzungen zu deuten sind und weiter
stromabwärts seltener werden. In ähnlicher Weise
pflegen die blaßgelbe Scabiosa ocJiroleuca und die
hellblaue Sc. columbaria einander auszuschließen;
auch das gelblich weiße Phyteuma spicatum und
das schwarzviolette Ph. niirrum bewohnen im all-
N. F. Vin Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
85
gemeinen getrennte Standorte, doch entstehen da,
wo beide Rassen zusammcntreft'en, stets zahlreiche
Kreuzungsformen. Caf'sc/lir nihclla ist eine süd-
europäische, sehr beständige Pflanze, die sich
indes von der viel weiter verbreiteten, formen-
reichen C. Bursa pasloris nur durcii geringfügige
Merkmale untersciieidet. Beide F'ormen wachsen
häufig nebeneinander, ohne daß Übergänge vor-
kommen, doch treten zuweilen anscheinende
Kreuzungen auf, die merkwürdigerweise so gut
wie vollkommen unfruchtbar zu sein pflegen.
Auch andere nahe verwandte Arten wachsen
häufig gemischt, ohne sich gegenseitig zu beein-
flussen, wenn auch hie und da Mischlinge vor-
kommen. Solche trotz ihrer Aiinliciikeit gut ge-
trennte, nahe verwandle Arten oder Rassen
sind z. B. Festitca elatior und F. arundinacca,
Scirpus lacuster und ^i:. Tabernaciitontani, Luzula
campestris und L. midtiflora, Viola silvatica und
V. Rivhiiaita, Alcctorolopliiis major und A. minor.
Der Ähnlichkeit wegen mag hier noch ein Fall
erwähnt werden, der einen zweihäusigen Formen-
kreis betrifft , also eigentlich an anderer Stelle
besprochen werden müßte. Mclandryum rubrum
und M. album sind zwei nahe verwandte Arten,
von denen jede ihrem besonderen Standorte, dem
Walde und dem oflenen Felde, vorzüglich ange-
paßt ist. Die beiden Arten trefi'en oft zusammen
und werden dann stets gekreuzt; die Mischlinge
sind fast vollkommen fruchtbar, aber sie sind beim
Wettbewerb mit den Stammarten an jedem
Standorte im Nachteil. Die beiden echten Arten
werden somit durch derartige Kreuzungen so gut
wie gar nicht beeinflußt ; sie fließen selbst an einzelnen
Stellen kaum irgendwo zusammen. Sind einmal
ähnliche Arten gut an verschiedene Lebens-
bedingungen angepaßt, so führen selbst häufige
Kreuzungen zu keiner Beeinflussung der Stamm-
arten.
Die angeführten Beispiele zeigen, daß gar
keine großen Entfernungen nötig sind, um zwei
nahe verwandte Arten und Rassen in genügender
Weise getrennt zu halten, so daß sie einander
trotz gelegentlicher Kreuzungen kaum beeinflussen.
In einigen Fällen (z. B. Alectoroloplius, Festuca)
vermögen wir noch keinen Grund einzusehen,
weshalb keine Vermischung eintritt; wir können
bis jetzt nur die Tatsache verzeichnen. Auch
gibt es Fälle, in denen das wirkliche Verhältnis
zweier Formenkreise zueinander zweifelhaft ist,
z. B. Ranunculus Flannnula und A'. reptans, Carex
flava und C. OcJeri.
Ein besonderer Fall ist es, wenn durch den
Menschen zusammengebrachte, verwandte Arten
zusammentreffen. In einigen Phallen fehlen an den
neuen Standorten die Kreuzungsvermittler; man
kann daher die verschiedenen Arten und Rassen
aus den Formenkreisen der Datura Straiumonium
und des Pisum sativum nebeneinander kultivieren,
ohne daß irgendwelche Kreuzungen eintreten,
obgleich man mit Leichtigkeit Mischlinge durch
künstliche Bestäubung erzeugen kann. In anderen
Fällen findet dagegen eine so wirksame Mischung
statt, daß die ursprünglichen Formen in der Nach-
kommenschaft vollständig verschwinden. Die in
Amerika standörtlich getrennten, eng verwandten
Arten oder Rassen aus dem F"ormenkreisc von
Bcrberis Aquifolium sind in europäischen Gärten,
in denen sie kultiviert wurden, zu einer formen-
reichen Sammelart verschmolzen. In diesem
Falle haben die Gärtner nur wenig zu den
Kreuzungen beigetragen, dagegen sind durch ihre
Bemühungen viele Arten von Ziergewächsen so
gemischt worden, daß die echten Stammformen
kaum wieder zu finden sind. Ein großer Teil
unserer Nutzpflanzen ist im Laufe langer Kultur
aus unabsichtlichen Kreuzungen hervorgegangen.
Man darf diese Beispiele, in denen die freie
Kreuzung ihre mächtige Wirkung ausgeübt hat,
nicht außer acht lassen, wenn man sich mit den
zahlreichen Fällen beschäftigt, in denen sie offenbar
völlig bedeutungslos ist.
Es wird nun notwendig sein, diejenigen Fälle
zu erörtern, in denen es sich nicht um die Ver-
gesellschaftung zweier oder weniger nahe ver-
wandter Rassen, sondern um ganze Rasse n-
oder Artensch wärme handelt, die gleichsam
in einem Schöpfungszentrum vereinigt sind. Der
französische Botaniker Alexis Joidan hat nach-
drücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die
meisten sog. Spezies der Floristen keineswegs aus
gleichwertigen und wirklich gleichartigen Individuen,
sondern aus mehr oder minder zahlreichen
engeren Formenkreisen, die er „especes affines"
nannte, zusammengesetzt sind. Wir würden diese
samenbeständigen Formen, die große Analogie
mit vielen sog. „Varietäten" unserer Kulturge-
wächse zeigen, heute als Rassen oder Kleinarten
bezeichnen. Jordan, der in kirchlichen Vor-
urteilen befangen war, hat sich zwar als sorg-
fältiger Beobachter erwiesen, aber es lag ihm jedes
Nachdenken über naturwissenschaftliche Tatsachen
völlig fern. Er gab keine Deutung seiner Er-
fahrungen, aber andere Botaniker, welche die
Richtigkeit seiner Beobachtungen anerkannten,
haben wohl allgemein seine meisten especes affines
für unmittelbar entstandene erbliche Varietäten
gehalten; wenn sie gut ausgeprägt wären, würde
man sie heute wohl „Mutationen" nennen. Es
fehlt indessen bis jetzt die Beweisführung für diese
Auffassung der Bildungsweise der Kleinarten ; es
fragt sich auch, ob und inwieweit Rassenkreuzungen
an der pLntstehung der Kleinarten beteiligt sind.
Beispielsweise unterschied Jordan in der
früher als formenreiche Art betrachteten ein-
jährigen Draba verna etwa 200 especes affines,
die sich nebeneinander im Garten kultivieren
ließen und sich nach Jordan 's Behauptung als
streng samenbeständig erwiesen. Wie diese Tat-
sache kontrolliert werden konnte, ist freilich
schwer zu verstehen; möglich wäre der sichere
Nachweis nur durch Aussaat an entfernter Stelle.
Kreuzungen beobachtete Jordan nicht. In ent-
sprechender Weise prüfte oder beurteilte er andere
86
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 6
Sammelarten. L. Reichenbach hat später die
Gattung Scleravtlius in ähnlicher Weise behandelt,
wie es Jordan mit Draba venia gemacht hat.
Gandoger und andere haben Jordan 's Werk
fortgesetzt, aber es ist ihnen nicht gelungen, das
Auffassungsvermögen anderer Botaniker so zu
schärfen, daß dieselben viele der especes affines
wiedererkennen. Blickt man indessen in die
neueren floristischen Spezialarbeiten , z. B. in
Ascherson und Graebner's Synopsis der
mitteleuropäischen Flora, so erkennt man bald,
daß von einem einheitlichen Anbegriff keine Rede
mehr sein kann, daß vielmehr die Hauptarten
meistens aus Unterarten, Rassen, Leitarten, Ab-
arten usw. zusammengesetzt sind. Es steht jeden-
falls fest, daß in vielen Fällen zahlreiche ausgeprägte
Kleinarten oder especes affines gesellig vorkommen
und sich unter diesen Umständen beständig zeigen,
anscheinend ohne einen merklichen Einfluß der
freien Kreuzungsmöglichkeit. Allerdings gibt es
auch Fälle, in denen sich das Schwanken des Arttypus
leichter durch die Annahme vorhandener Rassen,
die stets wieder gekreuzt werden, verstehen läßt.
Nun gibt es aber auch Artenschwärme,
deren Glieder durch wesentlichere Unterschiede,
als die der especes affines zu sein pfiegen, ge-
trennt sind. In Mitteleuropa trifft man sehr häufig
kleine Waldungen oder Gebüsche an, in denen
Dutzende von Arten aus den Gattungen Rabiis,
Rosa oder Hieraciiim nebeneinander wachsen. In
einer Entfernung von wenigen Kilometern kann
man einen anderen Wald untersuchen, der einige
übereinstimmende, aber außerdem auch mehr oder
weniger zahlreiche andere Arten enthält. Um
sich die Entstehung von ,, Schöpfungsherden" an
einem Beispiel in kleinstem Maßstabe klar zu
machen, sei hier an Le vi er 's Schilderung der
italienischen Tulpenfundorte erinnert. In Getreide-
feldern Mittelitaliens haben sich an zerstreuten
Stellen Tulpen eingebürgert, die anscheinend ver-
änderte Abkömmlinge orientalischer wilder Arten
sind. Sie sind an jedem Standorte sehr gleich-
förmig, erhalten sich durch Zwiebelvermehrung,
bringen aber sehr selten P'rüchie. Von Zeit zu
Zeit erscheinen nun neue Tulpenarten, aber fast
immer an den Stellen, an denen schon von jeher
das Vorkommen von Tulpen bekannt war. Bei
der Augenfälligkeit der Blumen und bei dem
Interesse, das sie bei Botanikern und Liebhabern
erregen, ist es unmöglich, anzunehmen, daß die
neuen Arten früher übersehen sind. Sie sind
offenbar wirklich neu entstanden. Der Schöpfungs-
herd liegt ohne Zweifel in einer der seit langer
Zeit eingebürgerten und bekannten Tulpen, die
mit eigenem Blütenstäube völlig unfruchtbar sind.
Wird nun einmal durch irgendeinen Zufall Pollen
einer Gartentnlpe auf eine Feldtulpennarbe ge-
führt, so werden Samen erzeugt, die ausgestreut
werden und Mischlinge entstehen lassen, welche
sich ohne Samen durch Zwiebeln vermehren.
Solche Mischlinge sind die in dem Schöpfungs-
herde gebildeten neuen Arten.
Die zahlreichen gesellig wachsenden Arten
von Rtlbus, Rosa und Hieraciiim haben nun eine
gemeinsame Eigentümlichkeit: in ihrem Blüten-
stäube findet man mehr oder minder zahlreiche
mißgebildete oder verkümmerte Körner. Der-
artigen ,, mischkörnigen" Blütenstaub trifft man fast
regelmäßig bei Bastarden an. — Bei Riibiis liegen
nun die Verhältnisse folgendermaßen. Es gibt in
Mitteleuropa unter den schwarzfrüchtigen Brom-
beeren drei weit verbreitete, allerdings variable
Arten, die einen gleichkörnigen Blütenstaub be-
sitzen. Wo sie zusammentreffen, bilden sie sehr
häufig lebenskräftige, wuchernde aber wenig
fruchtbare Bastarde. Zwei der Arten, R. caesius
und R. toiiicntosits, liefern auch häufig Kreuzungen
mit den übrigen Ritbiis-¥ormex\\ die dritte Art
(R. iilmifolius oder R. rusticaniis) tut es ebenfalls,
aber seltener. Unter den zahlreichen misch-
körnigen Riibiis-Voxvc\tx\ sind manche gut abge-
grenzte und recht beständige Arten vorhanden,
die auch eine ansehnliche Verbreitung besitzen
(z. B. R. stiberectiis, siilcatiis, Qiiesticrii, Sprcngelii,
rii'iis, scaber Bellardii usw.). Solche Arten
wachsen gewöhnlich zu mehreren oder vielen ge-
sellig; Bastarde zwischen ihnen sind selten. Aller-
dings gibt es einzelne Arten, z. B. R. vestilns und
R. bifroiis, die in ähnlicher Weise wie R. caesius
und R. tomentosus, leicht Verbindungen mit an-
deren Arten eingehen. Auch wenn man die
Schwierigkeit der Erkennung von Mischlingen
zwischen ähnlichen Arten sorgfältig berücksichtigt,
kann man sich nicht der Wahrnehmung entziehen,
daß die nahe verwandten Riibus-Krxtn sich selten
fruchtbar kreuzen. Es ist vollkommen unrichtig,
wenn man allgemeingültige Behauptungen über
Kreuzungsmöglichkeiten aufstellen will. Etwas
veränderte Umstände bedingen manchmal ein
vollständig verschiedenes Verhalten. Wo z. B. in
Norddeutschland Potentilla procumbcns mit P.
Tornientilla zusammentrifft, entstehen zahlreiche
Mischlinge, die meistens viel häufiger sind als die
P. prociinibens selbst, welche von ihnen an vielen
Stellen ganz verdrängt worden ist. In England
dagegen kommen zwar Kreuzungen der beiden
Potentillcn vor, aber man muß danach suchen,
da die echte P. procunibens unverhältnismäßig viel
häufiger ist als die Mischlinge.
Die Entstehung beständiger gekreuzter Rassen
in den Gärten, sowie mancherlei einzelne Tat-
sachen bestätigen die Ansicht, daß die Rubi mit
mischkörnigem Blütenstaub aus Kreuzungen her-
vorgegangen sind, die z. T. schon vor der Eiszeit
erfolgt sein mögen. Zu weiteren Kreuzungen
sind viele der Mischrassen wenig geneigt. — Mehr
oder minder analoge Verhältnisse wie bei Ridnis
finden sich bei Rosa und Hieraciiim, sowie bei
manchen Potcntillen, Centaurcen und zahlreichen
anderen Pflanzen.
Die in die dritte Abteilung gestellten Pflanzen,
bei welchen die Bestäubung durch Pollen eines
anderen Stockes für die Fruchtbildung notwendig,
Selbstbestäubung also ausgeschlossen
N. F. Vin. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
87
ist, bieten viele außerordentlich interessante Ver-
schiedenheiten, aus denen sich mancherlei Finger-
zeige für die Entstehungsgeschichte der Arten
entnehmen lassen. Die gesellig wachsenden ver-
wandten Rassen scheinen indessen nicht zahlreich
zu sein. Die durch Kreuzung zweier einander
nahestehenden Arten entstandenen Stöcke be-
dürfen zur Samenbildung Fremdbestäubung, haben
aber sehr geringe .Aussicht von einer ihnen selbst
ähnlichen Pflanze gleichen Ursprungs bestäubt zu
werden oder dieselbe ihrerseits zu befruchten. Jede
Kreuzung hat also fast immer weitere Kreuzungen
ungleicher Stöcke zur Folge; die Entwicklung
neuer Rassen aus den Kreuzungen ist im allge-
meinen erst dann möglich, wenn zwei Formen-
kreise nahezu vollständig verschmolzen sind und
darauf Isolierungen eintreten, die an jedem Orte
das Gedeihen der den dortigen Verhältnissen am
besten angepaßten Formen des veränderlichen
Sammeltypus begünstigen.
Unter den zweihäusigen Gewächsen ist allein
die Gattung Salix in Europa durch zahlreiche,
zum Teil vergesellschaftet vorkommende Arten
vertreten. Bei Salix sind Artenkreuzungen sehr
häufig, scheinen aber auf die Stammarten kaum
einen abändernden Einfluß auszuüben. Beachtens-
wert für die in diesen Betrachtungen erörterten
Verhältnisse sind namentlich zwei Reihen von!
Salix- h.x\.en. Eine derselben besteht aus den ein-J
ander nahe verwandten Arten der Caprea-Grup^e:]
{Salix caprea, grandifolia, silcsiaca, aurita, cinerea)]-^
von denen oft mehrere standörtlich gemischt vor-,-
kommen. Trotz ihrer Ähnlichkeit, ihres örtlichen
Zusammenwohnens und der Trennung der Ge-
schlechter findet man Kreuzungen zwischen ihnen
nicht häufig. Jede Art bewahrt ihren Charakter
und es ist keine Isolierung notwendig, um jeder
Art ihre Selbständigkeit zu erhalten. Die zweite
Reihe wird aus völlig verschiedenen Arten ge-
bildet, die nur in ihrer großen Veränderlichkeit
übereinstimmen. Die ausgeprägtesten Glieder
ihrer Formenkreise sind untereinander so ungleich,
daß man an ihrer spezifischen Verschiedenheit
niemals zweifeln würde, wenn nicht alle Mittel-
formen vorkämen, ohne irgendwelche Zeichen von
Hybridität aufzuweisen. Zu diesen veränderlichen
Arten gehören Salix repens, S. triandra {ainyg-
dalind), S. nigricans. Ihre Formenkreise sehen so
aus, als ob in ihnen je zwei oder mehrere ver-
wandte Arten oder Rassen durch fortgesetzte
Kreuzungen verschmolzen seien. Man kann sie
mit manchen gekreuzten Kulturpflanzen ver-
gleichen.
Es scheint mir, als ob die geographische Ver-
breitung der zweihäusigen und der mit eigenem
Blütenstaub unfruchtbaren Gewächse viel mehr
Ähnlichkeit mit den bei den Tieren beobachteten
Verhältnissen hat. Trennung der Geschlechter
erfordert bei Pflanzen wie bei Tieren wirksame
Mittel zur Verhütung von Mischungen, wenn man
selbständige reine Rassen züchten oder entstehen
lassen will.
Schlußbetrachtungen. Aus den ange-
führten Tatsachen läßt sich keine allgemeine Regel
darüber ableiten, ob verwandte Arten und Rassen
getrennt oder gesellig vorzukommen pflegen. Man
denke einerseits an die Parallelformen des Kalks
und des kristallinischen Gesteins, andererseits an
die Artenschwärme der Rubi und der especes
affines. — Eine ganz allgemeine Fragestellung
nach dem örtlichen (geographischen) Verhalten
der verwandten Formen dürfte ziemlich unfrucht-
bar sein. Über die Folgen der Isolierung und
über ihre Wichtigkeit für die Entstehung neuer
Arten macht man sich ebenso häufig unrichtige
Vorstellungen, wie über die Allgemeinheit der
Wirkungen freier Kreuzung. — Geschlechtliche
Vermischung und Kreuzung verschiedener Stöcke
sind notwendig für die Erhaltung der Biegsam-
keit, der Veränderlichkeit, der Anpassungsfähig-
keit und Widerstandskraft. Sollen sich aus Ab-
änderungen neue Arten entwickeln, so ist aller-
dings eine Beschränkung der freien Kreuzung, ein
gewisser Grad von Inzucht, notwendig. Die Ab-
sonderung der beginnenden Arien kann eine
I räumliche oder zeitliche (Blütezeit) sein; bei der
räumlichen Trennung braucht man aber nicht
' notwendig an weite Abstände zu denken ; vielmehr
' genügt eine Anpassung an verschiedene stand-
örtliche Verhältnisse (Chemismus, Wasser- oder
Lichtbedürfnis) vollkommen. Es wird ferner
häufig beobachtet, daß verwandte Arten und
Rassen geringe Neigung zeigen, Kreuzungen mit-
einander einzugehen, ohne daß sich jedesmal ein
äußerer Grund für dies Verhalten vermuten läßt.
Es kommen sowohl allmähliche (Pedigree-
Züchtungen) wie plötzliche (Mutationenj Abände-
rungen vor.
Auf die Unterscheidung, ob Variation, ob
Mutation, vermag ich keinen erheblichen Wert
zu legen. Wir müssen uns darüber klar werden,
daß unsere ganze Merkmalsystematik nur ein
vorläufiger Notbehelf ist, durch den wir uns einen
allgemeinen Überblick über die Pflanzengestalten
verschaffen wollen. Der wirkliche Gegenstand
unserer Untersuchungen ist die lebende Pflanze
mit ihrer verwickelten chemisch-physikalischen
Tätigkeit, durch welche die spezifischen
Albumosen gebildet und der spezifische Auf-
bau der Organe sowie die äußere Gestalt be-
stimmt werden. Nicht in den einzelnen Merk-
malen, nicht in den Formschwankungen der Laub-
und Blütenblätter oder in der Behaarung und
Färbung, sondern in den inneren Stoff-
wechselvorgängen liegen die wirklichen Ur-
sachen der spezifischen Verschiedenheiten.
88
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 6
Kleinere Mitteilungen.
Die neuesten Forschungen über die fossilen
Saurier bildeten den Gegenstand einer Vorlesung,
die der Direktor des Berliner zoolo^jischen Mu-
seums, Prof. Dr. Brauer, für den Oberlehrer- Ferien-
kursus am 3. Oktober 1908 hielt und aus deren
interessantem Inhalt hier einiges berichtet werden
soll.
Die Hauptentwicklung der Saurier fällt in das
Mesozoikum, jene etwa vier bis fünf Millionen
Jahre zurückliegende Epoche der Erdgeschichte,
da Europa infolge einer starken Meerestransgression
in ein System von Inseln aufgelöst war und die
eruptive Tätigkeit so gut wie völlig pausierte, so
daß die Ablagerung der Schichten sehr gleich-
mäßig und ungestört stattfand, ein Umstand, der
den Reichtum der mesozoischen Ablagerungen
an gut erhaltenen fossilen Resten bedingte.
Größe bis hinauf zu jenen riesenhaften Formen,
von denen nachher gesprochen werden soll.
Wir unterscheiden unter den mesozoischen
Reptilien vier Gruppen, die Ichthyopterygii,
Sauropterygii, Patagiosaurier (Flugsaurier) und die
Dinosaurier.
Die besten Fundstätten der Ichthyosaurier
und Plesiosauren sind Lyme Regis in England
und Holzmaden bei Stuttgart. Die betreffenden
Schichten liegen in Holzmaden nahe der Erdober-
fläche (vgl. Fig. 1) und sind nur wenige Zenti-
meter dick. Eine ausgebrochene Platte zeigt zu-
nächst nur dem kundigen Auge, ob sie einen
Tierrest einschließt und daher eine Präparation
lohnt. Da das Gestein sehr brüchig ist, muß mit
größter Vorsicht bei der Bloßlegung der fossilen
Reste gearbeitet werden, so daß jede Präparation
für mehrere Monate Arbeit gibt und oftmals eine
künstliche Zusammensetzung aus vielen Bruch-
Fig. I. Ein Posidonienschieferbruch (Lias «) in Holzmaden.
Neben den massenhaft die damaligen Meere
bevölkernden Ammoniten war die Fauna jener
Zeit in erster Linie durch die zahlreichen Arten
der Reptilien gekennzeichnet.
Die Reptilien des Mesozoikums sind bereits
ebenso wie die heut lebenden Ordnungen in zwei
Gruppen geteilt, bei deren einer das Quadratbein
beweglich eingelenkt ist, während es bei der
anderen fest mit den Schädelknochen verbunden
ist. Die gemeinsame Wurzel dieser beiden Gruppen
ist demnach in früherer Zeit zu suchen , doch ist
darüber wegen der weniger guten Erhaltung der
älteren fossilen Reste nichts näheres bekannt.
Im Mesozoikum beherrschen die Reptilien das
Land, das Meer und sogar auch die Luft und
zeigen sich uns in Arten der verschiedensten
stücken erfordert. ') In Holzmaden werden all-
jährlich über hundert Tiere gefunden und unter
der umsichtigen Leitung von Herrn B. Hauff
kunstgemäß präpariert. Der Freundlichkeit dieses
Herrn verdanken wir die Vorlagen zu den Ab-
bildungen I — 6. Aller Wahrscheinlichkeit nach
war in dem Jura Meer hier in Holzmaden eine
Meeresbucht, in welcher die Fischsaurier in großen
Scharen lebten und nach ihrem Absterben durch
eine schnelle Schlammeinbettung vor gänzlicher
Zerstörung geschützt wurden.
Beim Plesiosaurus (Fig. 3) sind die Körper-
regionen scharf abgegrenzt, das Tier zeigt also
') Vgl. den in Fig. 2 abgebildeten Fund , bei dem eben
erst mit der Präparation begonnen worden.
N. F. VIII. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
89
i£?
90
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 6
F. N. Vin. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
91
noch seine Abstammung von Landtieren. Auch
ist noch nicht der Schwanz das Hauptbewegungs-
organ, sondern die Extremitäten. Der lange, aus
41 Wirbeln bestehende Hals gab dem Tiere die
Möglichkeit, große Flächen abzufischen.
Der Ichthyosaurus (Fig. 4) zeigt eine
große .Ähnlichkeit mit den Zahnwalen der Gegen-
wart. Der Körper ist nicht mehr in seine Haupt-
regionen abgegliedert, das Gebiß besteht aus lauter
gleichen, spitzen Zähnen, der Schwanz ist das
Hauptbewegungsorgan ; die hinteren Extremitäten
sind zwar noch vorhanden, aber kleiner als die
vorderen, die eine typische F"losse darstellen. Auch
Rücken- und Schwanzflosse sind nach neueren
Pfunden vorhanden gewesen, letztere allerdings
wie bei den Fischen vertikal stehend, nicht hori-
zontal wie bei Walen. Das Ende der Wirbelsäule
biegt nicht wie bei Knorpelfischen nach der dor-
salen Seite in die Schwanzflosse ab, sondern nach
der ventralen Seite. Zuerst hielt man diese plötz-
liche Abbiegung nach abwärts für eine zufällige
Verdrückung. Da aber sämtliche F"unde die
gleiche Erscheinung zeigen, muß die ventrale Ab-
knickung der Wirbelsäule bereits allgemein im
Leben vorhanden gewesen sein. — Trotz aller
Ähnlichkeiten können die Wale nicht vom Ichthyo-
saurus abstammen, wie man eine Zeitlang wohl
angenommen hat. Das Studium der Wale ergibt
mit voller Sicherheit, daß sie von Landsäuge-
tieren abstammen müssen. Dies zeigt nament-
lich der Walembryo. Ebenso sind die Ichthyo-
sauren nicht etwa direkt von Fischen , sondern
von Landreptilien abzuleiten. Die Ähnlichkeiten
zwischen Fischen, Ichthyosaurus und Walen sind
also lediglich als Konvergenzerscheinungen auf-
zufassen, die durch Anpassung an das flüssige
Element zu erklären sind.
Bei 14 Exemplaren hat man im Innern der
Ichthyosauren junge Tiere gefunden, und zwar i
bis 1 1 in einem Exemplar. Auch unsere Abbil-
dung Figur 5 läßt ein solches Junges erkennen.
Es ist lange darüber gestritten worden, ob es sich
hier um Embryonen oder von den Alten aufge-
fressene Junge handelt. Fraas hält die jungen
Tiere für Embryonen, zumal sie keine Spuren der
Verdauung aufweisen und eines eine für Embryonen
charakteristische Krümmung zeigt. Branca ist
gegenteiliger Ansicht, da die Lage der jungen
Tierchen eine sehr verschiedene ist. Viele liegen
im Halse und von den 36 aufgefundenen Jungen
zeigen nur 6 die normale Geburtslage (Kopf nach
hinten), alle übrigen haben Steißgeburtlage, die
nirgends im Tierreich normal ist. Auch die un-
gleiche Anzahl der in einem Tier gefundenen
Jungen muß Bedenken gegen die Embryonen-
theorie erregen. Vielleicht sind beide Ansichten
für je einen Teil der Funde zutreffend. Die
Ichthyosauren müßten dann also lebendig gebärend
gewesen sein.
Einen auffallenden Gegensatz zu den Fisch-
sauriern, die durch ihre Flossen und nackte Haut
eine weitgehende Anpassung an den Aufenthalt
im Meere zeigen, [bilden die namentlich in den
Schiefern von BoU bei Göppingen vorkommenden
92
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vin. Nr. 6
Teleosaurier, die mit dicl<en, viereclcigen Knochen-
schildern bedeckt waren und durch ihre längeren
Gliedmaßen wohl befähigt waren, sich auch auf
dem Lande zu bewegen. Als ein Beispiel dieser
Gruppe führen wir unseren Lesern in F'igur 6 ein
Prachtexemplar des MyStriosaurus BoUensis vor
Augen.
Die Flugsaurier sind in hohem Maße an
die Bewegung durch die Luft angepaßt, was man
bei heutigen Reptilien nur in geringem Maße
von einer einzigen Art, Draco volans, sagen kann. Da
wir unter den fossilen Reptilien etwa 6o Arten finden,
die das P'lugvermögen besaßen, und zwar darunter
dagegen reduziert , die Flughaut trägt Federn.
Bei den Flugsauriern finden wir eine nackte Flug-
haut , Ober- und Unterarm sind kurz, dagegen
der letzte Handfinger sehr stark verlängert. Un-
möglich können daher die Vögel von diesen
Formen abstammen, obgleich sie wohl von Rep-
tilien abstammen mögen. Als Ubergangsformen
können Archaeopteryx und Vögel der Kreidezeit
mit bezahnten Kiefern (Ichthyornis) bezeichnet
werden. Bei Archaeopteryx finden wir Federn,
eine geschlossene Schädelkapsel, vogelartige Hinter-
extremitäten, aber Zähne, drei freie, mit Krallen
versehene Finger, einen langen Schwanz und nicht
Fig. 7. Diplodocus Carnegiei, aufgestellt im- Lichthof des Berliner Museums für Naturkunde.
(Mit Genehmigung der Redaktion der illustrierten Zeitung ,,Der Tag".)
solche von der Größe eines Sperlings bis zu sol-
chen, deren Spannweite 7';'., m beträgt (Pteranodon),
so ist anzunehmen, daß sie sehr zahlreich gewesen
sind.
Der wichtigste Fundort für Flugsaurier ist
Solnhofen in Bayern, wo ja auch die beiden bis
jetzt bekannten Exemplare des berühmten Archaeo-
pteryx gefunden wurden. Schon die Flugsaurier
zeigen pneumatische Knochen und andere Ähn-
lichkeiten mit Vögeln , sie sind aber nach dem
Sacrum und vor allem nach dem Bau der Flug-
organe echte Reptilien. Bei den Vögeln ist der
Ober- und Unterarm stark verlängert, die Hand
sehr stark ausgebildetes Becken. Das Tier war
zu neun Zehnteln ein Vogel, aber zu einem Zehntel
noch Reptil. Von welchen Reptilien die Vögel
aber abzuleiten sind, ist noch nicht ermittelt.
Fossile Funde, die den Übergang von Fallschirm-
reptilien, die einen hohen Punkt durch Klettern
erreichten, vermitteln, fehlen. Daß aber die Vögel
von diesen und nicht von Flugsauriern abstammen,
wird z. B. durch den Besitz des Daumens bei
heutigen Vögeln wahrscheinlich gemacht, der mit-
unter sogar noch eine Kralle hat und vom
jungen Opisthocomus noch zum Klettern benutzt
wird.
N. F. Vin. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
93
Unser besonderes Interesse beanspruchen nun
nocli die Dinosaurier, jene g^ewaitigen Land-
tiere, deren Spuren sich hauptsäclilich in Belgien
und in den Rocky Mountains von Nordamerika
gefunden haben. In Deutschland ist von dieser
Tiergruppe leider nichts zu finden. In neue-
ster Zeit sind allerdings auch auf deutschem
Gebiet, nämlich bei Lindi in Ostafrika, Dino-
saurierreste von Fraas entdeckt worden. Der
Boden ist an der betreftenden Stelle mit zer-
fallenen Knochen von Sauriern bedeckt, in der
Erde aber findet man wohlerhaltene Skelette, und
zwar in losem Sande, so daß die Ausgrabung
ohne sehr erhebliche Kosten möglich sein wird.
Zunächst ist das Terrain von der Regierung ge-
sperrt worden, aber die Ankunft der wertvollen
Funde im Vaterland wird noch eine Weile auf
sich warten lassen.') Wir müssen uns daher vor-
läufig mit den Nachrichten über die amerikanischen
Funde '), beziehentlich mit dem von Carnegie in
großherziger Weise dem deutschen Kaiser ge-
schenkten Abguß eines Diplodocus, der sich
im Berliner zoologischen IVIuseum befindet (vgl.
Figur 7), begnügen. Die auf Kosten des Milliardärs
Carnegie ausgeführten Ausgrabungen dieser Tiere
wurden 190 1 begonnen und haben bis jetzt vier
Skelette zutage gefördert , die bis auf das noch
fehlende Schlüsselbein alle Knochen lieferten, so
daß eben die Rekonstruktion eines vollständigen
Skeletts möglich war, das im Original in Pitts-
burgh verblieben ist. Manche der Tiere müssen
die für Landbewohner enorme Länge von 40 m
gehabt haben. Allein der Oberschenkel ist 1^2™
lang. Außerordentlich lang sind auch Hals und
Schwanz, ersterer aus 15 sehr großen, letzterer
aus 'J'^ am Ende sehr klein werdenden Wirbeln
zusammengesetzt. Der Schädel ist im Vergleich
zum übrigen Körper merkwürdig klein, nämlich
nur ^/j m lang. Der Atlas ist nur '/j cm breit,
aber nach dem Rücken zu werden die Wirbel
immer größer. Der lange, dünne Schwanz hat
wahrscheinlich als Waffe gedient. Der Name
Diplodocus (mit doppelten Spangen) kommt da-
her, daß die unteren Fortsätze der Schwanzwirbel
doppelt, schlittenartig ausgebildet sind.
Diplodocus hatte nur Schneidezähne, keine
Backenzähne und war jedenfalls ein in Sümpfen
oder seichten Gewässern lebendes Tier. Auf dem
trockenen Lande würde es den Kampf mit kräf-
tiger bezahnten Dinosauriern nicht bestanden
haben. Die Schädelhöhle ist nur 6 cm lang.
Die geistige Tätigkeit dürfte eine minimale ge-
wesen sein. Im Gegensatz zum minimalen Gehirn
steht die enorme Anschwellung im sakralen Teil
des Rückenmarks. Man hat sie auch als Sakral-
gehirn bezeichnet. Die Enge der Beckenöfi'nung
deutet darauf hin, daß das Tier ziemlich kleine
Eier, ähnlich wie die heutigen Riesenschildkröten,
gelegt haben mag. Das Wachstum muß ein sehr
langsames gewesen sein , so daß dem ausge-
wachsenen Tier wohl ein Alter von 200 Jahren
zuzuschreiben sein wird. Veränderte Lebens-
bedingungen, die am Ende der Kreidezeit ein-
traten, dürften das Aussterben der Dinosaurier
bewirkt haben. Kbr.
Onosma der Mainzer Sandflora Adventiv-
pflanze? — Beim Lesen des interessanten Ar-
tikels von Ernst H. L. Krause über den Namen
Veronica in Nr. 31 vorigen Jahrganges fiel es mir
auf, daß unter den alten Kräuterbüchern, die
Verf auf diesen Namen hin durchgesehen hat, das
von Lonitzer fehlt. Um zu sehen, ob dies über
die Angelegenheit nichts enthalte, nahm ich es
(Ausgabe von 1557) zur Hand. Was ich suchte,
fand ich nun allerdings nicht, aber vergeblich war
mein Suchen doch nicht; denn ungewollt machte
ich dabei eine mir erfreuliche Entdeckung, die
auch der Erwähnung an dieser Stelle wert sein
dürfte.
Ernst H. L. Krause hat im Jahre 1904 in
Nr. 24 der Naturw. Wochenschrift Stellung ge-
nommen gegen die von Jännicke aufgestellte
Theorie, nach der die Flora des Mainzer Sand-
gebietes als Relikt aus der Steppenzeit anzusehen
ist. In Nr. 45 dieser Zeitschrift habe ich meine
Bedenken gegen seine Ausführungen dargelegt
und einzelne seiner Annahmen widerlegt. So
konnte ich z. B. seine Behauptung, daß Onosma
arenarium, diese typische Steppenpflanze, eine
Adventivpflanze sei, die erst nach 18 14 dort
aufgefunden worden sei, als irrtümlich nachweisen,
indem ich aus der Literatur zeigte, daß sie bereits
1794 in Menge dagewesen ist. Weiter zurück
konnte ich damals ihr hiesiges Vorkommen nicht
verfolgen, und doch hatte ich den Beweis ihres
Indigenates, den ich erst jetzt gefunden habe, in
allernächster Nähe bei mir stehen, nämlich in
Lonitzer's ,,New zugericht Kreuterbuch".
Warum kam mir damals nicht der Gedanke,
in diesem Buche nachzusuchen? Lonitzer macht,
wenn er den Standort einer Pflanze überhaupt
erwähnt, immer nur ganz allgemeine Angaben.
Z. B. von der Boberelle (Physalis alkekengi):
,,Wechßt gern inn Weingärten und andern Gärten
ann zeunen". Oder von der Küchenschelle (Pulsa-
tilla vulgaris): „Wechßt an sandechten und berg-
echten orten und inn Waiden in den Dornhecken"
usw., er gibt aber nicht, wie das H. Bock oft tut,
bestimmte Gegenden oder gar genau den Ort an,
wo er seine Pflanzen gefunden oder ihr Vorhan-
densein erfahren hat.*) Ich konnte mir also von
') Kraas fand u. a. Rückenwirbel, die die des Diplodocus
Carnegiei um ein Drittel übertreffen und die er daher einer
neuen Spezies zuschreibt, der er den Namen Gigantosaurus
augustus africanus gibt.
'■') In den Veröffentlichungen des Carnegie-Museums.
■) Nur bei drei Pflanzen habe ich das gefunden, bei
Lunaria und Asphodelus, die nach Exemplaren aus dem
Garten ,,von dem Ehrsamen Joanne Nezeno, Apotecker zu
Franckfort'* gezeichnet worden sind, und bei Platanus, wo er
eine Angabe von H. Boch wiedergibt.
94
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 6
einem Suchen in diesem Buche kaum P>folg ver-
sprechen. Und dennoch habe ich darin nachge-
sehen, habe auch zu meiner Freude den Namen
Onosma gefunden, konnte aber weder aus der
Abbildung, noch aus dem Texte etwas Sicheres
entnehmen. Erstere (S. 321) zeigt eine Wurzel
mit einem Blätterschopf, der zwar mit dem der
erstjährigen Pflanze von Onosma arenarium etwas
Ähnlichkeit hat, aber ebensogut auchden von Echium
vulgare darstellen könnte. Dazu schreibt er:
„. . . hat vil rauhe, dicke bletter, welche auf dee
erden ringsumb gespreytet ligen, hat kein Stengel,
auch kein blüet oder samen. Die wurtzel ist
lang, dünn unnd rotfarbig. Wechßt an rauhen
orten." Hieraus konnte ich unmöglich mit nur
einiger Wahrscheinlichkeit auf unsere Pflanze
schließen. Scheint auch die rote Wurzel auf sie
hinzudeuten, so kann man doch bei einer so all-
gemeinen Standortsbezeichnung nicht an eine
Pflanze denken, die bei uns nur in einem so be-
schränkten Gebiet vorkommt.
Bei der vorhin erwähnten Gelegenheit fallen
nun heut meine Blicke auf eine Abbildung, die
mich sofort an Onosma arenarium erinnert. Zu
meiner Überraschung finde ich auch in dem
dazu gehörigen Texte eine Ausnahme von der
Regel, nämlich die ganz bestimmte Angabe eines
Fundortes, und zwar ist dieser die Sandgegend
zwischen Mainz und Mombach, also das
umstrittene Steppenüberbleibsel ! Lonitzer führt
diese Pflanze unter den Ochsenzungen auf, unter
denen er mehrere Geschlechter unterscheidet:
,,die gemeyne zame und wilde Ochsenzung, die
Welsch Ochsenzung, die Wald Ochsenzung, die
Hundszung und der Borrich." Außerdem behan-
delt er aber noch die in der Übersicht fehlende
„Rot Ochsenzung", die diesen Namen „von dem
rotfarben saft'c der wurtzeln" führt. Von dieser
Gruppe zählt er ,,nach Dioscorides" drei Ge-
schlechter auf, bildet sie auch ab, aber nur eins
beschreibt er genau, offenbar, weil er nur dies eine
genau kennt, die anderen aber wenig oder gar
nicht. Diese sorgfältig beschriebene Pflanze ist
nun aber offenbar unser heutiges Onosma arenarium.
Er sagt von ihr folgendes: „Das erst (Geschlecht)
ist, so da wechßt in sandechten orten und sehr
gemeyn ist in dem sandechten feld bei Mentz
auff Mumbach zu . , . Sie wechßt buschecht mit
vielen nebenzincklin, welche mit vielen äschfarb
grauen blettern besetzt sind ; die gstalt der bletter
ist wie an der gemeynen Ochsenzung, ') Bringt
weisse blumen; unden auf dem erdtreich bei der
wurtzel bringt es etliche lange, schmale, feyßte,
schwartzgrüne rauhe bletter wie lange, schmale
Zungen. Die wurt?el ist fingers dick, hat ein
rote schelen , welche die finger ferbet. Und hat
die natur, daß sie nit ferbet, so sie in wasser
gesotten wird sonder allein mit öl oder anderm
feyßt, Wie ich solches selbs bewert habe." ') Die
dazu gehörige Abbildung nun ist in bezugauf Blätter,
Stengel und Blütenstand unverkennbar Onosma
arenarium, wenn auch die schönen, großen Blüten
der Pflanze wenig kenntlich sind. Aber mit der
Blütenform nimmt es der alte Herr Doktor nicht
immer allzu genau. Und doch sind ein Paar
Merkmale der Natur richtig abgesehen. Höchst-
wahrscheinlich ist die Zeichnung nach einem ge-
trockneten Exemplare gemacht. Denn einmal
sind zwei rotbraungefärbte Blüten abgebildet; das
sind vertrocknete, wie sie bisweilen im Kelche
stecken bleiben. Und zweitens zeigt der eine
Blütenstand drei hervorstehende, geknöpfte Fäden;
das sind die nach dem Abfallen der Blumenkrone
weit aus dem Kelche hervorragenden Griffel,
deren Narben allerdings etwas zu dick geraten
sind. Daß bei den Abbildungen eine Verwechse-
lung der Überschriften stattgefunden hat — An-
chusa tertia statt prima — kann den nicht be-
irren, der die Pflanze kennt. Zum Überfluß habe
ich noch das letzte Merkmal, die Löslichkeit der
Wurzelfarbe betreffend, untersucht und gefunden,
was Lonitzer darüber bemerkt. Ein kleines Stück
in Wasser gesotten gab diesem kaum einen röt-
lichen Anflug, ein ebensogroßes in Öl färbt es
aber wundervoll dunkelrot.
Nach alledem kann es wohl nicht mehr im
geringsten zweifelhaft sein, daß Onosma arenarium,
schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts als
,,sehr gemein" bei Mainz bekannt, zu den uralten
pflanzlichen Bewohnern der Gegend gehört und
als Steppenrelikt angesehen werden muß.
L. Geisenheyner.
Aus dem ^vissenschaftlichen Leben.
Ein III. Ferienkurs für wissenschaftliche Mi-
kroskopie findet statt vom 8. — 13. März 1909 in dem
unter Leitung von Prof, Th, Liebisch stehenden mineralog,-
petrogr, Institut der Kgl, Universität Berlin N, 4 (Invaliden-
straße 43). Die Apparate und Mikroskope werden von der
optischen Werkstätte von Carl Zeiß (Jena) zur Verfügung ge-
stellt, .\Is Dozenten werden wirken Prof, Dr. H, Ambronn,
Dr, A, Köhler, Dr, H, Siedentopf. — Die Anmeldungen zur
Teilnahme sind zu richten an den Kustos des mineral-petrogr,
Museums Prof, Dr, Belowsky, Die Zahl der Teilnehmer an
den Übungen und Demonstrationen ist auf 30, an den Vor-
trägen auf etwa 60 beschränkt.
') Echium vulgare.
-) Seite 222,
Bücherbesprechungen.
Archiv für die Geschichte der Naturwissen-
schaften und der Technik (F. C, W. Vogel in
Leipzig) nennt sich ein neues Periodikum, dessen
erstes Heft vorliegt. Als Herausgeber sind angegeben
die Professoren v. Buchka, Stadler und S u d h o f f
und der Oberst z. D. C, Schaefer. Die Zeitschrift
soll in zwanglosen Heften erscheinen, von denen fünf
einen Band zum Preise von 20 Mk, bilden. Die
Zeitschrift will die Kenntnis der Vergangenheit auf
den Gebieten der Naturwissenschaft und Technik
pflegen : sicherlich ein wichtiges Unternehmen. In
der Anzeige wird mit Recht darauf hingewiesen, daß
N. F. VIII. Nr. 6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
95
die Erfassung des Werdens allein ein volles Verständ-
nis des (Gewordenen verbürgt. Das erste Heft bringt
nach einer Einführung von v. Buchica 8 Artikel in
fran/iösischer, italienischer, meist aber in deutscher
Sprache und unter kleineren Mitteilungen noch eine
Notiz aus der Feder Sudhoff's, die größeren Ar-
tikel (das ganze Heft umfaßt 86 Seiten) haben zu
Verfassern: Loria, Haas, Vailati, Stadler,
Wiedemann, Erdmann, v. Meyer.
Dr. J. E. V. Boas, Prof. der Zoologie an der Kgl.
Landw. Hochschule zu Kopenhagen, Lehrbuch
der Zoologie für Studierende. 5. verm.
und verbesserte .Auflage. Mit 603 Abbildungen.
Verlag von Gustav Fischer in Jena, 1Q08. — Preis
12 Mk.
Die 4. Auflage des bewährten Buches erschien
erst 1906 und schon wieder zeigen wir eine Neu-
auflage an. Auch an dieser sieht man die liebevoll
verbessernde Hand. Kleine Zusätze betreffen das
Mendel'sche Gesetz, die Rhizostomen und Lucernarien
usw. .\uch die mustergültigen Abbildungen hat der
Autor sorgsam in Aufsicht gehalten und auch hier
Neues hinzugefügt, resp. ältere durch bessere ersetzt.
Im übrigen ist das Buch das gleiche geblieben.
Kulturpflanzen der Weltwirtschaft. Unter Mit-
wirkung erster Fachleute herausgegeben von Otto
Warburg, Berlin, und J. E. von Someren
Brand, Amsterdam. Mit 653 schwarzen und 12
farbigen Abbildungen nach Photographien. R.
Voigtländer's Verlag in Leipzig (ohne Jahreszahl:
1908). — Preis geb. 14 Mk.
Das prächtig ausgestattete Werk ist sehr geeignet,
in die von ihm gebrachten Gegenstände einzuführen.
Die einzelnen .Abschnitte werden von verschiedenen
Autoren behandelt, so derjenige über den Reis von
Eduard van Tsoe Meiren, über den Weizen
von Pierre Nicolas, über den Mais von F. W.
Morren, über den Zucker von den beiden Letzt-
genannten, über den Weinstock von Nicolas, über
den Kaftee und den Tee von A. J. Resink, über
den Kakao und den Tabak von C. S. Kokke und
endlich über die Baumwolle von War bürg. Die
immer mehr und mehr um sich greifende und gegen-
wärtig schon so weit vorgeschrittene Arbeitsteilung
in der Gewinnung unserer Nahrungsmittel bringt es
mit sich, daß der einzelne heutzutage über die Her-
kunft und Entstehung und die Art der Dinge, die er
zu seinem Lebensunterhalt gebraucht, wenig, schlecht
oder gar nicht unterrichtet ist. „Ein 14 jähriger Junge
— heißt es in der Vorrede — wollte einmal wissen,
was Graupen seien. Niemand wußte es ihm zu sagen.
Graupen sind etwas, was man essen kann, gab man
ihm zur .Antwort. Da machte er sich daran, Graupen
zu säen, und zwar säte er sie in einen Treibkasten.
Die Körner verfaulten, denn Graupen sind geschältes
Korn, das durch die Bearbeitung die Keimkraft ver-
loren hat. Da studierte der Junge in allerhand
Büchern über Pflanzenkunde — aber was Graupen
waren, vermochte er nicht daraus zu erfahren." Nun
solche und viele andere alltägliche und naheliegende
Dinge zu beantworten ist das vorliegende Buch treff-
lich geeignet und wird sicherlich bei Alt und Jung
das größte Interesse finden, da es auch durch die
sehr weitgehende Illustrierung die Anschauung außer-
ordentlich unterstützt. „Dieses Buch — sagen die
Herausgeber — möchte in die Dunkelheit, die uns
so viel von dem Räderwerk verbirgt, das unser eigenes
Dasein in Gang hält, einen kleinen Lichtschein wer-
fen. Es wird nur ganz wenige Gegenstände behan-
deln und von diesen Gegenständen nur einen geringen
Teil." Es sind nur jene Kulturpflanzen vorgeführt,
die, wie die obige Aufzählung zeigt, auf der ganzen
Erde gebraucht werden. Die Verfasser haben es sehr
gut verstanden, das Allgemein-Interessante aus den
Gegenständen herauszuheben.
G. Linck, Grundriß der Kristallographie
für Studierende und zum Selbstunter-
richt. II. umgearbeitete Auflage. Verlag von
G. Fischer in Jena. 1908. 254 Seiten mit 3 Tafeln.
— Preis II Mk.
Die Eigenart des Linck'schen Grundrisses beruht
vor allem in der Art des Vortrages, der auf leichte
Faßlichkeit und Anschaulichkeit hinzielt, mathematische
Herleitungen nach Möglichkeit ausschaltet, und die
Richtigkeit eines Gesetzes lieber durch ein heraus-
gegriffenes Beispiel, statt durch einen allgemeinen
Beweis dartut, eine Art, die gut dazu angetan ist,
das Interesse des Anfängers wachzurufen. So wird
z. B. die Möglichkeit von nur 32 Symmetrieklassen
dadurch klargemacht, daß etwa eine 12-zählige
Symmetrieachse des hexagonalen Systems auf irrationale
Indices führen würde, und das Gesetz der rationalen
Indices läßt der Verfasser den Leser gewissermaßen
selbst finden, indem er einen bestimmten, gemessenen
Kristall zugrunde legt.
Die vorliegende zweite Auflage unterscheidet sich
von der im Jahre 1896 erschienenen ersten weniger
durch die Menge des hinzugekommenen Stoffs, als
durch dessen Behandlung. Neu hinzugefügt ist am
.Anfang eine sehr erwünschte kurze Auseinandersetzung
des Wesens der flüssigen Kristalle, und am Ende ist
den Beziehungen zwischen den physikalischen Eigen-
schaften der Mineralien und ihrer chemischen Zu-
sammensetzung ein breiterer Raum gewährt als früher.
Die Abbildungen haben eine ganz erhebliche Ver-
mehrung erfahren, namentlich durch das Hinzutreten
der schon viel besprochenen Photographien von Kri-
stallmodellen, die bis auf die der Seiten 27 und 47
gut gelungen sind, und sicher die Anschaulichkeit er-
höhen. Eine Tafel der Interferenzfarben bildet eine
willkommene Bereicherung. Vor allem hat aber der
vorhandene Text, namentlich im morphologischen Teil,
eine derartige Durcharbeitung erfahren, daß wohl kein
Kapitel ganz dem früheren gleicht, und es den hier
verfügbaren Raum weit überschreiten würde, auch nur
annähernd die Änderungen aufzuzählen. Ob indessen
hiermit schon das gesteckte Ziel und die größtmög-
liche Klarheit erreicht ist, mag dahingestellt sein.
96
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
N. F. Vni. Nr. 6
So ist, um nur einige Punkte herauszugreifen, frag-
lich, ob dem Anfänger der Übergang von den Sym-
metrieklassen zu den Kristallsystemen (Seite 13) ganz
klar wird, und man vermißt hier eine an etwa zwei,
drei Beispielen durchgeführte Darlegung, warum nach
dem Gesetz, daß gleiche Flächen gleiche Symbole be-
kommen sollen , immer eine Reihe verschiedene
Gruppen auf ein und dasselbe Kristallsystem führt.
Bedauerlich geradezu erscheint es, wenn (auf Seite 21)
noch die Begriffe der einzelnen Kristallformen, wie
Pyramiden, Prismen, Domen usw. von den Kristall-
achsen hergeleitet werden, mit denen diese, lediglich
aus den Symmetrieeigenschaften sich ergebenden Ge-
bilde nichts zu tun haben. Ob man sodann z. B.
die Symmetrieebenen des rhombischen und monoklinen
Systems als Neben-Symmetrieebenen bezeichnen soll,
denen doch logischerweise Hauptsymmetrieebenen
gegenüberstehen müßten, ist auch zweifelhaft. Ver-
wirrend muß fernerhin die Nomenklatur der ver-
schiedenen Kristallformen des monoklinen und triklinen
Systems wirken, in denen die überlebten Begriffe:
Hemi- und Tetartodomen, Hemi- und Tetartopyrami-
den angewendet, und echte Domen bald als Prismen,
bald als Hemidomen, bald als Tetartopyramiden be-
zeichnet werden.
Trotzdem aber bedeutet die Neuauflage mit ihrer
schärferen und klareren Fassung vieler Sätze und der
Ausmerzung von Fehlern (vgl. z. B. Seite 7 der I. und
Seite 13 der II. Auflage) der früheren gegenüber
einen ganz wesentlichen Fortschritt.
O. Schneider
O. Lesser, Lehr- und Übungsbuch für den
Unterricht in der Arithmetik und Al-
gebra. I. Teil. 203 Seiten mit 15 Figuren.
Wien, F. Tempsky, 1909. — Preis geb. 2,80 Mk.
Das Buch bildet den ersten Teil eines von Schwab
und Lesser herausgegebenen mathematischen Unter-
richtswerkes und enthält einen sehr beachtenswerten,
vielfach auf neuem Wege vorgehenden Lehrgang.
Der Funktionsbegriff steht, wie es die Meraner Lehr-
pläne wünschen, im Mittelpunkt des Unterrichts und
die graphische Darstellung von Funktionen wird von
Anfang an geläufig gemacht. Bei der Auflösung der
Gleichungen mit mehreren Unbekannten, bei der
Berechnung der Quadratwurzeln und der Logarithmen
wird in sehr sinnreicher Weise das graphische Ver-
fahren herangezogen. Die Herstellung eines logarith-
mischen Rechenstabes wird gelehrt und so in höchst
zweckmäßiger Weise dieses immer mehr Boden ge-
winnende Werkzeug von Grund aus dem Verständnis
erschlossen. Mit einer größeren Zahl noch weniger
bekannter Kurven wird der Schüler durch graphische
Darstellung einfacher Funktionen bekannt gemacht.
Das Buch enthält auch zahlreiche historische Hinweise.
Bei den eingekleideten Gleichungen zeigt Verf. eine
vielleicht übertriebene Vorliebe für alte Aufgaben,
namentlich solche des Inders Bhäskara und aus der
griechischen Anthologie. — Die Fortsetzungen dieses
originellen Unterrichtswerkes, die im Laufe des Jahres
1909 erscheinen sollen, werden die Fachkreise mit
freudiger Spannung erwarten. Kbr.
Literatur.
Abderhalden, Prof. F.mil: Lehrbuch der physiologischen
Chemie in 32 Vorlesungen. 2., vollständig umgearb. Aufl.
(VH, 984 S. m. 19 Fig.) Lex. 8». Wien '09, Urban &
Schwarzenbcrg. — 24 IMk., geb. 26,50 Mk.
Boas, Prof. Dr. J. E. V.: Lehrbuch der Zoologie f. Studie-
rende. 5. verm. u. verb. Aufl. (X, 66S S. m. 603 Abbild.)
Lex. 8". Jena '08, ü. Fischer. — 12 Mk., geb. 14 Mk.
Diesing, Stabsarzt a. D. Dr.: Das Licht als biologischer
Faktor. (Eine Physiologie und Pathologie des F'arbstoff-
wechsels.) (113 S.) 8". Freiburg i. B. '09, Speyer &
Kaerner. — 3 Mk.
Gänner, Prof. Dir. Dr. Aug : Leitfaden der Hygiene. Für
Studierende, Arzte, Architekten, Ingenieure u. Verwaltungs-
beamte. 5. verm. u. verb. Aufl. (XV, 634 S. m. 190 Ab-
bildgn.) Lex. 8". Berlin '09, S. Karger. — 7,60 Mk.,
geb. 8,60 Mk.
Graebner, Kust. Dr. Paul : Die Pflanzenwelt Deutschlands.
Lehrbuch der Formationsbiologie. Eine Darstellung der
Lebensgeschichte der wildwachs. Pflanzenvereine und der
Kulturflächen. Mit zoolog. Beiträgen v. Oberlehrer F. G.
Meyer. (XI, 374 S. m. 129 Abbildgn.) Lex. 8°. Leipzig
'09, Quelle & Meyer. — 7 Mk., geb. in Leinw. 7,80 Mk.
Henle, fr. Priv.-Doz. Dr. Frz. Wilh.: Anleitung für das orga-
nisch präparative Praktikum. Mit e. Vorrede v. Prof. Dr.
J. Thiele. Mit zahlreichen Skizzen. iXVI, 176 S.) gr. 8».
Leipzig '09, Akadem. \'erlagsgesellschaft. — 4,60 Mk., geb.
in Leinw. 5,20 Mk.
Henrich, Prof. Dr. Ferd. : Neuere theoretische Anschauungen
auf dem Gebiete der organischen Chemie. (XIV, 294 S.
m. 7 Abbildgn.) 8". Braunschweig '08, F. Vieweg & Sohn.
— 7 Mk., geb. 8 Mk.
Kerl's Bruno : Probierbuch. Kurzgefaßte Anleitung z. Unter-
suchung V. Erzen u. Hüttenproduklen. Bearb. v. Bergakad.-
Privatdoz. Dr. Carl Krug. 3. Aufl. (VIII, 197 S. m. 71
Abbildgn.) gr. 8°. Leipzig '08, A. Felix. — 7 Mk., geb.
8 Mk.
Mansfeld , Dr. Alfr. : Urwald-Dokumente. Vier fahre unter
den Croßflußnegern Kameruns, Mit 32 Lichtdr.-Taf. , 165
Abbildungen im Text, 2 Karten und Tab. (XVI, 310 S.)
Lex. 8". Berlin '08, D. Keimer. — Geb. in Leinw. 12 Mk.
Pax, Prof. r)ir. Dr. F.: Grundzüge der Ptlanzenverbreilung in
den Karpathen. II. Bd. Mit 29 Texifig. u. I Karte. (VIII,
332 S.) Leipzig 'oS, W. Engelmann. — Subskr.-Pr. 17 Mk.,
geb. in Leinw. 18,50 Mk., Einzelpr. 25 Mk., geb. in Leinw.
26,50 Mk.
Potonie, Landesgeol. Prof. Dr. H. : Die rezenten Kaustobio-
lithe u. ihre Lagerstätten. I. Bd.: Die Sapropclite. Eine
Erläuterg. zu der v. den deutschen geolog. Landesanstalten
angewendeten Terminologie u. Klassifikation. 2., sehr stark
erweit. Aufl. v. desselben Verf. ., Klassifikation u. Termino-
logie der rezenten brennbaren Biolithe u. ihrer Lagerstätten"
(Berlin 1906). (XV, 251 S. m. Abbildgn.) Berlin (NW 40,
Platz vor dem Neuen Tore 3) 'oS, Vertriebsstelle der kgl.
geolog. Laodesanstalt. — 8 Mk.
Reye, Prof. Dr. Thdr. : Die Geometrie der Lage. Vorträge.
I. .-\bllg. 5., verb. u. verm. Aufl. (VIU, 255 S. m. 98 Ab-
bildgn.) gr. 8°. Leipzig '09, A. Kröner. — 8 Mk. , geb.
in Halbfrz. lo Mk.
Inhalt: W. O. Pocke: Über örtlich getrenntes oder geselliges Vorkommen verwandter Pflanzenformen. - Kleinere Mit-
teilungen: Prof. Dr. Brauer: Die neuesten Forschungen über die fossilen Saurier. — L. Geisenheyner; Onosma
der Mainzer Sandflora Adventivpflanze? — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Archiv
für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik. — Dr. J. li. V. Boas: Lehrbuch der Zoologie für Stu-
dierende. — Kulturpflanzen der Weltwirtschaft — G. Linck: Grundriß der Kristallographie für Studierende und zum
Selbstunterricht. — O. Lesser: Lehr- und Übungsbuch für den Unterricht in der Arithmetik und Algebra. — Lite-
ratur: Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue folge VIII. Band;
der ganren Kcihe XXIV. Band.
Sonntag, den 14. Februar 1909.
Nummer 7.
fNachdruck verboten.]
Charles Darwin wurde vor genau 100 Jahren,
am 12. Februar 1809, in Shrewsbury in England
geboren. Die naturwissenschaftliche Welt benutzt
diese Gelegenheit, sich auf den Mann zu
besinnen, dessen wissenschaftliche Werke eine
neue Epoche im Bereiche der Biontologie ein-
geleitet haben. Die Xaturw. Wochenschr. hat be-
reits am 10 jährigen Todestag, das war der
19. April 1892, die sympathische Persönlichkeit
Darwins den Lesern vorgeführt; aber es wird
das Bedürfnis empfunden werden, auch bei
der diesmaligen Feier etwas Näheres zu hören.
So wollen wir denn im folgenden noch einmal
auf den Lebenslauf des heute am meisten ge-
nannten Biontologen eingehen und die nächste
Nummer wird eine der mannigfaltigen Seiten des
großen Naturforschers näher behandeln durch
einen Aufsatz aus der Feder von Herrn Prof.
Detmer-Jena: .Charles Darwin als Botaniker."
Charles Darwin's Haupttat aber ist die Be-
gründung der Deszendenzlehre.
Hatte man einmal erkannt, daß die Organismen
in ihren ,, Zellen" die gleiche Grundlage im Auf-
bau besitzen, so mußte das bei der eingehenden
und allgemeinen Beschäftigung der Naturforscher
mit der Zellenlehre die beste Vorbereitung sein,
nunmehr mit mehr Verständnis als früher eine
durch ihr Alter ehrwürdige Theorie aufzunehmen,
welche weitergehend als die Zellenlehre den ge-
meinsamen Zusammenhang aller Organismen
überhaupt aufzuzeigen trachtete: die xAbstam-
mungslehre. Schon im Anfang des 19. Jahr-
hunderts hat diese Lehre, welche zur Verbindung
von einer Fülle durch die Lebewelt gebotener
Tatsachen die Herkunft aller, auch der jetzt ver-
schiedensten Lebewesen von gemeinsamen \'or-
fahren behauptete, durch Jean Bapiiste de Lamarck
eine treffliche naturwissenschaftliche Grundlegung
erfahren; aber erst seit Charles Darwin 1859 die
Lehre nochmals neu und eingehender begründete,
fand sie die meisten Naturforscher genügend vor-
bereitet. Diese Lehre ist heute einer der wichtigsten
Ausgangspunkte der biontologischen Forschungen:
erklärt sich doch durch die Annahme der gemein-
samen .Abstammung aller Lebewesen durch ,,Bluts"-
Verwandtschaft eine Unzahl von Einzeltatsachen,
die vorher zusammenhangslos hingenommen werden
mußten. Durch die gemachte Annahme ist der
Vorteil einer bedeutenden Vereinfachung in un-
serem Denken gegeben. Besonders sind es Tat-
sachen der Morphologie, die mit einem Schlage
in hellstes Licht gerückt wurden. Es ist nämlich
bemerkenswert, daß nicht nur die Zellen, sondern
Charles Darwin
zu seinem hundertsten Geburtstage.
\'on H. Potonie.
auch die Teile höherer Ordnung bei den Lebewesen,
z. B. die Blätter der Pflanzen untereinander, trotz ihrer
Mannigfaltigkeit, ferner z. B. die Fortbewegungswerk-
zeuge der Tiere, wie die Flossen, Flügel und Beine,
untereinander in ihrem Bau- Typus gewisse auffällige
Übereinstimmungen zeigen, deren Betrachtung seit
Goethe (1817) die „morphologische" heißt. Alle
die morphologischen Tatsachen nun, die sich ge-
waltig gehäuft hatten, waren durch die Annahme
der gemeinsamen Abstammung der Lebewesen
verstanden, erklärt. Man glaube nun aber nicht
etwa, daß eine neue, vereinfachende Theorie wie
die Abstammungslehre nun auch sofort überall
alte Ansichten, die mit der neuen, besseren An-
sicht im Widerspruch stehen, auszurotten ver-
möchte; vielmehr sind die Nachwirkungen ein-
gewurzelten älteren Denkens auch nach seinem
Ersatz durch Besseres lange, oft noch sehr lange
zu verspüren. Die Ausrottung einer Denkrichtung,
sofern sie eine gewohnheitsmäßige ist, ist auch
dann schwierig, wenn die Einsicht vorhanden ist,
daß sie sich in falscher Bahn befindet und eine
bessere gefunden ist.
Um eine Erklärung der Entstehung der ver-
schiedenen Tier- und Pflanzenarten anzubahnen,
nahm Lamarck eine direkte Anpassung an neue
Umgebungsverhältnisse an: ein Wiederkäuer, etwa
aus der Verwandtschaft der Kamele, der genötigt
wird, vorwiegend in hohen Baumkronen seine
Nahrung zu suchen, wird nach ihm allmählich,
d. h. im Verlaufe der Generationen zur Giraffe
werden; nach Darwin jedoch ist es die ,, natürliche
Zuchtwahl" (die „Selektion") durch den Kampf
ums Dasein, welche aus einer vorhandenen, nach
allen möglichen Richtungen hin abändernden
(variierenden) Art, die zufällig den äußeren Um-
ständen am besten angepaßten Individuen aus-
wählt und durch Vererbung der nützlichen Eigen-
schaften zur Entstehung einer neuen Art Ver-
anlassung gibt. Es ist zweifellos, daß die Zucht-
wahl eine große Rolle spielt, aber die Biontologen
haben sich am Ende des 19. Jahrhunderts, nach-
dem die Selektionstheorie, das ist der eigentliche
Darwinismus, zunächst die vi'eiteste Anerkennung
gefunden hatte, doch mehr der Lamarck'schen
Ansicht von der direkten Anpassung als dem
wesentlich Ausschlaggebenden für die Entstehung
neuer Arten zugewendet. Nach der verbreitetsten
jetzigen Anschauung sind es also die Einwirkungen
der .Außenwelt in Verbindung mit dem durch die
Lebewesen Gegebenen — wie man zu sagen
pflegt, in Verbindung mit den inneren Verhält-
nissen — , welche zusammenwirkend neue Arten
98
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr.
hervorbringen; die Zuchtwahl beseitigt nur das
in der augenblicklichen Umgebung nicht Lebens-
fähige und schafit Platz für die anpassungsfähigen
Lebewesen: nur diejenigen unter iiincn, die auf
neue Reize der Umgebung erlialtungsgemäß ant-
worten, bleiben auch erhalten, die anderen gehen
zugrunde.
Die Anfeindungen, welche die Abstammungs-
lehre erfahren hat, ergeben sich aus der Größe
ihier Abweichung von dem Denken der Allge-
meinheit. Der Alltagsmensch nimmt gern die
praktischen Resultate der Naturwissenschaft in
Empfang und benutzt sie; die Frage, ob sein
Denken über die Welt mit demjenigen der Natur-
forschung übereinstimmt, das diese Resultate ge-
zeitigt hat, kümmert ihn wenig, weil er zu dieser
Frage nicht geführt wird, die nur auftauchen
könnte, wenn er Störungen erleidet, wenn ihm
die Widersprüche des .Alltagslebens mit dem
naturwissenschaftlichen Denken entgegentreten und
bewußt würden. Bei dem Naturforscher aber ist
dies der Fall: er hat in dieser Hinsicht unter den
,, Vitaldifferenzen", die sich aus seiner Tätigkeit
ergeben, zu leiden, und er sucht sie durch Be-
seitigung der Widersprüche zu lösen; hierbei muß
freilich Vieles aus dem \'olksdcnken als unhaltbar
fallen. Wer aber mit unlösbaren Fesseln an dem
Überkommenen festhaftet, der kann nicht Natur-
forscher sein : er bliebe denn ein ausschließlicher
Kärrner in der Wissenschaft, wobei eine Gefahr,
die Widersprüche zu sehen, nicht groß ist. Wer
die teilweise Unvereinbarkeit zwischen dem wissen-
schaftlichen und dem Alltagsdenken aber dennoch
sieht und doch nicht von dem durch Erziehung
und freundliche Erinnerung im Denken Gewor-
denen loskommt, der sucht sich durch ohn-
mächtigen Kampf Zeit seines Lebens gegen die
Naturwissenschaft abzumühen oder aber — er
gibt freimütig zu, daß er nicht wissen will, son-
dern daß er es vorzieht, wo Gefühle und Wunsche
in Frage kommen, bei dem Liebgewordenen zu
bleiben, — — auch wenn die Logik entgegen-
steht. Grundsätzlich ist dieses Verhalten freilich
durchaus nicht verschieden von dem des Natur-
forschers: jeder pflegt sich diejenige Lösung zu
suchen , bei welcher der Bestand seines Ichs am
wenigsten gefährdet ist.
Es gellt aus dem X'orangehenden hervor, daß
die Bedeutung der Deszendenztheorie für die For-
schung darin liegt, ein .•\riadnefaden in dem Laby-
rinth der erdrückenden P'ülle von Einzeltatsachen
zu sein, die das organische Reich bietet. Es ist
aber merkwürdig genug, daß die Frage, warum
uns gerade die Kenntnisnahme der Entwick-
lung, der Entstehung der Organismen
von besonderer Wichtigkeit erscheint, kaum auf-
geworfen und zu beantworten gesucht wird. Die
hohe Wichtigkeit einer Erforschung der Entwick-
lung mit der Annahme, daß dabei im allge-
meinen ein Fortschreiten von einfacheren(„niederen")
zu komplizierteren („höheren") Verhältnissen statt-
finde, wird einfach als Prinzip angenommen. Um
den Wert eines Prinzipes zu erkennen, zu
erfahren, was denn bei Befolgung desselben
höchstenfalls für unsere Erkenntnis zu erwarten
sei, ist aber die Beantwortung der gestellten Frage
nicht zu umgehen, und daß es sich dabei gewiß
nicht um etwas Nebensächliches handelt, braucht
in unserer in Entwicklungsgedanken geradezu
schwelgenden und zum Teil fast darin untergehen-
den Biontologie nicht besonders hervorgehoben zu
werden.
Wenn ein Kind ein mechanisches, ihm so, wie
es ihm entgegentritt, unverständliches Spielzeug
zerstört, wenn ein Neger die ihm unbegreiflich
erscheinende Uhr in ihre Bestandteile zerlegt,
wenn der Forscher anatomische Untersuchungen
anstellt, so handelt es sich durchgehends um den-
selben Trieb, nämlich den, sich das ihm vorläufig
noch Unerklärliche dadurch zu klären, daß der
Untersucher die einzelnen Bestandteile kennen
lernt in der Hoffnung, daß diese für ihn einfachere,
bereits bekannte sein werden und ihm so als
Brücke dienen können, das Zusammengesetzte zu
verstehen, namentlich wenn er dieses nun aus den
Einzelheiten werden, entstehen sieht. Jedes
Werkzeug des Menschen, Alles was er schafft, entsteht
in der Zeit, wird entwickelt, und wer sich das
Fertige verständlich machen will, fühlt sich hin-
reichend befriedigt, wenn er Kenntnis von dem
Werden desselben hat. Das Streben nach dieser
Kenntnis entspringt also rein und ausschließlich
aus dem Bedürfnis, sich etwas F'ertiges, Unver-
standenes verständlicher zu machen: es abzuleiten
oder bedingt zu seilen aus Einfacherem, dessen
weitere Erklärung daher weniger schwierig er-
scheint, bis man dann zu „Elementen" gelangt,
deren weitere ,, Erklärung" von den meisten nicht
mehr als Bedürfnis empfunden wird. Hierin sind
freilich die verschiedenen Menschen ganz ver-
schieden veranlagt, indem der eine schon sehr
frühe, zuweilen von vornherein Halt macht, der
andere später und schließlich eine kleinere Ge-
meinde auch die „einfachsten Elemente" ebenso
,, unerklärlich" findet wie die kompliziertesten Ge-
bilde. Aber da doch die ,, rohen", von der Natur
ohne weiteres gebotenen Materialien den meisten
Menschen als diejenigen, an die sie gewöhnt
sind, auch hinreichend ,, erklärt" sind, so ist es erst
das aus diesem Rohmaterial Hergestellte , was
ihnen Fragen nach seiner Entstehung abnötigt.
Das rein Menschliche ist es demnach, das Ent-
wicklungs-, Entstehungsfragen gebiert, und wer
über den engeren Kreis hinaustretend nun die
Natur notgedrungen von dem einzig möglichen
Standpunkte aus, d. h. mit menschlichem Maß-
stabe gemessen, ansieht, der muß auch da, sobald
ihm das Bewußtsein des auch in der Natur vor-
handenen Komplizierteren neben Einfacherem auf-
geht, nach einer ,, Erklärung" dieses Komplizierteren
verlangen. Insbesondere sind es die Organismen,
die notwendig dem Versuch sie entv^'icklungs-
geschichtlich zu „verstehen" unterliegen müssen,
sei es in ihrer individuellen Entwicklung, sei es —
N. F. Vin. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
99
da ihre Gesamtheit eine Reihe von „Niederem"
zu „Höherem" bildet — in der theoretischen An-
nahme, daß diese Reilie über die Entstehung der
komplizierteren Organismen aus ursprünglich ein-
facheren Auskunft gibt.
Der Sinn der starken Bevorzugung
cntwicklungsgeschichtlicherForschun-
gen bedeutet demnach nur und allein
eines von den Mitteln, Komplizierteres
aus Einfacherem bereits „Verstande-
nem" herzuleiten. Mehr dahinter zu
suchen wäre Mystizismus, aber keine
Naturforschung mehr.
Bereits im Alter von acht Jahren verlor
Charles Darwin seine Mutter, deren er sich über-
haupt nur noch ganz dunkel erinnerte; so mußte
denn sein Vater, der ein sehr beschäftigter Arzt
war, die Erziehung allein überneinnen. In der
Sammelschule, die Charles seit dem Frühjahr 1817
besuchte, machte er geringe Fortschritte, er lernte
weit langsamer als seine jüngere Schwester
Catharine und gehörte nicht zu den Musterschülern.
Aber schon jetzt zeigte Darwin einen ausge-
sprochenen Sinn für Naturgeschichte und eine
sehr lebhafte Neigung -zum Sammeln. Er ver-
suchte die Namen der Pflanzen aufzufinden und
sammelte alle möglichen Sachen, Muscheln, Siegel,
Briefmarken, Münzen und Mineralien: eine Leiden-
schaft, die sich bei Knaben ja oftmals findet und
daher nichts Auffälliges hat. Auch in anderen
Beziehungen unterschied sich Darwin nicht wesent-
lich von seinen Mitschülern. ,,Ich will bekennen
— sagt er selbst — , daß ich als kleiner Junge
sehr geneigt war, unwahre Geschichten zu er-
finden, und zwar geschah dies immer zu dem
Zwecke, Aufregung hervorzurufen."
Im Jahre 1S18 kam Darwin auf die große
Schule von Dr. Butler in Shrewsbury und blieb
dort bis zu seinem 16. Lebensjahre. Er sagt:
„Nichts hätte für die Entwicklung meines Geistes
schlimmer sein können, als Dr. Butlers Schule,
da sie ausschließlich klassisch war und nichts
anderes gelehrt wurde, ausgenommen ein wenig
alte Geographie und Geschichte." Und in einem
Briefe Darwins lesen wir: ,, Niemand kann die
alte stereotype, einfältige, klassische Erziehung
aufrichtiger verachten, als ich es tue." Da Darwin
für Sprachen keine Begabung hatte, so hielten ihn
die Leiirer und sein Vater für ziemlich beschränkt,
und dieser tadelte den Sohn denn auch einmal
mit den Worten: „Du wirst Dir selbst und der
ganzen Familie zur Schande."
Er beschäftigte sich aber weiter mit natur-
wissenschaftlichen Dingen, wenn auch meist nur
sehr oberflächlich. So sammelte er zwar mit
großem Eifer Mineralien, aber kümmerte sich
dabei nur um solche mit neuen Namen und ver-
suchte kaum, sie zu klassifizieren. Durch seinen
älteren Bruder wurde er zu einer Beschäftigung
mit der Chemie angeregt und der Direktor der
Schule, Dr. Butler, wies ihn dafür, daß er seine
Zeit mit derartigen „nutzlosen" Sachen verschwende,
öffentlich zurecht.
,,Da ich — sagt Ch. Darwin — auf der Schule
nichts Rechtes zu Wege brachte, nahm mich
mein Vater sehr weise in einem im ganzen
früheren .^Iter als gewöhnlich zurück und schickte
mich (Oktober 1825) zu meinem Bruder auf die
Universität Edinburg." Hier sollte Charles Medizin
studieren, was ihm aber nicht behagte. Übrigens
wußte er, daß er einst genügend Vermögen haben
würde, um davon zu leben, und so beschäftigte
er sich mehr und mehr mit rein naturwissen-
schaftlichen Dingen. Der Verkehr mit bedeuten-
den Gelehrten hat ihn besonders angeregt. Die
meisten der von ihm gehörten Vorlesungen nennt
er langweilig.
Der Vater Darwins, der wohl sah, daß er
keinen Arzt aus ihm machen würde, schlug ihm
nunmehr vor, sich dem geistlichen Stande zu
widmen. Darwin bat sich, von vornherein keines-
wegs abgeneigt, den Vorschlag unbeachtet zu
lassen, Bedenkzeit aus und beschäftigte sich mit
theologischen Büchern. Er bezog die Universität
Cambridge, füllte aber hier als leidenschaftlicher
Jäger, der er damals war, die Zeit meist mit
Jagen, auch mit Reiten und sonstigen Zerstreu-
ungen, wie Gelagen, aus. Mit knapper Not machte
er aber doch ein Examen, welches ihm den Titel
eines Magister artium eintrug.
Von naturwissenschaftlichen Studien sind es
namentlich Botanik unter Henslow's und Geologie
unter Sedgwick's Leitung, und namentlich
Entomologie, welche ihn nun beschäftigten.
Die beiden genannten Gelehrten erkannten in
Darwin den scharfsinnigen Kopf und haben be-
stimmend auf seine Lebensbahn eingewirkt.
Die Erkenntnis der vollen Befriedigung, welche
eine Beschäftigung mit den Naturwissenschaften
gewährt, war Darwin jetzt aufgegangen; auch
sein Streben war nunmehr, einen wenn auch noch
so bescheidenen Baustein zu liefern zu dem er-
habenen Gebäude der Naturwissenschaft.
Nach seiner Rückkehr nach Shrewsbury wurde
Darwin von Henslow ein Vorschlag gemacht, der
Darwin's Wünschen nicht besser entsprechen
konnte. Die englische Regierung rüstete nämlich
ein Kriegsschiff, den „Beagle", aus, das die Küsten
von Patagonien, Feuerland, Chili, Peru und einigen
Inseln des Stillen Meeres aufnehmen und chrono-
metrische Beobachtungen zur Bestimmung der
Länge verschiedener Punkte der Erde machen
sollte. Ein freiwilliger Naturforscher sollte mit-
gehen und Henslow empfahl Darwin. Henslow
schreibt an Darwin : Ich habe ausgesprochen,
daß ich Sie für die bestqualifizierte Person unter
denen, die ich kenne, halte . . . Ich spreche dies
aus, nicht in der Voraussetzung, daß Sie ein
fertiger Naturforscher, sondern reichlich dazu
qualifiziert sind, zu sammeln, zu beobachten und
alles, was einer Aufzeichnung auf dem Gebiete
der Naturgeschichte wert ist, zu notieren." . . .
,, Tragen Sie sich nicht mit irgendwelchen Zweifeln
lOO
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 7
oder Befürchtungen über Ihre Untüchtigkeit, denn
ich versichere Ihnen, ich meine, Sie sind gerade
der Mann, welchen sie suchen. . . ."
Der Vater Darwins machte aber ernstliche
Einwendungen gegen die Mitreise seines Sohnes:
,,Wenn Du irgendeinen Mann von gesundem
Menschenverstände finden kannst — sagte er ihm
— der Dir den Rat gibt, zu gehen, so will ich
meine Zustimmung geben."
Darwins Onkel, Josua Wedgwood, gelang es,
die Bedenken des Vaters zu beschwichtigen, und
im Dezember 1831 schiffte sich Darwin auf dem
von dem erst 24 jährigen F'itzRoy kommandierten
„Beagle" ein, um erst Ende 1836 zurückzukehren.
Die Reise nennt Darwin das bedeutungsvollste
Ereignis seines Lebens, das seine ganze Laufbahn
bestimmt habe. ,,lch habe stets gefühlt — sagt
er • — daß ich der Reise die erste wirkliche Zucht
oder Erziehung meines Geistes verdanke." Daß
Darwin seine Unfähigkeit zu zeichnen sehr be-
dauerte, ist nur zu begreiflich.
Schon die Reisebriefe Darwins machten ge-
rechtes Aufsehen bei den Gelehrten und der be-
rühmte Geologe Sedgwick äußerte dem Vater
Darwins gegenüber, daß der Sohn einst ein her-
vorragender Gelehrter werden würde.
Die Reisebeschreibung Darwin's, ,, Reise eines
Naturforschers um die Welt", muß ein heutiger
Naturforscher gelesen haben und wird auch jeden,
der sich für Naturwissenschaften interessiert, ohne
Gelehrter zu sein, hohe Befriedigung gewähren.
Nach seiner Rückkehr erschien Darwin wesent-
lich verändert. Seine Gesundiieit hatte stark ge-
litten, vielleicht infolge der Seekrankheit, an der
er auf dem Wasser fast beständig litt; seine
Kränklichkeit kann aber auch eine Form der
Gicht gewesen sein, die in der Familie schon seit
dem Jahre 1600 erwähnt wird. Es verging kein
Tag mehr, ohne daß er mehrere Stunden unpäß-
lich gewesen wäre. Häufig war er tage-, ja auch
wochenlang ganz arbeitsunfähig und er besuchte
wiederholt eine Kaltwasserheilanstalt. Sein Schlaf
dauerte selten länger als einige Stunden.
Durch die Reise war aber Darwin ein Forscher
ersten Ranges geworden.
Die 2'/4 Jahre nach der Rückkehr von der
Reise waren die täligsten, die Darwin je verlebt
hat. In Cambridge, wo sich seine Sammlungen
unter Henslow's Obhut befanden, arbeitete er
3 Monate; 2 Jahre blieb er in London. Er stellte
seine Reisebeschreibung fertig, hielt mehrere Vor-
träge in der geologischen Gesellschaft usw. Im
Juli 1837 begann er sein erstes Notizenbuch für
Tatsachen in bezug auf den Ursprung der Arten,
worüber er lange nachgedacht hatte; er hörte
während der nächsten 20 Jahre nicht auf, daran
zu arbeiten.
Am 29. Januar 1839 heiratete er in London
seine Niciite Emma Wedgwood. Der gesellschaft-
liche Verkehr nahm ihn aber derartig in Anspruch,
daß er sich, um nachhaltiger seinen Forschungen
leben zu können, im Jahre 1842 nach Down in
Kent zurückzog, wo er sich ein Landhaus kaufte,
das er später nur noch selten verließ.
Das tägliche Leben in Down gestaltete sich in
der späteren Zeit in der folgenden Weise.
Darwin stand früh auf und machte vor dem
Frühstück einen Spaziergang. Nachdem er allein
gefrühstückt hatte, begab er sich gegen 8 Uhr an
die Arbeit und blieb dabei bis 9^'., Uhr; in diesen
I '/., Stunden war er zum Arbeiten am besten
aufgelegt. Um ^l^io Uhr ging er ins Wohn-
zimmer, ließ sich bis Vo 1 1 Uhr Familienbriefe
oder einen Roman vorlesen und ging darauf in
sein Zimmer, wo er wieder bis 12 oder i2'/.2 Uhr
arbeitete. Hiermit war sein Tagewerk eigentlich
vollbracht. Zunächst ging er dann spazieren,
mochte das Wetter gut oder schlecht sein. Er
wandelte gewöhnlich erst durch die Gewächs-
häuser, sah sich die keimenden Samen und die
Versuchspflanzen an, ohne jedoch genauere Be-
obachtungen anzustellen, und ging dann ins F"reie.
Wenn er allein war, blieb er oft stehen und sah
sich die Vögel und Tiere an. Bei einer solchen
Gelegenheit liefen ihm einmal junge Eichhörnchen
die Beine und den Rücken hinauf, während die
Mutter ihre Jungen mit Angstgeschrei vom Baume
aus zurückrief.
Nach dem MittagsSpaziergange kam das zweite
Frühstück. Darwin war äußerst mäßig im Essen
und Trinken ; er aß gern Süßigkeiten, obgleich
sie ihm schlecht bekamen. Nach dem zweiten
Frühstück legte er sich aufs Sofa und las die
Zeitung. Außer dieser las er selbst nichts Unter-
haltendes. Alles übrige: Romane, Reisebe-
schreibungen usw. ließ er sich vorlesen. Mit Politik
beschäftigte er sich nicht, verfolgte sie aber. Nun-
mehr ging er an die Beantwortung der Briefe,
von denen kein einziger unberücksichtigt blieb.
In Geld- und Geschäftssachen war Darwin sehr
sorgfältig. Wenn die Briefe erledigt waren, legte
er sich in seinem Schlafzimmer aufs Sofa, ließ
sich aus einem unterhaltenden Werke vorlesen
und rauchte eine Zigarette. Beim Arbeiten
schnupfte er gern, um sich aber nicht zu sehr
daran zu gewöhnen, stand der Topf mit Schnupf-
tabak im Hausgange.
Punkt 4 Uhr mit außerordentlicher Regel-
mäßigkeit kam er die Treppe herunter, um sich
zum Spaziergange anzukleiden. Von '/,,5 bis
\'26 Uhr arbeitete er wohl noch, dann kam er aber
ins Wohnzimmer und nahm an der Unterhaltung
teil, bis er um 6 Uhr sich aufs Sofa legte, um
sich aus einem Roman vorlesen zu lassen. Gegen
V28 Uhr aß er zu Abend. Nach dem Essen blieb
er nie im Wohnzimmer, sondern verkehrte mit
den Damen. Mit seiner Frau spielte er dann
Tricktrack, und war ärgerlich, wenn er kein
Glück hatte. Nachher las er im Wohnzimmer
oder, wenn zuviel gesprochen wurde, in seinem
Studierzimmer etwas Wissenschaftliches, so lange,
bis er sich müde fühlte; dann hatte er gern, wenn
ihm seine Frau etwas auf dem Klavier vorspielte.
N. F. VIII. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
lOI
Um lo Uhr ging er hinauf und gegen '/., ii Uiir
zu Belt.
Darwin hat viel geschrieben. Kine große
Anzahl Aufsätze finden sich in Zeitschriften,
größere Arbeiten erschienen in Buchform; seine
Hauptwerke sind alle ins Deutsche übersetzt
worden und bilden in der bekanntesten Ausgabe
i6 stattliche Bände. Sein epochemachendes Buch
„Die Entstehung der Arten", das am 24. November
1859 erschien, war im Geiste Darwins bereits
1844 fertig. Er schrieb seine Gedanken nieder
und übergab seiner Frau die schriftlich aufge-
zeichneten genauen Bestimmungen darüber, was
in dem Falle, daß er vor Vollendung seines
Werkes stürbe, geschehen solle. Das Werk schwoll
immer mehr an und wäre in der jetzigen, so
günstigen Fassung überhaupt nicht erschienen,
wenn nicht 1S58 ein bemerkenswerter Zwischen-
fall eingetreten wäre.
Der Naturforscher Wallace, welcher sich da-
mals im malayischen Archipel aufhielt, schickte
nämlich an Darwin eine Abhandlung ,,Über das
Bestreben der Abarten, immer mehr von der
Stammart abzuweichen". Diese Abhandlung ent-
hielt fast die ganze Darwin'sche Lehre; nur
fehlten die Begründungen und die Anwendungen.
Zunächst war Darwin ratlos, was er nun tun
sollte. Auf den Rat von Lyell entschloß er sich
nun endlich, einen Überblick über die bisherigen
Ergebnisse seiner Forschung zu geben, den er
zugleich mit der Abhandlung von Wallace der
Linnean Society vorlegte. Darwin verzichtete
nunmehr darauf, seine Lehre mit allen Beobach-
tungen, Versuchen und Belegen zu veröft'entlichen,
die er gesammelt hatte, und entschloß sicli zur
Abfassung eines alles Wesentliche enthaltenden
Auszuges. Diese Arbeit ist „Die Entstehung der
Arten": „The origin of species."
Am Schluß seiner Autobiographie versucht
Darwin die geistigen Eigenschaften und die Be-
dingungen, von welchen sein Erfolg abgehangen
habe, zu zergliedern, obwohl er sich — wie er
sagt — sehr wohl bewußt sei, daß dies niemand
ganz korrekt tun könne.
Er sagt unter anderem:
„Ich besitze keine große Schnelligkeit der Auf-
fassung oder des Witzes . . . Meine F"ähigkeit,
einem langen und rein abstrakten Gedankengange
zu folgen, ist sehr beschränkt . . . Mein Gedächtnis
ist ausgedehnt, aber nebelig." Den Kritikern, die
von Darwin gesagt haben, daß er zwar ein guter
Beobachter sei, aber nicht die Fähigkeit besitze,
Schlüsse zu ziehen, erwidert er: „Ich glaube nicht,
daß dies richtig sein kann, denn die „Entstehung
der Arten" ist von Anfang bis zum Ende nur eine
lange Beweisführung." „Ich habe ein ordentliches
Teil Erfindungsgabe — sagt er ferner — und
gesunden Sinnes oder Urteils, so viel ein Jeder
erfolgreiche Sachwalter oder Arzt besitzen muß,
aber, wie ich glaube, in keinem höheren Maße.
Was die günstigere Seite der Wage betrifft, so
glaube ich, daß ich der gewöhnlichen Art Men-
schen darin überlegen bin, daß ich Dinge, welche
der Aufmerksamkeit leicht entgehen, bemerke und
dieselben sorgfältig beobachte. Mein Fleiß im
Beobachten und im Sammeln von Tatsachen ist
so groß gewesen, wie er nur hat sein können.
Was aber von weit größerer Bedeutung ist: meine
Liebe zur Naturwissenschaft ist beständig und
heiß gewesen."
Am 19. April 1882 ist Charles Darwin ge-
storben.
Die wenigen seiner wirklich wissenschaftlichen
Gegner aus dem Kreise seiner Zeitgenossen, die es
noch gab, sind längst ins Grab gesunken, und unter
der neuen Generation der Naturforscher ist ein
Gegner der Deszendenztheorie kaum noch möglich.
Die Kenntnis der Prinzipien dieser Theorie gehört
heute zu dem elementaren Wissen jedes Natur-
forschers.
Sammelreferate und Übersichten
über die Fortschritte in den einzelnen Disziplinen.
„Neues aus der Pharmazie". „Die Spal-
tung des Amygdalins unter dem Ein-
fluß von Emulsin." Von L. Rosenthaler.
Mitteilung aus dem pharmazeutischen Institut der
Universität Straßburg i. E. Arch. f. Pharm. Bd.
246 (1908), 365 -366.
K. Feist (Arch. d. Pharm. Bd. 246, S. 206.
Vgl. auch das Referat in Naturw. Wochenschr.
N. F. VIL Bd. Nr. 27 „Neues aus der Pharmazie")
kommt zu dem Resultat, daß bei der Spaltung
des Amygdalins durch Emulsin primär Benz-
aldehydcyanhydrin entsteht, weil er letzteres dabei
in optisch aktivem Zustande isolieren kormte.
Nach Verf. hat Feist aber einen Umstand
nicht berücksichtigt, nämlich den, daß aus primär
abgespaltenem Benzaldehyd und Blausäure unter
dem Einfluß des Emulsins sekundär ein optisch
aktives Benzaldehydcyanhydrin entstehen konnte.
Verf erhielt durch Einwirkung von Emulsin auf
Benzaldehyd und Blausäure d-Benzaldehydcyan-
hydrin und durch dessen Verseifung IMandcIsäure.
Verf hält den Beweis für erbracht, daß Benzal-
dehyd und Blausäure unter dem Einfluß des
Emulsins zu optisch aktivem Benzaldehydcyan-
hydrin zusammentreten. .Angesichts der Bedeu-
tung, die derartigen ,, asymmetrischen Synthesen"
zukommt, will Verf die Reaktion Emulsin Blau-
säure-Benzaldehyd in quantitativer Hinsicht unter-
suchen; außerdem will Verf. noch weitere Ver-
suche darüber anstellen, in welcher Weise Emulsin
und andere Enzyme zu Synthesen optisch aktiver
Körper dienen können. Demgegenüber kann
I02
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 7
K. Feist (Arch. d. Pharm. Bd. 246, S. 509—510)
in der Beobachtung von L. Rosen thaler nur
eine Bestätigung seiner Annahme (K. Feist,
Arch. d. Pharm. Bd. 246, S. 206) erblicken. Feist
sagt: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß im
Amygdalin das asymmetrische Kohlenstoffatom,
das zur Bildung von d- Benzaldehydcyanhydrin
führte, präformiert vorhanden ist, denn sonst
würde keine optisch aktive Mandelsäure entstehen
können, wenn man Amygdalin mit Salzsäure er-
hitzt." Das optisch aktive Zwischenprodukt hat
Feist isoliert, allerdings war es nicht ausschließlich
entstanden, bzw. es war bereits zum Teil ver-
ändert unter Bildung der razemischen Form und
unter Spaltung in Benzaldehyd und Cyanwasser-
stoff. Rosenthaler fand, daß Emulsin sogar
die Bildung von d-Benzaldehydcyanhydrin aus
Benzaldehyd und Cyanwasserstoff veranlaßt, des-
halb glaubt Feist nicht annehmen zu können,
daß es vorher dessen vollständige Spaltung her-
beiführt. Nach Feist spielt das Emulsin hier
die Rolle eines Katalysators, der einerseits einen
Zerfall, andererseits eine Bildung bis zum Gleich-
gewicht hervorruft ;
d-Benzaldehydcyanhydrin -f- Emulsin ~^
Benzaldehyd -\- Cyanwasserstoff-]- Emulsin.
Wer sich für die von L. Rosenthaler zuerst
beobachtete asymmetrische Beeinflussung von
Syntliesen durch Enzyme interessiert, versäume
nicht, die schöne Arbeit von L. Rosenthaler
,,Durch Enzyme bewirkte asymmetri-
sche Synthesen" in der ,, Biochemische Zeit-
schrift" 1908, Bd. 14, 238 — 253 zu lesen.
„Ein Beitrag zur Kenntnis der im
Safran vorkommenden Stoffe." Von Dr.
B. Pfyl in Berlin und Dr. W. Scheitz in
Meerane. Zeilschr. f. Unt. d. Nahrg. u. Gen. 1908,
I61 337 — 346- ^'1 neuerer Zeit scheint es vielfach
üblich geworden zu sein, daß man die wertvollen
Safrannarben aus dem Rohsafran sorgfältig aus-
liest und zu hohen Preisen verkauft, während man
die wertlosen hellgelben Griffel, unverändert oder
aufgefärbt, mit geringen Mengen von Narben ge-
mischt (insbesondere im gepulverten Zustande) in
den Handel bringt. Schon Hilger suchte diese
Art der Fälschung zu bekämpfen. Verff. stellten
erneute Versuche an, um zu einem brauchbaren
Verfahren zur Wertbcstinimung des mit Griffeln
verfälschten Safrans zu gelangen. Hierzu gehört
eine gründliche Kenntnis der im Safran vorkom-
menden Stoffe. Verff. haben sich deshalb damit
beschäftigt, besonders typische, d. h. dem Safran
eigentümliche Stoffe näher zu charakterisieren
und zu isolieren; am Schlüsse ihrer interessanten
Arbeit fassen sie die Ergebnisse zusammen :
I. Das Verfahren von Quadrat [Gmelin,
Handbuch d. organ. Chemie 1866, 4, 1409; Journ.
f. prakt. Chemie 1866, 56, 68; Jahresber. 1851,
532] und Weiß [Journ. f. prakt. Chemie 1867,
101, 65; Jahresber. 1867, 733] führt zu keinem
reinen Crocin , weil dabei die Abtrennung der
von den Verff. nachgewiesenen Glykoside vom
Safranfarbstoff nicht erzielt wird. Der von K a y s e r
mit Tierkohle abgetrennte Farbstoff [Ben d. d.
ehem. Ges. 1884, 17, 2228] wird durch Einwir-
kung von Alkohol verändert. Es ist nicht ge-
lungen, das Crocin zu kristallisieren. 2. Ebenso-
wenig konnte das Crocetin als solches rein oder
kristallinisch erhalten werden; hingegen gelang
es, davon kristallisierte Salze darzustellen. 3. Bei
der Spaltung des Crocins tritt Glykose auf, welche
als Glykose - /i - Naphtylhydrazon nachgewiesen
wurde. 4. Der von Schüler [Inaugural-Disser-
tation, München 1899] beschriebene, aus dem
Petrolätherextrakt erhaltene Kohlenwasserstoff war
nicht rein. Nach völliger Reinigung schmilzt
dieser bei 63" und scheint datm identisch zu sein
mit einigen anderen Kohlenwasserstoffen, die in
ebenfalls rotgelben Pflanzenfarbstoffen gefunden
wurden [Wirth, Dissertation Erlangen 1891;
Born er, Dissertation Erlangen 1891 ; Eh ring,
Dissertation München 1896]. Das von Kays er
[Ben d. d. ehem. Ges. 1884, 17, 2228] beschrie-
bene Pikrocrocin konnte nicht kristallinisch er-
halten werden. Nach der vonKayser angegebe-
nen Vorschrift wurde einmal eine weiße Substanz
vom Schmelzpunkt 67" erhalten, die nicht redu-
zierte. 6. Die eingehende Untersuchung des
Pelroläther- und Cliloroformextraktes führte zur
Auffindung von drei kristallisierten Substanzen.
Die in Chloroform übergehende Substanz hat
Ähnlichkeiten mit dem Kays er 'sehen Pikro-
crocin, indem als Spaltungsprodukte ätherisches
Öl mit Safrangeruch und Zucker auftreten. Dieser
Zucker aber ist linksdrehend, gibt kein Glykose-/i-
Naphtylhydrazon, wohl aber das der Glykose oder
Fruktose entsprechende Osazon und die Fruktose-
reaktion. 7. In dem absolut alkoholischen Extrakt
(nach erschöpfender Behandlung mit Petroläther
und Chloroform) wurde ein freier Zucker nach-
gewiesen , der ebenfalls kein Glykose-/i-Naphtyl-
hydrazon, wohl aber das der Glykose oder Fruk-
tose entsprechende Osazon und die Fruktose-
reaküon gibt. Neben diesem freien Zucker konnte
ferner ein Glykosid festgestellt werden, das bei
der Spaltung ätherisches Safranöl und einen Zucker
von den eben erwähnten Eigenschaften liefert.
Da die Lösung der Gemenge von freiem Zucker
und Glykosid vor und nach der Hydrolyse links
dreht, so handelt es sich zweifellos in beiden
Fällen um Fruktose.
,,Über ein Verfahren zur Wertbestim-
mung des Safrans." Von Dr. B. Pfyl in
Berlin und Dr. W. Scheitz in Meerane. Zeitschn
f. Unters, d. Nahrgs. u. Gen. 1908, 16, 347—352.
Hierzu eignen sich nach Verff. besonders die
Zuckerarten, welche sie im Chloroformextrakte
feststeilen konnten (vgl. vorstehendes Referat).
Da die Zucker des Handels nicht in Chloroform
übejgehen, so können sie daher niemals als Ersatz
dieser Substanzen gebraucht werden. Da Verff.
qualitativ festgestellt hatten, daß weder die Griffel
noch die üblichen Verfälschungsmittel (Lign. San-
tali, Rhiz. Curcumae, Lignum Campechianum,
N. F. VIII. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
103
Flores Rhoeados, Flores Paeoniae, Honig, Calen-
dula officinalis und Carthamus tinctorius) einen
Stoft" eiuhallen, der in Chloroform löslich ist und
nach der Einwirkung \-on Säuren Fehlin g'schc
Lösung reduziert, so haben Vcrft'. die dem Zucker
des Chloroformextraktes entsprechende Menge
des reduzierten Kupfers als Maßstab zur Bestim-
mung des Reinsafrans herangezogen: Der scharf
getrocknete, fein zerriebene Safran (5,0 g) wird
mit Petroläther im Soxhlet entfettet. Nach Ver-
dunsten des Petroläthers wird 2 Stunden lang im
.Soxhlet mit Chloroform extrahiert. Der nach
dem Abdestillieren des Lösungsmittels verbleibende
Rückstand wird mit heißem Aceton aufgenommen,
die Lösung in ein Becherglas gespült, mit 25 ccm
Wasser versetzt und das Aceton über kleiner
Flamme auf dem Drahtnetz weggekocht. Nach
Zusatz von 5 ccm Normal -Salzsäure wird die
l'^lüssigkeit unter Ersatz des verdampfenden Wassers
etwa I 5 Minuten im Kochen erhalten. Das Gly-
kosid wird gespalten. Nach dem Erkalten wird
filtriert und nachgewaschen, das Filtrat mit Normal-
Alkalilauge neutralisiert und zu einer AUihn'schen
Zuckerbestimmung benutzt. Das Kupfer wird als
solches gewogen und ergibt die Kupferzahl. Zur
Berechnung des in einem Falsifikate enthaltenen
reinen Safrans benutzt man eine von Verff. auf-
gestellte Interpolationstabelle, die Rücksicht auf
die Tatsache nimmt, daß die Abscheidung des
Kupferoxyduls aus Fehlin g'scher Lösung nicht
proportional der vorhandenen Zuckermenge vor
sich geht.
,,Überdie Alkaloide der chinesischen
C ory dal iskn ol 1 en." Von Dr. K. Makoshi
aus Osaka (Japan). Mitteilung aus dem pharma-
zeutischchemischem Institut der Universität Mar-
burg. (Arch. d. Pharm. Bd. 246, 381 — 400.) Nach
Yokusai, einem bekannten japanischen P'loristen,
stammen die chinesischen Corydalisknollen von
Corj'dalis bulbosa var. rotundifolia ab,
wogegen dieselben nach Shimoyama von C o r y-
dalis ambigua herrühren. Nach B red e m a n n
stammen die chinesischen Corydalisknollen von
Corydalis ambigua, die japanischen Corydalis-
knollen von Corydalis Vernyi ab. Verf
isolierte aus chinesischen Corydalisknollen: Cory-
dalin vom Schmelzpunkt 134 — 135", Corybul-
bin vom Fp. 237 — 239", Protopin vom Fp.
202 — 207". Ferner isolierte Verf. noch zwei Al-
kaloide, die er mit Alkaloid I und II bezeichnet.
Nach seinem Gesamtverhaiten trägt das Alkaloid I,
ebenso wie das Berberin, den Charakter einer
.•\mmoniumbase. Die analytischen Daten, welche
bei der Analyse des Chlorids und Golddoppel-
salzes dieser Base gefunden wurden, stimmen mit
denen überein, welche das Berberinchlorid bzw.
dessen Golddoppelsalz verlangt. Auch läßt sich
das Chlorid des Alkaloids I durch Reduktion in
eine farblose Base verwandeln , die jedoch nicht
mit dem Hydroberberin identisch ist. Das Alka-
loid II war eine bei 197 — 199" schmelzende Base,
welche in kompakten, grauweißen Nadeln kristalli-
sierte. Die geringe Menge, in welcher dieses
Alkaloid vorlag, gestattete eine weitere Unter-
suchung nicht.
,,Uber das Protopin der japanischen
Corydalisknollen: Corydalis Vernyi."
Von Dr. K. Makoshi aus Osaka (Japan). Mit-
teilg. aus d. pharm. -ehem. Inst. d. Univers. Mar-
burg. Arch. d. Pharm. Bd. 246, S. 401 — 402. Verf.
untersuchte zwei von Professor Uyeno in Tokio
erhaltene Rohalkaloide, welche aus den japanischen
Corydalisknollen nacli dem X'erfahren von E.
Schmidt isoliert waren. Die als Alkaloid A be-
zeichnete Base war aus dem alkalisch gemachten
P'.xtrakt durch Ausschütteln mit Äther gewonnen,
die als Alkaloid B bezeichnete Base dagegen aus
dem mit Äther behandelten Extrakt durch Aus-
schütteln mit Chloroform isoliert. Durch Um-
kristallisieren gelang es Verf das Alkaloid A in
die typischen Formen des Protopins von Fp. 207"
überzuführen. Auch in den Reaktionen stimmten
diese Kristalle mit Protopin vollkommen überein;
ferner wurde es noch durch das Hydrochlorid
und das Platindoppelsalz identifiziert. Das Alka-
loid B bildete eine gelbe, kristallinische Masse,
welche in ihrem Verhalten und in ihrem Äußeren
große Ähnlichkeit mit Dehydrocorydalin bzw.
Berberinchlorid zeigte. Wegen der geringen Menge
konnte das Alkaloid nicht näher identifiziert
werden.
„Zur Kenntnis des Pim pinellins." Von
J. Herzog und V. Ha neu. Arbeiten aus dem
Pharmazeutischen Institut der Universität Berlin.
.Arch. d. Pharm. Bd. 246 (1908) S. 402 — 414.
Über das Pimpinellin, einen in der Wurzel von
Pimpinella Saxifraga L. enthaltenen kristalli-
sierten Stoff, lagen bisher zwei kurze Mitteilungen
von Buch heim (Arch. d. Pathologie 1872, S. 37)
und von G. Heut (Arch. d. Pharm., Bd. 236
(1898) S. 162) vor. Zur Darstellung des Pimpi-
nellins extrahierten Herzog und Häncu die Biber-
nellwurzel mit Benzol und versetzten die Lösung
zur Abscheidung des Pimpinellins mit Petroläther.
Das Auskochen von Vegetabilien mit Benzol emp-
fehlen Verff. sehr, da das Benzol die in Wasser
löslichen Extraktivstoffe fast vollständig zurück-
läßt, während es die meisten auch in Alkohol
löslichen Stoffe reichlich löst; ferner siedet es sehr
gleichmäßig in mit überhitzten Wasserdämpfen
betriebenen Apparaten und bedeutet schließlich
auch durch seinen geringen Preis einen Vorteil
gegenüber dem Alkohol. Die Ergebnisse ihrer
Arbeit fassen Verff. in folgendem zusammen :
I. Die Wurzel von Pimpinella Saxifraga L. liefert
in einer Menge von etwa 0,5 " „ einen kristalli-
sierten Rohstoff, dessen hauptsächlichster, wenn
nicht einziger Bestandteil das Pimpinellin ist. Ein
zweiter einheitlicher Stoff konnte von Verff. (im
Gegensatz zu Heut) aus dem Rohprodukt nicht
isoliert werden.
II. Das reine Pimpinellin stellt lange, glänzende,
weiße Nadeln vom P'p. 119" dar; es besitzt nach
Analyse und Molekulargewichtsbestimmung die
I04
Naturwissenschaftliche Wochenschrift
N. F. Vni. Nr. 7
Formel CjgH,,^^ und zersetzt sich bereits durch
die Einwirkung des lichtes unter Gelbfärbung.
III. Das Pimpinellin ist mit größter Wahr-
scheinlichkeit als ein Lakton anzusehen; es ent-
hält zwei Methoxylgruppen in dem oben ange-
nommenen Molekül. (Demnach würde die Formel
des Pimpinellins weiter aufgelöst werden können
in Ci„H,0.C0.0-(0CH3).,.)
IV. Durch Oxydation entsteht aus dem Pim-
pinellin eine Säure, die bei 212 bis 220" schmilzt,
eine dreibasische Säure zu sein scheint und ge-
wisse Ähnlichkeit mit der Phtalsäure zeigt. —
Dieses Oxydationsprodukt des Pimpinellins CgHgO.,
(C00H)3 bildet mit Pyridin ein schön kristalli-
sierendes Salz, das mit Diphenylharnstoffchlorid
unter Bildung eines diphenylierten Säureamids
zusammentritt; Cf-HgO., ■ [CONlC^HJ.j],,.
V. Die Zusammensetzung der Pimpinellinformel
und die Überführung des Pimpinellins in eine der
Phtalsäure in mancher Beziehung ähnliche Säure
führt zur Vermutung, daß das Pimpinellin ein
Naphtalinderivat ist, das durch Oxydation in eine
substituierte Phtalsäure umgewandelt wird.
„Über die Inhaltstoffe der Rhizoma
Imperatoriae." Von J. Herzog. Arbeiten
aus dem Pharmazeutischen Institut der Universität
Berlin. Arch. d. Pharm. Bd. 246 (1908), S. 414
bis 417. Wie bei der Biberneil wurzel (vgl. vor-
stehendes Referat) erfolgte die Erschöpfung der
Droge durch siedendes Benzol, die Abscheidung
durch Petroläther. Verf. erhielt in einer Ausbeute
von etwa i "Jq rein weiße Kristalle vom Schmp.
140 — 141", die als Oxypeucedanin angesehen wer-
den müssen; in kleineren Mengen isolierte Verf.
aus der Petrolätherlösung Ostruthin. Vielleicht
läßt sich ein chemischer Zusammenhang zwischen
den beiden Stoffen nachweisen. Verf. hofft hier-
über in einiger Zeit berichten zu können.
„Über das Verhalten des Chinins im
Organismus." Von Dr. Paul Grosser. (Aus
der II. inneren Abteilung des städtischen Kranken-
hauses am Urban in Berlin.) Biochem. Zeitschr.
Bd. VIII. (1908) S. 98 — 117. Zur quantitativen
Bestimmung des Chinins wandte Verf. Phosphor-
wolframsäure als Fällungsmittel an. „Ein Teil,
meist 50 ccm, des bei großen Mengen auf ein
kleines Volumen eingedampften Harnes wurde
mit Salzsäure angesäuert und mit konzentrierter
Phosphorwolframsäurelösuiig so lange versetzt, bis
bei weiterem Zusatz keine Trübung mehr eintrat.
Daneben wurde mit der gleichen Menge eine
Kontrollprobe gemacht. Nach 24 -stündigem
Stehen wurde abfiltriert; es war unbedingt nötig,
den Niederschlag so lange absetzen zu lassen, da
sonst die Flüssigkeit häufig trübe durchging. Der
Filterrückstand wurde sodann quantitativ in eine
Abdampfschale gespritzt, in dieser zu dem weiß-
lichen Brei auf dem Wasserbade Barythydrat in
Substanz gefügt, bis die Reaktion stark alkalisch
wurde." Es wurde zur Entfärbung Tierkohle zu-
gesetzt und zur Trockne verdampft. Der Rück-
stand wurde im Soxhlet 12 Stunden mit Chloro-
form extrahiert. Die nach Abdampfen des Chloro-
forms verbleibende braune Schmiere wurde in
Äther gelöst, vom Unlöslichen abfiltriert, der
Äther verdunstet, der bräunliche Rückstand bei
115" getrocknet und gewogen. Der Rückstand
gab die bekannten Identitätsreaktionen. Zur Iso-
lation des Chinins aus dem Harn war die Methode
gut anwendbar; aus eiweißhaltigen Flüssigkeiten
und aus Organen konnte das Chinin auf diese
Weise nicht wiedergewonnen werden. Die Eiweiß-
rückstände konnten trotz tagelangen Auswaschens
nicht chininfrei erhalten werden. Auch die quan-
titative Chininbestimmung aus der Leber bereitete
zuerst große Schwierigkeiten ; Verf. gelangte
schließlich zu folgender Methode: Die zerkleinerte
und bei 80" getrocknete Leber wurde mit Seesand
verrieben, mit etwa 100,0 ccm 25 "/o iger Schwefel-
säure vermengt und im Schüttelapparat 3 Stunden
kräftig geschüttelt, sodann getrocknet und der
Rückstand im Soxhlet mit Chloroform extrahiert,
bis das ablaufende Chloroform klar war. Das in
Chloroform unlösliche schwefelsaure Chinin blieb,
von einem Teil der Farbstoffe befreit, in der
Filterpatrone zurück. „Das so gereinigte Pulver
wurde nunmehr bis zur stark alkalischen Reaktion
mit Natronlauge versetzt und wiederum im Schüttel-
apparat 3 Stunden kräftig geschüttelt; der Brei
nunmehr unter Zusatz von Tierkohle zur Trockne
eingedampft, bei 80" völlig getrocknet, das Pulver
wiederum im Soxhlet mit Chloroform extrahiert.
. . . Das Chloroform wurde verdunstet, der braune
Rückstand getrocknet und in verdünnter Schwefel-
säure gelöst. Durch ein kleines Filter wurde vom
ungelösten Rückstande abfiltriert und so lange
mit verdünnter Schwefelsäure gewaschen, bis daß
das Filtrat chininfrei war. Der nach Abdunsten
des Äthers zurückgebliebene leicht gelbliche Rück-
stand wurde getrocknet und gewogen." Der
Rückstand gab die bekannten Chininreaktionen.
„Über diabetische Lävulosorie und
den qualitativen Nachweis der Lävu-
lose im Harn." Von L. Borchardt. (Aus
dem Institut für med. Chemie und exper. Pharma-
kologie zu Königsberg. Direktor Gehr. Jaffe.)
Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Bd. 55 (1908),
241 — 259. Verf. verwirft die Seli wanof f'sche
Probe für Urin (Kochen mit gleichen Teilen Salz-
säure und einigen Körnchen Resorzin : Rotfärbung
bei Anwesenheit von Lävulose), denn außer Lävu-
lose gibt eine Reihe anderer Körper, die im
Urin vorkommen, eine ähnliche Rotfärbung, teils
beim Kochen mit Salzsäure allein, teils beim
Kochen mit Resorzin und Salzsäure. Die
S el iwa n off ' sehe Probe ist in verschiedener
Weise modifiziert worden; Verf führt die be-
treffenden Modifikationen an. Die Methode von
Rosin (Zeitschr. f physiol. Chemie, Bd. 38, 1903,
S. 555), in der von ihm verbesserten folgenden
Form, hält Verf. für den Nachweis der Lävulose
im Urin für geeignet: „Einige Kubikzentimeter
Harn werden im Reagenzglas mit der gleichen
Menge 25 prozentiger (offizineller) Salzsäure und
N. F. VIII. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrilt.
105
einigen Körnchen Resorzin einmal kurz aufgekocht;
tritt Rotfärbung ein, so külilt man unter der
Wasserleitung, gießt die Flüssigkeit in eine Schale
oder ein Becherglas, macht mit Soda in Substanz
alkalisch, gießt in das Reagenzglas zurück und
schüttelt mit Kssigäthcr aus. Bei Anwesenheit
von Lävulose färbt sich der Essigäther gelb." Die
Probe ist nur dann beweisend, wenn nicht gleich-
zeitig Nitrite und Indikan in deutlich nachweis-
barer Menge vorhanden sind. Das gleichzeitige
Vorhandensein beider Stoffe gibt nämlich auch
eine positive Reaktion, während weder Nitrit noch
Indikan allein die Probe geben. In einem solchen
Falle entfernt Verf vorher die salpetrige Säure,
indem er den mit Essigsäure angesäuerten Harn
I Minute kocht. Ist der Indikangehalt sehr groß,
so geht mitunter in den Essigäther ein blauer
Farbstoft' über, der eventuell den gelben für Lävu-
lose charakteristischen verdecken kann. In diesem
Falle muß das Indikan vorher entfernt werden
indem man gleiche Teile Urin und Obermeyer-
sches Reagens mit Chloroform mehrmals aus-
schüttelt. Da das Oberm eye r' sehe Reagens
aber rauchende Salzsäure enthält, muß man nach
Abgießen des Chloroforms erst mit ^1^ des
Volumens Wasser verdünnen, wodurch die Kon-
zentration der Flüssigkeit an HCl auf 12 — 13 "/„
herabgesetzt wird, dann gibt man einige Körnchen
Resorzin zu, kocht auf und verfährt weiter wie
oben. Der Urin von Patienten, die Santonin
oder Rhabarber genommen haben, gibt eine ähn-
liche Reaktion; diese Verwechslung wird leicht
zu vermeiden sein, wenn man diese Fehlerquelle
kennt. Aus Urinen, die Uroroscin enthalten,
muß dieses vorher entfernt werden, da der P'arb-
Stoff, der beim Ansäuern mancher Urine mit
Salzsäure schon in der Kälte entsteht, bei An-
stellung der angegebenen Reaktion mit rotvioletter
Farbe in den Essigäther übergeht und den Nach-
weis der Lävulose dadurch vereitelt. Die Ent-
fernung dieses Farbstoffes gelingt leicht, wenn
man gleiche Teile Urin und 25 prozentige Salz-
säure 2 — 3 mal mit Amylalkohol auschüttelt, im
Scheidetrichter trennt, dann mit Resorzin kocht
und weiter wie oben verfährt. Da aber der Ver-
wendung des käuflichen Amylalkohols, wie Verf
gezeigt hat, erhebliche Bedenken entgegenstehen,
so ist ein danach auftretendes positives Resultat
nicht als absolut bewei'^end anzusehen. Nach den
weiteren Untersuchungen des Verf., auf die ich
hier nur verweisen kann, liegt für die Annahme
einer Ausscheidung von Lävulose im Diabetiker-
urin kein Grund vor.
„Über den Wert der zur Bestimmung
des Harnzuckers verwendbaren Metho-
den." Von Casimir Funk. (Aus dem ehem.
Laborator. der inneren Abteilung des Stadt.
Krankenhauses in Wiesbaden.) Zeitschr. f physiol.
Chemie, Bd. 56, S. 507-511. Auf Grund seiner
Untersuchungen kommt Verf zu dem Resultate,
daß die Bertrand'sche Zuckertitrationsmethode
wegen ihrer Genauigkeit und scharfen Umschlags
für Zuckerbestimmungen empfohlen werden kann,
auch für die Bestimmung des Harnzuckers. Die
Bertrand'sche Methode (Bull, de la Soc. chim.
de F"rance, Bd. XXXV, S. 1285, 1906) skizziert
Verf kurz wie folgt: Bertrand läßt die zu
untersuchende zuckerhaltige Flüssigkeit mit einer
Fe hl in g 'sehen Lösung von bestimmtem Gehalt
3 Minuten lang kochen. Der CugO-Niederschlag
wird auf einem Asbestfilter abfiltriert und mit
heißem Wasser nachgewaschen. Der imErlen-
mey er -Kolben zurückgebliebene Cu.^O Nieder-
schlag wie auch der auf dem Asbestfilter zurück-
gebliebene werden in einer Lösung von Fe.,(S04)3
in H.jSO^ gelöst, wobei sich die beiden Verbin-
dungen nach folgender Formel umsetzen :
Cu.,0 + Fe.,(SOJ, + HjSO, = 2 CuSO^ +
HoÖ + 2FeS04.
Das entstandene Ferrosalz wird mit einer auf
Ammoniumoxalat eingestellten KMnOj-Lösung
titriert. Der Umschlag ist äußerst scharf.
„Über eine neue Gallensäurenreak-
tion und über denNachweis derGalletl^
säuren im Harn." Von Adolf Jolles. (Aus
dem chemisch-mikroskopischen Laboratorium von
Dr. M. und Dr. Ad. Jolles in Wien.) Zeitschr.
f physiol. Chemie, Bd. 57 (1908), S. 30 — 34.
Verf versetzt 50 ccm Harn mit 15 ccm einer
3 prozentigen Caseinlösung, mischt gut durch und
setzt hierauf tropfenweise von einer 10 prozentigen
Schwefelsäure unter fortlaufendem Umrühren so-
lange hinzu, bis das Casein vollständig ausgefällt
ist. Es darf nicht mehr Schwefelsäure zugesetzt
werden, als zur Ausfällung des Caseins nötig ist.
Sodann wird filtriert und der auf dem Filter be-
findliche Niederschlag in ein Becherglas gebracht,
worauf 10 ccm absoluter Alkohol hinzugesetzt
wird; nun läßt man etwa 1 Stunde unter wieder-
holtem Digerieren bei gewöhnlicher Temperatur
stehen. Jetzt wird filtriert und etwa 4 — 5 ccm
des Filtrates werden in einem Reagenzglas mit
I Tropfen einer 5 prozentigen Rhamnoselösung
und 4 — 5 ccm konzentrierter Salzsäure versetzt,
zum Kochen erhitzt und etwa i — 2 Minuten in
schwachem Kochen erhalten. Nach dem Erkalten
der Probe fügt man zu dem Inhalte des Reagenz-
glases ca. 2 ccm Äther hinzu und schüttelt um.
Bei Anwesenheit von Gallensäuren ist eine charak-
teristische grüne Fluorescenz schön wahrzunehmen.
„Über den Nachweis organischer
Basen im Harn." Von R. Engel and. (Aus
dem physiologischen Institut der Universität Mar-
burg.) Zeitschr. f physiol. Chemie, Bd. 57 (1908),
S. 49 — 64. Loh mann und Kutscher, Kut-
scher und Achelis haben in einer Reihe von
Arbeiten gezeigt, daß im Harn eine Anzahl or-
ganischer Basen stecken, die bisher der Beobach-
tung entgangen waren. Verf hat diese Unter-
suchungen mit Methoden fortgesetzt, die von den
genannten Forschern nicht angewandt wurden,
und zwar fällte er i. mit kaltgesättigter Queck-
silberchlorid- und Natriumacetatlösung den nicht
io6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 7
eingeengten Harn, 2. fällte er den Harn mit den-
selben Lösungen nach vorheriger Konzentration
und Reinigung mit Tannin, 3. fällte er den Harn
unmittelbar mit heiß gesättigter Quecksilberchlorid-
und Natriumacetatlösung. Verf hat nachgewiesen,
daß sowohl Methyl- als auch Dimethylguanidin
präformiert im Harn vorhanden sind. Ferner
konnte er Histidin nachweisen, welches er nach
den Angaben von Steudel in das Pikrolonat
überführte, welches bei 220" schmolz. [Die
Knorr'sche Pikrolonsäure, das Dinitrophenyl-
methylpyrazolon, wurde von L. K n o r r (Ber. d.
CfiH.-NO.^
N
N
C-O
I
■C-NO.,H
CH3
d. ehem. Ges. 30, I, 917) als ausgezeichnetes
Fällungsmittel empfohlen, sie ist in der letzten
Zeit zur erfolgreichen Charakterisierung organischer
Basen angewandt worden, besonders solcher, die
sonst kaum kristallinische Salze liefern. D. Ref]
„Über VVacholdermus." Von H. Matt h es
und F. Streitberge r. (Mitteilg. aus d. Inst,
f. Pharm, u. Nahrungsmittelchemie der Universität
Jena.) Pharmaz. Zeitg. 1908, Nr. 54. Verff. teilen
zunächst die Analysen dreier Wacholderextrakte
mit. Probe i war von einer Behörde bei einer
in Thüringen umherziehenden Händlerin entnom-
men worden. Die Untersuchung gab folgende
Werte:
Spez. Gew. der Lösung (i -|-2) bei 15'' 1,0941
Daraus Extrakt nach Windisch 67,20 %
Wasser 32,80 „
Polarisation der loproz. Lösung im
200 mm-Rohr nach der Inversion -|-I3,5'*
Der Polarisation nach lag also ein mit Stärke-
sirup versetztes Präparat vor. Eine zweite Probe
Wacholderextrakt, die den Anforderungen des
D. A.-B. IV entsprechen sollte, war den Verff.
von einer Fabrik von Koniferenpräparaten in
Thüringen zur Verfügung gestellt worden. Das
betr. Extrakt stellte einen dunkelbraunen, dicken
Sirup dar, besaß süßen, aber zugleich herben Ge-
schmack, und zeigte den charakteristischen Geruch
des Wacholderöls. Es entsprach in bezug auf
Löslichkeit den Anforderungen des D. A.-B. IV:
mit gleichen Teilen Wasser vermischt, blieb eine
starke Trübung bestehen. Die Asche enthielt
geringe Mengen Kupfer, das Extrakt war nämlich
in einem kupfernen Kessel eingedampft worden.
Auf Veranlassung der Verff. hat der betr. Fabri-
kant den zur Fabrikation dienenden Apparat im
Innern mit einem gegen Säuren indifferenten Über-
zug versehen lassen.
Die weitere Untersuchung ergab folgende
Werte:
Spez. Gew. d. Lösg. i -|- 2 bei 15" 1,1082
Daraus Extrakt nach Windisch 76,76 "/g
Trockensubstanz gewichtsanalytisch 73,47 */o
Wasser 26,53%
Gesamtsäure in ccm Normalsäure 13,00
Polarisation der lOproz. Lösung im
200 mm-Rohr
a) vor der Inversion — 0,41"
b) nach der Inversion — 0,25"
Zucker als Invertzucker berechnet:
a) vor der Inversion 41,36%
b) nach der Inversion 42,24 %
Daraus Rohrzucker berechnet 0,84 %
Eine dritte Probe stammte aus einer Drogen-
handlung Leipzigs. Nach Angabe des Fabrikanten
sollte das Extrakt „rein und unverfälscht" sein;
es schmeckte süß, wenig gewürzhaft und besaß
durchaus nicht den kräftigen Geruch des Wacholder-
beeröles. Die Asche war frei von durch H.3S in
salzsaurer Lösung fällbaren Metallen. Mit gleichen
Teilen Wasser gemischt resultierte eine klare Lö-
sung, während das D. A.B. IV eine stark trübe
Lösung verlangt. Matt lies und Streitberger
konnten durch Versuche im großen nachweisen,
daß diese klare Löslichkeit nicht daher rührt, wie
in der ,,Real-Enzyklopädie der gesamten Phar-
mazie" Bd. IX, S. 526 (1890) angegeben ist, daß
das ätherische Öl abdestilliert ist [ — dies ist bei
allen Wacholderbeersäften zum größten Teil durch
das Eindampfen verflüchtigt. Die trübe Löslich-
keit rührt von natürlichen harzigen Bestandteilen
der Beeren her — | , sondern daß die klare Lös-
lichkeit durch zugesetzten Invertzucker bewirkt
wird. Durch Zugabe von Invertzucker konnten
Verff. auch trüblösliche Wacholderextrakte zur
klaren Lösung bringen. ,,Es ist also in der
klaren Löslichkeit von Wacholder-
extrakt ein wichtiger Hinweis gegeben,
daß zur Vermehrung der Masse ein Zu-
satz von Invertzucker oder ähnlichen
Stoffen stattgefunden hat." [Ref fiel es
auf, daß auch in dem soeben erschienenen XI. Band
der neuesten Auflage der gen. „Real-Enzyklopädie
der ges. Pharmazie" die oben erwähnte alte, falsche
Angabe stehen geblieben ist. Eine sehr wohl-
wollende, ausführliche Besprechung der Arbeit von
Matthes und Streitberger brachte s. Z. die
,, Süddeutsche Apotheker-Zeitung".]
Verff. kommen zu folgenden Schlußfolgerungen:
„Ein als Wacholderextrakt bezeichnetes Präparat
muß den Anforderungen des D. A.-B. IV ent-
sprechen. Unter Wacholder mus verstehen wir
ein dem Wacholder ex trakt in bezug auf Dar-
stelUmg und Beschaffenheit gleichwertiges Produkt,
denn Wacholdermus stellt das eingedickte Dekokt
von Wacholderbeeren dar. Wacholder saft braucht
in bezug auf Löslichkeit nicht den Anforderungen
des D. A.B. IV zu entsprechen. Das Arzneibuch IV
kennt auch nur die Bezeichnung: Succus Juniperi
inspissatus = Wacholdermus." Gegen den indu-
striellen Brauch, im Handel als Wacholdersaft
N. F. VIII. Nr.
Naturwisenschaftliche Wochenschrift.
107
ein stets mehr oder weniger versüßtes Wacholder-
extrakt zu verkaufen, haben Veiff. nichts ein-
zuwenden. Zum Versüßen dient meistens Stärke-
sirup oder Zucker, auch Rübensaft. „Eine Dekla-
ration solcher Zusätze halten wir für unbedingt
erforderlich, da sonst Irrtümern und Preisunter-
bietungen Tür und Tor geöffnet sind. Für den
Apotheker wird es von Wichtigkeit sein, bei Be-
stellungen stets sich der richtigen Bezeichnung
Succus Juniperi inspissatus (Wacholdermus) zu
bedienen, da er sonst bei Reklamationen nach
dem jetzt üblichen Handelsbrauch leicht
Schwierigkeiten haben kann. Bestellt er aber
Wacholder saft Ph. G. IV, so müßte der Grossist
oder Fabrikant auch vorschriftsmäßige Ware liefern,
da sich diese Bezeichnung in Anlage VII des
Arzneibuches S. 483 als synonym findet."
„Über künstliches kristallisiertes
Karlsbader Salz" haben H. Matthes und
H. Serge r berichtet („Apoth.-Zeitg." 1908, Nr. 27,
Nr. 41 u. Nr. 70), ferner H. Matthes in der
„Balneologischen Zeitung" 1908, Nr. 11. G. Fre-
richs untersuchte Sal Carolin, fact. Ph. G. IV
(Apoth.-Zeitg. 1908, 135—136). Diese Arbeiten
haben in pharmazeutischen Kreisen so allgemeines
Interesse erregt, daß ich sie als bekannt hier nur
erwähnen brauche; sie gipfeln in der sehr berech-
tigten Forderung, daß sowohl das Sal. Carol. fact.
crist., als auch das Sal. Carol. fact. Ph. G. IV in
den Apotheken selbst dargestellt werden. Die
Selbstdarstellung der galenischen Präparate wird
jetzt wieder mehr angestrebt. In letzter Zeit
fordeite sie auch Dr. Richter- Groitzsch i. S.
(Pharm. Zeitg. 1908, Nr. 98 und 1909, Nr. 4), es
kann ihm nur zugestimmt werden; leider will
Richter die eingehende chemische Untersuchung
der Chemikalien, Drogen usw., wie sie das D.
.■\.-B. IV verlangt, fast ganz eingeschränkt wissen ;
diesem Wunsche Rieh ter's wird hoffentlich von
maßgebender Stelje nicht entsprochen werden.
H. Thoms, „Über französisches Peter-
silienöl und einen darin entdeckten
neuen Phenoläther, ein i-Allyl-2. 3. 4. 5-
Tetramethoxy-benzol. Aus dem Pharmaz.
Institut der Universität Berlin. Ber. d. deutsch.
ehem. Ges. 41, 2753 — 2761 (1908). Schon im
Jahre 1903 (Ber. d. d. ehem. Ges. 36, 3451 [1903]
und Arbeiten aus dem Pharmaz. Instit. d. Univers.
Berlin, 1, 23) berichtete Verf über ein französi-
sches Petersilienöl , in welchem er neben großen
Mengen von Myris ticin, nur kleine Mengen
Apiol nachweisen konnte, während deutsches
Petersilienöl große Mengen des letztgenannten
Phenoläthers enthält. Da die französischen Peter-
silienfrüchte, aus denen das Ol gewonnen wurde,
nur geringfügige anatomische Unterschiede von
den deutschen Petersilienfrüchten zeigten, so führte
Thoms obigen Unterschied auf verschiedene
Kulturbedingungen oder klimatische Einflüsse zu-
rück und führte Kulturversuche in dem Garten
des Berliner pharmazeutischen Instituts aus. Verf.
bemerkt im voraus, daß er sich von einer
Kulturperiode nicht sehr viel versprochen habe.
Für diese Annahme spricht auch der Ausfall der
Versuche. Es haben sich zwar Verschiedenheilen
gezeigt in der Zusammensetzung der ätherischen Öle,
die von auf deutschem und auf französischem Bo-
den aus gleicher französischer Saat erzielten Samen
gewonnen wurden, jedoch sind diese Unterschiede
nur unwesentlicher Art. Im Verlaufe dieser Unter-
suchungen hat Verf. in den Hauptfraktionen des
französischen Petersilienöles sowie des aus in
Dahlem kultivierter französischer Saat erhaltenen
Öles neben kleinen Mengen Apiol und Myristicin
auch einen bisher unbekannten Phenoläther, ein
i-Allyl-2. 3. 4. 5-Tetramethoxy-benzol:
CH.2 . CH : CHj
OCH3
CHaOl J0CH3
OCH3
vom Schmp. 25" entdeckt.
,, Weitere Untersuchungen über die
Glycyrrhizinsäure." Von A. Tschirch
und S. Gauch mann. (Arbeiten aus dem phar-
maz. Inst. d. Univers. Bern.) Arch. d. Pharm.
1908, 246, 545 — 558. Die ersten, welche das
Glycyrrhizin rein darstellten und die Substanz
genau untersuchten, waren Tschirch und
Cederberg (Arch. d. Pharm. Bd. 245, 97 (1907).
Dort auch die ältere Literatur). Ihnen gelang es,
farblose Kristalle der Glycyrrhizinsäure und ihrer
Salze zu erhalten und auch den chemischen Cha-
rakter des Glycyrrhizins zu ermitteln. Als Spal-
tungsprodukte erhielten sie Glycyrrhetinsäure und
vermutlich Glukuronsäure. A. Tschirch und
S. Gauch mann kommen auf Grund der Reak-
tionen der vermutlichen Glukuronsäure zu dem
Schluß, daß der zweite Spaltung der Glycyrrhizin-
säure tatsächlich Glukuronsäure ist. Die Glukuron-
säure kommt also nicht nur im tierischen Organis-
mus vor, wie man es bis jetzt glaubte, sondern
sie findet sich auch in Pflanzen, und zwar ist sie
hier, wie im Tierkörper, mit hydroxylhaltigen
Substanzen zu glykosidartigen , aber nicht echt
glykosidischen Verbindungen gepaart. Die Unter-
suchungen über die Glycyrrhetinsäure sind noch
nicht abgeschlossen. Interessant ist auch die Angabe
der Verfasser, daß im Gouvernement Astrachan,
welches die Hauptmenge des russischen Süßholzes
liefert, zwei von Engländern gegründete Fabriken
bestehen, welche den Succus Liquiritiae in großen
Mengen darstellen und diesen nach London ex-
portieren, wo er besonders bei der Fabri-
kation des Porterbieres X'^erwendung
find et.
,,Über das Vorkommen von Glycyr-
rhizinsäure in anderen Pflanzen." Von
A. Tschirch und S. Gauchmann. Arch. d.
Pharm. 1908, 246, 558—565. Verff. kommen zu
dem Schluß, daß der aus Periandra dulcis Mart.
erhaltene Süßstoff und der aus der Monesia-Rinde
lOS
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 7
(Pradosia lactescens Radlk.) erhaltene mit Gly-
cyrrhizinsäure identisch sind.
E. Rupp und R. Loose, „Über einen
alkalihochemp find liehen, zur Titration
mit Hundertstelnormallösungen geeig-
neten Indikator." Marburg, Pharm. -ehem.
Institut. Ber. d. d. ehem. Ges. 41, 3905 (igo8).
Verfif. verwenden einen Indikator, den sie anläß-
lich einer Arbeit über den planmäßigen syntheti-
schen Aufbau von Indikatoren erhalten haben.
Seiner Konstitution nach repräsentiert er eine
Azokombination aus o-Amidobenzoesäure
und D i m e t hy 1 anil i n und ist dementsprechend
zu formulieren als
.•N:N.
COOH
p-Dimethylamino-azobenzol-o-carbon-
säure
Über die zur Ammoniaktitration üblichen Indika-
toren erhebt sich der neue Indikator insofern, als
n , , , n
er nicht allein auf
10
sondern auch auf
Lösung mit Schärfe anspricht. Ebenso übertrifft
er das Hämotoxylin. Auch das Jodeosin glauben
VerfF. durch ihn ersetzen zu können , zumal er
außer Schärfe den nicht zu unterschätzenden Vor-
teil bietet, die Äther- Wasser-Schicht nicht zu be-
dürfen. Auch ist er zur Titration der Chinabasen
tauglich , wo Jodeosin bekanntlich versagt. Vor
allen Dingen erfordert er keine farblosen Titrations-
lösungen. Der Umschlag vollzieht sich von
schwacligelblich in alkalischer und neutraler Lö-
sung zu violettrot in saurer Lösung, ähnelt also
dem Umschlag von Methylorange, jedoch kommt
die eigentümlich gelbrote Übergangsfarbe des
letzteren gänzlich in Wegfall; wegen dieser Ähn-
lichkeit nennen VerfF. ihren neuen Indikator
Methylrot. Man benutzt die 0,2 proz. alkoho-
lische Lösung des kristallisierten Präparates.
Die Klärung der Pyrenol-Frage ist das Ver-
dienst von Prof. Thoms, Dr. Zernick und Prof.
Frerichs. Als Tragikomödie wirkte der Ver-
such, das Verhalten des Pyrenols als einen Beweis
für die Richtigkeit der van t'Hoff'schen Theorie
der festen Lösungen hinzustellen.
Dr. Otto Rammstedt, Dresden.
100
Kleinere Mitteilungen.
Die phylogenetische Entstehung des Kopfes
der Wirbeltiere hat Prof H. E. Z i e g 1 e r aufs Neue
einer Untersuchung unterworfen. (Jenaische Zeitschr.
f. Naturwissensch. 1908, 43. Bd. Auch separatim bei
G. Fischer, Jena.) Bekanntlich hat dieses Problem
die Naturforscher seit mehr als 100 Jahren be-
schäftigt. Ich nenne nur die Namen Goethe
und Oken, Huxley und Gegenbaur, um
an die früheren Auffassungen zu erinnern. Diese
älteren Autoren gingen in erster Linie von dem
Kopfskelett aus. Erst durch Balfour und van
Wijhe (1883) wurden auch die embryologischen
Tatsachen in Betracht gezogen und die Aufmerk-
samkeit auf die Ursegmente gelenkt, in denen
sich die Gliederung des Kopfes zuerst ausspricht.
Verschiedene Beobachter haben sich neuerdings
wieder mit Erfolg an der Lösung des Problems
beteiligt, so Froriep, Dohrn, Braus, Kolt-
zoff u. a. Fast stets bauten die F"orscher ihre
Folgerungen auf Beobachtungen an einem Organ-
system auf. Das Ergebnis dieser einseitigen Be-
handlung ist ein Auseinandergehen der Meinungen,
wie sie kaum ein anderes Gebiet aufzuweisen hat.
Die erste Frage bei unserem Problem lautet
jetzt: „Wie viele Ursegmente (Somiie) sind in die
Bildung des Kopfes eingegangen ?" Man hat näm-
lich erkannt, daß die Ursegmente die phylogene-
tisch ältesten Teile sind , was aus den Verhält-
nissen beim Amphioxus deutlich hervorgeht, da
hier weder Gehirn noch Schädel differenziert sind.
Bei diesem einfachsten aller Wirbeltiere gehen
die Ursegmente bis zum vorderen Körperende.
Jedoch zeigt sich die Gliederung des Kopfes nicht
allein in den Ursegmenten sondern auch in der
Anordnung der Kopfnerven und in der Lage der
Kiemenspaltcn.
Ziegler geht von Selachierembryonen in den
Stadien H — K (nach Balfour) aus. In diesen
Entwicklungsphasen ist eine deutliche Zuordnung
der Kopfnerven zu den Ursegmenten zu erkennen;
außerdem besitzen die Nerven ektodermale Ver-
bindungen an den zugehörigen Kiemenspalten.
Die Segmente, welche Ziegler für die ursprüng-
lichen hält, sind die Prämandibular-, die Mandi-
bular- und die Hyoidhöhle, ein Glossopharyngeus-
und drei Vagussegmente. Zu ihnen gehören die
primären Kopfganglien und Nerven , nämlich
Ciliar-, Trigeminus- und P'acialis- AcusticusGang-
lion, der -Glossopharyngeus und der Vagus. Letz-
terer ist durch Verschmelzung von drei Wurzeln
entstanden , entspricht also einer gleichen Zahl
von Segmenten. Außerdem sind noch vier Somite
in den Bereich des Kopfes einbezogen worden,
die ursprünglich zu Spinalnerven gehörten. Im
ganzen stellt sich die Zahl der Segmente somit
auf 12. Die Kiemenspalten liegen intersegmental,
was aus den Rekonstruktionen deutlich ersicht-
lich ist.
Ziegler stellt sich die phylogenetische Ent-
stehung des Wirbeltierkopfes nun folgendermaßen
vor, wobei er besonders die palingenetischen
Elemente in der Entwicklung des .Amphioxus be-
rücksichtigt. Die Gastrula ernährte sich ursprüng-
lich durch den Blastoporus; zu ihm wimperte die
N. F. VIII. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
109
Medullarplatte die Nahrung. Als sich das Me-
dullarrohr gebildet hatte, strömte das Wasser mit
den Nahrungsbestandteilen durch den vorderen
Neuroporus ein und kam dann durch das Medullar-
rohr, das mit einem Sinnesepithel zur Prüfung
des durchströmenden Wassers ausgekleidet war,
in den Darm. Diesen Weg zeigt uns die sche-
matische Figur I. Ein eigentlicher Mund und ein
After existieren noch nicht, wohl aber eine An-
Fig. I.
AraphioNUS-Larve im Stadium der Neurula (Gastrula mit Me-
dullarrolir), nach Hatschek scliemalisiert (aus Ziegler).
zahl Muskelsegmente, welche die Bewegung er-
möglichten. Einen ganz ähnlichen Entwicklungs-
zusland durchläuft die Amphioxuslarve , bei der
ja noch viele ursprüngliche Charaktere erhalten
sind (siehe Figur 2). In diesem primitiven Zu-
stande mußte das Wasser den Körper wieder auf
demselben Wege verlassen, den es genommen
hatte. Diese unpraktische Einrichtung führte not-
wendigerweise zur Bildung des Afters, durch wel-
chen ein Abfluß für das Wasser geschaffen wurde.
Eine höhere Stufe wurde erreicht, als Mund
und Kiemenspalten durchbrachen. Der Mund ist
ein unpaares, medianes Gebilde, das nicht durch
Verschmelzung zweier Kiemenspalten entstanden
ist, wie einige Forscher annahmen. Die Kiemen-
spalten entstanden an den Stellen des geringsten
Widerstandes, also zwischen den Segmenten. Die
Kiemenspalten beider Seiten mußten sich also
entsprechen ; auch beim Amphioxus sind die zu-
erst entstehenden Kiemenspalten metamer ange-
ordnet. Als sich der Mund gebildet hatte, obli-
terierte der Canalis neurentericus (die Verbindung
"P "f US
Fig. 2.
Embryo von Amphio.vus mit 9 Ursegmenten. (Nach Hat-
schek aus Korscheit und Hei der), dv vorderes Ento-
dermdivertikel (linkes Entodermsäckchen Hatschek's), ec
Ektodetm, en Entoderm, m vorderer Fortsatz des sog. I. Ur-
segments (us'), raf ungegliederter Teil des Mesoderms , mp
Hatschek's Mesodermpolzellen, mz Muskelbildungszellen,
np vorderer Neuroporus..
des Medullarrohres mit dem Darmrohr) ; das Me-
dullarrohr, welches bisher nebenbei eine Sinnes-
funktion gehabt hatte, um das durchströmende
Wasser zu prüfen, wurde nun zum Zentralorgan
des Nervensystems.
Wichtig für unser Problem ist es also, daß
ursprünglich der ganze Kopf eine Gliederung be-
saß. Z i e g 1 e r entwirft ein Schema des Ursprung-
?c
K.
Fig. 3. Schema des ursprünglichen Baues des Wirbeltierkopfes
(nach Ziegler). C. Ciliarganglion. O. Ohrbläschen.
P. Prämandibularhöhle. M. Mandibularsegment. H. Hyoid-
segment. l.R. Erstes aufsteigendes Ursegmcnt. K. Kicmen-
spaltcn. Fe. Pericardialhöhle , die mit den Ursegmenten in
Kommunikation steht.
liehen Zustandes, das ich in Figur 3 verkleinert
wiedergegeben habe. Es zeigt uns vor allem die
Zuordnung der Kopfnerven zu den Ursegmenten
sowie die intersegmentale Lage der Kiemenspalten.
P. Brohmer, Jena.
Über die Farbe des Schwefels und das
Farbproblem des Ultramarins. — Der Schwefel
ist ein in mancher Beziehung merkwürdiger Grund-
stoff; besonders eine Eigenschaft verdient mehr
als bisher hervorgehoben zu werden ; sein Ver-
E
hältnis zur Temperatur und zum Quotienten -^,
wo E die Lichtemission und A die Licht-
absorption bedeutet.
Die Farbe des Schwefels ist um so blasser, je
tiefer die Temperatur ist. Schönbein hat schon
beobachtet, daß der Schwefel bei — 50" fast
farblos ist; bei der Temperatur der flüssigen
Luft erscheint er weiß; bei gewöhnlicher Tem-
peratur gelb, wird er erhitzt bis ca. 340° braun
bis braunschwarz. Mit steigender Temperatur
wächst also seine Absorptionsfähigkeit für das
Licht, während sie mit sinkender Temperatur ab-
nimmt.
Außerdem hat der Schwefel aber die Fähig-
keit, mit anderen Substanzen auf höhere Tempe-
ratur gebracht, die verschiedensten Färbungen
anzunehmen. Zunächst mögen einige ältere Be-
obachtungen folgen : E. Mitscherlich ^) beobachtete,
Pogg- Ann. 99, 145. 1S56.
HO
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 7
daß Schwefel mit ^3000 Teilen Tal g längere Zeit
erhitzt, eine rote Masse ergab. Nach G. Magnus ')
verfärben den Schwefel bei ca. 300" Stearin-
säure, Paraffin, Wachs, Walrat, Ozokerit, Kolo-
phonium, Mastix, Guttapercha, Bernstein, Zucker,
Stärkemehl, Baumwolle, nach Dietzenbacher und
Moutier '') Kampher bei 230 ", Naphthalin und
Terpentinöl bei noch hölierer Temperatur, bei
Zusatz von ';4iio ~ ','«1111 Substanz, Ruß von der
Zucker- oder Holzkohle, bei Zusatz von Vi 000
Substanz bei 270", Jod auf Zusatz von '/^u,, Teilen
bei 180''. Bemerkenswert ist hierbei, daß der
Schwefel nunmehr in Schwefelkohlenstoff unlös-
lich geworden ist, wie er auch unlöslich wird,
wenn er schnell z. B. in kaltem Wasser abge-
schreckt wird. Ahnlich verhält sich der Schwefel,
nachdem er mit Soda, Glaubersalz, hydrat- und
wasserhaltigem Ton und Kohle die verschiedenen
Ultramarine gebildet hat.
Nach einer weiteren, älteren Beobachtung 'M
wird beim Schmelzen von Rhodankalium im
Porzellantiegel dieser blau gefärbt. Goethe*)
bemerkte auf seiner italienischen Reise die Bildung
von blauen Massen in sizilianischen Kalköfen,
in denen jedenfalls tonhaltiger Marmor und
außerdem Schwefel gebrannt worden war.
Nach Weber '') besitzt eine Auflösung von
Schwefel in Schwefelsäureanhydrid eine blaue
Farbe. Bei Vermischen von Ferrichlorid-
und Seh wefel Wassers t offlöSLingen tritt eine
voriibergehende Blaufärbung ein; nach einiger
Zeit scheidet sich weißer Schwefel im feinverteilten
Zustande ab.
Diese Blaufärbung wird durch die gebildete
Salzsäure bzw. Wasserstoffionen wieder
zerstört; ebenso wie Ultramarin durch
Säuren entfärbt wird.
Beim Zusammenbringen von Hisenchlorid- mit
Schwefelleberlösung bildet sich ein anfäng-
lich gelbgrüner, dann dunkelblau werdender
Niederschlag, der diese Farbe ca. eine Stunde
beibehält, bis Schwefel ausgeschieden wird.")
Alkohole und Acetone werden durch Poly-
sulfide blau gefärbt.
Tonerde wird beim Glühen in Schwefel-
wasserstoff gelblich, dann bläulich schwarz,
beim längeren Erhitzen wird sie wieder weiß.
Hierher gehören auch einige neuere Beobach-
tungen, die teilweise die alten bestätigen.") Auf
Zusatz von AI kal i p o ly SU 1 f i d e n zu siedendem
Alkohol oder Aceton tritt die blaue P'arbe
auf, dieser Vorgang wird die CanavesGil-Reaktion
genannt. E. Paternö und A. Mazzuchelli sind der
Ansicht, daß die blaue Farbe durch unvollständige
') Pogg. Ann. 99, 145. iSsO.
") 1. c.
3) Ann. Chem. Pharm. lOS, 19. 1858.
*) Italienische Reise 1787.
'') Journ. prakt. Chem. 6, 178. 1835.
^) Gmeiin-Kraut , Hantlbuch der anorganischen Chemie.
^) E. Paternö und A. Mazzuchelli, Gazz. chim. 38, 129.
1908, Über die blaue Farbe des Schwefels und einiger Ver-
bindungen desselben.
Dissoziation des Alkalipolysulfides vermutlich er-
zeugt wird, aber nicht von freien Schwefel her-
rührt; da überhaupt die Kenntnisse über die blaue
Varietät des Schwefels sehr unsicher wären.
Dagegen erwiesen sich die Absorptions-
spektren der Polysulfidlösungen, des geschmol-
zenen blauen Kali umsulfo Cyanids und der
blauen Lösung von Schwefel in Schwefel-
säureanhydrid sehr ähnlich untereinander.
Auch wird noch die Beobachtung mitgeteilt,
daß Schwefeldampf, in einem Quarzgefäß er-
hitzt, bei etwa 1400" blaßblau erscheint, was
durch die Luminiscenz des Dampfes erzeugt wird.
F. Knapp ') erhielt ferner durch Mischungen
von Borax, Natriu m seh wefe lieber, Borsäure
eine blaue Masse. H. Puchner -) glühte die
Rückstände von wässrigen Auszügen aus Kalk-
humus, Gips, Tonerde, Silikaten, Kochsalz und
erhielt blau, grün und rot gefärbte Produkte. Ver-
mutlich ist der im Gips enthaltene Schwefel die
Ursache dieser Farbbildungen gewesen. Plscher ")
beobachtete blaue Ahiminiumverbindungen, die
aus Aluminiumoxyd, Siliziumoxyd, Schwefel-
säure bestanden.
Endlich nimmt der Schwefel mit Soda, Glauber-
salz, Kohle, Ton, je nach der Höhe der Tempe-
ratur, fast alle Töne der F'arbenskala an, vom hellen
Rot bis zum tiefen Violett; die Ultramarine.
Man muß diese Phänomene im Zusammen-
hang betrachten , wenn man die Ursachen der
P'arbbildung der Ultramarine erforschen will.
Schon aus der Tatsache, daß der Schwefel
mit den verschiedensten Stoffen und auch mit ein
und denselben Substanzen variable Färbungen
liefert, geht hervor, daß schwerlich diese Ursache
in der Entstehung einer stets einfarbigen,
stöchiometrischen, bestimmten Verbin-
dung gesucht werden muß. Hätte man diese
Erkenntnis früher gehabt, so wäre manche Unter-
suchung, die dieses bezweckte, unterblieben. Von
diesem Gesichtspunkt aus verliert das P^arbproblem
viel von dem Geheimnisvollen, das es bisher umgab.
Nehmen wir zunächst an, daß , wie
sich Jod in Äther mit roter, in Schwefel-
kohlenstoff mit violetter Farbe auflöst,
so der schmelzende Schwefel und Dampf
die Fähigkeit besitzt, sich in den er-
wähnten Substanzen mit verschiedener
Farbe aufzulösen oder adsorbiert zu
werden.
Dieses Analogon läßt sich noch weiter ver-
folgen; man kann Jod in großer Menge in Äther
oder Schwefelkohlenstoff auflösen, und umgekehrt
wenig Jod in einer großen Menge dieser Lösungs-
mittel; eine Färb Verschiebung ist die Folge.
Ebenso kann man eine große Menge Schwefel in
wenig Jod, Talg usw. auflösen, oder wenig Schwefel
in einer großen Menge Ton, Soda, Glaubersalz,
') Diegl. polytechn. Journ. 233, 479. 1S79.
■-) Zt. f. angew. Chem. 9, 196. 1896.
') Zt. f. anorg. Chem. 43, 944. 1905.
N. F. Vin. Nr. 7
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
1 1 1
Kohle. Auch hier wird eine Farbände-
rung dadurch hervorgerufen.
Die Löslichkeit, bzw. die Fähigkeit adsorbiert
zu werden, des Jods sowie des Scliwefels wird
erhöht, wenn sich beide in möglichst gefeintem
Zustand befinden.
Endlich werfen einige meiner Versuche auf
das Farbproblem einiges Licht; da sich die Talke ')^j
in bezug auf Abspaltung kolloidaler Stoffe
durch Hydrolyse und damit verbundene plasti-
sche Eigenschaften ähnlich wie die Tone ver-
halten, auch ihrer Konstitution nach diesen ähn-
lich zusammengesetzt sind, nur daß an Stelle des
Aluminiums Magnesium substituiert ist, so war
die Vermutung nahe gerückt, daß auch Talk, mit
Soda und Schwefel erhitzt, eine gefärbte Substanz
liefern könnte.
Dieses ist in der Tat der Fall. Erhitzt man
Talk, Soda, Schwefel zu gleichen Teilen etwa bis
zur Sinterung, so erhält man eine grün gefärbte
Substanz, die sich ähnlich wie Ultramarin verhält;
gegen Alkalien ist sie beständig, durch verdünnte
Säuren wird sie unter Bildung von H^,S entfärbt;
und hierbei läßt sich, im Gegensatz zum Ultra-
marin, der farbtragende Stoff von den Bestand-
teilen trennen ; er ist mit gelbgrüner F"arbe in
Wasser löslich, beim Eindampfen wird er rot-
braun, oxydiert an der Luft zu Sulfat;
offenbar ist es ein Polysulf id des Natriums.
Auf das Farbproblem des Ultramarins zurück-
schließend, kann man vermuten, daß auch der
Farbbildung des Ultramarins ein Doppel poly-
sulfid des Natriums und Aluminiums zu-
grunde liegt, das sich mit den siliziumhaltigen
Bestandteilen der Grundmasse im Zustande der
verdünnten, festen Lösung oder einer Adsorptions-
verbindung befindet.^) Dr. Rohland.
') conf. P. Rohland, über die Talke. Sprechsaal, Zt. für
die keramischen, Glas- und verwandte Industrien. 39, 19. 1906.
-) P. Rohland über das Farbproblcm des Ultramarins.
Phys.-chem. Centralblatt 5, 513. 190S.
') conf. R. Abegg, Handbuch der anorganischen Chemie.
Bd. III, Abt. 1. P. Rohland, Ultramarin.
Bücherbesprechungen.
Max Kleinschmidt, Obedehrer an der Realschule
zu Rostock i. !M. , Grammatik und Wissen-
schaft. Eine psychiatrische Studie. Hannover,
Dr. Ma.x Jänecke, 1908. — Preis 1,50 Mk.
Der Inhalt des Heftes ist für jeden, der über
Verknöchertes, Unhaltbares hinaus möchte, geradezu
herzerquickend. Verfasser deckt — und zwar so
schonungslos, wie es sich für einen wahrhaft wissen-
schafdichen Sinn geziemt — die großen Mängel des
bisherigen grammatikalischen Denkens auf. Wenn
nun auch die Psychiatrie (siehe den Untertitel) dort
gelegentlich von krankhaften Geisteszuständen spricht,
wo es sich um das Verlassen des Bodens der Logik
handelt, so wird man zweckmäßig logische Fehler,
die in der Wissenschaft vorkommen , nicht gut als
krankhafte bezeichnen können , da es sich um eine
ganz allgemein verbreitete Anlage handelt, die durch
die menschliche Natur gegeben ist. Der Referent
hat das seinerzeit einmal etwas näher darzulegen
versucht in seinem Artikel „über die Entstehung der
Denkformen" in der Naturwissenschaftlichen Wochen-
schrift vom 12. .^pril 1891. Ich zitiere daraus nur
den einen Satz : „Werden die Denkweisen im allge-
meinen dann notwendig übereinstimmen, wenn Hand-
lungen aus ihnen folgen, die das Leben hindern oder
gefährden , so werden sie andererseits oft dann bei
den verschiedenen Individuen keine Übereinstimmung
zeigen, wenn der Kampf ums Dasein keine Veran-
lassung hatte, klärend zu wirken, weil diese Denk-
weisen nicht zu lebengefährdenden Handlungen führen."
Anders ausgedrückt, weü „der Irrtum ... in praktisch
gleichgültigen Dingen unschädlich" (E. Dühring) ist.
Kleinschmidt schließt mit den Worten : „Meine Ar-
beit unterscheidet sich dadurch von sehr vielen ähn-
lichen, daß sie einen Beweis für ihre Behauptungen
erbringt, wie er strenger selbst in der Geometrie
nicht denkbar ist, so daß jede Möglichkeit eines
Einwandes ausgeschlossen ist. Da aus sachlichen
Gründen niemand mehr für die Beibehaltung des
grammatischen LTnterrichts eintreten kann, so können
es nur persönliche sein, die ihn dazu bestimmen.
Vielleicht ist er an der Erhaltung der bestehenden
Verhältnisse finanziell interessiert; vielleicht bringt er
es nicht über sich zuzugeben, daß er sich jahrelang
in einem — sehr verzeihlichen — Irrtum befunden
hat. — Ich bin gespannt darauf, ob jemand den
Mut haben wird oftentlich zu fordern , daß eine als
schädlich erwiesene, in ihren Folgen gar nicht über-
sehbare Einwirkung auf unsere Schuljugend fortge-
setzt werde — nur weil er so oder so seine Rech-
nung dabei findet. — Eins halte ich jedoch für aus-
geschlossen — daß die Behörden die Fortsetzung
dieses Unterrichts gestatten werden. Der bloße Zweifel,
daß die maßgebenden Stellen auch nur einen Augen-
blick zwischen sachlichen und persönlichen Erwägungen
schwanken könnten, würde eine schwere Beleidigung
für sie bedeuten. Und daher, obwohl das Prophezeien
von allen Arten geistiger Betätigung diejenige ist,
der ich am wenigsten Sympathie entgegenbringe,
möchte ich jetzt doch eine Prophezeiung wagen :
binnen Jahresfrist wird an deutschen Schulen kein
Unterricht im pathologischen Denken mehr erteilt
werden."
Verfasser verspricht an Beispielen zu zeigen , wie
nach einer wirklich wissenschaftlichen Methode die
Erlernung fremder Sprachen zu gestalten sei: er will
u. a. eine wissenschaftliche Grammatik der englischen
Sprache herausgeben. Man darf gespannt sein , wie
er seine Aufgabe lösen wird. Sicherlich muß man
dem Verfasser dankbar sein, daß er fest in das
Wespennest gegriffen hat. Trotzdem wird er sicher
gestochen werden ! P.
Prof. Dr. Bernh. Hoffmann, Kunst und Vogel-
gesang. 230 Seifen. Leipzig, Quelle & Meyer,
1908. — Preis 3,80 Mk., geb. 4,20 Mk.
112
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. Vm. Nr. 7
Das vorliegende Buch ist unseres Wissens die
erste Monographie des Vogelgesangs, die diesen vom
musilcaUschen Standpunkte aus würdigt. Jeder musi-
kalische Naturfreund wird den Versuchen des Verf,
die Hauptthemen des Gesanges unserer einheimischen
Vögel in Notenschrift zu fixieren, mit Interesse folgen,
wenn auch die Schwierigkeit dieses Unterfangens nur
eine unvollkommene Wiedergabe der Naturiaute ermög-
licht, fühlen sich doch die befiederten Sänger weder an
unsere Tonskala, noch an die in unserer Musik üb-
lichen Rhythmen gebunden. So leicht sich auch
z. B. der Ruf des Kuckuck oder Pirol in der Noten-
schrift wiedergeben läßt, so schwer ist dies bei vielen
anderen Vogelmelodien. Wir glauben z. B. kaum,
daß in den auf Seite 182 gegebenen Tonfolgen
irgendein Uneingeweihter das Gackern der Henne
und das Kickeriki des Hahnes wiedererkennen würde.
— Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile : „Die
Kunst im Vogelgesang" und „Der Vogelgesang in der
Kunst". Der erste Teil setzt beim Leser eine ge-
naue Bekanntschaft mit der Vogehvelt und ihren
Stimmen voraus, eine Bekanntschaft, wie sie etwa
durch Voigt's Exkursionsbuch zum Studium der
Vogelstimmen , besser aber durch persönliche Beleh-
rung seitens eines guten Vogelkenners gewonnen
werden kann. Allgemeineres Interesse wird der
zweite Teil wachrufen, in welchem die Nachahmung
der Vogelstimmen vom Volkslied (Kuckuck, Kuckuck
rufts aus dem Wald) und der Kindersymphonie an
bis zur Beethoven'schen Szene am Bach und Wagner's
Waldvöglein an der Hand einfacher Notenskizzen
verfolgt wird. Wir zweifeln nicht, daß das Studium
dieser hübschen Zusammenstellung Musikkenner dazu
anregen wird, auch noch weitere, dem Verf vielleicht
unbekannt gebliebene Verwendungen von Vogelmotiven
in der Musik ausfindig zu machen. Für den Refe-
renten war besonders überraschend , daß die ersten
Takte der Szene am Bach dem Gesänge des Roth-
kehlchens entlehnt sind, ohne daß Beethoven dies wohl
selbst gewußt , und daß zum Abschiedsmotiv des
Lohengrin „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan"
die Zippe (Singdrossel) Modell gesungen haben soll.
Ein kleiner naturwissenschaftlicher Irrtum möge hier
übrigens nicht unerwähnt bleiben. Seite 186 wird
nämlich gesagt, daß die Nachtigall nur in später
Nacht oder am frühesten Morgen singe und deshalb
„von den wenigsten Menschen wirklich einmal ver-
nommen wird". Wenn dem so wäre , würde gerade
dieser Vogel wohl nicht so populär und als Sänger-
könig anerkannt sein. Die Nachtigall schlägt eben
auch in den Vormittagsstunden und gegen Abend
und war z. B. vor einigen Jahren in Gr.-Lichterfelde
so häufig, daß man ihretwegen im Mai nicht bei
offenen Fenstern schlafen konnte. Kbr.
A. V. -Ihering, Die Wasserkraftmaschinen
und die Ausnutzung der Wasserkräfte. 120 Seiten
mit 73 Abb. Nr. 228 der Sammlung „Aus Natur
und Geisteswelt". Leipzig, B. G. Teubner, 1908.
— Preis geb. 1,25 Wk.
Die Ausnutzung der natürlichen Wasserkräfte ist
bekanntlich seit einiger Zeit in einem außerordent-
lichen Aufschwünge begrift'en. Es muß daher für
jeden Gebildeten von hohem Interesse sein, aus der
Feder eines namhaften Fachmanns Genaueres zu
erfahren über die verschiedenen Formen der Wasser-
räder und namentlich der Turbinen , sowie über die
großartigen Anlagen , welche zum Teil mit Hilfe
imposanter Stauwerke die Wasserkraft in geregelter
Weise dem Menschen nutzbar machen. Das reich
illustrierte Heft wird diesem Zwecke trefflich dienen
können und gewährt dem Wißbegierigeren auch Ein-
blick in die theoretischen Fragen, welche den Hydrau-
liker beschäftigen. Kbr.
Literatur.
Beiträge aus der Geschichte der Chemie. Dem Gedächtnis
V. Georg W. A. Kahlbaum, weil. o. ö. Professor der phy-
sikal. Chemie an der Universität Basel, geb. 1S53 in Berlin,
gest. 1905 in Basel, gewidmet v. R. Abegg, W. 1. Baragiola,
A. Bauer u. a. Hrsg. v. Paul Diergart. Mit einem Porträt
Georg W. A. Kahlbaums, zahlreichen Abbildgn. u. e. färb.
Doppeltaf. (XV, 652 S.) gr. 8». Wien '09, F. Deulicke.
— 24 Mk.
Czuber, Prof. Eman. f Einführung in die höhere Mathematik.
(X, 3S2 S. m. 114 Fig.) gr. 8". Leipzig '09, B. G. Teubner.
— Geb. in Leinw. 12 Mk.
Deegener, Dr. P. : Die Metamorphose der Insekten. (IV,
56 S.) gr. 8". Leipzig '09, B. G. Teubner. — 2 Mk.
Formänek, Prof. Insp. Jaroslav : Untersuchung und Nachweis
organischer Farbstoffe auf spektroskopischem Wege. Unter
Mitwirkg. V. Prof. Dr. Eug. Grandmougin. 2., vollständig
umgearb. u. verm. Aufl. I. Tl. (VIII, 258 S. m 19 Fig.
u. 2 Taf.) gr. 8». Berlin '08, J. SpringeV. — 12 Mk.
Pasch, Mor. : Grundlagen der Analysis. Ausgearbeitet unter
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sowie Parkgeholzen. .Mit 5 färb. Taf. nach C)rig. -Aquarellen
V. Kunstmaler Wollif-Maage, 7 Taf. in photograph. Kunstdr.
nach Orig. -.Aufnahmen v. Geo. E. F. Schulz, 68 photograph.
Textbildern gleichfalls nach Orig. -Aufnahmen v. Geo. E
F. Schulz, sowie zahlreichen Textbildern in Federzeichnungs-
manier zumeist nach Orig. -Skizzen des Verf. (VllI, 216 S.)
gr. 8". Leipzig '09, Quelle & Meyer. — 4,40 Mk., geb. in
Leinw. 4,80 Mk.
Stewart, Dr. A. W. ; Stereochemie. Deutsche Bearbeitg. v.
Priv.-Doz. Dr. Karl Löffler. (XVI, 479 S. m. 87 Fig.)
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Berlin '08, J. Springer.
12 Mk., geb. in Halb-
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Treadwell, Prof. Dr. F. P. ; Kurzes Lehrbuch der analytischen
Chemie in 2 Bdn. I. Bd. Qualitative Analyse. Mit 23
Abbildgn. u, 3 Spektrallaf. 6., verm. u. verb. Aufl. (XIII,
4S3 S.) 8». Wien '08, F. Deuticke. — 9 Mk.
Volhard, Jak.: Justus v. Liebig. 2 Bde. (XII, 456 u. VIII,
438 S. m. Fksms. u. 2 Bildnissen.) gr. 8°. Leipzig '09,
J. A. Barth. — 22 Mk., geb. in Leinw. 24 Mk.
Inhalt: 11. Potonie: Charles Darwin zu seinem hundertsten Geburtstage. — Sammelreferate und Übersichten: Dr.
1,1 tto Rammstedt: Neues aus der Pharmazie. — Kleinere Mitteilungen: Prof. H. E. Ziegler: Die phylo-
genetische Entstehung des Kopfes der Wirbeltiere. — Dr. Rohland: Über die Farbe des Schwefels und das Farb-
problem des Ultramarins. — Bücherbesprechungen: Max Kleinschmidl: Grammatik und Wissenschaft. — Prof.
Dr. Beruh. Hoffmann: Kunst und Vogelgesang. — A. v. Ihering: Die Wasserkraftmaschineu. — Literatur: Liste.
Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofi-Lichterfelde-West b. Berlin. Verlag von Gustav Falscher in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Kulge Vlll. Haiul ;
der ganzen Keihe XXIV. Hanil,
Sonntag, den 2i. Februar 1909.
Nummer 8.
Charles Darwin als Botaniker.
Vortrag, gehalten am 14. Februar 1900 zu Hamburg bei der Feier des hundertsten Geburtstages Darwin?
[Nachdruck verboten.] Von Dr. W. Detmer, Prof. an der Universität Jena.
Hochansehnliche Festversammlung !
Der wissenschaftlichen Botanik gereicht es zu
besonderem Vorteil , daß in ihrem Bereiche die
Disziplinen der Morphologie, Anatomie, Physio-
logie, Ökologie und Systematik im Laufe der
letzten Jahrzehnte eine weit engere Verknüpfung
gefunden haben, als es in der Zoologie der Fall
ist. Eine der wesentlichsten Ursachen dieser
glücklichen und für die Entwicklung der Botanik
so überaus wertvollen Verkettung muß auf das
Wirken unseres großen Meisters Charles Dar-
win zurückgeführt werden.
Charles Darwin, neben Newton, Lavoi-
sier, Liebig und Helmholtz einer der größ-
ten Naturforscher aller Zeiten, hat nicht nur durch
seine bewunderungswürdigen theoretischen Unter-
suchungen die Welt erschüttert und unserem
Denken auf naturwissenschaftlichem, sozialem,
metaphysischem und religionsphilosophischem Ge-
biet ganz neue Bahnen gewiesen, sondern es ist
ihm auch vergönnt gewesen, was freilich in weiteren
Kreisen weniger bekannt zu sein scheint, manche
Einzelwissenschaften durch scharfsinnig angestellte
Beobachtungen und Experimente gewaltig zu
fördern.
Darwin war ein Botaniker ersten Ranges.
Als Spezialforscher betätigte er sich ganz beson-
ders auf botanischem Gebiet und hat die Resultate
seiner Studien nicht in kleinen Abhandlungen,
sondern in einer Reihe stattlicher Werke nieder-
gelegt. Durchdrungen von dem Geiste wahrer
Naturforschung, der sich der ungeheuren Bedeu-
tung der induktiven Methode stets bewußt bleibt,
ist D a r w i n dennoch weit entfernt gewesen von
jedem unfruchtbaren reinen Empirismus und
von sterilem Agnostizismus. Sein Geist war immer
auf umfassendere, allgemeinere Gesichtspunkte
gerichtet; er war der Mann dazu, mit genialem
Blick die Fülle des von ihm ermittelten Tatsachen-
materials zu beherrschen und für die Wissenschaft
fruchtbringend zu verwerten.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, die
sämtlichen botanischen Arbeiten Darwins zu
erwähnen ; wir müssen uns auf die allerwichtigsten
derselben beschränken : i. Insektenfressende Pflan-
zen; 2. Die Wirkung der Kreuz- und Selbstbe-
fruchtung im Pflanzenreich; 3. Das Bewegungs-
vermögen der Pflanzen.
Der größte Teil des zuerst genannten Werkes
(251 Seiten) ist dem Studium der wunderbaren
Drosera rotundifolia (Sonnentau) gewidmet. An-
dere Insektivoren erfahren eine viel knappere
Behandlung. Vor allen Dingen legt Darwin
viel Gewicht darauf, die übereinstimmenden Züge
im Verhalten der verschiedenen hier in Betracht
kommenden Organismen zu betonen, ohne dabei
freilich die tatsächlich bestehenden Differenzen
zu übersehen. Bei Drosera wird das feinste Detail
in meisterhafter Weise studiert, die theoretisch
überaus wichtige Tatsache einer räumlichen Tren-
nung zwischen perzipierender und motorisch
tätiger Zone an den Tentakeln der Blätter fest-
gestellt, die Bewegung der Tentakelstiele genau
verfolgt, die Sekretion von Säure sowie Enzymen
seitens der Tentakeldrüsen untersucht, die Eiweiß-
verdauung durch die Sekrete und anderes ermittelt.
Der außerordentliche prinzipielle Wert der allbe-
kannten Studien Darwin's über die insektenfressen-
den Pflanzen besteht, wie man wohl sagen darf,
darin , daß durch dieselben in einer so exakten
und zugleich umfassenden Weise wie niemals zu-
vor auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie der
Nachweis dafür erbracht worden ist, wie unter
Umständen eine für den Organismus sehr wichtige
Leistungsfähigkeit eines kleinen Organs (hier Ge-
winnung stickstoffhaltiger Substanz für die Pflanze)
nur durch das ungemein komplizierte Zusammen-
wirken mannigfaltigster Prozesse in demselben
erzielt werden kann.
Gehen wir zur Besprechung der zweiten der
erwähnten Schriften Darwins über, so seien
zunächst folgende Vorbemerkungen gestattet. Im
17. Jahrhundert entdeckte Camerarius die
Sexualität der Pflanzen. In den 60 er Jahren des
18. Jahrhunderts wies Koelreuter die Möglich-
keit der Erzeugung von Pflanzenbastarden wissen-
schaftlich genau nach und sprach zugleich die
Ansicht aus, daß es sich bei der Sexualität um
die Verwischung zweier verschiedener Substanzen
handle. Konrad Sprengel konstatierte dann
weiter die sehr allgemeine Verbreitung der Kreu-
zung im Pflanzenreich (auch bei Gewächsen mit
Zwitterblüten) und erkannte die Bedeutung der
Insekten als Überträger des Pollens sowie die
Anpassungen im Bau der Blüten an die pollen-
übertragenden Tiere. (Näheres findet man in
sehr anziehender Form dargestellt in der Geschichte
der Botanik von Sachs.)
Darwin hat die ungemeine Wichtigkeit der
Arbeiten Sprengeis voll und ganz gewürdigt.
Er hat unsere Kenntnisse über die Beziehungen
zwischen Blumen und Insekten , besonders in
seinem Werke über Orchideenbefruchtung, selbst
114
Naturwissenschaftliche Wocnenschrift.
N.
VIU. Nr. 8
sehr gefördert, aber der Kernpunkt seiner
Leistung auf dem uns hier interessierenden Gebiet
ist im folgenden zu suchen.
Wenngleich man wußte, daß in der weit über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle Kreuzung bei den
Pflanzen erfolgt und die Selbstbefruchtung aus-
geschlossen oder beschränkt wird, so waren doch
Sinn und Bedeutung dieser merkwürdigen Er-
scheinungen nicht bekannt; Darwin blieb es
vorbehalten, hier Entdeckungen von großer Trag-
weite zu machen. Die mühsamen und jahrelang
mit unendlicher Geduld durchgeführten Studien
ergaben für zahlreiche Arten von Blütenpflanzen,
daß solche Individuen, welche einer Kreuzung
mit einem neuen Stamm ihr Dasein verdanken,
sich durch weit bedeutendere Höhe, Fruchtbarkeit
und erheblicheres Gewicht anderen Individuen
gegenüber auszeichneten, die durch Selbstbefruch-
tung oder durch Kreuzung der Pflanzen des näm-
lichen alten Stammes entstanden waren. Selbst-
befruchtung, namentlich mehrere Generationen
hintereinander vollzogene, wirkt in der Regel
(freilich nicht in allen Fällen) nachteilig, Kreuzung
fördernd auf die Organismen ein. Für die ge-
deihliche Entwicklung der Organismenwelt ist
eine gewisse Qualitätsdifferenz der kopulieren-
den Sexualzellen von außerordentlicher Wichtig-
keit. Besitzen die Geschlechtszellen fast genau
die gleichen konstitutionellen Eigenschaften (männ-
liche und weibliche Zellen einer Blüte), so resul-
tieren infolge der Befruchtung minderwertige In-
dividuen. Es leuchtet auch nach dem Gesagten
ohne weiteres ein, wie wichtig die Resultate der
Arbeiten Darwins für die Beurteilung der
Frage nach dem biologischen Wert der Sexualität
überhaupt im Verhältnis zu demjenigen der unge-
schlechtlichen Fortpflanzung und vegetativen Ver-
mehrung sind.
Es erübrigt hier noch, zur Charakteristik der
biologischen Wichtigkeit der Kreuzung wenigstens
einige Beispiele aus Darwins Werken anzu-
führen :
Petunia violacea wurde während 5 Generationen
durch Selbstbefruchtung vermehrt. Zudem sind
Exemplare der vierten Generation dieser Pflanzen
mit solchen eines ganz neuen Stammes der Spezies
gekreuzt worden. Die entwickelten Kreuzungs-
produkte verhielten sich in bezug auf Höhe zu den
durch Selbstbefruchtung entstandenen Individuen
wie 100 zu 66. Dem Gewicht nach verhielten
sich die ersteren zu den letzteren wie 100 zu 22.
Jene produzierten auch ungefähr doppelt so viel
Früchte als diese.
Viele Primeln, z. B. P. officinalis, zeichnen sich
durch Heterostylie in der Form des Dimorphismus
aus. Die einzelnen Individuen gleichen einander
hier insofern nicht, als manche (a) Blüten mit
hochstehenden Narben, also langen Griffeln und
tiefstehenden Antheren , andere (b) aber Blüten
mit tiefstehenden Narben (kurzen Griffeln) sowie
hochstehenden Antheren produzieren. Darwin
(Verschiedene Blütenformen bei Pflanzen der näm-
lichen Art) zeigte, daß die Pollenkörner jener
ersteren Form bedeutend kleiner als diejenigen
der letzteren sind. Findet nun Selbstbefruchtung
(illegitime Verbindung) bei a oder auch bei b
statt, so ist der Erfolg, gemessen an der Zahl der
produzierten Kapseln und dem Gewicht der Samen,
bei weitem nicht so günstig wie bei legitimer
Verbindung, d. h. bei eingetretener Kreuzung
zwischen a und b oder b und a.
Indirekt wird der biologische Wert der Kreu-
zung auch dadurch erwiesen, daß bei zahlreichen
Blüten, z. B. solchen mancher Orchideen, Selbst-
befruchtung unter natürlichen Umständen über-
haupt unmöglich ist, während die bewunderungs-
würdigsten Flinrichtungen zur Sicherung der
Kreuzung realisiert sind. Vom Standpunkte der
Selektionstheorie aus betrachtet, müssen solche
Organisationsverhältnisse und physiologische P"unk-
tionen der Blütenteile von vornherein als Ökologis-
men angesehen werden, eine Anschauung, deren
Richtigkeit Darwins Studien durchaus bestätigen.
In dem Werke über das Bewegungsvermögen
der Pflanzen, zu welchem auch sein Buch ,, Be-
wegungen und Lebensweise der kletternden Pflan-
zen" in nahen Beziehungen steht, behandelt Dar-
win zuerst die Erscheinungen der Zirkumnutation.
Er hat durch sehr genaue Beobachtungen den
Nachweis geliefert, daß die Spitzen vieler wach-
sender Pflanzenteile keine geradlinigen Bahnen
einschlagen, sondern im allgemeinen bald nach
dieser, bald nach jener Richtung hin von der
Geraden abweichen. Dies Phänomen kommt
durch Ungleichmäßigkeiten im Längenwachstum
verschiedener Längslinien der Organe zustande.
Weiter studierte der britische Naturforscher dann
zahlreiche andere Bewegungserscheinungen der
Gewächse, namentlich auch die heliotropischen
sowie geotropischen Nutationen.
Es ist bekannt, daß viele Pflanzenorgane,
wenn sie einseitig beleuchtet werden, ein positiv
heliotropisches Verhalten erkennen lassen. Der-
artig reagieren z. B. auch die oberirdischen Teile
der Paniceenkeimlinge. Das Merkwürdige ist nun
aber in diesem speziellen Falle, wie Darwin
nachwies, daß die heliotropische Krümmung nur
dann eintritt, wenn das an der Spitze des Keim-
lings sitzende Scheidenblatt einseitig beleuchtet
wird. Dies Blatt ist allein zur Perzeption des
Lichtreizes befähigt. Das Protoplasma seiner
Zellen wird erregt, und nun erfolgt Reiztrans-
mission bis in die Gewebe des unter dem Scheiden-
blatt liegenden Epicotyls. Dieses führt, wenn die
Paniceenkeimlinge ein gewisses Entwicklungs-
stadium erreicht haben, die heliotropische Nutation
allein aus, vermag aber keineswegs den Lichtreiz
selbst zu perzipieren. Bei den Paniceenkeimlingen
(andere Keimlinge zeigen nicht das analoge Ver-
halten) ist ganz sicher Sonderung einer den Licht-
reiz perzipierenden und einer allein motorisch
tätigen Region gegeben. Letztere reagiert nur
auf zugeleitete Erregung. Wenn daher das Scheiden-
blatt durch aufgesetzte leichte Kappen verdunkelt
M. F. Vin. Xr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
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wird, so krümmt sich das Epicotyl, auch bei ein-
seitiger Beleuchtung desselben, gar nicht helio-
tropisch.
Nach Darwin spielt ebenso bei den geotro-
pischen Notationen der Wurzeln die Spitze dieser
Organe die Rolle eines Perzeptionsapparates, so
daß die hinter der Spitze liegende motorische
Zone ihre Aktion nur unter dem Einfluß zuge-
leiteten Reizes geltend macht. Freilich ist diese
Auffassung höchstwahrscheinlich für viele Fälle
richtig, aber doch noch nicht ganz streng als
zutreffend erwiesen.
Die außerordentliche Bedeutung des Buches
Darwins über das Bewegungsvermögen der
Pflanzen ist, ganz abgesehen davon, daß es uns
mit vielen neuen Tatsachen bekannt gemacht hat,
in erster Linie in der Inangriffnahme seither kaum
beachteter Probleme zu erblicken. Im Anschluß
an Darwins Werk hat sich denn auch in der
Tat eine große Literatur entwickelt, die haupt-
sächlich die Fragen nach der Natur der die Reize
perzipierenden Organe (Sinnesorgane der Ge-
wächse), den Prozessen bei der Erregung des
Protoplasmas und nach der Reiztransmission be-
handelt. Darwin ist als Begründer der modernen
Sinnesphysiologie der Pflanzen anzusehen.
Im vorstehenden wurde Darwin als Spezial-
forscher gewürdigt. Seine größten Leistungen
fanden aber noch keine Berücksichtigung, nämlich
diejenigen, durch welche er das gesamte Geistes-
leben der Menschheit so gewaltig beeinflußte und
zugleich zahlreichen Gebieten praktischer Be-
tätigung ganz neue Bahnen wies. Wir haben hier
natürlich die tiefe Begründung der Deszendenz-
lehre durch den großen Briten sowie dessen
Selektionstheorie im Auge.
Linne und viele seiner Nachfolger vertraten
die Ansicht von der Konstanz der Spezies im
Pflanzen- und Tierreich. Sie nahmen an, daß
dieselben, jede für sich, durch einen Schöpfungs-
akt entstanden wären, sich dann ihrer Art gemäß
vermehrt und unverändert (abgesehen von Varie-
tätenbildung) erhalten hätten. Bei mehr philo-
sophischer Behandlung naturwissenschaftlicher
Probleme, wie eine solche z. B. von Herder in
seinem schönen Werk „Ideen zur Philosophie der
Geschichte der Menschheit" durchgeführt wurde,
kamen noch andere Vorstellungen zur Ausprägung.
Allen Organismen, den Pflanzen, Tieren und
Menschen, liegt ein Urtypus zugrunde. Die ein-
zelnen Arten sind nicht neben-, sondern nach-
einander entstanden, zuerst einfache Formen, dann
immer komplizierter gebaute. Die gesamte Stufen-
folge in der Organismenwelt wird als Ausdruck
der Wirksamkeit einer Idee (Weltseele) betrachtet,
welche, indem sie den Lebewesen eine immer
mehr den äußeren Verhältnissen angepaßte Aus-
gestaltung verlieh, eine fortschreitende Entwick-
lung derselben vermittelte. Ahnlich wie H erde r
hat auch Goethe in seinen jüngeren Jahren ge-
dacht. Wir haben es hier nicht mit einer wi rk -
liehen, sondern nur mit einer scheinbaren
Deszendenz zu tun. Die einzelnen Arten weiden
nicht als Blutsverwandte aufgefaßt, sind niclit
auseinander hervorgegangen, sondern nur nach-
einander entstanden. Die echte Deszendenzlehre
klar und deutlich zum Ausdruck gebracht zu
haben, ist das große Verdienst anderer Männer
gewesen, namentlich Lamarcks und auch
Goethes, der sie, besonders in seinen späteren
Lebensjahren, freudig, ja begeistert vertrat. Und
nun Charles Darwin!
Ihm gebührt das unermeßlich große Verdienst,
der Lehre von einer realen Deszendenz aller
Organismen (also auch des Menschen) und über-
haupt dem Entwicklungsgedanken zu voller,
machtvoller Wirkung verholfen zu haben. Unter
Berücksichtigung zahlloser Tatsachen aus den
Gebieten der vergleichenden Anatomie und
Morphologie, der Embryologie sowie Paläontologie
führt er den Nachweis, daß die Lehre von der
Konstanz der Arten ein Dogma darstellt, und
allein die Anschauung von der Veränderlichkeit
der Spezies sowie der allmählich vollzogenen
stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Ent-
wicklung der Organismenwelt wissenschaftlich be-
gründet werden kann.
Von gewisser Seite wird immer wieder be-
tont, um Darwins Verdienste herabzusetzen, er
habe die Deszendenzlehre ja schon vorgefunden.
Das letztere ist unzweifelhaft richtig. Aber es
kommt auch in der Wissenschaft nicht allein dar-
auf an, eine Idee auszusprechen, sondern man
muß es ebenso verstehen, dieselbe zur Geltung
zu bringen, d. h. den Gedanken energisch unter
Heranziehung eines die Geister bezwingenden
Tatsachenmaterials zu vertreten.
Die ungeheure Wirkung des Buches Dar-
wins über die Entstehung der Arten ist denn
auch nicht ausgeblieben.
Der Morphologie und Systematik sind durch
Darwin ganz neue Bahnen gewiesen worden.
Man erkannte auf einmal klar und deutlich, daß
das natürliche System ein „Bild" der stammes-
geschichtlichen (phylogenetischen) Entwicklung
der Organismenwelt zu geben habe. Aber damit
war der Forschung zunächst nur ein Ziel vorge-
schrieben. Indem man sich bestrebte, dasselbe
zu erreichen, stellten sich aus zahlreichen in der
Natur der Sache liegenden Gründen den wissen-
schaftlichen Bemühungen gerade auf botanischem
Gebiete sehr bedeutende Schwierigkeiten entgegen.
Manche Einsicht ist freilich bereits in bezug auf
die Kryptogamen gewonnen worden. Auch
konnten viele Beziehungen zwischen höheren
Kryptogamen und Gymnospermen sowie zwischen
diesen letzteren und den Angiospermen fest-
gestellt werden; indessen läßt das System noch
gar vieles zu wünschen übrig. Ganz besonders
gilt dies auch mit Rücksicht auf die höheren
Pflanzen. Wo zweigen z. B. die Monocotylen von
den Dicotylen ab? Ist die Entwicklung der
Sympetalen eine mono- oder polyphyletische ge-
ii6
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIIF. Nr. 8
wesen ? Diese und viele andere Fragen bedürfen
dringend der Erledigung. Vor der Hand haben
wir noch kein System, welches den groß
artigen Prinzipien der Deszendenzlehre gerecht
werden könnte. Nur die ganz allgemeinen Grund-
linien zu einem solchen sind vorgezeichnet, und
es bleibt einer fernen Zukunft vorbehalten, den
begonnenen Bau im Sinne Darwins, der uns
den allein gangbaren Weg gewiesen hat, zu
vollenden.
Nun taucht aber sofort das unendlich schwierige
Problem auf, welche Ursachen die Deszendenz
überhaupt ermöglichten. Lamarck suchte die
von ganz einfachen Formen ausgehende, bis zu
den höchsten Gestaltungen fortschreitende Evolu-
tion in der Organismenwelt durch die Annahme
eines den Lebewesen immanenten Vervollkomm-
nungstriebes und dadurch zu begreifen, daß er
den Pflanzen und Tieren das Vermögen zuschrieb,
unter dem Einflute veränderter äußerer Umstände
sofort zweckmäßig zu reagieren. Diese Einflüsse
sowie auch Gebrauch der Organe rufen nach
Lamarck im Organismus das teleologische
Prinzip des Bedürfnisses hervor, welches, einmal
wirksam, ohne weiteres direkte und auch funk-
tionelle Anpassungen vermittelt. Und dazu gesellt
sich bei Lamarck noch die Lehre von der Erb-
lichkeit erworbener Eigenschaften.
Eine den Lebewesen eigentümliche, bestimmt
gerichtete Evolutionstendenz wird auch heute noch
von manchen Forschern, namentlich den Neo-
vitalisten, postuliert, um die Deszendenz verständ-
lich zu machen.
Darwin hingegen steht offenbar auf mecha-
nistischem Boden. Die Deszendenz muß kausal-
mechanisch erklärt werden können. Das ist ohne
Zweifel, wenn man alle Bemühungen des großen
britischen Naturforschers überblickt, die Hypothese,
von welcher derselbe ausgeht, und die ihn zur
Aufstellung seiner Selektionstheorie führte.
Anknüpfend an die Erfahrungen , die an
domestizierten Pflanzen und Tieren gewonnen
worden sind, welche Darwin übrigens in einem
besonderen Buch sehr eingehend behandelt hat, zeigt
er, daß die Organismen auch im Naturzustande
ganz allgemein zumeist richtungslose Ab-
änderungen erleiden, die man, ohne näherauf
deren Charakter einzugehen, ganz gut als Varia-
tionen und Mutationen unterscheiden kann.
Die Ursachen, welche diese übrigens schwierig
scharf gegeneinander abzugrenzenden Abände-
rungsformen bedingen, sind äußerst mannigfaltiger
Art, und es steht hier der eben erst begonnenen
experimentellen Forschung ein weites Feld der
fruchtbarsten Betätigung offen.
Durch das konservative Prinzip der Ver-
erbung können die Abänderungen von einer
Generation auf andere übertragen werden, aber
neue Modifikationen bei den Individuen dieser
letzteren sind selbstverständlich nicht ausge-
schlossen und machen sich tatsächlich auch
geltend. So befindet sich die Lebewelt also nicht
im starren, unveränderlichen Zustande, sondern
vielmehr in einem freilich nur dem genauen Be-
obachter erkennbaren, ununterbrochenen Wechsel
und Muß. Die Abänderungen sind das Primäre
für die Deszendenz; sie bieten allen weiteren ein-
greifenden Faktoren das zu bearbeitende Material
dar. Und solche Faktoren sind nicht minder
wichtig für die Phylogenie wie die Abänderungen
selbst, denn kämen nur diese in Verbindung mit
der Vererbung zur Geltung, so müßte die Or-
ganismenwelt geradezu ein Chaos von Formen
darstellen, während uns doch die Erfahrung lehrt,
daß dies keineswegs der Fall ist.
Wir wissen, daß in den Lebewesen eine un-
geheure Reproduktionskraft ruht. Zahllose Keime
entstehen; überaus viele Individuen jeder Art
werden geboren. Aber relativ nur sehr wenige
Individuen gelangen zur vollen Entwicklung und
vermögen sich fortzupflanzen. Der Grund für
diese Tatsache liegt in dem erbitterten Kampf
ums Dasein, den die Organismen mit ihren
nächsten Verwandten, ganz anderen Lebewesen
und unter der Herrschaft der durch die anor-
ganische Natur gegebenen Bedingungen führen
müssen. In diesem Kampfe können nur die sich
infolge ihres besonderen Charakters bewährenden
Individuen erhalten bleiben; weitaus die meisten
gehen zugrunde und sind dadurch vom ferneren
Wettbewerb ausgeschlossen. Damit ist, zunächst
ganz im allgemeinen, der Sinn bezeichnet, den es
hat, wenn man mit Darwin von Selektion
oder Auslese spricht.
Vielfach wurde freilich gegen Darwin die An-
sicht vertreten, daß kleine Abänderungen, welche die
Organismen erfahren, nicht zur Entstehung scharf
ausgeprägter Differenzierungen der Arten führen
könnten, weil sie keinen Selektionswert hätten.
Wer aber die Pflanzen und Tiere nicht nur im Museum
und Laboratorium, sondern an der Quelle, d. h.
in der freien Natur, studiert, wird sich einer solchen
Auffassung gegenüber gewiß ablehnend verhalten.
Man hat auch zu bedenken, was gar nicht ge-
nügend gewürdigt wird, daß, wenn es sich um
einen Wettbewerb bei eintretender Veränderung
der Lebensbedingungen handelt, diese letzteren
zumeist ganz allmählich im Laufe langer Zeit-
perioden modifiziert werden, und die zunächst
relativ geringfügige, aber doch schon wertvolle
Variationsbreite der Organismen daher nach vielen
Generationen ein bedeutendes Ausmaß gewinnen
kann. Ist nämlich einmal eine bestimmte, für die
Art vorteilhafte Abänderung zustande gekommen,
so wird häufig mindestens die Tendenz zur \'er-
folgung des eingeschlagenen Weges erblich auf
die Nachkommen übertragen, und damit eine
Akkumulationsbedingung gegeben, die von höchster
Wichtigkeit für die Differenzierung der Spezies
oder Varietäten werden muß. Das Chaos der
Formen, von dem oben die Rede war, ver-
schwindet. Diejenigen Individuen, welche in ihrem
Bau und ihren Lebensäußerungen keinen er-
haltungsgemäßen Charakter tragen, gehen
N. !■. Vlll. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
117
zuj^runde. Die Selektion weist der Entwicklung
der Organismen gewisse Bahnen an, die natürlich,
wenn neue Umstände wirksam werden, auch
wieder durch neue Evolutionsrichtungen ersetzt
werden können.
Es ist nun eine sehr wichtige Tatsache, daß
die im Kampf ums Dasein zustande kommende
Selektion, welche neben dem auf Variation und
Mutation beruhenden Abänderungsvermögen der
Organismen und neben der Vererbung eine so
überaus große Rolle bei der Artbildung sowie
Phylogenie spielt, zur Erhaltung solcher Individuen
führt, die den gegebenen Lebensverhältnissen zu-
meist in geradezu bewunderungswürdiger Weise
angepaßt erscheinen, d. h. genau diejenigen
Eigentümlichkeiten in ihrem Hau und Lebens-
betätigungen aufweisen, die es ihnen ermöglichen,
sich zu voller Blüte auszugestalten und zahlreiche
Nachkommen zu erzeugen. Das Zustandekommen
und nicht minder auch das Bestehenbleiben dieser
Anpassungen oder, wie man auch sagen kann,
erhaltungsgemäßen Organisationen, ist vom
Standpunkte der Naturwissenschaft aus, welche
immer die kausal-mechanische Betrachtungsweise
festzuhalten hat, allein selektionstheoretisch zu
begreifen. Andererseits ist es aber auch durchaus
zulässig, wie nur ganz kurz angedeutet werden
möge, jene Anpassungen als Zweckmäßig-
keitseinrichtungen zu charakterisieren, in-
dem man die Erscheinungen von metaphysischer
Perspektive aus beleuchtet, und danach das un-
geheure Getriebe des kausal-mechanischen Ge-
schehens in der Natur als Mittel zur Realisie-
rung gewisser Weltziele ansieht.
Doch lassen wir solche Gedanken , die
Darwin fernlagen, hier beiseite. Es genügt für
uns, zu konstatieren, daß er der Wissenschaft
durch Aufstellung seiner Selektionstheorie einen
unermeßlich großen Dienst geleistet hat. Es ist
bewunderungswürdig, mit welcher tiefen biolo-
gischen Einsicht er die schwierigsten Probleme
durchdrang und wie vielseitig er dieselben
behandelte, während selbst hervorragende Forscher
unter seinen Nachfolgern von dem Fehler ein-
seitiger Betrachtungsweise nicht frei gesprochen
werden können.
Gewiß sind zahlreiche Fragen, die sich auf die
Entstehung der Arten beziehen, wie auch
Darwin selbst immer wieder betont, noch keines-
wegs gelöst. Es sind die Umstände auf experi-
mentellem Wege zu prüfen , die Abänderungen
der Arten bedingen. Man hat die Bedeutung der
Mutationen , der Korrelationen und direkten .-Xn-
passungen näher zu studieren. Das Problem von
der Erblichkeit erworbener Eigenschaften ist neu
zu bearbeiten. Es ist ferner z. ß. zu untersuchen,
welchen Wert solche Abänderungen, die weder
schädlich noch nützlich für den Organismus sind,
und deshalb auch keiner Selektion unterworfen
sein können, für die Artbildung besitzen.
Von mancher Seite werden die tatsäch-
lich bestehenden Schwierigkeiten, welche uns
augenblicklich noch ein volles Verständnis be-
züglich des Zustandekommens der Deszendenz
unmöglich machen, in eine ganz übertriebene
Beleuchtung versetzt. Es wird auch der prinzi-
pielle Standpunkt vertreten, daß jene Schwierig-
keiten überhaupt nicht durch rein naturwissen-
schaftliche, d. h. allein auf das kausal-mechanische
Geschehen gerichtete Forschung, überwunden
werden könnten. Dazu gesellen sicli oft mancherlei
Mißverständnisse, Vorurteile aller .Art und unzu-
lässige Bestrebungen, die Probleme verschiedener
Wissenschaften (Naturwissenschaft und Meta-
physik) von vornherein ineinander fließen zu
lassen, während es doch durchaus erforderlich ist,
die in Betracht kommenden P^ragen zunächst ge-
sondert zu behandeln, um die gewonnenen Re-
sultate dann freilich schließlich von einem allge-
meineren Standpunkte aus miteinander zu ver-
knüpfen. Man vergißt, daß wir auf naturwissen-
schaftlichem Gebiet doch eigentlich am Anfang
der Erkenntnis stehen, daß höchstens Teilwahr-
heiten gegeben sind, die volle Einsicht aber erst
eine ferne Zukunft bringen kann. Andererseits
unterschätzt man den tiefen Wahrheitsgehalt
des Darwinschen Selektionsprinzips für das
Problem der Artbildung gar sehr, der sich
doch gerade durch neuere Forschungen so stark
bewährt hat. Denn durch diese konnte gezeigt
werden, daß viele selbst unscheinbare Eigentüm-
lichkeiten der Organismen, von deren Selektions-
wert man früher keine Ahnung- hatte, denselben
im höchsten Maße besitzen.
Solche Fortschritte sind aber nur möglich ge-
worden durch die Ausgestaltung der Ökologie zu
einem besonderen Gebiete der Wissenschaft. Diese
Ökologie oder Biologie im engeren Sinne, die
heute von hervorragenden Botanikern mit Vor-
liebe getrieben wird, hat die Aufgabe, uns mit
den Anpassungen der Organismen in ihrem Bau
und LebensäuiSerungen an die Umgebung (andere
Lebewesen und unbelebte Natur im weitesten
Umfange) vertraut zu machen. Wertvolle Resul-
tate sind hier freilich nicht leicht zu erzielen, denn
es gehört die Gabe einer feinsinnigen Naturbe-
trachtung und viel experimentelle Geschicklichkeit
dazu, das wunderbare Wechselspiel der Lebens-
beziehungen zu entwirren.
Ganz ohne jeden Zweifel ist es kein Zufall,
daß die Ökologie erst zu immer wachsender
Blüte gelangte, nachdem Darwin mit seinem
Selektionsprinzip hervorgetreten war. Er hat uns
auch hier die Augen geöffnet, eine Fülle nach-
haltigster Anregung geboten und selbst durch jene
botanischen Meisterwerke, die im ersten Teil dieses
Vortrages Erwähnung fanden, gewaltig zur Förde-
rung des jungen Wissensgebietes beigetragen.
Darwin ist als Begründer der modernen Öko-
logie anzusehen!
Und diese Disziplin hat nicht allein für die
reine Wissenschaft, sondern auch für die Schule
höchste Bedeutung gewonnen. Früher herrschte
in dieser letzteren der sog. systematische Unter-
ii8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 8
rieht fast ausschHeßlich. Die Pflanzen wurden
beschrieben und vielleicht auch noch bestimmt.
Wer wollte es wagen, die Wichtigkeit der Syste-
matik für die Schule zu leugnen ! Durch sie wer-
den ja nützliche Kenntnisse verbreitet; sie kann
den Sinn für ästhetischen Naturgenuß lebhaft
fördern; das genaue Beschreiben der Pflanzen ist
höchst wichtig für Entwicklung des Beobachtungs-
vermögens, und das Bestimmen hat sicher in for-
maler Hinsicht Wert. Zudem können, wie es für
jede Schule zu fordern ist, die Grundprinzipien
der Deszendenzlehre durch den Unterricht in der
Systematik klargelegt werden. Aber die Allein-
herrschaft darf die Systematik im Lehrgang nicht
haben. Seine gewaltige geistesbildende
Kraft kann der botanische Schulunterricht erst
durch sachgemäße und in den verschiedenen
Schulgattungen recht mannigfaltig zu gestaltende
Verknüpfung der Systematik mit der Anatomie,
Physiologie und Ökologie gewinnen. Das ist eine
Forderung, von der man ebensowenig wie von
jener anderen abgehen darf und kann, nach wel-
cher der biologische Unterricht in allen Schulen
bis zur Oberklasse fortzuführen ist. Als höchst
erfreulich muß man es daher bezeichnen, daß die
Bedeutung der Ökologie für die Schule heute sehr
allgemein hohe Würdigung seitens der Lehrer-
schaft und ganz besonders auch seitens der Volks-
schullehrer gefunden hat, in deren Kreisen über-
haupt ein gar nicht genug zu schätzendes wissen-
schaftliches Streben, eine leidenschaftliche Sehn-
sucht nach tieferer Erkenntnis und ein bewunde-
rungswürdiger Idealismus angetroffen wird.
So flutet der Strom wissenschaftlicher Einsicht,
den Darwin uns erschlossen, durch alle Welt,
und die Strahlen, welche von seinem Geiste aus-
gingen, werden auch fernerhin überall mächtige
Wirkungen verspüren lassen.
Darwin war gleich groß als Spezialforscher
wie als Denker. Und dazu steht er überaus hoch
als Charakter da, wie jeder leicht aus seiner
„Reise eines Naturforschers um die Welt", seiner
Autobiographie und seinen Briefen entnehmen
kann. Bescheidenheit, Lauterkeit der Gesinnung
sowie Strenge der moralischen Anschauungen, die
an diejenige Kants erinnert, sind dem unver-
gleichlichen britischen Naturforscher namentlich
nachzurühmen.
Wir neigen uns in bewundernder Verehrung
und tiefster Dankbarkeit vor dem gewaltigen
Genius Charles Darwin.
Kleinere Mitteilungen.
Die Beschuppung der Reptilien hat Hans
Otto zum Gegenstande einer erneuten Unter-
suchung gemacht (Jenaische Ztschr. f Naturwiss.
44. Bd. 1908). Die Kalkeinlagerungen in der
Reptilienhaut wurden zuerst von
Pallas (1801) bemerkt. Von
späteren Forschern haben nur
Heusinger (1822), Dumeril
und Bibron (1837), Natale
(1852), Blanchard (1861) und
de Filippi (1863) Bezug auf die
Hautossifikationen der Reptilien
genommen. Eine sonderbare
Theorie stellte Blanchard über
den Zweck dieser Gebilde auf, in-
dem er angab, daß sie eine wichtige
Rolle bei der Atmung spielen.
Diese Ansicht suchte er durch
die Anwesenheit ,,des espaces
a^riferes" zu begründen. L e y d i g
gab dann (1868 — 1876) die ersten
wichtigen Arbeiten über die Haut-
knochen der Reptilien. Er war
auch der erste, der den Knochen-
schuppen der Reptilien eine
systematische Bedeutung zuge-
sprochen hat. Er verwarf mit
Entschiedenheit die oben erwähnte
Theorie Blanch ard 's, indem er zeigte, daß die
„tubes aeriferes" nicht hohl, sondern mit dichtem
Bindegewebe angefüllt sind. Cartier hat (1873J
die Gruppe der Geckotiden untersucht und auch
bei ihnen Hautknochen gefunden. An diese For-
scher reihen sich dann eine Anzahl späterer, die
sich besonders mit der P>age der Entstehung der
Knochenschuppen beschäftigten.
Otto hat sich hauptsächlich mit den Brevi-
Fig. 1
kns Kn
Schuppe aus der Körpermitte von Anguis fragilis.
ochenschuppe. hns Hornschuppe. mk Markkanäle,
g Grenze der Cutis. (Nach Otto.)
linguiern und Ascalaboten befaßt. Bei meiireren
Vertretern der erstgenannten Familie, nämlich bei
Anguis, Pseudopus und Zonurus, besteht die.
N. F. VIII. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
119
Knochenschuppe nur aus einer einzigen, mächtigen
Knochentafcl , die an allen Körperstelien immer
einer sie iiberdcckendeii Hornschuppe entspricht.
Bei den anderen Brevilinguierarten (Scincus, Gon-
gylus, Seps, L)-i;osoma, Mabuia und Acontias)
finden wir dagegen , daß Knochenplättchen von
verschiedener, für jede Spezies charakteristischer
Gestalt zu einem Knochenkomplex zusammen-
gclagert sind. Eine solche zusammengesetzte
Knochenschuppe entspricht auch bei diesen Arten
stets der sie überdeckenden Hornschuppe.
Als Beispiel für die erste Gruppe, also für
Bre vil i n gu i er mit einfacher Knochenschuppe,
diene unsere Blindschleiche (Anguis fragilis). Fig. i
stellt Knochen- und Hornschuppe dieses Reptils
dar. Das Präparat war einem erwachsenen Exem-
plar aus der Mitte des Rückens entnommen.
der typischen Form, wie wir sie am Rücken fin-
den, weichen die Schuppen anderer Körpergegen-
den bedeutend ab.
Wir übergehen die mannigfaltigen Variationen,
der die Schuppen der verwandten Formen unter-
liegen und kommen nun zu der Familie der As-
caloboten. Bei den ihm zur Verfügung stehen-
den Vertretern dieser Gruppe fand Otto nur bei
dem Mauergecko (Tarentola mauritanica L.) Cutis-
verknöcherungen. Merkwürdigerweise bestand
hier jedoch keine Beziehung zwischen Hörn- und
Knochengebilden ; nur am regenerierten Schwanz
ließen sich ursprüngliche Verhältnisse feststellen.
Seine Befunde, die auch durch histologische
Untersuchung an Schnitten vervollständigt wur-
den, verwertet Otto für die Systematik und
Phylogenie der genannten Formen. Er hält die
einheitliche Knochenschuppe
für die ursprünglichste Form,
aus der die Schuppen der
Scincoiden durch sekundäre
Spaltung der einfachen
Knochenschuppe entstanden
sind. Er unterscheidet bei
den Brevilinguiern die beiden
Familien der Scincoiden und
Zonuriden (Zonurus und
Pseudopus), zwischen denen
Anguis steht. Der Verf.
hält es für sehr wohl mög-
lich, daß die Knochen-
schuppe, wie sie uns bei
Anguis und den Zonuriden
entgegentritt, ein altes Erb-
stück von den Amphibien
ist.
Dr. P. Brohmer, Jena.
Fig. 2. Die typische Scincus-Schuppe.
übrigen Bezeichnungen wie in Fig. I
tsp Teilspa
(Nach Otto
Von der zweiten Gruppe, bei der die Knochen-
schuppen aus einem Mosaik von Knochenplatten
bestehen, wählen wir den Apothekerskink (Scin-
cus officinalis). der im nördlichen und östlichen
Ökologie der pflanz-
lichen Saprobien. Von
K o 1 k w i t z und M a r s s o n.
(Berichte der deutschen bota-
nisciien Gesellschaft. Jahrg.
1908, Bd. 26 a, Heft 7.)
Immer mehr bricht sich die Kenntnis der Be-
deutung, welche Fauna und Flora für die Beur-
teilung eines Wassers haben, Bahn. Früher zog
man zur Wasseranalyse vorwiegend den chemi-
Afrika vorkommt und eine Größe von 23 — 25 cm sehen und bakteriologischen Befund heran. Als
erreicht. Die typische Scincusschuppe ist in es sich jedoch immer mehr herausstellte, daß
Fig. 2 abgebildet. Wir erkennen, daß die Knochen- diese Methoden gerade dort leicht versagen, wo
schuppe aus zwei verschiedenen Plattenformen
zusammengesetzt ist, nämlich immer aus zwei
Eckplatten und aus mehreren Längsplatten, von
denen eine wechselnde Zahl vorhanden ist. Auf
den Längsplatten bemerken wir eine Anzahl von
Markkanälen (Ha ve rs' sehe Kanäle I, wäiirend die
lieiden Eckplatten in allen Körperschuppen keine
hochmolekulare, organische Verbindungen im
Wasser gelöst vorhanden sind, so entschloß man
sich, die Abhängigkeit dieser im Wasser gelösten
Stoffe von Tier- und Pflanzenwelt zu studieren.
Gerade sie sind es nämlich, welche als wichtige
Nährstoffe für Tiere wie Pflanzen in Betracht
kommen. — Besonders dort, wo organische, zer-
solchen besitzen. Die Hornschuppe bedeckt nur setzliche Bestandteile ins Wasser gelangen, siedeln
das freistehende Ende der Knochenschuppe. Von sich Lebensgemeinschaften von Organismen an,
120
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 8
welche zu Quantität wie Qualität dieser Stoffe
in direkter Abhängigkeit sich befinden. Es
handelt sich hier vorwiegend um mikrosko-
pische Wasserbewohner. Ist die Lebensweise,
sind die Ernährungsbedingungen, unter denen
solche Organismen leben, bekannt, so wird es
möglich, aus ihrem Auftreten als solchem be-
stimmte Rückschlüsse auf den Reinheits- resp.
Yerunreinigungsgrad eines Wassers zu ziehen.
Kolkwitz und Marsson haben eine Liste von
ca. 300 pflanzlichen Organismen zusammengestellt
(eine Zusammenstellung der tierischen soll folgen),
welche sich für eine derartige Beurteilung von
Gewässern als geeignet erwiesen haben.
Bei starker Verschmutzung eines Wassers in
einer Zone, in welcher das Wasser sauerstoffarm,
kohlensäurereich, einen hohen Gehalt an stickstoff-
haltigen Nährstoft'en aufweist, sind es zunächst
Schizomyceten und Schizophyceen,
welche auftreten. Bakterien und Pilze sind be-
kanntlich imstande, aus fäulnisfähigen, organischen
Verbindungen ihre Leibessubstanz aufzubauen.
Dabei werden diese mineralisiert, d. h. in Ammoniak,
Schwefelwasserstoff, Kohlensäure und Wasser
übergeführt. Der Boden dieser Zone besteht aus
Faulstoffen und Schwefeleisen.
Haben die als Entfäuler dienenden Pilze dem
Wasser durch ihre Tätigkeit organische Sub-
stanzen entzogen, und ist die Mineralisierung
weiter fortgeschritten, so treten neben Schizomy-
ceten und Schizophyceen große Mengen
fressender Tiere und durchlüftender Pflanzen auf.
Von letzteren ist besonders die reiche Flora von
Kieselalgen für diese Zone charakteristisch,
welche in der zitierten Arbeit näher aufgeführt
sind. Ferner P hy tof lagellat e n und eine
Reihe verschiedener Algenarten wie z. B. be-
stimmte Conjugaten, Confervalen und
Florideen. Ich möchte hier besonders be-
tonen, daß man aus dem Auftreten einer einzelnen
Art niemals einen sicheren Rückschluß auf den
Reinheitsgrad eines Wassers ziehen kann, sondern,
daß für die Diagnose besonders der V e r g e s e 1 1 -
Schaft ung nicht nur der Pflanzen miteinander,
sondern besonders derjenigen von Pflanze und
Tier eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.
Alle Organismengruppen reagieren erstaunlich
schnell auf Änderungen des sie umgebenden
Mediums. Sie vermehren sich schnell oder ver-
mindern ihre Individuenzahl; wie auch ihr Auf-
treten überhaupt oder ihr Verschwinden vom je-
weihgen Zustand des sie umgebenden Mediums
abhängt. — Es kann mitunter vorkommen, daß
durch die Strömung einzelne Individuen fortge-
schwemmt werden und diese dann vorübergehend
unter solchen Umständen und in einer Vergesell-
schaftung leben, welche nicht ganz ihren natürlichen
Zuständen entspricht; doch sind solch einzelne
Vorkommnisse wohl nur imstande, die Diagnose
etwas zu erschweren. Dem Kenner wird es auch
in solchen Fällen möglich sein, aus der charak-
teristischen P"auna und Flora den Verunreini-
gungsgrad zu erkennen.
In der oben geschilderten Zone, in welcher
die Mineralisation schon erheblich fortgeschritten
ist, hat auch der Schlamm des Bodens ein er-
heblich anderes Ansehen gewonnen, als der der
Abwasserzone. Eine Reihe tierischer Organismen
ist hier lebhaft an der biologischen Reinigung
beteiligt : schlammbewohnende Kleinkrebschcn,
Insektenlarven, verschiedene Würmer, unter ihnen
der wohlbekannte Tubifex durchackern den
Schlamm; verschiedene Schnecken und unsere all-
bekannte Wasserassel leben hier als Schlickfresser.
Durch die gemeinsame Tätigkeit dieser Organis-
men wird der Sauerstoff des Wassers energisch
mit dem schwarzen Schwefeleisen der Abwasser-
schlammzone in Berührung gebracht. Dadurch
oxydiert sich dieses zu Eisenoxydhydrat und all-
mählich entsteht so ein normaler Schlamm.
Im Wasser findet sich bei der fortschreitenden
Reinigung organischer Stickstoff nur noch in
Spuren. Die Sauerstoffzehrung ist gering, der
Permanganatverbrauch niedrig. Auch in dieser
Zone finden sich reichhaltige biologische Lebens-
gemeinschaften. Neben Protozoen und Räder-
tieren finden sich auch in dieser Zone wieder
bestimmte S c h i z o m y c e t e n und S c h i z o p h y -
ceen; aber natürlich andere Arten als in den
vorher erwähnten Zonen. Daneben finden sich
auch hier wieder verschiedene Kieselalgen,
und zwar sowohl planktonische als auch schlamm-
bewohnende; ferner Phyto flagellaten, Con-
jugaten, Confervalen usw.; auch höhere
Pflanzen, Monocotyledonen sowie Dicotyle-
donen sind in dieser Zone anzutreffen.
Ebenso wie die Landflora ist auch die Wasser-
flora vom Wechsel der Jahreszeiten abhängig. So
erreichen gewisse Abwasserpilze im Winter den
Höhepunkt ihrer Vegetationsperiode. Gewisse
blaugrüne Algen pflegen sich im Sommer am
üppigsten zu entwickeln. Bei den Kieselalgen
fällt das Maximum ihrer Vegetationsperiode in
F"rühling und Herbst, während im Sommer die
Kurve ihrer Lebensintensität tällt. Es sind dies
Tatsachen, welche bei jeder biologischen Wasser-
beurteilung zu berücksichtigen sind.
Wie aus vorstehendem hervorgeht, sind Bak-
terien und Protozoen bis stufenweise hinauf zu
den übrigen Vertretern von Fauna und Flora für
die Beurteilung eines Wassers gleich wichtig. Die
im Titel angeführte Arbeit von Marsson und
Kolkwitz ist deshalb von Wichtigkeit für unsere
Kenntnis der biologischen Wasserbeurteilung, weil
in ihr zum ersten Male eine größere Anzahl un-
serer bekanntesten, weitverbreitetsten pflanzlichen
Süßwasserbewohner, mit einer ganz präzisen bio-
logischen Diagnose versehen sind. Hierdurch ist
die Möglichkeit geboten, dieselben jederzeit in der
Praxis für die biologische Wasserbeurteilung zu
verwenden. M. Zuelzer.
N. F. VIII. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
121
Über das Verhalten von suspendierten
Stoffen im Kristalloid- und Kolloidzustand. —
F"rühere Forsclier, '~') die beobachtet hatten, daß
f e i n verteilte Stoffe im suspendierten Zustande
auf Zusatz von Elektrolyten und auch Nichtleitern
sich rasch sedimentieren, haben nicht erkannt,
daß nur solche Stoffe darauf reagieren, die kollo-
ider Natur überhaupt sind, oder in Berührung
mit Wasser Stoffe im Kolloidzustand zu bilden
vermögen.
Im folgenden sollen einige Versuche beschrie-
ben werden, die dieses dokumentieren.
Die Natur kristalloider und kolloider
Stoffe wird nämlich sehr gut durch ihr Verhalten
als Suspensionen in Wasser +ind auf Zusatz
von Elektrolyten charakterisiert.
Folgender Unterschied ist zu beobachten; Sus-
pensionen kristalloider Stoffe, wie von Kalzium-
karbonat, Kalzium sulfat, Eariumsulfat
usw. halten sich schwebend nur kurze Zeit, allen-
falls eine Stunde, während solche von kolloid ver-
anlagten Stoßen, wie von kieselsaurem Alu-
minium, kieselsaurem Magnesium, Ultra-
marin, Zement stundenlang, ja Tage diese
l'^ähigkeit besitzen.
Zweitens wird die Sedi me n tat ion kristal-
loider Stoffe durch Zusatz von Elektrolyten nicht
beschleunigt, während dies bei den Kolloiden der
Fall ist.
Suspensionen von Ultramarin werden durch
folgende Zusätze sedimentiert: NaOH, NH4(OH),
NaCl, NH^Cl, CaCI.,, Na._,SOj , CaSO, , CuSO,,
(NH^lCOj, Na.jCOg, NaNO^; sehr wenig wirksam
ist dagegen Na.jHPO^, ohne jede Wirkung Borax.
Eine Ultramarinsuspension erhält sich
ca. lo Stunden schwebend; durch Zusatz von
NH4(0H) ist sie in 6 Minuten, durch NaNO^ in
lo', durch NaCl in 25', durch (NHJXO., in 90'
sedimentiert.
Tonsuspensionen''') werden rasch durch
Zusätze sedimentiert, die OH'-ionen enthalten;
NaOH, KOH, Na.,C03, Na.^SiOg.
Suspensionen von Talk werden durch Zusatz
von (NH|).,CO;(, CaCI,,, CaSO^ sedimentiert; wir-
kungslos ist z. B. K.,Cr.,Oj.
Zementsuspensionen werden durch Zu-
satz von NaOH, CaCI.,, Na.,HPOi, (NH4).,C03,
AICI3, FeCl.j sedimentiert; NaCl, Na.XO,,, CaSO^,
Borax verhalten sich indifferent. Eine sehr starke
Wirkung üben AICI3 und FeCl., aus; Zement-
suspensionen, die sich 6 — 7 Stunden schwebend
halten, werden in 2 — 3 Minuten sedimentiert.
Auf Suspensionen von Kalifeldspat wirkt
sedimentationsbeschleunigend besonders CaCI.,.
Die Stoffe nun, die im Gegensatz zu den
Kristalloiden, Gips, Kalkspat, dieses Ver-
halten im suspendierten Zustand gegen Wasser
und Elektrolytzusatz zeigen, sind kolloid ver-
anlagt; sie bilden in Berührung mit Wasser
Stoffe im Kolloidzustand , Kieselsäure-Tonerde-
Eisenoxydhydrat; je mehr Kolloidstoffe eine Sub-
stanz dabei zu bilden vermag, umso deutlicher
tritt das Phänomen der langandauernden Schwe-
bung auf.
Dieses Verhalten kann geradezu als Reagens
daraufhin betrachtet werden, ob ein solcher, ge-
feinter Stoff in Berührung mit Wasser kristalloid
oder kolloid veranlagt ist.
Die Ursachen dieser Vorgänge sind die fol-
genden: die schwebenden Teilchen sind von einer
kolloidalen Hülle der erwähnten Hydrate
umgeben; bestimmte Elektrolyte haben nun die
F"ähigkeit, diese kolloidale Hülle, die als Ursache
des andauernden Schwebens anzusehen ist, zu
zerstören, worauf die Sedimentierung erfolgen
muß.
Auf die Frage, wie die Wirkung der Elektro-
lyte zustande kommt, scheint folgende Antwort
die richtige zu sein; es handelt sich schließlich
um die Ausfällung von Kolloidstoffen;
diese kommt wahrscheinlich auch hier dadurch
zustande, daß die Kolloidteilchen, welche die
kolloidale Hülle bilden, die mit der entgegen-
gesetzten elektrischen Ladung behafteten Ionen
der Elektrolyte an sich ziehen ') und Stoffkom-
plexe bilden; dadurch erfolgt die Zerstörung der
kolloidalen Hülle und die Sedimentierung.
Beachtenswert ist noch, daß diejenigen Elek-
trolyte, die am stärksten die Sedimentation be-
schleunigen, wie Eisenchlorid, Aluminium-
chlorid die wasseranziehende Fähigkeit be-
sitzen.
Indem diese Stofte das Wasser, welches den
kolloid veranlagten Stoffen erst die kolloidale
Hülle ermöglicht, an sich zieht, wird diese zer-
stört, so daß die Sedimentierung erfolgen muß.
Möglicherweise liegen beide Ursachen, die
elektrostatische Anziehung zwischen Kolloidteil-
chen und den Ionen der Elektrolyte und die Ent-
ziehung des Kolloidalwassers, der Sedimentations-
beschleunigung zugrunde.
Als kolloid veranlagte Stoße sind Ultra-
marin, Ton, Zement, Talk, Feldspate und ähn-
liche Mineralien anzusehen. Dr. Rohland.
') Th. Scheerer, Pogg. Ann. S2, 419. 1851.
*) Fr. Schulze, ibidem 129, 366. 1866.
') Ch. Schlösing, (^ompt. read. 70, 1345. 1870 usw.
*) G. Quinke, .\nn. d. Physik. 7, 94. 1902 u. folg.
^) conf. H. .Seger, Tonindustrie-Ztg. 1.5, 813. (189 II.
P. Rohland, Zt. anorg. Chcm. 41, 325. (1904).
') conf. Zt. phys. Chem. 45, 307. (1903). 51, 129. (1905).
Vereinswesen.
Deutsche Gesellschaft für volkstümliche
Naturkunde (E.V.). — Nach den Sommerferien
nahm die Gesellschaft am Dienstag, den 13. Ok-
tober, abends 8 Uhr ihre .'\rbeit mit einer Sitzung
im Hörsaal des Kgl. Instituts für Meereskunde
wieder auf. Seitens des Vorstandes begrüßte zu-
nächst der Schriftführer in Vertretung des an
dem Abend behinderten Herrn Vorsitzenden die
122
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 8
zahlreich erschienenen Mitglieder und erteilte dar-
auf das Wort Herrn Kustos Base hin vom Geo-
graphischen Institut der Kgl. Universität zu seinem
angekündigten Vortrage über das Thema: „Die
Wellen des Meeres".
Da das Meer 72 " (, der Erdkugel bedeckt und
eine absolute Ruhe der Meeresoberfläche wohl
nur ganz lokal und vorübergehend vorhanden ist,
so ist von allen Oberflächenformen unseres Erd-
balles die der Meereswellen sicher die verbreitetste,
und doch ist über die Form und Entstehung
dieser Naturerscheinung unser Wissen noch sehr
unvollkommen. Um zu einem gründlichen Ver-
ständnis dieser Vorgänge zu gelangen, müssen wir
uns zunächst die Gesetze ins Gedächtnis zurück-
rufen, die für Wasserwellen überhaupt gelten. Das
stabile Gleichgewicht einer homogenen Wasser-
masse hört auf, sobald an irgendeiner Stelle ihrer
Oberfläche die horizontale Lage des Wasserspiegels
gestört wird. Von dieser Stelle breiten sich
Wellen aus, die, im allgemeinen mit gleichförmiger
Geschwindigkeit auf der Wasseroberfläche sich
fortbewegend und aus abwechselnden Bergen und
Tälern bestehend, von dem Störungszentrum aus
in kreisförmiger Form nach außen hin fortschreiten,
wobei sie an Höhe allmählich abnehmen. Die
Wellenbewegung ist also eine im Räume fort-
schreitende, während die Wasserteilchen selbst an
Ort und Stelle bleiben und nur eine oszillierende
Bewegung ausführen, die bei ganz regelmäßigen
Wellenformen eine Kreisbahn ist, welche in der
gleichen Zeit durchlaufen wird, in der die Welle
um eine Wellenlänge vorgerückt ist. Will man
die Formen und Bewegungen der Wellen ein-
gehender studieren , so ist in erster Linie eine
genaue Messung der Wellendimensionen nach
Höhe. Länge und Geschwindigkeit erforderlich.
Am günstigsten werden solche Messungen mög-
lichst fern vom Lande an Stellen von größerer
Meerestiefe vorgenommen; allerdings bieten die
Schwankungen des Schiffes dabei ein recht stören-
des Hindernis. Am einfachsten ist noch die
Wellengeschwindigkeit festzustellen. Man braucht
nur, während das Schiff mit der Kiellinie in der
Fortpflanzungsrichtung der Wellen still liegt, die
Anzahl von Sekunden zu zählen, welche vergehen,
bis ein Wellenberg von einem Ende des Schiffes
zum anderen gelangt, und diese in die Länge
des Schiffes in Metern zu dividieren. In ähnlicher
Weise läßt sich die Wellenlänge ermitteln.
Größere Schwierigkeiten hat bisher die Messung
der Wellenhöhen, zumal bei höheren Wellen ge-
macht. Sowohl die geometrische Messung, die
darauf beruht, daß man am Mast des Schiffes so
hoch hinaufsteigt, daß das Auge den nächsten
Wellenberg gerade bis zum Horizont emporsteigen
sieht, während das Schiff selbst im Wellental sich
befindet, und dann die Höhe des Auges über dem
Wasserspiegel feststellt, wie auch die barometri-
sche mit Hilfe feinster Aneroidbarometer, die noch
Luftdruckdifferenzen von Vioo r""i. entsprechend
einem Höhenunterschied von etwa 11 cm, zu
schätzen gestatten, liefern nicht immer zuverlässige
Resultate. Erst in neuester Zeit ist es gelungen,
eine Methode anzuwenden, die nicht nur dieHöhe,
sondern auch die Länge der Wellen und ihre
sonstigen Formen gleichzeitig in exakter Weise
zu messen ermöglicht, die photogrammetrische,
die auch bei Messungen auf dem Lande schon
seit Jahren erfolgreich verwendet worden ist und
die im wesentlichen darin besteht, daß man an
zwei in einer bestimmten Entfernung voneinander
gelegenen Punkten mit besonders eingerichteten
Apparaten photographische Aufnahmen nach der-
selben Richtung hin macht. Durch genaue Aus-
messungen der photographischen Platten kann
man dann nachträglich die Lage aller auf beiden
Bildern sichtbaren Punkte im Räume genau fest-
stellen. Im Jahre 1904 hat die kaiserliche Marine
in der Kieler Bucht zum ersten Male derartige
Aufnahmen von IJ/leereswellen machen lassen, auf
Grund deren mit Hilfe des sog. Stereokompara-
tors Herr Dr. Kohlschütter die erste überhaupt
existierende, genaue kartographische Darstellung
der Meereswellen geliefert hat. Durch diese ge-
naueren Messungen ist die alte übertriebene Vor-
stellung von turmhohen Wellen gründlich beseitigt
worden. Wellen von mehr als 12 m Höhe dürften
darnach zu den größten Seltenheiten gehören.
Die Überschätzung der Wellenhöhen beruht ein-
fach darauf, daß man das Deck des Schiffes als
eine horizontale Ebene anzusehen pflegt, auch
wenn das Schiff unter dem Einfluß der in der
Kiellinie verlaufenden Wellen „stampft" oder unter
dem Einfluß der seitwärts kommenden Wellen
„rollt".
Viel weniger als über ihre Höhen wissen wir
nun über die Formen der Wellen, die den Messun-
gen überaus große Schwierigkeiten entgegenstellen.
Die Angabe der meisten Lehrbücher, wonach die
Oberfläche der Meereswellen durch eine Kurve,
die man als Trochoide bezeichnet, begrenzt wird,
findet durch die genaueren photogrammetrischen
Aufnahmen keine Bestätigung. Diese mangelnde
Übereinstimmung zwischen Theorie und Wirklich-
keit findet ihre Erklärung in den zahlreichen
Interferenzerscheinungen, die in der Natur auf-
treten und die die Meeresfläche oft in ein wildes
Chaos verwandeln, das die Kunst der Schiffsführung
auf die schwersten Proben stellt.
Daß der Wind die Ursache der Meereswellen
ist. ist allgemein bekannt; nur über das Wie
gingen bis vor wenigen Jahren noch die Ansichten
auseinander. Die wirkliche Ursache jener Natur-
erscheinung fand erst ihre wissenschaftliche Be-
gründung durch Helmholtz, der in den Jahren
1888 bis 1890 nachwies, daß überall an der Grenz-
fläche zweier beweglicher Stoffe, die sich mit ver-
schiedener Geschwindigkeit übereinander hin be-
wegen, eine Wogenbildung eintreten müsse. Die
beiden Stoffe, um die es sich in unserem Falle
handelt, sind das ruhende Wasser und die be-
wegte Luft. Ein stationäres Wogensystem kann
aber nur dann entstehen und Bestand haben, wenn
N. F. VIII. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
123
der Wind eine geraume Zeit hindurch in genau
der gleichen Stärke und aus derselben Richtung
weht, was aber fast nie der Fall ist. Jede plötz-
liche Zunahme der Windgeschwindigkeit und jede
Änderung der Windrichtung werden neue Wogen-
systeme erzeugen, so daß vielfache Interferenzen
entstehen müssen, die gelegentlich imstande sind,
das ursprüngliche zu verwischen. Leider fehlt es
noch sehr an guten photographischen Aufnahmen
von Wellen; hier wäre für Amateurphotographen
ein dankbares Feld gegeben zur praktischen Mitarbeit
an den Aufgaben der Wissenschaft. Zumal kine-
matographische Aufnahmen wären sehr erwünscht.
Die Formen der Wellen sind so mannigfaltig, daß es
unmöglich ist , auch nur die Haupttypen zu be-
schreiben. Die Formveränderung der VVelle steigert
sich bis zur völligen Lösung des Zusammenhanges
der Wassermasse, wenn die Welle auf ein festes
Hindernis stößt; sie zerstäubt alsdann in Gischt.
Wenn der obere Teil der Wellenkämme auch
auf hoher See Schaumkronen trägt, so rührt dies
daher, daß die Wellen noch nicht die dem herr-
schenden Winde entsprechende Geschwindigkeit
erreicht haben. Ebenso muß ein Aufschäumen
der Wellen eintreten , wenn der untere Teil in
seiner Bewegung verlangsamt wird, wie es bei
Untiefen oder in der Nähe der Küste der Fall
ist. Auffällig erscheint uns zuerst die Tatsache,
daß an einem flachen Ufer die Wellen fast stets
von der See her ziemlich direkt auf die Küste
zukommen, so daß die Wellenkämme in langen,
zum Strande parallelen Linien auf diesen zueilen,
gleichgültig, aus welcher Richtung der Wind weht;
er darf nur nicht längere Zeit hindurch vom
Lande her wehen. Während bereits in geringer
Entfernung vom Strande draußen auf dem offenen
Meere die Bewegungsrichtung der Wellen allein
durch den Wind bestimmt wird, ist die am Strande
beobachtete Abweichung von dieser Richtung
lediglich bedingt durch die bei der Annäherung
der Wellen an die Küste stetig zunehmende
Verminderung der Geschwindigkeit der Wellen
in dem immer seichter werdenden Wasser. Hier-
auf beruht auch die reizvolle Erscheinung der
Küstenbrandung. Eine Verzögerung der unteren
Teile der Meereswellen kann aber auch auf hoher
See eintreten, wenn nämlich unterseeische Sand-
bänke oder Klippen bis nahe an die Oberfläche
hinaufragen, und ,, Brandung voraus!" ist immer
ein Schreckensruf für die Schiffsbesatzung. Außer
durch ungleich schnelle Bewegung der einzelnen
Teile der Welle entsteht ein Aufschäumen auch
dann, wenn die Wellenhöhe übermäßig groß wird,
wie dies bei mehrfachen Interferenzen der Fall
sein kann. Am häufigsten kommen solche mehr-
fachen Interferenzen da vor, wo auf verhältnis-
mäßig kleinem Raum starke Winde aus verschie-
denen Richtungen wehen. Dies ist der Fall im
Zentrum eines Sturmfeldes.
Eine Folgeerscheinung der Windwellen sind
die Dünungen. Diese entstehen, wenn der zum
Sturm angewachsene Wind schnell abflaut und
schließlich ganz aufhört, während die nicht in
dem gleichen Tempo sich beruhigenden Sturm-
wellen über den Ozean weiterwandern.
Viel größer aber als alle Windwellen sind
solche Wellen, die ihre Ursache in plötzlichen
Störungen des Gleichgewichts haben, wie sie ein-
treten durch untermeerische vulkanische Aus-
brüche und in noch gewaltigeren Dimensionen
bei Seebeben. Von gewaltigem Umfang war die
F'lutwelle, die am 27. August 1883 durch den
furchtbaren Ausbruch des Krakatau hervorgerufen
wurde. Auch an der deutschen Ostseeküsle treten
mitunter eigentümliche, ihrer Entstehung nach
noch nicht völlig aufgeklärte Stoßwellen auf, die
Höhen bis zu 2 m erreichen können. Ebensowenig
erklärt sind die am flachen Strande der West-
küste Südfrankreichs gelegentlich beobachteten,
plötzlich heranrollenden großen Einzelwellen.
Viel bedeutsamer als die Wirkungen solcher
gewaltigen Einzelwellen sind aber die Wirkungen
der kleinen alltäglichen Windwellen, deren ge-
ringe Einzelleistung mehr als wettgemacht wird
durch die fast unausgesetzte rhythmische Wieder-
holung desselben Vorgangs. Unter ihrer Wirkung
vollzieht sich die gesteigerte Tätigkeit der riff-
bauenden Korallen in der Brandungszone. Eine
zweite Wirkung der Meereswellen ist der Wasser-
transport, zu dem die oft so verheerenden Sturm-
fluten gehören ebenso wie die mächtigen Meeres-
strömungen, darunter der für Europa so segens-
reiche Golfstrom. Eine dritte Wirkung schließlich
ist der gewaltige, nimmer rastende Kampf zwi-
schen dem festen und dem flüssigen Element,
zwischen Festland und Meer, wie er sich abspielt
in der Brandungszone der Steilküsten.
Lernen wir so die Wellen des Meeres als die
gewaltigste Macht kennen, die auf der Erde wirk-
sam ist, als eine Macht, die zerstörend und ver-
nichtend wirkt, so muß es als eine besonders
lockende Aufgabe erscheinen, diese gewaltigen
Kräfte der Menschheit nutzbar zu machen. Leise
Anfänge sind gemacht worden, wie z. B. in den
Glockenbojen oder den Wellenmotoren, aber diese
Versuche stecken noch in den Kinderschuhen.
Vielleicht daß es unserer rastlos vorwärts streben-
den Technik einmal gelingt, die Schwierigkeiten,
die sich der Verwirklichung dieses Gedankens in
den Weg stellen, wegzuräumen.
Im Anschluß an den Vortrag fand am Sonn-
tag, den 18. Oktober, vormittags 10 Uhr, eine
Besichtigung des Kgl. Instituts für Meereskunde
statt, wobei außer Herrn Kustos Baschin noch
Herr Kustos Dr. Dinse die nötigen Erläuterungen
gab.
I. A. : Prof. Dr. W. Greif, I. Schriftfdhrer.
Berlin SO 16, Köpenickerstrafle 142.
Aus dem wissenschaftlichen Leben.
Wir erfahreu, daß die Vorbereitungen zu einer Expedi-
tion zum Zwecke der Ausbeutung der reichen
D i n osauri e r fu ndstätt e am Berge Tendaguru im Hinter-
124
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 8
lande von Lindi in D culsch - 1' s t iifr ik a vom paläontolo-
gischcD Museum zu Berlin getroffen werden, dem ein Teil der
erforderlichen Mittel von der Preuß. Akademie der Wissen-
scliaften und der Gesellschaft naturforschender Freunde zur
\'erfügung gestellt werden wird, i'^s wäre sehr zu wünschen,
daß das Unternehmen nach dem Vorbilde der amerikanischen
Förderer vorwcltücher Sammlungen auch bei hiesigen Freun-
den dcrNaturwissenschafien die tatkriiftige Unterstützung findet,
die die .Ausführung des aussichlsvollen l'lancs ermöglichen würde.
Am 22. September igoS wurde auf Jder^ Naturforscher-
Versammlung in Köln eine Deutsche Mineralogische
Gesellschaft gegründet. Sie hat den Zweck, die Minera-
logie und Petrogra])hie in Lehre und Forschung zu fördern, sowie
die persönlichen Beziehungi-n der Mitglieder zu pflegen.
.\ls I. Vorsitzender wurde Prof. Bauer- Marburg, als
dessen Stellvertreter Berwerth - Wien und Brauns -Bonn, als
Schatzmeister Kommerzieurat Seligmann - Koblenz und als
Schrillführer Prof. Linck-Jena, gewühlt.
Die Jahresversammlung für IQog wird in Salzburg abge-
halten werden und mit der geschäftlichen Sitzung am i8. Seji-
tember beginnen.
Mitglied kann jeder werden, der sich für die genannten
Wissenschaften interessiert; er hat sich zu diesem Zwecke bei
einem der Vorstandsmitglieder anzumelden; der Jahresbeitrag
beträgt 5 Mk. Es ist auch beabsichtigt , in größeren *.)rten
• irtsgruppen zu bilden. (x)
Wetter-Monatsübersicht.
Nachdem das neue Jahr überall mit strengem F'roste be-
gonnen hatte, trat schon an seinem zweiten Morgen an der
Nordseeküste sowie im Gebiete des Niederrheins trübes, neb-
liges Tauwetter ein und breitete sich mit mäßigen südwest-
lichen Winden bis zum 4. über fast ganz Norddcutschland
iem^erafur-SiGinima cinmcr Orts im 3^anuarl909.
WctltF!>l.rt.U.
aus. Dann blieb es daselbst während des größeren Teiles
des Januar beinahe ohne Unterbrechung milde. .\m 5. oder
6., ebenso um die Mitte des Monats gingen an vielen Orten,
wie aus der beistehenden Zeichnung ersichtlich ist, die Tem-
peraturen^nicht unter 2 oder 3 (_irad herab. In Süddeutsch-
iand iingen sie erst seit dem 1 2. Januar zu steigen an, er-
reichten hier aber am 15. in Stuttgart und Karlsruhe 12" C.
An der Oder und weiter östlich klärte sich gleich nach
Milte des Monats das Wetter auf unil erfolgte wieder eine
rasche Abkühlung. In den übrigen Landesteilen wechselten
noch mehrmals milde Tage und kalte Nächte ziemlich regel-
mäßig miteinander ab, am 21. Januar setzten jedoch überall
schärfere östliche Winde ein und einen Tag später herrschte
in ganz Deutschland F'rost, der in den meisten Gegenden bis
gegen Ende des Monats an Strenge langsam zunahm. Marg-
grabowa braclite es an mehreren Tagen auf 20° C Kälte.
Während wenigstens dort wie in der ganzen Provinz Ost-
preußen eine .Schneedecke von ungefähr 1 Dezimeter Höhe
lag, war der Boden im größten Teile des Reiches von
Schnee entblößt. .Auch in den westlichen Flüssen bildete
sich von neuem Grundeis , so daß z. B. die Weserschift'ahrt
am 22. abermals eingestellt werden mußte.
Kurz vor Schluß des Januar wurde es wiederum viel ge-
linder. Seine mittleren Temperaturen lagen daher in Nord-
deutschland nur ungefähr einen halben, im Süden aber fast
1 Vi Grad unter ihren normalen Werten , wogegen die Zahl
der Sonnenscheinstunden iti den meisten Gegenden etwas
größer als gewöhnlich war.
Wie schon seit Beginn des Herbstes, herrschte auch im
ersten Monate des neuen Jahres in ganz Deutschland ein
empfindlicher Mangel an Niederschlägen. Während seiner
ersten 7 Tage fanden zwar ziemlich zalilreiche, aber fast
Hicdfen^c^ra^l^ö^sn im Sanuar 1909
taicoc^sitn^s: -cSxiccaco SicitihcaS
mm
20
1. bisT Januar.
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8. bis17. Januar, H
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IB.bis 31. Januar.
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MilllererWei^Fur
Peulschland.
Monalssummfl im Jan.
M. 07. OB. 05. 01.
^ Berliner Wctteftureau.
immer nur geringe Kegen- und Schneefälle statt, die sich am
häufigsten in Schlesien wiederholten. Erst am S. nahmen die
Niederschläge, im Westen im allgemeinen Kegen, im Osten
überwiegend Schneefälle, an Stärke bedeutend zu und es
folgte eine längere Zeit mit sehr veränderlicher, windiger, an
der Küste vielfach stürmischer Witterung, in der in Nordwest-
und Mitteldeutschland auch wiederliolentlich Gewitter mit
Hagel-, Graupel- und Schneeschaueru herniedergingen.
Am l8. Januar trat im größten Teile Deutschlands trocke-
nes Wetter ein und hielt an vielen Orten bis zu den letzten
Tagen des Monats fast ununterbrochen an. In der Nacht zum
30. fanden zunächst an der Nordseeküste starke Schneefälle
statt, die sich innerhalb 24 Stunden bis an die Grenzen
Deutschlands nach Osten und Süden fortpflanzten und endlich
über den Boden eine zusammenhängende Schneedecke breiteten.
Die gesamte Niederschlagshöhe des Monats betrug durch-
schnittlich 30,2 mm, während die gleichen Stationen im Mittel
der früheren Januarmonate seit Beginn des vorigen Jahrzehnts
44,9 mm Niederschlag geliefert haben.
Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa
wies von einem Tage zum anderen bedeutende Schwankungen
auf, wobei sich aber die früheren Verhältnisse olt rasch
wiederherstellten. Am Anfang wurden die mittleren Breiten
h'uropas von einem lan;7gestreckten Hochdruckgebiete bedeckt,
während im Norden liefe, im Süden flache Depressionen
lagen, .\lier schon am 4. drang ein Minimum vom nördlichen
N. F. VIII. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
125
Eismeer in Rußland ein und teilte das Hochdruckgebiet in
zwei Hiilften, deren eine durch nachfolgende Depressionen
mehr und mehr nach Westen geschoben wurde. Zwar rüclde
am 9. Januar das Maximum vom biskayischen Meere wieder
gegen Mitteleuropa vor, wurde aber durch immer neue, sehr
tiefe Minima, die ra5cli hintereinander bei Island auftraten
und ostwärts weilcreillen, bald nach Südwesten zurückgedrängt.
Am 17. Januar drang das barometrische Maximum eilends
von Sudwesteuropa nordostwäits vor und vereinigte sich am
folgenden Tage mit einem zweiten, das ihm von Ostrußland
her entgegenkam. Dann verweilte das Hochdruckgebiet
dauernd in Westrußland, wo am 21. noch ein anderes Baro-
metermaximum aus Westen zu ihm stieß, und sandte nach
ganz Mitteleuropa trockene, kalte Ostwinde hin, die erst zwi-
schen dem 29. und 30. Januar, beim Herannahen einer liefen
atlantischen Depression, durch feuchte südwestliche Winde
verdrängt wurden. Dr. E. Leß.
Bücherbesprechungen.
1 ) Dr. Konrad Günther, Privatdozent an der Uni-
versität Freiburg i. B., Vom Urtier zum Men-
schen. Ein Bilderatlas zur Abstammung
und Entwicklungsgeschichte des Men-
schen. 2 Bände. Stuttgart , Deutsche Verlags-
anstalt, 190g. — Preis geb. 26 Mk.
2) Dr. Ludwig Reinhardt, Vom Nebelfleck
zum Menschen. Eine gemeinverständ-
liche Entwicklungsgeschichte des Natur-
ganzen nach den neuesten Forschungs-
ergebnissen. Die Geschichte der Erde.
Mit 194 Abbildungen, 17 Vollbildern und 3 geo-
logischen Profiltafeln nebst einem farbigen Titel-
bilde. Ernst Reinhardt Verlag in München, 1907.
— Preis 8,50 Mk.
3) Dr. Ludwig Reinhardt, \ o m Nebelfleck zum
Menschen. Das Leben der Erde. Mit
380 .Abbildungen im Te.xt, 21 Vollbildern und
einem farbigen Titelbild. Verlag wie oben. 1908.
— Preis 8,50 Mk.
4) Dr. Altert Gockel, Universitätsprofessor in Frei-
burg (Schweiz), Schöpfungsgeschichtliche
Theorien. Köln, J. F. Bachern, 1908. — Preis
2 Mk.
i) Das Günther'sche Werk ist bei der außer-
ordentlich üppigen Ausstattung in Folio erstaunlich
billig. Es ist so reich illustriert, daß es in der Tat
sehr geeignet ist, jeden, der sich für die „Natürliche
Schöpfungsgeschichte" interessiert, leicht eingehender
zu orientieren. Verfasser hat sich betuüht sachlich
und ruhig zu sein , und er ist auch allgemein-ver-
ständlich ; sein Text ist gut lesbar. Er geht soweit
auf den Bau des Menschen ein, daß das Werk auch
für denjenigen von Wert ist, der sich über seinen
Körperbau und die Funktionen der Organe unter-
richten möchte: nur daß eben alles von dem einen,
nämlich dem deszendenztheoretischen Standpunkte
aus betrachtet wird, der ja auch bei dem derzeitigen
Stand der Wissenschaft der gegebene ist. Will man
die Tatsachen in Beziehung zueinander setzen, d. h.
nichts anderes, als sie wissenschaftlich betrachten, so
ist eben auch die Deszendenztheorie weitgehend zu
berücksichtigen. Nicht nur der Text , sondern auch
die .Abbildungen sind zuverlässig und klar. Verfasser
disponiert sein Material in die wie folgt überschrie-
benen Kapitel: i. Wesen und Bedeutung der
.Abstammungslehre — Quellen für die .Ahnen-
reihe des Menschen — Einführung in die wissen-
schaftliche Arbeitsweise. — 2. Die Zelle und
ihre Entstehung — Lebenserscheinungen in der
einfachsten Form — Entstehung des Lebens auf der
Erde. — 3. Vom Einzelligen zum Vielzelli-
gen — Grundlagen für die Lebensfunktionen der
höheren Tiere — Entwicklung der Fortpflanzung.
Herausbildung und Trennung der Geschlechter. —
4. Der Be fr uchtungs Vorgang — Fortpflanzung,
Befruchtung, Vererbung. — 5. Die Hohltiere
und die Entstehung der Organe — Nerven,
Muskeln, Knochen in ihren ersten Anfängen. —
6. Die Würmer und die Ausbildung der
Körpergliederung, der Leibeshöhle und
der Blutgefäße. — 7. DieEinheit der Ent-
wicklung bei den Wirbeltieren und dem
Menschen. — 8. Die Ahnen formen des
;\Ien sehen unter den kiemenatmenden
Wirbeltieren und die weitere Ausbildung
desDarmsystems und der Haut. — 9. Wer-
den und Vergehen tinter den Amphibien
und Reptilien. — 10. Die Herausbildung
der Säugetiermerkmale des Menschen. —
11. Affe und Mensch. Das Problem der
Menschwerdung und der Urmensch. —
12. Die Ausbildung der wichtigsten Organ-
systeme bei den Wirbeltieren. — 13. Rück-
schläge aufTierahnen. Körper und Geist.
2/3) Das Reinhardt'sche Werk erinnert äußer-
lich und auch sonst an das bekannte Werk von
Carus Sterne „Werden und Vergehen", jedoch ist
die illustrative Ausstattung bei Reinhardt sehr viel
üppiger, und naturgemäß nimmt es auch auf neuere
Dinge Rücksicht, die die vor mehreren Jahren er-
schienene letzte Auflage von Carus Sterne noch nicht
bringen konnte. Bei der Beurteilung solcher um-
fassenden Werke muß der Ref. stets sehr nachsichtig
sein. Es ist ja für den einzelnen heutzutage gar
nicht mehr möglich, den gesamten Wissensstoff', der
in einer Darstellung der Entwicklung des Weltalls
und der Lebewesen in Betracht kommt, irgendwie zu
beherrschen oder zu verfolgen. Wir werden doch in
Zukunft für solche Unternehmungen eine Anzahl von
Fachleuten verlangen müssen, die sich zu gemein-
samer Arbeit zusammentun. Die Schwierigkeit fest-
gehalten, die die Abfassung eines solchen umfassen-
den Werkes mit sich bringt, ist aber die Reinhardt-
sehe Arbeit als eine fleißige und den Umständen
nach brauchbare anzuerkennen. In dem oben unter
2) aufgeführten Bande haben wir eine populäre all-
gemeine Geologie zu sehen , wobei Verf. aber auch
auf die Sternenwelt, insbesondere und natürlich unser
Sonnensystem und dann wieder enger auf die Erde
und den Mond eingeht, sowie auf diejenigen astro-
nomischen Erscheinungen , die die Erde besonders
angehen, wie die Kometen und Meteore. — Zur Be-
gründung unserer Bemerkung, wie schwierig es sei,
die in Betracht kommenden Spezialfächer angemessen
zu übersehen, sei nur erwähnt, daß Verf auf S. 572
126
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 8
eine Gel an de form mit einem Gestein ver-
wechselt. Er stellt nämlich dort die „Heidemoor-
bildungen" dem „Torf gegenüber, er sagt u. a. :
„Es sind beide Gebilde sehr nahe miteinander ver-
wandt. Heidemoor entsteht auf trockenem
Lande, Torf dagegen unter Wasser oder
auf feuchtem Boden." Die hier hervorgehoben
gedruckten Worte hat Verf selbst gesperrt drucken
lassen. Auch sonst zeugt das , was er über Moore
und ihre Bildung sagt, davon (es sei hier wieder ein-
mal betont, daß Moore Gelände mit Torfboden sind ;
Moore sind Geländeformen, Torfe hingegen Gesteine,
die zu den Kaustobiolithen gehören) , daß er hier
nicht eingedrungen ist. Aber es muß billig hinzu-
gefügt werden, daß auch sonst die Geologien gerade
in diesem Punkte beträchtliche Mängel erkennen
lassen. — Der unter 3) erwähnte Band beschäftigt
sich mit den Lebewesen in ihren Erscheinungen,
ihrer Entwicklung, Ausbildung, ihrer Herkunft und
Abstammung.
4") Das oben unter Nr. 4 genannte Heft möchte
„den zahlreichen populären Darstellungen der
Schöpfungsgeschichte gegenüber, die fast alle mit
einer erstaunlichen Sicherheit noch unbewiesene Dinge
als Resultate moderner Naturwissenschaft hinstellen"
zeigen, „wie viel, oder besser gesagt, wie wenig wir
über die Entstehung unseres Erdballes oder gar des
W'eltgebäudes Sicheres wissen, und darlegen, daß alle
schöpfungsgeschichtlichen Theorien, angefangen von
der Kant'schen bis zu den neuesten Meteoriten-
theorien nichts anderes sind, als mehr oder weniger
wahrscheinliche Hypothesen".
Arnold Lang, 0. Prof. der Zoologie und vergleichen-
den Anatomie an der Universität und am eidge-
nössischen Polytechnikum in Zürich, Über die
Bastarde von Helix hortensis Müller
und Helix nemoralis L. , mit Beiträgen von
Prof Dr. H. Boßhard in Zürich, Paul Hesse
in Venedig und Elisabeth Kleiner in Zürich.
118 S. gr. 4" mit 4 lithographischen Tafeln, Jena,
Verlag von Gustav Fischer, 1908. — Preis 15 Mk.
Es liegt uns hier eine Arbeit vor, die in zweierlei
Hinsicht gleich wichtig ist. Sie liefert uns ein sicheres,
schwer zu beschaffendes Beobachtungsmaterial, das
einerseits in bezug auf die Vererbungsfrage und an-
dererseits in bezug auf die Artfrage von größtem
Werte ist. Wer sich mit allgemeinen biologischen
Fragen und mit Deszendenztheorie beschäftigt, der
wird künftig die Lang'sche Arbeit nicht unberück-
sichtigt lassen dürfen. Ich möchte hier besonders
auf die Bedeutung der Arbeit in deszendenztheoreti-
scher Beziehung etwas näher eingehen, da diese Seite
der Arbeit für die Leser der Natur w. Wochenschrift
von ganz besonderem Interesse sein dürfte. — Der
Verfasser hat für seine Untersuchung zwei Formen
gewählt, die einander so nahe stehen, daß man sogar
an der Artberechtigung derselben gezweifelt hat. Die
unterscheidenden Charaktere, mit denen sich der
Verfasser zunächst eingehend beschäftigt, sind in der
Tat zum größten Teil sehr stark transgressiv. Zu
diesen transgressiven Charakteren gehören die Größe
und die Wölbung des Gehäuses, die Form der Mün-
dung, die Zahl der Kieferleisten und die Form der
inneren Geschlechtsorgane. Nur die Statistik ergibt
an der Hand dieser Merkmale sichere Unterschiede.
Zu den wenig oder nicht transgressiven und des-
halb zur sicheren Erkennung verwendbaren Artmerk-
malen gehören die Färbung des Mundsaums und die
Form des sog. Liebespfeils. — Die Untersuchung
ergab zunächst, daß trotz der nahen Verwandtschaft
beider Arten und trotz der großen Fruchtbarkeit,
mit welcher beide in reiner Zucht sich fortpflanzen,
in 61 Kreuzungsversuchen , die einzeln ausführlich
mitgeteilt worden sind, 30 gänzlich resultatlos blieben.
Nur bei 13 Versuchen wurden im ganzen 35 Ba-
starde bis zur Reife gebracht. — Durch Kreuzung
der Bastarde untereinander wurde bisher eine Nach-
kommenschaft nicht zur Reife gebracht. Da aber
die Fruchtbarkeit bei den ersten Kreuzungen sehr
verschieden groß ist, hält der Verfasser es nicht für
ausgeschlossen , daß bei einer glücklichen Wahl der
beiden Eltern die Fruchtbarkeit sich auf weitere
Generationen erstrecken wird. — Die bisherigen Ver-
suche lassen mit aller Klarheit erkennen, daß zwi-
schen den beiden Arten, trotz ihrer nahen Verwandt-
schaft , eine trennende physiologische Barriere vor-
handen ist, mit anderen Worten, daß es sich um
gute Arten handelt. Es ist dieses Resultat sehr
wichtig, da es immer noch Forscher gibt (namentlich
Protozoen-, Schwamm-, Korallenforscher usw.), die
an der Tatsächlichkeit solcher Barrieren zweifeln,
weil sie selbst auf ihrem engeren Untersuchungsgebiet
keine scharfen Grenzen zwischen den Arten fanden.
— Obgleich die beiden zur Untersuchung gewählten
Schneckenarten oft miteinander vorkommen , dürften
nach des Verfassers Untersuchungsresultaten Bastarde
in der Natur äußerst selten sein. Er konnte nämlich
nachweisen, ,,]), daß das von einer Copula herrührende
Sperma im Receptaculum seminis unserer Hain- und
Gartenschnecken jahrelang lebenskräftig bleiben kann
und 2) daß, wenn eine von früher her schon mit
Sperma der eigenen Art ausgestattete Schnecke mit
einem Individuum der anderen Art kopuliert , aus-
schließlich das ältere Sperma der eigenen ."^rt die
Eier befruchtet und nicht das jüngere Sperma der
fremden Art". — Nur wenn ein einzelnes Stück
der einen Art durch Verschleppung in eine Kolonie
der anderen Art hineingerät, ist also die Möglichkeit
einer Bastardierung in der freien Natur gegeben. —
Stücke, die man bisher für Bastarde gehalten hat,
können nach des Verfassers Untersuchungsresultaten
fast durchweg nicht als solche in Betracht kommen,
da sie hinsichtlich der Charaktere nicht den künstlich
erzeugten Bastarden entsprechen. Die Charaktere der
echten Bastarde neigen nämlich in ganz bestimmter
Weise entweder denen von Helix hortensis oder
denen von H. nemoralis zu. Nur einzelne sind genau
oder ziemlich genau intermediär. Eine starke An-
näherung an Helix hortensis zeigen die Bastarde in
bezug auf die Breite und Form der Mündung und
die Form der Glandulae mucosae, eine starke An-
näherung an H. nemoralis in bezug auf den Wölbungs-
N. F. Vlll. Nr. 8
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
127
index des Gehäuses, die Farbe der Mündung und
die allgemeine Form des Pfeiles. Ziemlich genau in
der Mitte zwischen beiden stehen sie in bezug auf
die Gesamtgröße des Gehäuses, die Länge des Pfeiles
und das Profil der vier longitudinalen Kreiizleisten
des Pfeils. — Für die Vererbung geben auch die
Farbe und die Bänderung des Gehäuses vorzügliche
Anhaltspunkte; doch würde es zu weit führen, hier
auf alle diese Punkte einzugehen. — Ich hoffe jeden-
falls mit diesen kurzen Angaben die hohe Bedeutung
der Arbeit hinreichend hervorgehoben zu haben.
Dahl.
Anton Handlirsch, k. u. k. Kustos am K. K. Natur-
historischen Hüfmuseum in Wien, Die fossilen
Insekten uwd diePhylogenie der rezen-
ten Formen. Ein Handbuch für Paläontologen
und Zodlogen. Mit 51 Tafeln, sowie 14 Figuren
und 7 Stammbäumen. Leipzig, Wilhelm Engel-
mann, 1006 — IQoS.
Wir haben die ersten 8 Lieferungen dieses um-
fangreichen Werkes bereits früher lobend besprochen.
Heute liegt die 9. Lieferung vor (Preis 8 Mk.), die
das Werk abschließt, das nunmehr einschließlich des
umfangreichen Registers nicht weniger als 1430 Seiten
in Groß-Lexikonformat umfaßt. Das Werk geht nach
einer Beschreibung der rezenten Insektengruppen in
zeitlicher Folge der geologischen Formationen , also
von den paläozoischen Insekten durch die meso-
zoischen und tertiären zu den quartären über, um
sodann eine Zusammenfassung der paläontologischen
Resultate zu bieten. Ein weiterer Abschnitt gibt
eine chronologische Übersicht der wichtigsten Systeme
und Stammbäume der rezenten Insekten, woran sich
phylogenetische Schlußfolgerungen und die Begrün-
dung eines neuen Systems schließen. Am Schluß
macht der Verfasser auf einige für die Deszendenz-
theorie wichtige Ergebnisse seiner Arbeit aufmerksam.
Auch die fossilen Insekten zeigen eine schrittweise
Entwicklung der heute lebenden Formen aus weniger
spezialisierten Vorfahren. Besonders betont der Ver-
fasser, daß die Abänderung äußerer Einflüsse eine
Abänderung der Organismen bewirke.
Maximilian Weber, Einführung in die Kri-
stal 1 o p t i k. München 1 908, Verlag der J. Lindauer-
schen Buchhandlung. 1 7 Seiten mit vielen Text-
figuren. — Preis 80 Pf
Weber's Einführung gibt in kurzer, gedrängter
Form den Inhalt des Kollegs wieder. Für den , der
sich erst in die Materie einarbeiten will, oder der
der Vorlesung nicht hat genügend folgen können,
und bestrebt ist, sich eingehender zu unterrichten,
für den ist das Buch wegen seiner Kürze nicht faß-
lich genug. Jeder, der weiß, wie schwer dem An-
fänger z. B. allein die Vorstellung des Hauptschnittes
und der dazu Senkrechten beim Kalkspat wird, wie-
viel verzweifelte Mühe es macht, die Voreilung der
einen W^elle und das Zustandekommen der Inter-
ferenzfarben im anisotropen Blättchen zu verstehen,
wird empfinden, daß in dem vorliegenden Buch die
Darstellung zu knapp ist, um dies schwierige Gebiet
dem Verständnis zu erschließen. Dem Studierenden
aber, der die Sache im wesentlichen verstanden hat,
und der sie kurz repetieren will, wird diese Vor-
führung der wichtigsten Momente in einigen Leit-
sätzen sehr nützlich sein. O. Schneider.
Die Weltumseglungsfahrten des Kapitäns James
Cook, ein Auszug aus seinen Tagebüchern. Be-
arbeitet und übersetzt von Dr. Edw. Hennig.
554 Seiten, 8 Bilder und i Karte. Gutenberg-
Verlag, Hamburg 1908. — Preis geh. 6 Mk., geb.
7 Mk.
Der Band leitet eine Sammlung geographischer
Reisewerke ein, die von Dr. Ernst Schnitze unter dem
Titel „Bibliothek denkwürdiger Reisen" herausgegeben
wird und ein Schwesterunternehmen zu der schon
seit 1906 im Erscheinen begriftenen, geschichtlichen
„Bibliothek wertvoller Memoiren" darstellt. Dem
eigenhändigen Bericht eines Teilnehmers oder Augen-
zeugen über Land, Leute, Zeitverhältnisse und Be-
gebenheiten wohnt ja bekanntlich eine ganz andere
Ursprünglichkeit und Lebendigkeit inne als der bloßen
Beschreibung durch den Unbeteiligten. Und wer da
weiß, welch eine Fülle trefflichen Beobachtungsmaterials
in guten Reiseerinnerungen liegt, muß dem Heraus-
geber Dank dafür wissen , daß er solche Schätze
wieder ans Licht zieht.
Im vorliegenden Bande führt uns Kant's Liebling,
der große Entdecker der Südsee James Cook auf
seine drei in den Jahren 1768^1779/80 ausgeführten
Weltumseglungen, auf deren letzter er bekanntlich den
Eingeborenen der Insel Hawaii zum Opfer fiel. In
voller LTnmittelbarkeit spielen sich seine in der Ge-
schichte der Entdeckungen einen ersten Platz bean-
spruchenden Erfolge vor unseren Augen ab. Sein
rastloser Siegeszug eroberte in wenig mehr denn
einem Jahrzehnt die Südhemisphäre für das Wissen,
legte den gesamten Stillen Ozean in den Hauptzügen
klar, drang kühn gegen den Südpol wie den Nordpol
vor und greift so selbst in die uns noch heut be-
schäftigenden Probleme hinein. In dieser großartigen
Umrahmung sehen wir nun mit anspruchsloser Be-
scheidenheit aufgezeichnet, aber unter dem frischesten
Eindruck des Geschehenen niedergeschrieben und
mit dem warmen Herzen des stolzen, edlen Leiters
empfunden, die Schicksale der mutig und begeistert
durchgeführten drei Expeditionen.
Darüber hinaus sind es aber wissenschaftliche
Dokumente von sehr bedeutendem Werte, die Cook's
seltene Beobachtungsgabe und Gewissenhaftigkeit uns
hier hinterlassen hat. Den Urzuständen eines Landes
und aller seiner Bewohner wird durch die erste Be-
rührung mit der Kultur notwendig eine Jungfräulich-
keit und Reinheit genommen, die niemand nach dem
Entdecker mehr vorfindet. Die Forschung kann da-
her eine zuverlässige Wiedergabe seitens der ersten
Besucher kaum entbehren und Cook's .Augen waren
überall und sahen kritisch !
Die englischen Originalausgaben der Tagebücher
I2S
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. I'". VIII. Nr. 8
umfassen nicht weniger als 6 Foliobände mit insge-
samt fast 2 000 Seiten und sind schon dieses Um-
fanges wegen dem deutschen Publikum schwer zu-
gänglich. In der hier gegebenen Bearbeitung ist nun
unter Ausschaltung vor allem der zahlreichen nauti-
schen Angaben das Wesentliche als einheitlich fort-
laufende Darstellung in getreuer Übersetzung zusammen-
gefaßt worden ; was durch die Kürzung sonst an
Einzelheiten geopfert werden mußte, ist dem raschen
Fortgang der Ereignisse zugute gekommen.
Der Verlag ist durch die geschmackvolle Aus-
stattung des Werkes (der Buchschmuck stammt von
Ernst Liebermann's Künstlerhand !) dem Bedürfnis
des heutigen Publikums gerecht geworden, das zu
einem guten Gemälde einen würdigen Rahmen liebt.
E. H.
Literatur.
Escbericb, Prof. Dr. K.: Die Termiten od. weißen Ameisen.
Kinc biolog. Studie. (XII, 19S S. ni. Abbildgn. u. i färb.
Taf.) gr. 8". Leipzig '09, Dr. \V, Klinkhardt. — 6 Mk.,
geb. 7 Mk.
Kanngießer, Dr. Frdr. : Die Etymologie der Plianerogamen-
nomenklatur. Eine Erklärg. d. wissensciiaftl., d. deutschen,
französ., engl. u. holländ. Pflanzenramen. (XII, 191 S.)
gr. 8". Gera 'oS, F. v. Zezschwitz. — 3,85 Mk. , geb. in
Leinw. 5 Mk.
Kowalewski, Prof. Dr. Gerli. : Grundzüge der DilTerential- u.
Integralrechnung. (VI, 452 S. m. 31 Fig.) 8". I^eipzig
'09, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 12 Mk.
Marlotb, Dr. Rud.: Das Kapland, insonderheit das Reich der
Kaptlora, das Waldgebiet und die Karroo, pflanzengeogra-
phisch dargestellt. Mit Einfügung hinterlassener Schriften
A. F. \V. Schimper's. Mit 8 Karten, 28 Taf. und 192 Ab-
bildgn. im Text. (436 S. m, 20 Bl. Erklärgn.) Jena '08,
i'r. Fischer. — Subskr.-Pr. 81,50 Mk., Einzelpr. 100 Mk.
Ostwald, Wa.: Schule der Elektrizität. Gemeinverständliche
Darstellg. der Elektrik u. ihrer Anwendgn. nacli den mo-
dernen Anschaugn. u. Plaudereien üb. die neuen Strahlgn.
Nach G. Claude, l'Electricite pour tout le mondc f. Deutsch-
land bearb. Mit üb. 400 Abbildgn. u. Taf. (X[, 579 S.)
Le.\. 8". Leipzig '09, Dr, \V. Klinkhardt. — 8 Mk"., geb.
10 Mk.
Poincare, H. : Die Ma.\well'sche Theorie u. die Hertz'schen
Schwingungen. Die Telegraphie ohne Draht. .\us dem
Franz, v. Max Ikle. (199 S. m. Fig.) S". Leipzig '09,
J. A. Barth. ~ Geb. 3,20 Mk.
Schwendener's Vorlesungen üb. mechanische Probleme der
Botanik, geh. an der Universität Berlin. Bearb. u. hrsg.
V Prof. Dr. Carl Holtcrmann, (VI, 134 S. m. 90 Fig. u.
Bildnis.) Lex. S". Leipzig '09, \V. Engelmann. — 3,60 Mk.
Serret, J. A.: Lehrbuch der Dilferential- u. Integralrechnung.
Nach Axel Harnack's Übersetzg. 4. u. 5. .\ufl., bearb. v.
Geo. Scheffers. I. Bd. Differentialrechnung. (.XVI, 626 S.
ni. 70 Fig.) gr. 8". Leipzig '08, B. Cr. Teubner. — Geb.
in Leinw. 13 Mk.
Anregungen und Antworten.
Herrn H. in B. — Agnostizismus bedeutet Nicht- Wissen-
Können. — Bedingungen sind die ruhenden, änderungs-
losen, die Wirkung nur ermöglichenden, sie nicht selbst her-
beiführenden umstände. — l^rklären heißt etwas Unbe-
kanntes auf Bekanntes zurückführen, sich dieses zunächst Un-
bekannte dadurch vertraut, bekannt machen. — Gesetze
fassen das zusammen, was stets geschieht. — Psycho-
physischer Parallelismus. Dieser Ausdruck will be-
sagen, daß jeder, aber auch jeder geistigen Regung ein
physischer Vorgang im Gehirn entspreche. — Regeln fassen
das zusammen, was meist geschieht. — Ursachen sind
die sich ändernden, die wirkenden, die tätigen Umstände. —
Vitalreihe I. Ordnung nennt R. .\vcnarius einen
Lebensvorgang, der völlig im Sinne vorangegangener häufiger
Übung abläuft, und er spricht von einer Vitalreihe höhe-
rer Ordnung, wenn deren Verlauf von der bisherigen
Übung abweicht. P.
Herrn S. in N. — Eine bakteriologische Zeitschrift außer
dem Zentralblatt für Bakteriologie existiert in Deutschland
nicht; Referate über wichtigere bakteriologische Fragen bringt
die Chemiker- Zeitung sowie die pharmazeutischen Zeitschriften.
— Arbeiten über Bacillus bulgaricus und Yoghurt sind u. a.
im 20. und 2t. Band des Zentralbl. f. Bakteriol., IL Abtlg.,
erschienen; andere sind mir nicht liekannt geworden, doch
weiß ich durch die Zeitung, daß sich das Pharmaz. Institut
der Berliner Universität (Direktor Prof. Dr. Thoms) ein-
gehend mit der Frage beschäftigt hat.
Hugo Fischer.
Herrn J. S. in Aachen. — Diapositive für Projektions-
apparate können Sie u. a. beziehen bei E. Liesegang, Düssel-
dorf-Bilk, bei Unger & Hoffmann, Dresden-A. 16, sowie bei
Dr. Stödtncr, Berlin NW 7, L'niversitätsstraße 3 b. Die Preise
betragen für schwarze Bilder 0,85 bis 1,25 Mk., für kolorierte
Bilder 2 bis 3 Mk. — Nach dem Lumiere'schen Verfahren
hergestellte Projektionsbilder in natürlichen Farben gibt es
gleichfalls, doch wissen wir nicht, ob solche von den ge-
nannten Eirmen sclion geführt werden.
Herrn P. Seh in Wien. — Die eingesandte Flechte
(Südamerika, Smith-Kanal, an Bäumen, die auf sehr feuchtem
Boden stehen) ist nach freundlicher Bestimmung von Herrn
Prof. Dr. G. Lindau eine Sticta-.\rt aus der Gruppe
Stictina, und zwar Sticta endochrysa Del., offenbar
benannt nach dem goldgelben Inneren des Thallus.
H. Harms.
Herrn Prof. Seh. i)i Kr. — Bezüglich Rotfärbung
des Holzes durch Pilze ist außer P. Hennings (in Naturw.
Wochenschr. 1903, S. 62) noch folgende Literalurstelle von
Interesse, die gerade auch von Acer negundo handelt.
Sorauer (Pflanzcnkr. 2. Auli. II. (1886) 269) schreibt: „Von
der Rotfäule ist die Blut faule zu unterscheiden, welche
das Holz in größeren Streifen oder Flächen karminrot
oder blutrot erscheinen läßt. Eidam beobachtete die
Färbung an Ahorn und Buchenholz; das von Acer negundo
stammende Stück war massenhaft von farblosem Mycel durch-
zogen und zeigte Fruchtkörper von einem Polyporus."
Nach Sorauer dürfte der Färbungsprozeß auf eine durch
das farblose Mycel vcianlaßte chemisclie Zersetzung der Holz-
faser zurückzuführen sein ; in anderen Fällen ist es wahr-
scheinlich der Pilz selbst, der die Färbung veranlaßt. — Ge-
nauere Untersuchung ist nur an Ort und Stelle möglich.
Übrigens könnten wohl auch Bakterien die Rötung des Holzes
veranlaßt haben. H. Harms.
Inhalt: Dr. W. Detmer: Charles Darwin als Botaniker. — Kleinere Mitteilungen: Hans Otto: Die Beschuppung der
Reptilien. — Kolk witz u.Marsson: Ökologie der pflanzlichen Saprobien. — Dr. Rohland: Über das Verhalten von
suspendierten Stoffen im Kristalloid- und KoUoid/.ustand. — Vereinswesen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. —
Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Sammel-Referat. — Arnold Lang: Über die Bastarde von
Helix horlensis Müller und Helix nemoralis L. - .\ n t o n Ilandlirsch: Die fossilen Insekten und die Phylogenie
der rezenten Formen. — Maximilian Weber; Eintulnung in die Kristalloptik. — Die Weltumseglungsfahrten des
Kapitäns James Cook. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten.
Verantwortliclier Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofl-Lichterfelde-West b. Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena.
Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
Neue Folge VIII. BanJ;
der gan7en Keihe XXIV. Band.
Sonntag, den 28. Februar igog.
Nummer i).
Sammelreferate und Übersichten
über die Fortschritte in den einzelnen Disziplinen.
Neues aus der Philosophie. (Konformismus;
Pragmatismus. iVIythenbildung und Erkenntnis.)
Freiherr v. d. Pfordten behandelt in
seinen „Vorfragen der Naturphilosophie"
(verlegt von Carl Winters Universitätsbuchhand-
lung in Heidelberg 1907) eine Reihe wichtiger
Probleme. Die Erörterungen sind von hohem
Interesse und werden F"reunde erkenntnistheore-
tischer Fragen zum Nachdenken veranlassen.
Eine bedenkliche Erscheinung ist nach der
Ansicht des Verfassers ein Phänomenalismus,
dem das Wesen der Dinge unerkennbar ist, dem
alle Naturgesetze nur psychische Gesetze, näm-
lich Gesetze von Vorstellungsverläufen sind, dem
sich die Ergebnisse der Wissenschaft in ein
System der ,, Beziehungen zwischen Einbildungen"
zu verflüchtigen drohen, ein Phänomenalismus,
der in Skeptizismus, Relativismus und Psycholo-
gismus ausartet.
Demgegenüber müsse man feststellen, welchen
Erkenntniswert die einzelnen naturwissen-
schaftlichen Theorien besitzen und wie der sich
ergebende Erkenntnisstand am besten zu formu-
lieren ist. Besonders handele es sich um die
Frage, ob es eine erkennbare Außenwelt
gibt und wie die Art, in der sich ein Erkennen
derselben vollzieht, erklärbar ist.
Im Gegensatze zum Phänomenalismus sollte
die Erkenntnistheorie gerade auf die Erkenntnis
der Dinge oder, schärfer ausgedrückt, auf die Er-
kennbarkeit des „Dinges an sich" gerichtet sein.
Über das Wesen der Dinge glaubt der Ver-
fasser von der Chemie am ehesten Aufschlüsse
zu erhalten. Hier sind es vor allem die Tatsachen
der Synthese, die uns davon überzeugen, daß
die Atome und Moleküle nicht nur begriffliche
Bildungen sind, sondern daß sie vielmehr auf
Faktoren einer unabhängig von den menschlichen
Sinnen existierenden Außenwelt hinweisen.
Von phänomenalistischem Standpunkte aus
ist, wie dfer Verfasser meint, das Eintreffen eines
auf Grund von Strukturformeln erwarteten Er-
gebnisses der Synthese entweder jedesmal Zufall,
was dem Grundaxiom von der Gesetzmäßigkeit
des Geschehens zuwiderläuft, oder ein richtiges
Wunder.
Im Gegensatze zum Phänomenalismus müsse
demnach eine an sich bestehende Außenwelt an-
genommen werden, deren Wesen freilich nicht
ohne Einschränkung und Vorbehalt zu erkennen
sei. Aber soviel leuchte ein , daß die natur-
wissenschaftlichen Begriffe und Gesetze eine be-
stimmte Beziehung zu ihr haben, daß sie ihr
entsprechen, daß sie ihr ko n form sind. Der
Verfasser gibt seinem Standpunkte durch die Be-
zeichnung „Konformismus" einen scharfen
Ausdruck. Nach dem Grade von experimenteller
Richtigkeit, die die den Begriffen zugrunde liegenden
Aufstellungen besitzen, sind Konformitäten
verschiedener Ordnung zu unterscheiden.
Außer der Außenwelt, wie wir sie in ihrer
Mannigfaltigkeit sinnlich unmittelbar wahr-
nehmen, gibt es also noch diejenige Außenwelt,
die ohne Bezug auf uns und unsere Sinne
existiert. Jene, die eigentliche Realität, die
wir ohne weiteres besitzen, bedarf der Wissen-
schaft flicht; diese ist zwar Gegenstand der
Metaphysik, aber trotzdem vermögen wir durch
die Konformitäten, deren Ermittlung der Wissen-
schaft zukommt, eine sichere und bestimmte Ver-
bindung oder Annäherung zwischen dem Reiche
der wahrnehmbaren Dinge und dem Reiche der
,, Dinge an sich" herzustellen.
So einleuchtend auch die Ausführungen des
Verfassers sind, so dürfte sein Konformismus
nicht den Wert einer gesicherten Erkennt-
nis, sondern nur den Wert eines Glaubens
haben.
Zunächst drängt sich uns die oft gestellte
F"rage auf: Was ist das Wesen eines mir irgend-
wie gegebenen Dinges?
Zwei Antworten pflegt man zu erhalten.
Die eine lautet: Das Wesen eines Dinges ist
ein der qualitativen und quantitativen Bestimmung
unzugängliches X, das man als Voraussetzung des
„Phänomens" zu denken hat.
Die andere lautet : Das Wesen eines Dinges
ist eine gedankliche Bildung, die durch Abstrak-
tion aus den an dem Dinge wahrgenommenen
Tatsachen gewonnen wird und diejenigen Merk-
male ausdrückt, die dem betreffenden Objekte als
eigentümlich zukommen und ohne die es nicht
mehr als ,, dasselbe Ding" charakterisiert wäre.
Die Abstraktion beschränkt sich dabei vielfach
auf die sog. ,, primären Qualitäten", die der quan-
titativen Bestimmung besonders zugänglich sind.
Der Begriff des Wesens, wie er zuletzt be-
stimmt worden ist, hat durchaus wissenschaftlichen
Wert, er bedeutet eine ganz in der Erfahrung
wurzelnde Abstraktion.
Dagegen ist es im höchsten Grade bedenklich,
von irgendwelchen vorgefundenen oder vermuteten
Tatsachen zu behaupten, sie seien einem abso-
lutenWesen konform. „Der Begriff reiner, bloß
intelligibeler Gegenstände", sagt selbst Kant in
seiner Kritik der reinen Vernunft, „ist gänzlich
130
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VITT. Nr. 9
leer von allen Grundsätzen ihrer Anwendung, weil
man keine Art ersinnen kann, wie sie gegeben
werden sollten."
Der Begrifl" „Materie" umfaßt offenbar die-
jenigen sinnlich wahrnehmbaren Merkmale, die
allen uns bekannten „körperlichen Dingen'' eigen
sind. Nach V. d Pfordten soll nun dieser Begriff
eine Konformität erster Ordnung sein, d. h. er
soll mit voller Sicherheit einer ,,an und für sich
existierenden Materie" entsprechen. Wo liegt in
einer derartigen Annahme, die ein in der Er-
fahrung ruhendes Begriffliches mit einem prinzi-
piell unvergleichbaren Unbekannten vergleicht, der
Erkenntniswert? Wie sollen gar die Konformi-
täten eine sichere und bestimmte Verbindung
zwischen dem Reiche der Realität und dem Reiche
der „Dinge an sich" herstellen oder eine Annähe-
rung an dieses Reich bedeuten? Wenn der in-
haltsleere Begriff eines „absoluten Seins" in keiner
Weise bestimmte, das absolute Sein charakteri-
sierende Vorstellungen zu wecken vermag, so
fehlt damit auch jeder Maßstab, mit dem man
eine Annäherung des Denkens an das unbekannte
Wesen der Dinge zu bestimmen vermöchte.
Auch wir huldigen einem Konformismus, aber
nur einem solchen, der die Begriffe den vorgefun-
denen Tatsachen entsprechen läßt. Wenn wir
ebenso wie v. d. Pfordten einen idealistischen
Phänomenalismus verwerfen, der dadurch, daß er
alles Vorgefundene zu Psychischem stempelt, den
ohne den Gegenbegriff' des Physischen gebildeten
Begriff des Psychischen zu einem leeren Worte
erniedrigt, so erkennen wir doch einem metho-
dologischen Phänomenalismus Berechtigung
zu, einer Richtung, die nur solche Begriffe zuläßt,
die der Erfahrung oder doch einer möglichen Er-
fahrung konform sind. Ferner nehmen wir an —
praktisch tun es selbst die Solipsisten, ohne
sich freilich des Widerspruchs zu ihrem theore-
tischen Verhalten bewußt zu sein — , daß die
Dinge unabhängig von unserer Person existieren ;
sobald wir jedoch eben über die Dinge urteilen,
mögen wir sie nun selbst wahrgenommen haben
oder mögen uns die Mitmenschen von ihnen Kunde
gebracht haben oder mögen uns irgendwelche
Spuren auf sie hinweisen, dann denken wir sie
unserem phänomenalistischen Weltbilde einge-
reiht; allen Urteilen über prinzipiell unerfahrbare
„Dinge an sich" schreiben wir hingegen nicht den
geringsten Erkenntniswert zu.
Nach Freih. v. d. Pfordten soll uns die Chemie
davon überzeugen können, daß die Atome und
Moleküle Konformitäten zweiter Ordnung, ihre
räumliche Anordnung eine Konformität dritter
Ordnung sei.
In der Tat macht es das Gesetz der multiplen
Proportionen wahrscheinlich, daß die Materie
nichts Kontinuierliches ist, sondern aus diskreten
elementaren Teilen besteht; die cliemische Isomerie
drängt zur Vorstellung, daß für jede Substanz
sich die elementaren Teilchen in fester stereo-
metrischer Anordnung gruppieren. Der experi-
mentierende Forscher ist von der Existenz der
Atome und Moleküle um so mehr überzeugt, als
ihm die Theorie vom atomistischen Gefüge der
Materie nicht nur gestattet, bekannte Erscheinungen
abzuleiten, sondern auch neue Tat.sachen voraus-
zusehen. Dabei gewährt die Theorie ein außer-
ordentlich anschauliches Bild der Vorgänge,
namentlich derjenigen der chemischen Synthese.
Leisten die hypostasierten Atome und Mole-
küle dem Chemiker und Physiker treffliche Dienste,
so bereiten sie dem Erkenntnistheoretiker uner-
wartete Schwierigkeiten. Diese sämtlich hervor-
zuheben, würde uns zu weit führen; wir verweisen
daher auf die treffliche Kritik, die Stallo in
seinen von Kleinpeter übersetzten „Begriffen
und Theorien der modernen Physik" ge-
geben hat und die auch jetzt noch kaum an
Wert eingebüßt hat. Ist es unmöglich, sich eine
einwandfreie Anschauung von den Atomen der
älteren Physik und Chemie zu bilden , die als
äußerst kleine, absolut harte, durch leere Zwischen-
räume getrennte, in bestimmter räumlicher Ord-
nung zu Molekülen sich gruppierende, mit dem
Parameter der Masse behaftete Körperchen galten,
so erscheinen uns nicht minder rätselhaft diejenigen
der modernen Wissenschaft, die gewissermaßen
Sonnensysteme sind, in denen um den von einem
positiven Jon gebildeten Zentralkörper zahllose
Elektronen kreisen.
Sehen wir also in der Atomistik mehr als eine
aus den Tatsachen erwachsene gedankliche Kon-
struktion, so geraten wir in eine unleidliche Lage,
aus der wir uns nicht zu befreien wissen. Wer
will es daher einem kritischen Geiste verargen,
wenn er die Lehre von den Atomen und Mole-
külen zwar als eine höchst fruchtbare
Hypothese ansieht, vor einer Hypostasie-
rung aber zurückschreckt? Wie will man über-
haupt eine Hypostasierung logisch rechtfertigen ?
Doch wäre es ebenso verwegen, wollten wir
die metaphysische Behauptung der absoluten
Kontinuität der Materie aufstellen. Auch Stallo
erklärt: „Welches die wirkliche Beschaffenheit
besonderer Körper ist, ist eine Frage, die in jedem
einzelnen Falle durch Experiment und Beobach-
tung zu entscheiden ist. Es gibt ohne Zweifel
eine große Klasse von Körpern, die eine mole-
kulare Konstitution besitzen." Poincare hat in
einem seiner zuletzt erschienenen Werke, „die
moderne Physik" (übertragen von Dr. M.
Brahm und Dr. B. Brahm, verlegt 1908 bei
Quelle und Meyer in Leipzig) eine Reihe von
Tatsachen angefüiirt, die mit Sicherheit auf eine
Diskontinuität der Materie hinweisen. In gemein-
verständlicher Weise zeigt auch G. Mie in seinem
bei Teubner erschienenen Büchlein über „Mole-
küle, Atome und Weltäther", daß die
Materie eine körnige Struktur hat. Bei den außer-
ordentlichen F'ortschritten der modernen Physik
dürfen wir noch bedeutsame Aufklärungen er-
warten.
Immerhin ist es gut, mit größter Vorsicht
N. F. VIII. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
t3i
über die Struktur der Materie zu urteilen. Man
denke immer daran, daß unser Denken von Haus
aus zu einer atomistischen Auffassung hinneigt,
selbst in der Geometrie und Phoronomie, wo ge-
rade die Kontinuität eine besondere Rolle spielt.
Schon die Geometer des Altertums ge-
langten zu wichtigen Eigenschaften des Kreises
dadurch, daß sie ihn als Polygon mit außerordent-
lich vielen und kleinen Seiten auffaßten. Diffe-
rential- und Integralrechnung sind eben-
falls Beispiele für unsere Ansicht. Noch inter-
essanter ist Krön ecke r 's Versuch, die gesamte
Mathematik zu arithmetisieren, auf den Begriff
der ganzen Zahl zu gründen. Die Mechanik
sieht aus rein formalen Gründen im festen Körper
ein System materieller Punkte, die mit physi-
kalischen Gebilden nicht das Geringste zu tun
haben. (Siehe darüber TheodorKörner„Der
Begriff des materiellen Punktes in der
Mechanik des 18. Jahrhunderts" in der Biblio-
theca mathematica, 3. Folge, 5. Bandl) Zur Er-
reichung von Erkenntnissen bedarf es, wie Stallo
sagt, „einer Reihe logischer Fiktionen, die bei den
Operationen des Denkens ebenso berechtigt wie
unvermeidlich sind, deren Beziehungen zu den
Erscheinungen, von denen sie nur eine teilweise
und nicht selten bloß symbolische Darstellung
bilden, nie aus den Augen gelassen werden dürfen."
Wer will einen unwiderlegbaren Beweis dafür
bringen, daß das Verfahren des Chemikers, die
Gewichtsverhältnisse, in denen sich die Substanzen
verbinden, zu Atomen von bestimmten Gewichten
und zu Atomgruppen in Beziehung zu bringen,
mehr als eine Fiktion sei?
Nun meint freilich v. d. Pfordten, daß die
chemische Synthese doch einen zwingenden Be-
weis für die Existenz der Atome liefere. Wer
die Tatsachen der Synthese phänomenalistisch er-
klären wolle, müsse das Eintreffen der Syn-
these jedesmal als Zufall auffassen, was dem
Grundaxiom von der Gesetzmäßigkeit des Ge-
schehens zuwiderlaufe, oder gar als ein echtes
Wunder.
Hierzu ist folgendes zu bemerken : ,, Zufall ist",
wie Windelband sagt, „in allen Fällen ein
Prinzip unserer Betrachtung, nicht ein Prinzip des
Geschehens." Das Kriterium, ob ein Ereignis zu-
fällig ist oder nicht, hat also lediglich subjek-
tiven Wert. Wir verlangen geradezu von der
Natur, daß, wenn sie überhaupt ein Gegenstand
unseres Denkens sein soll , sich die Vorgänge
unter gleichen Umständen wiederholen, daß die
Natur also gesetzmäßigen Charakter habe. Wenn
wir auch nicht begründen können, weshalb die
Natur unserem Verlangen nachkommt, so pflegen
wir doch im Eintreffen erwarteter Ereignisse
nichts Zufälliges oder Wunderbares, sondern im
Gegenteil das Selbstverständlichste von der Welt
zu sehen. Nur wenn wir uns auf den Standpunkt
derjenigen Philosophen stellen, die alles das für
zufällig halten, was sich aus den formalen Be-
stimmungen des Intellekts nicht ableiten läßt,
müssen wir anders urteilen; dann aber gäben wir
dem Begriffe Zufall einen Umfang, der ihm von
Haus aus keineswegs zukommt. Auch darin sehen
wir weder etwas Zufälliges oder Wunderbares,
daß sich Gruppen von Tatsachen in mathema-
tischer Form beschreiben lassen. Wenn sich
die Vorgänge der chemischen Synthese nach
einem festen Schema vollziehen, so hat dieses
gleichfalls den Wert einer Gleichung. Wenn ein
solches Schema nun auch durch eine Beziehung
zwischen räumlichen Modellen ersetzt werden kann,
so ist damit noch keineswegs gesagt, daß es
nicht auch eine andere Symbolisierung zuläßt.
Ich erinnere nur an die merkwürdigen von Max-
well beachteten physikalischen Analogien.
Eine Nötigung also, das Eintreffen einer erwarteten
chemischen Reaktion als Zufall oder Wunder zu
betrachten, liegt nicht vor. Freilich soll nicht
verhehlt werden, daß, wenn wir uns in Tatsachen
grübelnd vertiefen, wir oft in eine Stimmung
geraten, wie wir sie wunderbaren Ereignissen
gegenüber haben könnten. Mancher, dem die
Vorgänge des Stoßes vertraut und selbstverständ-
lich sind, bemüht sich vergeblich, die Erschei-
nungen der Fernwirkung auf jene zurückzuführen.
Die der Fernwirkung zugeschriebenen Tatsachen
werden ihm dann leicht als etwas abseits Stehen-
des, als etwas Rätselhaftes, ja als etwas Zufälliges
oder gar Wunderbares charakterisiert sein. Der
in der Potentialtheorie bewanderte Mathematiker
wird anderseits den Vorgängen des Stoßes gegen-
über in eine ähnliche Lage geraten können. Ganz
besonders aber werden demj en i ge n Zufall und
Wunder entgegentreten, der um jeden Preis die
Tatsachen auf letzte Prinzipien zurückführen
will, und zwar wird das jedesmal da geschehen,
wo die Erklärungsversuche die vorgefundenen
Schranken überspringen und zur Schöpfung von
Kräften, Fähigkeiten, Entelechien führen. Wer
solchen, der wissenschaftlichen Forschung nach-
teiligen Stimmungen entgehen will, dem bleibt
nichts anderes übrig als die Tatsachen im Sinne
von Kirch hoff und Mach zu beschreiben.
„Wie könnten wir auch erklären!" sagt Nietz-
sche in seiner „fröhlichen Wissenschaft". „Wir
operieren mit lauter Dingen", die es nicht gibt,
mit Linien, Flächen, Körpern, Atomen, teilbaren
Zeiten, teilbaren Räumen — , wie soll Erklärung
auch möglich sein, wenn wir alles erst zum Bilde
machen, zu unserem Bilde! Es ist genug, die
Wissenschaft als möglichst getreue Anmensch-
lichung der Dinge zu betrachten, wir lernen
immer genauer uns selber beschreiben, indem wir
die Dinge und ihr Nacheinander beschreiben."
Wenn wir also auch noch so überzeugt sein
mögen , daß die wunderbare Ordnung in der
Chemie „nicht nur ein rein künstliches System,"
sondern der „Reflex einer realen Ordnung" sei,
so fehlt uns doch jedes Mittel, unsere Überzeugung
zu einer Erkenntnis zu erheben.
Wir überspringen die auf die Theorie des
Konformismus folgenden Kapitel, die neben An-
132
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 9
fechtbarem eine Reihe trefflicher Gedanken ent-
halten, um uns noch mit dem Abschnitte über
„die Philosophie der Empfindung zu be-
schäftigen.
Zuvor wendet sich Freih. v. d. Pferd ten
gegen dieOstwald'sche Energetik. Seinen
Ausführungen dürfte man in den meisten Punkten
zustimmen können. Wohl aber müssen sich Be-
denken erheben, wenn er die Philosophie des all-
bekannten Physikers und Psychologen Ernst
Mach gewissermaßen als Modifikation der
Ostwald'schen Energetik betrachtet.
Es ist nicht richtig, daß Mach die gegebene
Welt in letzte psychologische Elemente auf-
lösen will. Zu einer solchen Auffassung gibt
lediglich der Umstand Anlaß, daß er die zurzeit
letzten Elemente des Vorgefundenen als „Emp-
findungen" bezeichnet.')
Mach stellt sich zunächst auf den Standpunkt
eines objektiven Beobachters und Berichterstatters,
dem es nur darauf ankommt, Tatsächliches fest-
zustellen und aufzuzeichnen, nicht aber, darüber
zu urteilen. Er geht von derjenigen Welt-
ansicht aus, die man bei vollem Bewußtsein fertig
vor sich findet, und zu deren Bildung man ab-
sichtlich nichts beigetragen hat. Er findet sich
von mannigfaltigen, beweglichen Körpern um-
geben, von Körpern, die teils „leblos" sind, teils
Pflanzen, Tiere und Menschen ; außerdem unter-
scheidet er den eigenen Leib, der in optischer,
haptischer, akustischer und anderer Hinsicht von
den Leibern der Mitmenschen abweicht, der durch
eigentümliche, vielfach sich abstufende Empfin-
dungen, Gefühle, Stimmungen, Willensregungen
eigenartig bereichert erscheint.
Eine weitere Analyse, durch die sich der Be-
obachter freilich vom „naiven Realismus" — im
Sinne v. d. Pfordten's — schon wesentlich
entfernt, entdeckt an jenen Inhalten eine Reihe
von Merkmalen, z. B. Farben, Töne, Drucke,
Wärmen, Düfte, Räume, Zeiten usw., die zur-
zeit als ursprüngliche, als letzte gelten können,
gewissermaßen als Elemente. Diese Elemente
sind zwar durch Abstraktion gefunden, da sie
niemals isoliert vorkommen, aber sie treten doch
stets in mannigfachen Komplexen wirklich auf;
sie sind auch durchaus nicht letzte Einheiten in
absolutem Sinne, sondern nur Einheiten von
relativer, provisorischer Gültigkeit. So
wäre es durchaus nicht unmöglich, daß mit einer
weiteren Entwicklung unserer Sinneswerkzeuge
oder gar mit der Ausbildung neuer Sinneswerk-
zeuge die Zahl derTatsächlichkeitselemente wachse.
Mach bezeichnet nun jene Elemente als „Emp-
findungen". Auf Seite 8 der bedeutsamen
Schrift über „Erkenntnis und Irrtum"
(verlegt bei J. A. Barth, Leipzig, 1905) sagt er:
„Diese Elemente zeigen sich sowohl von außer-
') Es darf freilich nicht unerwähnt bleiben, daß erst
Mach's letzte Schrift „Erkenntnis und Irrtum" volle
Klarheit über den Empfindungsbegriff gibt.
halb U" (wo U die Umgrenzung des Leibes be-
deuten soll) „als von innerhalb U liegenden Um-
ständen abhängig. Insofern und nur insofern
letzteres der Fall ist, nennen wir diese Elemente
auch Empfindungen." Nur deshalb also, weil die
Elemente im Akte des Vorgefundenwerdens Ob-
jekte der psychologischen Betrach-
tungsweise zu sein pflegen, sind sie als
Empfindungen bezeichnet worden.
Soweit nun die Elemente in Relation zum
Vorfindenden stehen, werden sie als psychische
bezeichnet; sofern sie, unabhängig vom Vorfinden-
den, unter sich selbst Beziehungen bilden, als
physische. Für Mach kann ein und dasselbe
Element, je nach der Beziehung, in der es auf-
tritt, bald als physisch, bald als psychisch
charakterisiert sein. Das Physische und Psychische
enthalten also gemeinsame Elemente, sie stehen
somit ,, keineswegs in dem gemeinhin ange-
nommenen" schroffen Gegensatze. ,,Das wird
noch klarer, wenn sich zeigen läßt, daß Erinne-
rungen, Vorstellungen, Gefühle, Willen, Begriffe
sich aus zurückgelassenen Spuren von Empfin-
dungen aufbauen, mit letzteren also keineswegs
unvergleichbar sind."
Hätte Mach scharf hervorgehoben, daß in
der oben entwickelten Weltansicht des ,, naiven
Realismus" die Dinge mit ihren Eigenschaften
weder als physisch noch als psychisch charak-
terisiert sind, sondern es erst dann werden, wenn
man analysiert und die Beziehungen des Vor-
gefundenen ins Auge faßt, so hätte er manches
Mißverständnis vermeidlich machen können ; es
wäre das um so wichtiger gewesen, als schon der
nicht sehr glücklich gewählte Name „Empfindung"
meist unrichtig gedeutet worden ist. Das Vor-
gefundene ist also zunächst weder als physisch
noch als psychisch zu kennzeichnen ; es geschieht
erst dann, wenn der Vorfindende einen festen
methodologischen Standpunkt einnimmt, wenn er
auf die Verknüpfung der Elemente unter sich
oder auf die Verknüpfung der Elemente mit dem
Ichbezeichneten seine Aufmerksamkeit lenkt.
Wenn auch Mach vom Idealismus aus zu
seinen Anschauungen gekommen sein mag, so ist
er doch nichts weniger als Idealist. Man darf
ihn weder als Monisten im Sinne Ostwald's
noch als Monisten im Sinne Verworn's be-
zeichnen. Für ihn ist die Welt weder ein rein
Physisches noch ein rein Psychisches, weder ein
Materielles oder Energetisches noch ein rein im
Bewußtsein Existierendes. Niemand unterscheidet
so bestimmt wie er zwischen Physischem und
Psychischem. Mach ist höchstens im methodo-
logischen Sinne Monist. Derjenige ist im
strengen Sinne Monist, dem die Welt nicht
lediglich ein Summenbegriff ist, eine in infinitum
vermehrbare Zahl vorgefundener und vorfindbarer
Inhalte, sondern der auf die Frage: Was ist das
All ? was ist die Gesamtheit des Gegebenen .' ein
einziges, das Ganze charakterisierendes Merk-
mal zu geben pflegt.
N. F. VIII. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
133
Ostwald weicht trotz seiner Verehrung
Mach 's in erkenntnistheoretischer Beziehung ganz
entschieden von ihm ab. Obwohl Ostwald
antimetaphysischc Bestrebungen hat, so vermag
ersieh doch nicht vom metaphysischen Substanz-
begriffe zu befreien. Dagegen steht er durch seinen
ausgesprochenen Relativismus . besonders auch
durch die , .pragmatische" Auffassung vom Denken
(im Sinne des amerikanischen Philosophen James)
Mach wieder seiir nahe.
Mach ist weit entfernt davon, die ,, Empfin-
dungen" zu einem Erkenntnisprinzip zu
machen. Seine Empfindungen sind die durch die
Analyse vorgefundenen Elemente der Tatsächlich-
keit. Er will mit ihnen durchaus nichts erklären,
er legt seinen Elementen keine Eigenscliaften und
Vermögen ein, um das Geschehen begreifbar zu
machen. Seine Elemente sind nicht Weltelemente
im Sinne der metaphysischen Schulen, sie sind
zu jeder Erklärung durchaus unbrauch-
bar. Sie sind nichts anderes als die relativ
einfachsten Begriffe, die zurzeit in eine Be-
schreibung des Tatsächlichen eingehen können.
Es heißt daher Mach's Standpunkt verkennen,
wenn man von ihm verlangt, er solle durch seine
,, Weltelemente" das Ich, das Gedächtnis, die
Assoziation erklären.
Man kann nicht sagen, Mach leugne das „Ich",
er leugnet es nur als eine Substanz, sei es als
geistige Substanz sei es als transzendentales oder
erkenntnistheoretisches Ich, er erkennt das Ich
lediglich als praktische Einheit von freilich
recht hoher Wichtigkeit an. Mach hat es
auch nicht nötig ,,zu erläutern, wie es ein Bündel
von Empfindungen fertig bringt, in einem Gehirn
die Illusion eines denkenden Ich zu erzeugen,
und weshalb gerade eine Empfindung.=gruppe
auf die seltsame Idee kommt, alle anderen Emp-
findungen erkennen zu wollen;" denn er verzichtet
ja prinzipiell auf Erklärungsversuche, er er-
blickt die Aufgabe der Wissenschaft einzig darin,
die Welt des Tatsächlichen zu beschreiben,
besonders die funktionalen Beziehungen zwischen
den Elementen festzustellen, mögen die letzteren
nun ein Ich (im Mach'schen Sinne) oder dessen
Umgebung zusammensetzen.
Aucii Mach würde ebensowenig wie Freili.
V. d. Pfordten in dem direkt gegebenen realisti-
schen Weltbilde Energie oder Empfindungen ent-
decken wollen; auch dürfte er schwerlich da-
gegen etwas einzuwenden haben, daß die Analy-
sierung der Eindrücke zunächst den Dingbe-
griff vorbereite. Nur ist ihm das Ding etwas
weiter noch zu analysierendes, ein Komplex aus
noch einfacheren Elementen. Und gerade diese
Elemente sollen ihm als ABC der Beschreibung
wichtiger physikalischer und psychologischer Tat-
sachen dienen. Da seine ,, Empfindungen" nur
einem methodologischen Zwecke dienen , nicht
aber einer Erklärung der Erscheinungen, so
haben sie auch keine Spur von Metaphysischem
an sicii.
Freih. V. d. Pfordten wirft unserem Physiker
Rückfälle in den Materialismus und den extremen
Realismus vor, weil er auch den „Elementar-
organismen" Gedächtnis zuschreibe und die Asso-
ziation chemisch zu begreifen hoffe. Mach, der
entschiedener Anhänger des psychophysi-
schen Parallelismus ist, meint aber nichts
anderes, als daß denjenigen nervenphysiologischen,
also rein physischen Vorgängen, von denen man
Gedächtnis und Assoziation funktional abhängig
zu denken hat, auch analoge Vorgänge im Reiche
der Elementarorganismen und im Reiche des Un-
organisierten entsprechen dürften, Vorgänge, denen
eine psychische Seite durchaus nicht zuzukommen
braucht.
Es würde uns zu weit führen, auch noch den
zweiten Teil der „Vorfragen der Naturphilosophie"
zu besprechen. Von den interessierenden Ab-
schnitten desselben dürften besonders die über
die „Causae fiendi" und über das „Problem der
Form" zur Diskussion herausfordern.
Im Konformismus haben wir eine Rich-
tung kennen gelernt, die sich dem nie völlig ge-
fundenen Letzten, „das der Realität der Einzel-
erscheinungen zugrunde liegt," in bestimmten Be-
griffen, den Konformitäten, stufenweise nähern will.
Der Konformismus versucht eine Brücke zu
schlagen zwischen der Welt der gegebenen Tat-
sachen und der jenseits der Erfahrung liegenden
„Welt an sich". Er stellt somit eine Vermittlung
zwischen Empirismus und Rationalismus dar.
Eine Vermittlung zwischen Empirismus und
Rationalismus wird auch von einer anderen neuen
Richtung angestrebt, vom Pragmatismus. Frei-
lich ist hier die Vermittlung von derjenigen des
Konformismus wesentlich verschieden. Der stark
positivistisclie Pragmatismus verwirft
jede Hypostasierung und hat durcliaus kein Ver-
langen, das ,, Wesen der Dinge" zu ermitteln, er
legt nur auf diejenigen Bcgrifte und Tiieorien
Gewicht, die in enger Beziehung zum Leben
des Menschen stehen; aber er möchte auch
nicht auf gewisse, gerade dem Rationalismus
eigentümliche Werte verzichten, namentlich nicht
auf dessen Optimismus und religiöse Stimmung.
William James, Professor an der ameri-
kanischen Harvard-Universität in Cam-
bridge bei Boston, ist in Deutschland nicht
unbekannt. Seine unter dem Titel „der Wille
zum Glauben" bei Frommann in Stuttgart
herausgegebenen, von Dr. Tli. Loren z übersetzten
popularphilosophischen Abhandlungen haben
einigermaßen Verbreitung gefunden; noch größeres
Ansehen genießt er in Gelehrtenkreisen durch
sein vortreffliches, leider noch nicht übersetztes
Werk über Psychologie. Mit einer glücklichen,
herzerfrischenden Mischung von Ernst und Humor,
aber ohne die Oberflächlichkeit eines schönreden-
den P^uilletonismus, in jener frischen Weise, wie
sie amerikanischen Schriften häufig eigen ist, mit
ungewöhnlichem Geschick, die Gedanken klar
auszudrücken, hat James in den Jahren 1906 und
134
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 9
1907 an der Harvard - Universität vor einer
größeren Zuhörerschaft eine Reihe von Vor-
lesungen gehalten und nachher unter dem Titel
„der Pragmatismus, ein neuer Name für
alte Denkmethoden" veröffentlicht. VV.
Jerusalem, der unabhängig von James zu ähn-
lichen Ansichten gekommen ist, hat uns eine
treffliche, bei Dr. W. Klinkhardt in Leipzig
erschienene Übersetzung gegeben.
Die merkwürdige Bezeichnung „Pragmatis-
mus" mag uns an den „historischen Pragmatis-
mus" denken lassen, an diejenige historische Dar-
stellungsweise, die den Zusammenhang der Hand-
lungen ins Auge faßt, die die Begebenheiten nach
ihrer ursächlichen Verknüpfung entwickelt.') Je-
doch hat Charles Pierce, der das Wort im
Januarheft der ,, Populär Science Monthly" vom
Jahre 1878 („Wie wir unsere Ideen klar machen
können") geprägt hat, nichts anderes ausdrücken
wollen, als daß unsere Überzeugungen Regeln für
unser Handeln sind, und daß wir, um den Sinn
eines Gedankens herauszubekommen, nichts an-
deres tun müssen, als die Handlungsweise be-
stimmen, die dieser Gedanke hervorzurufen ge-
eignet ist. Wollen wir in unsere Gedanken über
einen (legenstand vollkommene Klarheit bringen,
so müssen wir erwägen, welche praktische
Wirkungen dieser Gegenstand in sich
enthält, was für Wahrnehmungen wir
zu erwarten und was für Reaktionen
wir vorzubereiten haben.
Unwillkürlich erinnert uns das an Mach, für
den der Begriff ,, Natrium" nichts anderes ist als
ein Wort, das eine Reihe von sinnlichen Merk-
malen ins Bewußtsein ruft, die sich auf bestimmte
manuelle, instrumentale, technische Operationen
einstellen; für den der Begriff keine fertige
Vorstellung ist, sondern eine „Anweisung, eine
vorliegende Vorstellung auf gewisse Eigenschaften
zu prüfen oder eine Vorstellung von bestimmten
Eigenschaften herzustellen."
Die Bezeichnung ,, Pragmatismus" ward jedoch
erst allgemeiner bekannt, als James das Prinzip
des Pragmatismus im Jahre 1898 auf die Religion
anwandte.
Der Pragmatismus ist, wie schon jetzt zu er-
kennen, keine neue Philosophie, sondern lediglich
eine alte, aber auf neuere Probleme intensiv an-
gewandte Methode. Er findet sich schon bei
Sokrates und Aristoteles, weit ausge-
sprochener bei Locke, Berkeley und H u m e.
Er ist besonders der empiristischen Richtung
eigen ; er ist die Methode des Naturwissenschaft-
lers, besonders die des Physikers, dem nur die-
jenigen Begriffe von Wert sind, die zur „über
sichtlichen, einheitlichen, widerspruchslosen und
mühelosen Erfassung der Tatsachen" führen. Der
Pragmatismus wendet sich weg von allen Pro-
') K. Dreycr gebraucht in seinen ,, .Studien zu Methoden-
lehre und Erkenntniskritik" das Wort „praj;niatisch" ziemlich
oft, und zwar im Sinne von „verbindend", „ursächlich" u. dgl.
blemen, die es mit dem ,, Denken an sich" zu tun
haben, weg von allen Problemen, die einer Veri-
fizierung nicht zugänglich sind. Da der Prag-
matismus keine neue erkenntnistheoretische Rich-
tung ist, so hat er mit alten philosophischen
Richtungen manches gemeinsam. ,,So stimmt er
mit dem Nominalismus darin überein, daß er sich
überall an das Einzelne hält, mit dem Utilitaris-
mus, daß er überall den praktischen Standpunkt
betont, mit dem Positivismus in der Verachtung,
die er den bloß sprachlichen Problemlösungen,
überflüssigen Fragestellungen und metaphysischen
Abstiaktionen entgegenbringt."
Die Philosophie hat vom Pragmatismus meist
nur fragmentarischen Gebrauch gemacht; erst
Charles Pierce, William James, John
Dewey und F. C. S.Schiller haben die prag-
matische Methode konsequent und eingehend
geübt. Der in Oxford lehrende Schiller hat
eine pragmatische Wahrheitstheorie
unter der Bezeichnung „Humanismus" aufge-
stellt Italien h.it in Pa p i n i seinen Pragmatisten.
In Deutschland stehen jener Richtung nahe Mach,
Ost wald, G. Simmel, Eucken, Jerusalem.
Die pragmatische Methode ist von hervor-
ragendem Werte, um philosophische Streitigkeiten
zu schlichten. Als Beispiel stellen wir folgende
Frage zur Diskussion: ,,lst es notwendig eine
geistige Substanz anzunehmen?" Locke stellt
hierauf die Gegenfrage: ,, Angenommen, Gott
nähme das Bewußtsein weg; würde uns da das
Seelenprinzip etwas nützen ? Nehmen wir an, er
knüpfe dasselbe Bewußtsein an verschiedene
Seelen ; würden wir dabei etwas verlieren ?"
Offenbar nicht. Somit ist durch die Annahme
einer geistigen Substanz zum Verständnis der
persönlichen Identität nichts gewonnen, diese be-
steht allein in pragmatisch verifizierbaren Tat-
sachen. Das Problem der geistigen Substanz fällt
damit.
Auch das Problem, ob Materialismus, ob
Spiritualismus, wird durch die pragmatische
Methode leicht erledigt. Je nachdem der Ma-
terialismus seine „Materie" mit genügend viel
„Kräften" und ., Vermögen" ausstattet, gelangt er
ganz zu denselben Schlüssen wie der Spiritualis-
mus, der seinem geistigen Prinzip ausreichende
„Fähigkeiten" und ,,Entelechien" einlegt. Der
Streit, ob Stoff, ob Geist, ist also durchaus un-
fruchtbar, das Problem selbst kein Gegenstand
wissenschaftlicher Forschung.
Ahnlich steht es mit dem so oft diskutierten
Probleme, ob die Welt lediglich Bewußtseinsinhalt
ist, oder ob sie, wenn sie auch in Beziehung zu
einem Bewußtsein stehe, doch unabhängig davon
existiere. Audi hier leisten beide Auffassungen
ebensoviel und ebensowenig, beide sind gleich
wertlos.
Der Pragmatismus schafft so durch Ausschei-
dung unfruchtbarer Diskussionen den Boden für
eine positivistische Betrachtung der Dinge,
für eine Richtung, der es wesentlich darauf an-
N. F. VIII. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
135
kommt, Tatsächliclikeiten genau festzustellen und
vorurteilslos auf/.u/cichnen, er führt zu einer leb-
haften Schätzuni:; aller auf die Krlialtung des
Individuums und der Gesellschaft sich beziehenden
I'"aktoren, er fördert diejenigen Probleme, die es
mit einer positiven Weiterentwicklung der Mensch-
heit zu tun haben, er blickt mehr in die Zukunft
als in die Vergangenheit. Aber er verkennt auch
nicht die Anschauungen der Vergangenheit. Er
ist sich klar, daß auch die animistischen Auf-
fassungen des primitiven Menschen, die religiösen
Überzeugungen eines Mönches aus dem Mittel-
alter, die metaphysischen Hirngespinste eines
Philosophen biologische Erscheinungen sind, die
ihren außerordentlichen Wert haben; er weiß, daß
diese Auffassungen nicht ohne weiteres durch
neue ersetzt werden können, es sei denn, daß der
Träger derselben entwicklungsfähig genug ist.
Er schätzt die Begriffe des ,, gesunden Menschen-
verstandes", auch wenn sie einer sorgfältigen
Kritik nicht standhalten.
James sucht seine Methode sogar auf religiöse
Probleme anzuwenden, so auf das Problem der
Erlösung. Weit entfernt, an eine tatsächliche
Weltbcfreiung, an eine vollständige Erlösung, zu
glauben, an eine Welt des Absoluten mit Wunsch-
kappen, in der jedes Verlangen augenblicklich er-
füllt wird, ,,ohne daß umgebende oder dazwischen-
tretende Mächte berücksichtigt oder versöhnt
werden müßten," will er nur das zum Ausdruck
bringen, daß tatsächlich Bedingungen einer Besser-
gestaltung der Welt gegeben sind. Als Pragmatist
genügt es ihm, ,,eine Welt hinzunehmen, aus der
der Ernst des Lebens nicht zu verbannen ist";
„er ist entschlossen, auf Grund ungesicherter
Möglichkeiten zu leben, zu denen er Vertrauen
hat; er ist bereit, für die Verwirklichung der
Ideale, die er sich bildet, wenn es not tut, mit
seinem Leben zu zahlen'.
Solange James nichts anderes behauptet, als
daß das Geschehen eine eigenartige Form zeigt,
nämlich eine Richtung hat, die in Zukunft sowohl
dem einzelnen Menschen als den höheren und
höchsten menschlichen Verbänden günstigere Er-
haltungsbcdingungen verspricht, kann man wohl
mit ihm übereinstimmen. So hat auch Pctzoldt
in seiner Einführung in die Philosophie
der reinen Erfahrung (verlegt bei B. G.
Teubner in Leipzig, 1900 und 1904) gezeigt,
wie das zuerst von Fechner in seinen
,,Tdeen zur Schöpfungs- und Entwick-
lungsgeschichte der Organismen" (verlegt
bei Breitkopf & Härtel in Leipzig, 1873) aufge-
stellte ,,Prinzip der Tendenz zur Stabili-
tät", dessen allgemeine Gültigkeit außer Frage
steht, bedeutungsvolle Ausblicke in die Zukunft
gewährt und nicht nur vielversprechende Schlüsse
auf ein dereinstiges theoretisches, sondern auch
auf ein dereinstiges praktisches und ästhetisches
Verhalten ziehen läßt. So hat Matzat, der vor
kurzem einer fruchtbaren wissenschaftlichen Tätig-
keit durch den Tod entzogen worden ist , in
seinem geistvollen Werke über die „Philosophie
der Anpassung mit besonderer Berücksichtigung
des Rechtes und des Staates" (verlegt bei G.
Fischer in Jena, 1903) gezeigt, daß das von Hertz
in seiner berühmten Mechanik aufgestellte Grund-
gesetz auch das Grundprinzip aller ,, fortschreiten-
den' Entwicklung ist, im besonderen der-
jenigen Entwicklung, die in der innerpolitischen
Geschichte sich als Abnahme der Vererbung,
Zunahme der Anpassung und Verschär-
fung der Auslese zu erkennen gibt. Sobald
aber James trotz seiner starken Abneigung vor
dem Absoluten glaubt, ,,daß es höhere Mächte
gibt und daß sie am Werke sind, die Welt in
derjenigen idealen Richtung zu erlösen, die un-
seren Idealen entspricht," steht er nicht mehr mit
beiden Füßen auf dem Boden der Tatsächlichkeit.
Hier wird der Pragmatismus dem Positivismus
untreu und gibt .'^nlaß zur Befürchtung, daß er
auch metaphysische P^aktoren in solche Probleme
hineintrage, die einer völligen oder doch ange-
näherten Lösung von Haus aus fähig sind.
Wenn auch der Pragmatismus ein sehr be-
quemes Mittel ist, Streitigkeiten zu schlichten,
unfruchtbare Scheinprobleme auszumerzen, so
bleibt doch immer noch die Gefahr, daß gelegent-
lich auch solche Probleme ausgeschieden werden,
deren Fruchtbarkeit zurzeit noch nicht oder
noch nicht genügend einleuchtet.
Ferner gibt die Ausschaltung eines wirklich
unfruchtbaren Problems noch keine Gewähr, daß
das Problem nicht doch immer wieder von neuem
auflebe. Die pragmatische Methode ist daher so
zu verfeinern, daß diese Gefahr möglichst einge-
schränkt wird. Sie darf vor allen Dingen — um
die mit der Problemlösung funktional verknüpften
zentralnervösen Vorgänge ins Auge zu fassen —
nicht diejenigen nervenphysiologischen Prozesse
höher werten, die unmittelbar zur Auslösung von
Orientierungsbewegungen, manuellen, instrumen-
talen Tätigkeiten u. dgl. führen, als diejenigen,
die überhaupt nicht „ektosystematisch" auslaufen.
Der Pragmatismus darf nicht dahin führen, daß
er fruchtbare logische Erörterungen in den Hinter-
grund drängt. Nehmen wir etwa an, es handle
sich um das Problem der Quadratur des Kreises.
Eine voreilige pragmatische Methode hätte zu
einer Zeit, wo noch keine Entscheidung über
dessen Lösbarkeit oder LJnlösbarkeit vorlag, auf
die Unfruchtbarkeit der Lösungsversuche hinge-
wiesen und das Problem ausgeschaltet: und doch
handelte es sich um ein solches, das auf mathe-
matischem, also streng logischem Wege auf ewige
Zeit zu F"all gebracht werden konnte. Ein ober-
flächlicher Pragmatismus dürfte das Problem, ob
alles Vorgefundene rein psychisch oder rein
physisch sei, deshalb ablehnen, weil die aus beiden
Ansichten gezogenen P'olgerungen durchaus gleich-
wertig sind; ein tieferer Pragmatismus wird in
weit erfolgreicherer Weise das Problem dadurch
beseitigen, daß er auf die Sinnlosigkeit eines
136
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 9
ohne Gegenbegriff aufgestellten Begriffes auf-
merksam macht.
Wir glauben indes, daß ein mit Vorsicht
geübter Pragmatismus'.wohl imstande sein dürfte,
allen Anforderungen der Wissenschaft
und des praktischen Lebens gerecht zu
w e r d^e n.
Kehren wir wieder zu unserem Buche zurück!
Von hervorragendem Werte scheinen mir die-
jenigen Abschnitte zu sein, die vom Wahrheits-
begriffe des Pragmatismus und von
Pragmatismus und Humanismus handeln.
Wahrheit ist nach der üblichen Begriffs-
bestimmung eine Eigenschaft gewisser _yor-
stellungen. Wahrheit bedeutet soviel wie „Über-
einstimmung mit der Wirklichkeit".
Sobald die PVage aufgeworfen wird, was „Über-
einstimmung'' und was „Wirklichkeit" bedeute,
beginnt der Streit.
Nach der Auffassung der Intellektualisten ist
die Wahrheit eine starre Beziehung zwischen einem
Absoluten, dem „Wesen" einer Sache oder eines
Vorganges, und zwischen der als ,,wahr" gekenn-
zeichneten Vorstellung.
Anders urteilt der Pragmatismus. Ihm ist die
Wahrheit keine unbewegliche Eigenschaft, sondern
ein Vorkommnis, ein Sichgeltendmachen. Schiller
und Dewey nennen solche Vorstellungen wahr,
„die wir uns aneignen, die wir geltend machen,
in Kraft setzen und verifizieren können" und
solche Vorstellungen falsch, ,,bei denen dies
alles nicht möglich ist".
Unsere Gedanken stimmen mit der
Wirklichkeit überein, wenn sie uns durch
Handlungen und durch neue Gedanken, die sie
anregen, zu anderen Teilen der Erfahrung führen,
mit denen die ursprünglichen Gedanken sich im
Einklang befinden. Der Besitz wahrer Gedanken
bedeutet zugleich den Besitz wertvoller Mittel
zum Handeln. „Unsere Pflicht, Wahrheit zu er-
werben, ist also keineswegs ein aus der Luft
stammendes Gebot oder eine Last, die der In-
stinkt sich selbst auferlegt hat, sie ruht vielmehr
auf vortrefflichen praktischen Gründen." Nach
Wahrheit suchen bedeutet nichts anderes als den
Anpassungswert des nach Wahrheit suchenden
Menschen, dessen Erhaltung von äußeren und
inneren Umständen fortwährend bedroht ist, er-
höhen, ist also eine ungemein wichtige biologische
Funktion, der nicht ein rätselhaftes Sollen, son-
dern ein zwingendes Müssen zugrunde liegt.
Die Verifikation kann direkt und in-
direkt sein. Die Wahrheit lebt auf Kredit; es
genügt uns in vielen Fällen zu wissen, daß ein
Urteil von irgend jemand einmal anschaulich veri-
fiziert worden ist. Wenn wir oft auf völlige
Verifikation verzichten, so liegt das nicht nur
daran, daß wir Zeit ersparen wollen, sondern auch
daran, daß die Dinge in Gattungen da sind.
Die Wahrheit ist nicht bloß P'ührerin in der
Welt der sinnenfälligen Dinge und der Beziehungen
des gewöhnlichen Denkens, sondern auch in der
Welt der Geisteswissenschaften. Hier
dürfen wir sogar von „unbedingten" Wahrheiten
sprechen. Da sich die Tatsachen zum Teil in
die Systeme der Geisteswissenschaften einordnen
lassen, so gelten deren Wahrheiten auch für die
wirkliche Welt.
Was ist Wirklichkeit? Wirklichkeiten
sind nicht nur konkrete Tatsachen, sondern auch
abstrakte Dinge und deren Beziehungen, ferner
aber die gesamte Masse der in unserem Besitze
befindlichen Wahrheiten.
Was bedeutet Übereinstimmung mit der
Wirklichkeit? Von einer Übereinstimmung im
strengen Sinne kann überhaupt nicht die Rede
sein; viele Vorstellungen sind keine Abbilder,
sondern lediglich Zeichen. „Unsere Ideen
stimmen" nach der Auffassung der Pragmatisten
nur dann ,,mit der Wirklichkeit überein, wenn sie
uns sowohl zu nützlichen Worten und Begriffen
als auch unmittelbar zu sinnenfälligen Dingen
führen." „Alle Wahrheitsprozesse müssen irgend-
wo zu einer anschaulichen Verifikation durch
Sinneserfahrung führen, einer Sinneserfahrung, die
irgendjemand in seiner Vorstellung abgebildet hat."
Diese Auffassung steht natürlich im schroffsten
Gegensatze zur rationalistischen, für die die
Wahrheit eine einzigartige Beziehung ist und für
die die Verifikationsprozesse nur als Zeichen dafür
gelten, daß die Wahrheit da ist. Für den Ratio-
nalismus ist die Wahrheit bereits „ante rem"; in
den Zwischenzeiten, wo sich kein Verifikations-
prozeß vollzieht, ist sie eine Disposition unserer
Vorstellungen und Überzeugungen.
Für den Pragmatismus sind die Wahrheiten
nur relativ feste Beziehungen, sie , .streben" erst
in der Weiterentwicklung nach einem idealen
Punkte hin und nähern sich Wahrheiten, die keine
künftige Erfahrung mehr ändern kann. Tatsachen
selbst sind weder wahr noch falsch. Wahrheit
ist lediglich eine P'unktion unserer Urteile, „die
inmitten der Tatsachen entstehen und enden-'.
Der Kenner der Werke von Avenarius und
Petzoldt wird in dieser Wahrheitstheorie kaum
etwas Neues sehen. Ja, da diese Philosophen auf
die physiologischen Unterlagen der psychi-
schen Vorgänge zurückgehen, haben sie das Pro-
blem vielleicht tiefer als James gefaßt.
Während nach Rickert die Wahrheit ein
System von Sätzen ist, die ein unbedingtes Recht
darauf haben, als gültig anerkannt zu werden,
und während Wahrheit allen Urteilen zugesprochen
wird, die zu fällen wir uns durch eine Art im-
perativer Pflicht verbunden fühlen, leitet der
Pragmatist das Recht und die Pflicht, die Vor-
stellungen mit der Wirklichkeit in Übereinstim-
mung zu bringen, nur aus praktischen Gründen
ab. Er fühlt sich nur deshalb verpflichtet, sich
an die Wahrheit zu halten, weil Wahrheit lohnt,
genau wie Reichtum und Gesundheit.
Daß eine solche Auffassung die lebhaftesten
Stürme gegen Schiller und Dewey wecken
mußte, läßt sich begreifen.
N. F. VIII. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
137
Schiller hat nun für die Lehre, daß auch
unsere Wahrheiten menschliche Erzeugnisse sind,
den Namen Humanismus vorgeschlagen. Zu-
nächst habe man die Welt als durchaus plastisch
anzusehen und dürfe diese Ansicht erst dann fallen
lassen, wenn man auf entschiedenen Widerstand
treffe.
Nach Schiller sind alle unsere Wahrheiten
Überzeugungen vom Vorhandensein einer „Wirk-
lichkeit", die gefunden und nicht hervorgebracht
wird. Die VVirklichkeit besteht aus 3 Teilen:
Der erste Teil ist der Strom unserer
Sinneswalirnehmungen, die weder wahr
noch falsch sind, sondern einfach sind.
Der zweite Teil sind die Beziehungen
zwischen unseren Wahrnehmungen und
den gedanklichen Abbildern. Unter diesen
Beziehungen gibt es veränderliche und zu-
fällige, z. B. die räumlichen und zeitlichen, und
wesentliche, sich immer gleichblei-
bende Beziehungen. Die letzteren sind die
wichtigeren, von denen das mathematisch-logische
Denken immer Rechenschaft geben muß.
Der dritte Teil sind die alten Wahr-
heiten, auf die jede neue Untersuchung Rück-
sicht zu nehmen hat.
Mit den Elementen der Wirklichkeit können
wir mit einer gewissen Freiheit schalten, wir
können sie auswählen.
Wenn von einer Unabhängigkeit der Wirklich-
keit die Rede ist, so handelt es sich lediglich um
den Begriff" dessen, was eben in die Erfahrung
eintritt und noch nicht benannt ist, um eine Art
ursprünglichen Vorhandenseins in der Erfahrung,
bevor sich eine Überzeugung von diesem Vor-
handensein gebildet hat und bevor irgendein
menschlicher Begriff darauf angewendet wurde.
Das klingt fast wie Kant. ,,Aber zwischen Kate-
gorien, die aufblitzten, bevor die Natur da war.
und Kategorien, die sich im Beisein der Natur
allmählich bildeten, gähnt die ganze Kluft zwischen
Rationalismus und Empirismus."
Die Wahrheit ist nun nicht die Wirklichkeit
selbst, sondern nur die Überzeugung von
dieser Wirklichkeit. „Unmöglich kann man in
unserer Erkenntnisentwicklung die objektiven
Faktoren von den vermenschlichenden (subjektiven)
Faktoren trennen." Während für den Rationalis-
mus die Wirklichkeit von aller Ewigkeit her
fertig und vollendet ist, ist sie für den Pragmatis-
mus noch im Werden und erwartet ihre Gestal-
tung zum Teil erst von der Zukunft.
Der Pragmatismus kennt „nur eine einzige
Ausgabe der Welt, die unfertig ist und überall
größer wird, besonders da, wo denkende Wesen
am Werke sind". Der Rationalismus hat „ein
Universum in mehreren Ausgaben. Zunächst die
wirkliche Welt, die unendliche F"olioausgabe ;
dann die verschiedenen endlichen Ausgaben, voll
falscher Lesarten, und jede in ihrer Art entstellt
und verstümmelt."
Während für den Rationalisten das Veränder-
liche auf Unveränderlichkeit gegründet ist, sieht
der Pragmatist hinter der Erscheinung nichts.
Wenn der Rationalist darauf besteht, ,,daß hinter
den Tatsachen der Grund der Tatsachen, die
Möglichkeit der Tatsachen stehen müsse," so
wirft der Empirist ihm vor, „er nehme den bloßen
Namen einer Tatsache her und stelle denselben
dann hinter die Tatsache als eine zweite Wesen-
heit, die die erste erst möglich machen soll".
Trotzdem hat der Pragmatist nichts gegen
eine „absolute Welt" einzuwenden, wenn dieses
Wort nur als ein orientierendes Abstraktum ge-
nommen wird. Jederzeit auch gegen rationalisti-
sche Auffassungen tolerant, überläßt er die „ab-
solute Welt" als Konkretum denjenigen gern,
deren religiöses Leben dadurch bestimmt wird.
Dies der Inhalt des bedeutsamen Buches. Der
Pragmatismus ist, wie wir nochmals hervorheben
wollen, lediglich eine Methode. Von der Sorg-
falt, mit der die Methode angewandt wird, hängen
ihre Erfolge ab. Da die pragmatische Weise
alles Denken in Beziehung zum menschlichen
Handeln setzt, ist sie dem scholastischen, nur mit
Worten spielenden Denken abhold; sie hat ferner
die Tendenz alle metaphysischen, der Erfahrung
prinzipiell unzugänglichen Elemente auszuschalten.
Immerhin ist sie tolerant gegen jede Lehre, die
noch irgendwie fruchtbare Arbeit zu leisten ver-
mag; so achtet sie die Begriffe des gesunden
Menschenverstandes, die zwar einer kritischen
Analyse meist nicht standhalten, aber innerhalb
bestimmter Grenzen überaus nützlich sind ; sie
achtet selbst eine freiere Phantasietätigkeit , falls
ohne sie die Lebensfreude eine Einbuße erlitte.
Daß der Pragmatismus noch mancher Erweite-
rung und mancher Berichtigung fähig ist, hat
Jerusalem im Vorworte hervorgehoben.
Wenn auch das Temperament des Pragmatisten
nicht so ,, grobkörnig" sein mag wie das des
strengen Empiristen, so ist es doch noch „grob-
körnig" genug, um den Rationalisten in lebhafte
Wallung zu bringen. Heftige Kämpfe haben sich
in England erhoben, auch bei uns werden sie
nicht ausbleiben. Das schadet aber nichts. Um
so mehr werden sich die Ansichten auf beiden
Seiten klären. Einstweilen wünschen wir, daß
recht viele Leser unserer Zeitschrift das köstliche
Buch von James in die Hand nehmen mögen.
Wir versprechen ihnen nicht nur reiche Belehrung,
sondern auch einen hohen ästhetischen Genuß.
Die Schrift des amerikanischen Gelehrten
ist das temperamentvolle Werk eines auch
mitten im Leben stehenden Mannes, sie ist ein
Beweis, daß der Tempel der Philosophie nicht
ein weltfremdes Heiligtum für wenige Auserwählte
ist, sondern jedem offen steht, der sich mit
frischen Sinnen im Gewirr der Tatsachen orien-
tieren will. Einen mehr esoterischen Charakter
hat das von G. F. Lipps unter dem Titel
,,My t he nbildu ng und Erkenntnis" er-
schienene Buch, das als dritter Band der Samm-
lung ,,Wissensch aft und Hypothese" bei
138
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
N. F. VIII. Nr. 9
Teubner in Leipzig im Jalire 1907 verlegt ist.
Trotzdem möchten wir den ersten Teil desselben,
der über naive und kritisciie Wellbetrachtung
handelt und in klarer, knapper und übersichtlicher
Form aus der Geschichte der Philosophie die
Entwicklung derjenigen Funktionen aufzeigt, in
denen die Wirklichkeit erfaßt wird, als eine gute
Einführung in die Philosophie empfehlen. Der
zweite Teil verrät den mathemalisch geschulten
Gelehrten, dem es darauf ankommt, seine Auf-
gaben in möglichster Allgemeinheit zu lösen.
Aber wenn auch einige Kapitel durch ihren ab-
strakten Gehalt eine größere Aufmerksamkeit be-
anspruchen, so entschädigen andere wieder reich-
lich durch ihre aktuelle Bedeutung.
Der Standpunkt des Verfassers ist der des
kritischen Empirismus. Seinen Ausführungen
werden nicht nur Fhilosopiien von h^ach, sondern
auch Naturwissenschaftler und Mathematiker, die
erkenntnistheoretischen Problemen nicht aus dem
Wege gehen, mit Befriedigung folgen.
Für G. F. Lipps besteht die Aufgabe der
Philosophie darin, vom ,, Vollziehen der Be-
stimmungen" auszugehen und ,, klarzulegen,
wie .es zugeht, daß uns in dem Gewebe voll-
zogener Bestimmungen die Welt und unser eigenes
Sein als eine in sich beruhende Wirklichkeit ent-
gegentritt." Die Frage, ,, warum Bestimmungen
vorhanden sind und warum es Objekte und eine
objektiv bestehende Welt gibt," ist „nicht zu be-
antworten, ja sie darf gar nicht gestellt werden.
Wir können nur angeben, wie Bestimmungen
vollzogen werden, es steht uns hierbei nur der
Hinweis auf vollzogene Bestimmungen (nicht auf
ein Vermögen sie auszuführen) zu Gebote." Natür-
lich muß hierbei auf den Mythus von schöpferisch
tätigen Kräften durchaus verzichtet werden. „Der
Erfolg einer Bestimmung zeigt sich nun offenbar
darin, daß das eine von dem anderen unter-
schieden, aber auch zugleich mit ihm verknüpft
und so zu ihm in Beziehung gesetzt wird." Das
Wesen des Bestimmens besteht im Erfassen des
einen im anderen. So gelangt in dem Urteile
„diese Rose ist rot" die Unterscheidung des einen
vom anderen und die Verknüpfung des einen mit
dem anderen, von dem es unterschieden wird,
zur Ausführung. „Ich erfahre nämlich in dem
durch das Wort ,,dies" angedeuteten Erlebnis die
als ,,rot" bezeichneten Inhalte früherer Erlebnisse,
und indem ich dies tue, wird das früher Erlebte
dem jetzt Erlebten, das ja auch eine andere Be-
schaffenheit haben könnte, gegenübergestellt und
durch Zuerkennen der roten Farbe mit ihm
verknüpft."
Wir übergehen die Arten des Zusammenhangs
der Bestimmungen und wenden uns zum Kapitel
vom „Erfassen der Wirklichkeit". Diese selbst
tritt nur in den Bestimmungen des
Denkens hervor und besitzt nicht etwa eine
vom Denken unabhängige Existenz. Da ein
Gegenstand zum Träger eines Vereins zusammen-
gehöriger Bestimmungen wird, die nicht insge-
samt vollzogen sein müssen, sondern auch bloß
als „vollziehbar" in Betracht kommen können, so
kann das zur Annahme verleiten, „daß der Gegen-
stand schon ohne jede Bestimmung — als Ding
an sich — bereits vorhanden sei und darauf warte,
durch das Denken aufgefunden und mit Bestim-
mungen ausgestattet zu werden". Dann müßte
ein Ähnliches auch vom Denken gelten. „In
Wahrheit gibt es jedoch weder ein Ding an sich
noch ein für sich bestehendes Denken. Denn
der einer weiteren Bestimmung fähige Gegenstand
ist nur auf Grund der bereits vorliegenden Be-
stimmungen talsächlich vorhanden, und auch das
Denken existiert nur, sofern es in dem Vollzuge
von Bestimmungen zutage tritt. Es ist nur die
Möglichkeit im Auge zu behalten, daß zu den
bereits vollzogenen Bestimmungen noch weitere
hinzutreten können; und man muß neben den
einzelnen Bestimmungen auch ihr Zusnnmien-
bestehen als maßgebend für die Beschaftenheit
der in dem Gewebe der Bestimmungen hervor-
tretenden Gegenstände ansehen." . . . ,,Es gibt
keine unerkennbare Wirklichkeit; keine
Grenzen, jenseits welcher ein dem Erkennen
sich entziehendes Sein oder Werden voraussetzbar
wäre; keinen Kern, der hinter der allein zu-
gänglichen Schale verborgen bliebe. ... Es hat
daher auch gar keinen Sinn zu fragen, ob es denn
überhaupt eine Wirklichkeit gebe, und ob wir
nicht vielmehr einen wesenlosen Schein oder
einen bloßen Traum an ihre Stelle setzen, da nur
eine mit subjektiven Täuschungen behaftete indi-
viduelle Auffassung des wahren Seins möglich sei."
,,Es gibt nur eine einzige, in sich
zusammenhängende Wirklichkeit." Es
gibt aber für uns weder eine Wirklichkeit,
die von vornherein eine bestimmte Beschaffenheit
hat, noch auch einen mit Vermögen und Kräften
ausgerüsteten Geist. Darum hat die F'rage, wo-
her die Formen stammen, aus der Wirklichkeit
selbst oder aus dem Geiste, keinen Sinn. Dagegen
ist von grundlegender Bedeutung, ,,wie die
Wirklichkeit tatsächlich erfaßt wird
und erfaßt werden muß."
Als beziehungslos kann die Wirklichkeit nicht
gedacht werden. Sie ist nur in einem Prozesse
des Unterscheidens und Verknüpfe ns
erfaßbar, und zwar nur in bestimmten Daseins-
weisen, von welchen die eine in der anderen her-
vortritt oder in die andere übergeht. Die Daseins-
weisen bilden in ihrem Zusammenbestehen die
Wirklichkeit, „die als solche selbst nicht wieder
in einer Einzelbestimmung erfaßt werden kann."
Das Unterscheiden der Bestandteile der
Wirklichkeit ist nicht dasselbe wie das Erfassen
jener Bestandteile in ihrem Zusammenbestehen.
„Ohne den Vollzug von Unterscheidungen ist
zwar die Wirklichkeit nicht erfaßbar; sie wird
aber durch die Unterscheidungen nicht erschöpft
und löst sich nicht in sie auf." Die W i r k 1 i c h -
keit ist ein teilbares Ganze, dessen Teile wieder-
um teilbar sind und sich in irgendwelchen, durch
N. F. VIII. Nr. 9
Naturwissenschaftliche Wochenschrift.
139
die Sinnesqualitäten bedingten Abgrenzungen dar-
bieten. Sie hat die Form eines K o n t i n u u m s ,
das als f 1 ä c h e n h a f t oder zweidimensional
7.U bezeichnen ist.
In ihm werden die Erstreckungeii, wie der
Arithmetiker sich ausdrücken würde, von den
beiden Richtuiigsgegensätzen -\~ 1 und — i und
-|- i und — i berherrscht. Im flächenhaften
Kontinuum sind es nun die Raumkörper, die
wir erfassen. Bei ihnen tritt zu jenen Richtungs-
gegensätzen noch ein dritter hinzu, der Portgang
von innen nacli außen.
Ein Körper, der alle irgendwie bestimmten
Körper umschließt und den wir sich unbegrenzt
ausdehnen lassen, würde als der dreidimensionale
Raum zu bezeichnen sein.
Alles Naturgeschehen läßt sich auf die
Änderung der Bewegung und der Lage, des
Volumens und der Anzahl der Raumkörper oder
ihrer Teile zurückführen.
Es ist keineswegs notwendig, die Veränderung
der Körperwelt auf die von der Bewegung kleinster,
unveränderlicher und undurchdringlicher Teile zu
gründen; man würde sonst ein Vorurteil zur
Grundlage der Naturbetrachtung machen.
Den Begriff des ,,Besc hre ibens" faßt Lipps
zu eng. Es genüge nicht zu wissen, daß die
Größen x,, x,, x.,, . . ., welche für einen ge-
gebenen Zeitpunkt die Bewegung und Lage, das
Volumen und die Anzahl der Körper oder ihrer Teile
bestimmen, nach Ablauf einer bestimmten Zeit die
Werte y,, y,^, y^, ... angenommen haben, sondern
man müsse ,, die tatsächlich sich vollziehende Ände-
rung auch begreifen, indem wir den früheren
Zustand als den objektiv bestehenden Grund der
späteren und den späteren als die objektiv be-
stehende Folge des früheren auffassen." Man müsse
die von Hausaus unbeschränkt veränderlichen Körper
erst mit gewissen, die Zustandsänderungen bedingen-
den Merkmalen, mit bestimmten Parametern be-
haftet denken, z. B. mit dem Parameter der
Masse. Lipps bedenkt nicht, daß die Me-
thode des Beschreibens im Sinne von Mach
jede Begriffsbildung einschließt, sofern sie ganz in
der Erfahrung wurzelt, daß sie also auch die Bil-
dung des so wichtigen Parameterbegriffes umfaßt.
Mach selbst hat in klassischer Weise einen Weg
gezeigt, auf dem man in einwandsfreier Weise
zum Massenparameter gelangt. Eine Erfahrungs-
tatsachen verwertende, rein in Gedanken sich voll-
ziehende Begriffsbildung, deren Wert nachträglich
wieder an den Tatsachen geprüft wird, braucht
durchaus nicht aus dem Bereich des Beschreibens
herauszutreten. Auch Duhem vertritt diese
Auffassung in seinem Werke über ,,Ziel und
Struktur der physikalischen Theorien".
Sehr richtig ist das, was Lipps von den ver-
borgenen Qualitäten und Kräften sagt, die für
eine kritische Auffassung des Naturgeschehens
ebensowenig vorhanden sind, wie ein absolutes
mit ursprünglichen Bestimmungen behaftetes Sein.
Die Unterscheidung , die er zwischen b e -
lebten und unbelebten Körpern macht, hat
etwas Bestechendes. Datiach werden die Parameter
der lebendigen Körper nicht nur durch „die
gegenwärtigen, sondern auch durch die ver-
gangenen Zustände beeinflußt und sind darum
einer ständigen Veränderung unterworfen". ,,Die
Parameter der leblosen Körper sind entweder
konstant oder nur von dem augenblicklichen Zu-
stand abhängig."
Eine derartige Unterscheidung scheint mir
nicht ausreichend zu sein. \Vas für lebende
Körper gilt, gilt meiner Ansicht nach auch für
alle diejenigen leblosen Köper syst e me, die,
äußeren Störungen ausgesetzt, sich diesen anzu-
passen vermögen und ihre Form nur so langsam
ändern, daß sie immer noch als dieselben
Systeme angesehen werden dürfen. Als Beispiele
können wir die der Entwicklung unterworfene
Erde und das Sonnensystem anführen.
Es dürfte unsere Auffassung deshalb wichtig
sein, als in ihr zum Ausdrucke kommt, daß von
einem prinzipiellen Unterschiede zwischen
lebendem und leblosem Körper nicht die Rede
sein kann, solange man von den etwa vorhandenen
psychischen Begleiterscheinungen absieht. Zur-
zeit ist es jedoch zweckmäßig, die spezialisierten
Bestimmungen des lebendigen Körpers beizube-
halten, wie sie z. B. von Roux gegeben sind.
Wichtig ist der Satz, daß weder das Empfin-
den noch das F"ühlen als Wirkung oder U r -
Sache des objektiven Geschehens zu begreifen
sei, daß vielmehr die subjektiven Zustände des
Fühlens und Empfindens oder des Bewußtseins
mit gewissen Größen, welche objektive Zustände
und Zustandsänderungen des Leibes bestimmen,
verknüpft sind. Mit Recht betont Li pps, daß un-
lösbare Widersprüche auftreten, wenn subjek-
tive Erlebnisse in den Zusammenhang des ob-
jektiven Geschehens eingereiht werden, wenn
z. B. psychische Tatsachen in die physiologischen
Gehirnvorgänge als bestimmende Faktoren ein-
geschaltet werden.
Zum Schlüsse stellt der Verfasser noch das
die Psychologie in ihrem ganzen Umfange be-
herrschende Prinzip derlnhärenz auf, wo-
nach die der Vergangenheit aiigehörigeip Er-
regungszustände der Pllemente, auf denen das
Bewußtsein beruht, insgesamt und in ihrem ganzen
Umfange den gegenwärtig erfaßten Zuständen
inhärieren. Der Mensch ist in seinem Tun und
Lassen vom Aufleben und Nachwirken der Ver-
gangenheit abhängig. Er nimmt daher Ge-
wöhnungen an, er läßt sich erziehen; er ist einer
durch die Vergangenheit bedingten und so in
bestimmter Richtung sich vollziehenden Entwick-
lung fähig.
Wir haben diejenigen Punkte herausgegriffen,
die ein al